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1888. Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 26.
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„Hypnose durch Suggestion.“*
Von Prof. BERNHEIM in NancyUebersetzt von Dr. Sigm. Freud in Wien *).
| 1.
Wenn ich einen Kranken habe, bei dem ich mir von der
| Anwendung der Suggestion eine heilsame Wirkung erwarte, gehe
ich auf folgende Weise vor, um ihn in Hypnose zu versetzen: Ich
|sage ihm zunächst, dass er durch die Hypnose der Heilung oder
! der Besserung entgegengeführt werden kann, dass es sich dabei um
keine schädliche oder aussergewöhnliche Beeinflussung handelt,
sondern um einen einfachen Schlaf- oder Betänbungszustand, der
sich bei Jedermann hervorrufen lässt, dass dieser Zustand einer
wohlthätigen Ruhe das Gleichgewicht im Nervensystem wieder-
herstellt, und Aehnliches mehr. Wenn es nothwendig ist, hypnotisire
ich vor ihm ein oder zwei Personen, zeige ihm, dass die Hypnose
weder Gefahren noch unangenehme Empfindungen mit sich bringt,
und es gelingt mir so in der Regel, das Vorurtheil zu unterdrücken,
welches sich bei ihm an die Vorstellung des Magnetismus knüpft,
und die Furcht zu zerstreuen, die er vor diesem geheimnissvollen
Unbekannten empfindet. Hat er überdies Kranke gesehen, welche
ich durch dies Verfahren geheilt oder gebessert habe, so gewinnt
er Zutrauen und liefert sich mir in die Hände. Ich sage ihm dann:
„Schauen Sie mich fest an und denken Sie ausschliesslich an’s Ein-
schlafen. Sie werden gleich eine Schwere in den Augenlidern fühlen,
dann eine Müdigkeit in den Augen; Ihre Augen blinzeln schon, sie
werden fencht; Sie sehen nicht mehr deutlich, jetzt fallen die Augen
zu.“ Bei einigen Personen tritt dies sofort ein, sie schliessen die
Augen und versinken in Schlaf. Bei anderen Personen muss ich
diese Versicherungen wiederholen und mit Nachdruck wiederholen;
lich füge noch eine Manipulation hinzu, die von verschiedener Art
sein kann. Ich bringe z. B. zwei Finger meiner rechten Hand vor
die Augen der betreffenden Person und lasse dieselben fixiren, oder
ich streife mit meinen beiden Händen mehrmals in der Richtung
von oben nach unten über ihre Augen, oder ich fordere sie auf,
fest in meine Augen zu schauen, während ich gleichzeitig alle ihre
Gedanken auf die Vorstellung des Einschlafens zu richten suche.
Ich thue dies etwa mit folgenden Worten: „Ihre Lider schliessen
sich, Sie können sie nicht mehr öffnen; Sie verspüren eine Schwere
in den Armen und in den Beinen; Sie hören nichts mehr; Ihre
Hände sind wie gelähmt; Sie können nichts mehr sehen, der Schlaf
kommt über Sie“ und dann füge ich mit gebieterischem Tone hinzu:
„Schlafen Sie!“ Häufig entscheidet dieser Befehl; der Kranke schliesst
die Augen, schläft oder ist wenigstens beeinflusst.Ich bediene mich des Wortes „Schlafen“, weil mir daran
liegt, eine möglichst tiefgehende suggestive Beeinflussung, wo möglich
mit Schlaf gepaart, herbeizuführen. Es gelingt aber nicht immer,
