Protokoll der 5. Sitzung am 2. November 1910. Dr. W. Stekel: Berufswahl und Neurose 1910-526/1910
  • S.

    ROTOKOLL
     

    der
     

    5. S I T ZUNG
     

    am 2.November 1910.
     

    Dr. Stoke 1:
     

    Berufswahl und Neurose
     

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    Nach Begrüssung der neterschienenen Mitglieder schlägt der
    Obmann vor, die Abstimmung über Herrn stud.med.Bing (Budapest) zu
    verschieben, bis Näheres über ihn bekannt sein werde.
     

    VORTRAG.
     

    Der Vortragende spricht zu Beginn seiner Ausführungen die
    Hoffnung aus, dass vie der Anwesenden werden erzählen können, auf
    welche Weise sie zu ihrem Perufe gekommen sind, unter der Voraus-
    setzung, dass jeder ein gewissem Sinne ein Neuroteker ist, eine An-
    nahme die später begründet werden soll. Von diesen Geständnissen
    sei reiche belehrung und Erkenntnis zu erwarten und der gegenwär-
    tige Vortrag solle in diesem Sinne nur als Lockspeise dienen.
     

    Wenn wir von Berufswahl sprechen, so müssen wir zunächst die
    nicht unwesentliche Tatsache berücksichtigen, dass eine Menge von
    Neurotikern gar keine freie Berufswahl hat, sondern zu einem Be-
    ruf gezwungen wurde.Alle Neurotiker zeigen darum eine Unzufrieden-
    heit mit ihrem Berufe und jeder hofft von einer Veränderung seines
    Berufes eine wohltätige Wirkung für seine Neurose. Bei diesen ge-
    zwungenen berufen ist nun auffällig das Streben nach Selbständigkei
    womit der Neurotiker die ihm mangelnde innere Freiheit symbolisch
    erreichen will und die Unabhängikeit von jeder Autorität. Ebenso
    auffallend ist ein Zug zum Journalismua, wobei vielleicht gewisse
    erotische Motive mitspielen, die in der Zeitung etwas symbalisiert
    sehen, was ungefähr einer Dirne ähnlich sieht und wobei sie mitar-
    beiten möchten; eine Symbolik, die aus gewissen Witzen und Träumen
    eine sichere Stütze erhält.Mitunter vertrete die Zeitung auch, wis
    Wittels einmal ausgeführt habe, den Vater.Noon häufiger zeigt sich
    bei den Neurotikern eine Tendenz, möglichst viel zu verdienen, bei
    möglichst geringer Arbeitsleistung, eine Tendenz, die dann in einer
    Art neurotischer Faulheit zum Ausdrucke kommt. Aber nicht allein
    dies Moment zieht den "eurotiker von der Arbeit ab, sondern noch
     

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    mehr der Wunsch, sich ungehindert mit seinen halb bewussten halb w
    bewussten Phantasien beschäftigen zu können. Deswegen ist es so un-
    geheuer schwer, ihn wieder in die Arbeit zurückzubringen, weil die-
    se ihm nun als ein Unlustgefühl, als Störung seiner Phantasie tätig-
    keit imponiert.
     

    Wurde bisher von Berufen gesprochen, zu denen die Leute gezwun-
    gen werden, so erübrigt jetzt ein Singehen auf das eigentliche The-
    ma,die freie Berufswahl, womit wir zugleich aufs Infantile hinge-
    drängt werden. Ist doch die wichtigste Frage, welche die Kinder be-
    schäftigt, die nach ihrem zukünftigen Perufe. In einem in der Samm -
    lung: Was am Grunde der Seele ruht abgedruckten Artikel ist ausge-
    führt, dass sich die Kinder in dieser Hinsicht nicht viel von einan-
    der unterscheiden. Die meisten wollen Eutscher, Konduktöre werden,
    überhaupt mit Instrumenten arbeiten, die eine Dewegung vollführen
    (Luftschiff). Fast regelmässig ist ebenfalls die Phantasic vom Sol-
     

