• S.

    PROF. DR. FREUD 
    WIEN IX., BERGGASSE 19 

    5.II.1926.

    Lieber Herr Doktor!

    Dr. Jones hat mir die Abschrift seines letzten Briefes an Sie ein-
    geschickt, aus der ich ersehe, welche Schwierigkeiten Ihnen meine Einfluss-
    nahme auf die Abraham‑Nummer bereitet.  Ich bin sicher, dass Sie den 
    richtigen Ausweg finden werden, möchte es aber nicht unterlassen, meinen 
    Standpunkt nochmals klarzulegen, vielleicht zu Ihrer Erleichterung.

    An der Forderung, dass das Abraham‑Heft vor dem mir zuge-
    eigneten erscheinen soll, muss ich festhalten.  Keine Festlichkeit, ehe 
    nicht die Trauerpflicht erledigt ist. Trauer lässt sich nicht aufschieben. 
    Ich sehe dann für dieses Heft zwei Möglichkeiten. Entweder lassen Sie es 
    nichts enthalten als was sich auf Abraham bezieht, soweit es verfügbar 
    ist oder machen Sie ein gewöhnliches Heft daraus, in dem das Bild und die 
    Artikel über Abraham den ersten Teil bilden. Eine Forderung, dass die 
    wissenschaftlichen Beiträge zu seiner Ehrung jetzt schon erscheinen mögen, 
    wird niemand erheben. Denn jedermann weiss, dass solche Arbeiten Zeit 
    brauchen und auf einen Todesfall kann man sich nicht so vorbereiten wie 
    auf einen im Datum feststehenden Geburtstag. Daher die Notwendigkeit, die 
    Trauerkundgebungen und die wissenschaftlichen Beiträge für Abraham zeit-
    lich zu trennen. Es mag dann ein Jahr oder noch länger dauern, bis Sie 
    Ihre Idee eines Abrahamheftes, gefüllt mit Beiträgen seiner Schüler, ver-
    wirklichen können.  Sie braucht durchaus nicht fallen gelassen zu werden

    Anderseits das mir gewidmete Heft. Ich meine, wenn es auch zum 6. Mai 
    erscheint, so braucht es durchaus nicht am 6. Mai erscheinen. Der wissen-
    schaftliche Betrieb hat seine eigenen Notwendigkeiten, die persönlichen 
    Rücksichten geopfert werden sollen.  Mir fällt da ein sonst in vielen 
    Stücken unpassender Vergleich ein, den ich Ihnen aber doch vortragen will,

  • S.

    die Erinnerung an das eroberte Belgrad, das dem alten Kaiser durchaus am 
    18. August zu Füssen gelegt werden musste.  Nun, so alt bin ich ja zum 
    Glück nicht und auch unsere Beziehungen sind nicht die gleichen. Ich 
    denke, es wird niemand Anstoss daran nehmen können, wenn das mir gewidmete 
    Heft irgendwann im Sommer als Nr. 3 erscheint und die Nachwelt wird die 
    Differenz im Datum überhaupt nicht bemerken. Es war anders mit den Heften, 
    die zu einem Kongress fertig werden sollten.  Da galt es, einer grossen 
    Menge, darunter auch Gäste und Fremde, zu zeigen, was in der Vereinigung 
    gearbeitet wird und dieser selbst neue Anregungen zuzuführen, sogar auch 
    Aussenstehende zum Abonnement zu verlocken. Alle diese Rücksichten fallen 
    bei einer intimen Festlichkeit gründlich weg.

    Vielleicht habe ich Ihnen durch diese Bemerkungen Ihre schwierige 
    Aufgabe etwas erleichtert.

    Mit herzlichem Gruss
    Ihr
    Freud