einen Schlaf im eigentlichen Sinne zu erreichen ; wenn die Versuchs-
personen nicht das Gefühl des Schlafens haben und sich darüber
äussern, pflege ich ihnen zu sagen, dass der Schlaf nicht unbedingt
nothwendig ist, dass die heilsame hypnotische Einwirkung auch
ohne Schlaf zu Stande kommt, und dass viele Personen, auch wenn
| sie nicht in Schlaf versinken, doch der Einwirkung des Magnetismus
unterliegen (vgl. weiter unten).Wenn die Versuchsperson die Augen nicht schliesst oder nicht
| geschlossen hält, pflege ich die Fixation meiner Augen oder meiner
Hände nicht lange fortsetzen zu lassen. Denn es gibt Personen,
| welche im Stande sind, die Augen unbestimmte Zeit lang auf-
gesperrt zu halten, und die so, anstatt sich der Vorstellung des
Einschlafens hinzugeben, nur den Vorsatz, ausdauernd zu fixiren, in
sich nähren. Ich ziehe es in solchen Fällen vor, ihnen die Augen
zu verschliessen. Nach ein oder zwei Minuten Fixation drücke ich
ihnen die Augenlider zu oder ziehe die Lider sanft und langsam über
die Augen herab, so dassich den allmäligen Tädschluss beim natürlichen
Er nachahme; am Ende halte ich die Lider geschlossen,
|
|) Ans
Iund setze dabei meine Suggestionen fort: „Ihre Augen sind wie
verklebt, Sie bringen dieselben nicht von einander; Ihre Schläfrigkeit
nimmt immer mehr zu, Sie können ihr nicht mehr widerstehen.“*) Aus dem unter der Presse befindlichen Werke:
Wien, Franz Deuticke, 1888,„Die Suggestion und
ihre Heilwirkung.*S.
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Ich senke allmälig die Stimme, wiederhole den Befehl „Schlafen
Sie“ und zumeist stellt sich nach zwei bis drei Minuten der Schlaf
oder irgend ein Grad von hypnotischer Beeinflussung wirklich ein.
Ich erzeuge so den Schlaf selbst durch Suggestion, ich
suggerire dem Kranken die Vorstellung des Rinschlafens,
führe das Bild des Schlafes in sein Gehirn ein.Die Striche mit den Fingern, das Fixiven der Hände oder der
Augen des Hypnotiseurs ist zwar vortheilhaft, um die Aufmerksam-
keit in Anspruch zu nehmen, aber nicht unbedingt zur Hypnose
erforderlich.Kinder sind sehr leicht und schnell zu hypnotisiren, wenn sie
so weit geistig entwickelt sind, dass sie zuhören und verstehen. Es
genügt mir oft, ihnen die Augen zu schliessen, durch einige
Momente geschlossen zu halten, ihnen dann zu sagen, dass sie
schlafen sollen, und dann zu behaupten, dass sie schlafen.Auch Erwachsene lassen sich mitunter auf so einfache Weise
durch das blosse Zudrücken der Augen einschläfern. Bei vielen Per-
sonen kann ich so die Hypnose ohne alle Vorbereitungen herbei-
führen; ich erspare mir Striche und Fixiren, schliesse die Augen-
lider, halte sie sanft zugedrückt, fordere die Versuchsperson auf,
die Lider geschlossen zu halten und suggerire ihr die Empfindungen
des Einschlafens. Viele Personen verfallen dann in der That
schnell in einen mehr oder minder tiefen Schlaf.Bei Anderen stösst man auf grösseren Widerstand. Ich setze