    "
     

    daten nachzuweisen, die sich oft Jahre hindurch erhält und zu einer
    später oft bereuten Berufswahl führt. Eine weitere häufige Phantasie
    der Kinder ist auch Detektiv zu sein. Alle diese infantilen Phanta-
    sien zeigen eine grosse Uebereinstimmung mit dem Traumleben, beson-
    ders der Neurotiker, was bisher nicht genügend gewürdigt wurde. Wenn
    man sich über die Bedeutung dieser Phantasien klar werden will, so
    muss man die Freudsche Formel von der polymorphen Perversität des
    kindes nach einer anderen Seite hin ergänzen. Das Kind ist nämlich
    daneben auch ein universell Krimineller.Es gibt kein Verbrechen und
    wäre es noch so grausam (Abgesehen von Diebstahl, Brandstiftung, Mord,
    auch Leichenschändung? Massenattentate etz.) Mit denen sich die Phan-
    tasie des Kindes nicht beschäftigte. Diese Phantasien bleiben oft
    bis ins reife Leben hinein bestehen und bilden dann die Grundlage
    des kriminellen Schuldbewusstseins beim Neurotiker.
     

    Wie bekannt beschäftigen sich die Kinder mit dem Problem, wie
    sie die ihnen im Wege stehenden Personen beseitigen könnten und da
    sie von dem Wunsch beseelt sind, diese Hindernisse auf jedo Weise
    zu entfernen, beschäftigt es sich so häufig mit dem Problem des To-
    des.Es sei nicht richtig, dass die Kinder dieses Todesproblem so
     

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    harmlos suffassen wie Freud meine, insbesondere treffe das für vie-
    le grausame Phantasien der Kinder absolut nicht zu.Müssen wir uns
    die Phantasie des Aindes erfüllt mit all diesen Verbrechen vorstel-
    len, dann begreifen wir, wie die Rudimente dieser kriminellen Phan-
    tasien in den neurotischen Phantasien wieder auftreten, aber durch
    die fortgesetzte Unterdrückung so verändert, dass sie nicht mehr
    in ihrer autochthonen Form erscheinen. Deswegen haben wir nach Auf-
    deckung des Sexuellen im Neurotiker noch eine kriminelle Schichte
    wegzuräumen, die sich gewöhnlich in Dienst des Sexuellen stellt.Oft
    ist es aber auch der Aggressionstrieb im Sinne Adlers, der sich auf
    diese Weise äussert.-Auch in den Träumen spielt der Tod eine viel
    grössere Rolle, als bis jetzt angenorem wurde.Im einem demnächst
    erscheinenden Buche: Die Sprache des Traumes, seien eine Menge von
    diesen Todessymbolen mitgeteilt. Es ergibt sich da, dass der Kutscher
    vornehmlich die Rolle des Todes spielt, eine Vorstellung, die auch in
    Mythen und Pagen belegbar ist. Das Kind hört und sint fortwährend
    vom Ueberfahrenwerden und auch die Gisenbahn tritt in diesem Sinne
    als Tode ssymbol auffist doch schon im Worte "abfahren "der begriff
    des Todes enthalten, ebenso wie eine Peziehung besteht zu den Vor-
    fahren und Nachfahren. Diese Symbolik ist sehr deutlich und ermög-
    licht uns aus den Träumen die Todesgedanken herauszulesen. Der Freu-
    de am Fahren ist ausser dem scxuellen Venuss auch die Phantasie d-
    ner ungeheueren acht beigement, dic es ermöglicht nun alle Feinde
    zu überfahren. In ähnlicher Weise wird auch der Soldat, der ein Mord-
    instrument trägt und von Haus aus zum Morden bestimmt ist, als Tod
    kat exochen aufgefasstin diesem Sinne ist das Soldatenspielen der
    Kinder gar nicht so harmlos. Andere inder phantasieren, dass sie Teu
    fel sind, einen bösen Blick haben, der töten kann etz. Das Kind ist
    also nicht nur ein Perverser sondern auch ein Krimineller und schon
    in der Berufswahl des Kindes zeigt sich das Bestreben, disse krimi-
    nellan Gelüste anzudeusen. Hierbei ist hetvorzuheben, dass alle die-
    so Regungen auch in negativer Form auftreten können. So wird das
    Kind, das ursprünglich Brandideen hatte, beim Eintritt der ersten
    Verdrängung Wasserspiele und Löscher bevorzugen. Ae Enlich wird der
    Verbrocher im Einde sehr leicht dazu geführt werden Detektiv zu
     

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    spielen, der einem Verbrechen nachspürt.
     

    Wenn wir versuchen die Berufswahl zu gruppieren, so können wir
     

    beiläufig fünf Formen dar Berufswahl normieren:
     

    1 die Identifizierung mit dem Vater, die oft die Tandenz hat,
     

    den Vater zu übertreffen, was auf die zweite beiwsitem interessante-
    rezahlreichere Gruppe der
     

    2) Differnezierung vom Vater führt. Diese zeigt sich besonders
    boi Politikern in krasser Weise. Söhne von politisch tätigen Vätern
    haben selten die politische Anschauung ihres Vaters und die Erschei
    nung, dass eine herrschende Partei nach einer gewissen Zeit von der
    Opposition abgelöst werde, erkläre sich dadurchmdass sich diese Ab-
    lösung in der Familie individualistisch vollziehe. Von hier aus wird.
    uns auch der Anarchismus verständlich, den wir so häufig bei unehe-
    lichen Zindern antreffen.-Auch die Tatsache, dass so viele der Jung-
    wiener Literaten aus Kaufmannshäusern stammen, erklärt sich aus die-
    dem Differensierungsbestreben, ebenso wie die von Sadger hervorge-
    hobene Erschienung, dass grosse Dichter so häufig die Söhne trocke-
    ner, pedantischer Väter sind
     

    3) ist zu nenen der Versuch die erotischen und kriminellen
    Tribe zu sublimieren. Das einfachste Beispoil dafür ist der Sadist,
    der später des Beruf des Chirurgen ergreift. Das ist auch das Ge-
    heimnis, weshalb sich so viele Philanthropen bei der Analyse als Sa-
    disten enthüllen. Von Jack dem Aufschlitzer bis zu dem berühmte soon
    Chirurgen führt eins fortlaufende Heite der Entwicklung.
     

    4) ist eine Perufswahl möglich, die sich in den Dienst der un-
    bewussten Tendenzen stellt, welchen Vorgang am besten ein Beispiel
    aus der Praxis illustriert.3in Pat.,der nur in Begleitung seiner
    Mutter ausgehen kann und seinen Posten aufgeben musste, hat den
    Wunsch wieder auf seinen alten Fosten zurückzugehen und ist ganz
    unglücklich, als sich das als unmöglich erweist. Er produziert dann
    einen Traum, worin er an der Brust einer Frauensperson liegt und an
    ihren Brüsten saugt, was ihm grosses Wohlbehagen bereitet. Dann komt
    seine Mutter ins Zimmer. Der Traum heist: Ich habe bei meiner Mutter
    getrunken.Pat.ist ein Typus jener Neurotiker, die man als ewige
    Säuglinge bezeichnen könne. Er hat den alten Posten aufgegeben, um
     

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    sich ein Milchgeschäft (=Ammenbrust) zu errichten ist aber dabei
    zugrunde gegangen und zur Mutter zurückgekehrt. Diese Phantasie
    drückt er in den worten aus: Ich möchte auf den alten Posten,d.h.
    an die Mutterbrust zurückgehen. Der Patient hat also mit dem Aufge-
    bon seines Berufes und der Rückkehr zur infantilen Phantasie gleich-
    sam auch eine Perufswahl begangen, er saugt jetzt seine Eltern, die
    arme Leute sind, aus und diese müssen ihn mocheinmal ernähren, es ist
    das eine Phantasie, die sich in anderer Form bei Wucherern wieder-
    findet. Im Dienste unbewusster Jendenzen steht auch folgende Be-
    rufswahl.in 14jährig. Realschüler zeigt plötzlich ein besondetes
    Interesse für alte historische Quellen, was auf die veranke rung
    bei seiner Grossmutter zurückging, die eine solche alte vertrockne-
    te Quelle war, eine Erscheinung, die uns mit bezug auf archäologisch-
    philologische Studien noch beschäftigen wird.
     