dann häufig meine Absicht durch, wenn ich den Patienten die
Augen durch längere Zeit geschlossen halte, ihnen Stillschweigen
und Unbeweglichkeit auferlege und unausgesetzt dieselben Redens-
arten vor ihnen wiederhole: „Jetzt verspüren Sie eine Betäubung,
ein Gefühl von Schläfrigkeit; Ihre Arme und Beine sind bereits
ganz unbeweglich, Ihre Lider werden warm; Ihr Nervensystem
beginnt sich zu beruhigen, Sie haben keine Lust mehr, sich zu
bewegen, Ibre Augen bleiben geschlossen, jetzt ist der Schlaf da
u. s. w.“ Nachdem ich diese eindringliche Suggestion vom Gehör
aus durch einige Zeit fortgesetzt habe, kann ich meine Finger
entfernen; die Augen des Patienten bleiben geschlossen; ich erhebe
seine Arme, sie bleiben in der Luft stehen: der kataleptische
Schlaf ist erreicht.Andere Personen zeigen sich noch widerspenstiger; sie sind
in ihrer Voreingenommenheit unfähig, sich hinzugeben, beobachten
und stören sich fortwährend und behaupten, dass sie nicht einschlafen
können. Solche nöthige ich zur Ruhe und spreche ihnen immer von Be-
täubung und Müdigkeit. „Das genügt“, pflege ich zu sagen, „um eine
wirksame Suggestion zu erzielen. Es bedarf dazu keines eigentlichen
Schlafes. Bleiben Sie ruhig und rühren Sie sich nicht.“ Ich versuche
dann bei solchen Personen nicht, kataleptische Erscheinungen zu
erzeugen, denn ich weiss, dass sie blos zur Ruhe gebracht und nieht
eingeschläfert sind, und dass sie sich bei jedem Versuche aufraffen
und mit Leichtigkeit aus ihrer Unbeweglichkeit herausreissen würden.
Ich begnüge mich in solchem Falle oft damit, die Person in einem
Zustand von zweifelhafter Einschläferung zu belassen, und fordere sie
auf, eine Zeit lang in dieser Ruhe zu beharren, ohne zu prüfen, ob
eine Beeinflussung wirklich stattgefunden hat. Manche Personen
halten sich auch wirklich ziemlich lange regungslos, ohne dass sie
sagen könnten, ob sie es freiwillig oder unfreiwillig gethan haben.
Gewöhnlich gelingt es durch diese Art von Schulung in einer
zweiten oder dritten Sitzung einen höheren Grad einer nicht mehr
zweifelhaften Hypnose, begleitet von suggestiver Katalepsie oder
selbst von Somnambulismus zu erreichen.Bei verschiedenen Personen führt verschiedenes Vorgehen zum
Ziele. Bei den Einen genügt die milde Suggestion, bei Anderen
bedarf es einer Art von Ueberwältigung, eines herrischen Gebarens,
um die Neigung zum Lachen oder die unwillkürliche Widerstands-
lust zu unterdrücken, welche bei derartigen hypnotischen Versuchen
auftreten.Viele Personen zeigen sich schon durch die erste Hypnose
beeinflusst, bei anderen bedarf es einer zwei- oder dreimaligen Wieder-
holung. Der hypnotische Einfluss zeigt sieh nach mehreren Sitzungen
ungemein gesteigert. Es genügt dann oft, die Betreffenden anzusehen,
ihnen die Finger vorzuhalten und zu rufen: „Schlafen Sie“, auf
dass in wenigen Sekunden sich ihre Augen schliessen und der1888. Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 26.