    5) gibt es berufe, welche zum Schutze, zur Sicherung (Adler) gegen
    unbewusste Tendenzen gewählt werden. Hiereher gehört der schon er-
    wähnte Fall/dass ein Árimineller Detektiv wird und ihm das Verständ-
    nis des Verbrechens aus seiner eigenen Brust kommt.
     

    Es werden nun einige Perufe besprochen und Ergänzungen bezw.
    Erweiterungen dieser lückenhaften ngaben in der Diskussion erwar-
    tet Was zunächst den Beruf des Arztes betreffe,so ist der Vortra-
    gende selbst nicht etwa aus einer besonderen Vorliebe dazu gettingt
    worden, sondern durch das Verlangen, sich von der elterlichen Autori-
    tät loszumachen, indem ihn gerade das Studium der Medizin zwang,
    eine fern von seiner heimat legende Universität aufzusuchen. Auf
    ähnliche eise gelinge es Leuten, die aus ihrer Heimat weg nach *meri-
    ka auswandern, ihr seelisches leichgewicht herzustellen.-in 9jährg.
    wegen Stottern in Behandlung stehender Knabe orklärte Arzt werden
    zu wollen, weil man dann die Frauen nackt sehen könne. Dieser Wunsch
    ist sicher bei einer grossen Anzahl von medizinern entscheidend. So
    ist es bekannt, dass Frauenärzte gewöhnlich auch Frauenliebhaber sind
    und nicht mit Unrecht viele von ihnen den Titel eines Don Juans füh-
    ren Männer mit einer gewissen homosexuellen Neigung werden sich eher
     

    die Behandlung von Geschlechtskrankeiten wählen oder Urologen werden,
     

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    um ihr grosses Interesse für den Penis zu betätigen.Ueberhaupt ist.
    der geheime Lustgewinn bei den medizinischen Spezialfächern ein un-
    geheuer grosser. Unter den Neurologen gibt es Menge Psychopathen, die
    ihren Beruf nur ergriffen haben in der Hoffnung, sich kurieren zu
    können. Ebenso wird ein grosser teil der Psychoanalytiker auf dem
    Wege der Selbstanalyse vpraktischer Psychoanalytiker. So befriedigen
    die Aerste in ihrem Berufe teile das Bedürfnis nach Ausgleichung in--
    rer eigenen Minderwertigkeiten, teils Exhibitionismus Voyeurtum und
    Baddsmus, Zahnärzte sind oft eute mit ausgesprochener Munderotik
    und das Interesse für den und zeigt sich auch oft in igrer Neuro-
    se begründet, indem eine Verlegung von unten nach oben diese Phan-
    tasie unterstützt. So bedeutet also das Herumarbeiten im Munde eigent
    lich etwas ganz anderes und darum wird es einen nicht wundern, wenn
    sich unter den Zahnärzten so viel Homosexuele finden.
     

    Kein Zufall ist es auch, wenn sich unter Advokatenichtern und
    Staatsanwälten so häufig Zwangs neurosen finden. Die Zwangs neurose ist
    die Neurose des ausgesprochen kriminellen Menschen, was sich darin
    zeigt, dass jede Zwangsvorstellung die Todesklausel enthält. Die ge-
    nannten Berufe sind eigentlich von Haus aus 'erbrecher, sie sind nur
    aus Sicherungstendenzen in diese Karriere gebracht worden. Der beschef
    tigung mit dem Recht liegt bei vielen Zwangsneurotikern
    Phantasie zugrunde, zu lernen, wie sio sich am besten schützen könnten.
    Diese Leute werden Diener der Gerechtige kit um sich gegen den Duroh-
    bruch ihrer Mordinstinkte zu sichern. Steigern sich diese Instinkte,
    so kommt es zum Ausbruch der Zwangs neurose., was sich an zahlreichen.
    Beispielen zeigen lasse..Es zeigt sich dass ein Teil jener Gedanken
    des Nichterreechens und sich Hetzens ihren Ursprung in solchen Ver-
    brecher Phantasien haben, in denen sich die Petreffenden von Detek-
    tive verfolgt glauben. Diese Leute scheuen die Sackgassen, haben Anggt
    über eine Brücke zu gehen (Phantasie, dass sich der Verbrecher zur "ett
    tung über das Brückengeländer schwingen müsse letz? Der Neurotiker ist
    ein Schauspieler, der seine Lieblingsphantsien beständig darstellt.
     