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Schlaf mit allen seinen Begleiterscheinungen sich einstellt. Andere
Personen erlangen die Fähigkeit, rasch einzuschlafen, erst nach
einer gewissen, aber in der Regel nicht grossen Anzall von
Sitzungen.Es geschieht mir oft, dass ich sieben bis acht Personen nach
einander, jede in einem Moment, hypnotisire. Nach diesen kommen
mehrere andere, welche widerspenstig oder schwer zu beeinflussen
sind. Ich halte mich bei solchen nur wenige Minuten auf; was
das erste Mal nicht gelungen ist, gelingt gewöhnlich in einer zweiten
oder dritten Sitzung.Personen, bei denen die hypnotische Suggerirbarkeit stark
entwickelt ist, bedürfen zum Einschläfern keiner so lebhaften
Betonung der Vorstellung des Schlafes, Man kann solche Leute
schriftlich hypnotisiren, indem man ihnen mittheilt, dass sie in
Hypnose verfallen werden, sobald sie den betreffenden Brief gelesen
haben, man kann sie mit Hilfe des Telephons hypnotisiren, wie
Herr Litgeois gethan hat; kurz, die Suggestion erreicht jedes-
mal ihren Zweck, auf welchem Wege immer sie ihnen zukommt.Es gibt Personen, welche sich unter dem Einflusse des Chloro-
forms hypnotisiren, ehe sie chloroformirt sind. Jeder Cbirurg wird
sich an Patienten erinnern, welche nach wenigen Athemzügen des
Schlafmittels plötzlich und ohne ein Aufregungsstadium eingeschlafen
sind, sicherlich ehe das Chloroform seine Wirkung gethan haben
konnte. Ich habe selbst diese Beobachtung an Klienten gemacht,
welche ich für den Zahnarzt zu chloroformiren hatte, und lasse sie
seither niemals unausgenützt. Jedesmal, wenn ich eine Narkose
einleite, suggerire ich dem Kranken vom ersten Athemzuge an,
dass er rasch und sanft einschlafen wird. Mitunter kommt dann
wirklich der hypnotische Schlaf vor dem Chloroformschlaf und kann
so tief sein, dass er zur Vornahme der Operation ausreicht. Ist
dies nicht der Fall, so setze ich die Einathmung des Chloroforms
bis zur völligen Unempfindlichkeit, welche durch die Beihilfe der
Suggestion früher eintritt, fort, und ich kann sagen, dass ich durch
dieses Verfahren das Stadium der Erregung in der Chloroform-
narkose vermeide.Man darf nicht glauben, dass blos neuropathische Personen,
Schwachköpfe und Hysterische der Hypnose unterliegen, oder dass
nur Frauen hypnotisirbar sind; die Mehrzahl meiner Beobachtungen
bezieht sich im Gegentheile auf Männer, welche ich mit Absicht
ausgesucht habe, um dem obigen Einwurfe zu begegnen. Es ist wahr,
die hypnotische Beeinflussbarkeit zeigt grosse Versehiedenheiten,
und ich habe wie Herr Liebault gefunden, dass Leute aus dem
Volke, alte Militärs, Handwerker, kurz Leute mit: gefügigen Gehirnen,
die an passiven Gehorsam gewöhnt sind, die Suggestion besser
aufnehmen als Köpfe mit selbständigen und reichen Gedanken-
güngen, welche häufig selbst unabsichtlich der Hypnose einen
gewissen moralischen Widerstand leisten. Geistesgestörte, melancho-
lisch oder hypochondrisch Verstimmte sind oft schwer oder gar
nieht zu beeinflussen; es bedarf eben zur Hypnose der Mitwirkung,
der zustimmenden Erwartung der Versuchsperson, es ist nothwendig,
dass Letztere sich ohne inneres Widerstreben der Beeinflussung des
Hypnotiseurs überlässt, und die Erfahrung zeigt, dass die grosse
Mehrzahl der Menschen dieser Bedingung mit Leichtigkeit nach-
kommen kann.Unter den Personen, die ich bypnotisirt habe, befanden sich viele
von grosser Intelligenz, die den höheren Ständen der Gesellschaft
angehörten und keineswegs nervös waren, wenigstens nicht in dem
gewöhnlichen Sinne des Wortes. Freilich, wenn Jemand eine Ehre
darein setzt, zu beweisen, dass er nicht hypnotisirbar ist, dass
Suggestionen an ihm nicht haften, und dass sein Gehim in festerem
Gleichgewicht ist als das anderer Leute; bei.einem solchen schlägt
oft die Beeinflussung fehl, denn er versteht es nicht, sich in den
für die Annahme der Suggestion erforderlichen Zustand zu ver-
setzen, er sträubt sich bewusst oder unbewusst gegen dieselbe, er
macht sich sozusagen eine Gegensuggestion, unter deren Herrschaft
er steht.
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