    die
     

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    Die Angst vor engen Räumen hat neben der Mutterleibs phantasie auch
    zur Grundlage die Eurcht vor der Zelle des Verbrechers. Solche Neu-
    rotiker werden rebellisch, sobald irgend ein grosser Prozess die Oef-
    fentlichkeit beschäftigt; es ist der Verbrecher in ihnen, der sich
    mit dem andern identifiziert. Als die Hofrichteraffaire in Wien so
    ungeheures Aufsehen erregte,ringen viele Menschen mit der scheinbar
    verrückten Idee gerum, man könnte sie für den gesuchten Mörder halten.
    Detektivs und Polizisten werden aus ähnlichen kriminellen Instinkten
    zu diesen Perufen gebracht.hier ist darauf aufmerksam zu machen, dass
    das ganze Interesse für Sherlock Holmes-Geschichten und Aehnliches
    den Kriminellen Instinkten entgegenkommt. So verstehen wir es, dass
    der Räuber im Mittelalter und zum Teil auch heute noch eine poesie-
    verklärte Gestalt ist, da das Interesse für den ord im Volksbewusst-
    sein ungeheuer gross ist.
     

    Aehnlich wie der Verbrecher so ist auch der Philosoph moist
    ein Zwangs neurotiker,u.zw.mit Grübelzwang. Man staunt oft über die
    Kühnheit der philosophischen Probleme, die von Zwangs neurotikern vor-
    getragen werden und steckt hinter dem ganzen komplizierten System
    Bichts als die Neugierde nach dem Ding an sich, dem Fenis oder der
    Vagina. Die Philosophen beschäftigen sich immer mit dem sesuellen
    Problem, das sie auf symbolische Weise zu lösen versuchen.-Die Mathe-
    matik scheint sehr trocken zu sein, aber auch hier spielen oft genug
    ähnliche Motive mit, wie z. B. eine Briefstelle von Multatuli beweise,
    in welcher er die mathematik wie ein weib schildert und behandelt.
    In diesem Sinne ist es sehr instruktiv, die Früfungstraume nach dem
    Gegenstand zu sondern und dabei zeigt es sich, dass für viele hinter
    der Mathematik die Mutter (Ma...ma...) sich verbirgt. Auch scheint die
    Beschäftigung mit Zahlen eine ganz besondere Lustbedeutung zu haben.
    Historiker und Philologen sind Menschen, die ihre eigene Kindheit
    nicht vergessen können, bei denen sehr viel Lust an dem Alten haftet;
    Dhm wird das Rätsel seiner eigenen indheit ersetzt durch das Rätsel
    der Menschheit.
     

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    Einem besonderen Mechanismus zeigt eine andere Gruppe von Men -
    schen, bei denen die Reaktion ins Kriminelle durch die Flucht in die
    Frömmigkeit erfolgt. Wir wissen, dass jeder Mensch eine fromme Perio-
    de hat, die beim Neurotiker niemals aufhört. Es ist unmöglich einen
    wirklich nichtfrommen Neutotiker zu entdecken. Intellektuell haben.
    wohl viele die Religion überwunden, mit dem Affekt stecken sie aber
    noch tief im Glauben, was sich dann in ihren abergläubischen, spritis-
    tischen, übersinnlichen Anwandlungen zeigt. Eine Reihe von Seelsorgern
    Mönchen Monnen sind auf dem Wege des Verbrechens in die Fäömmigkeit
    gekommen. Zur Busse für die eigenen verbrecherischen Phantasien haben
    sie eine Flucht in die Frömmigkeit vollzogen.
     

    Ein ähnliches Gebiet ist das der Krankenpflege: Es liegt ihr ei-
    ne Pendenz zugrunde, sich mit Schmerzen zu befassen, die auf die Verw
    wertung xxx sadistischer Neigungen im Dienste der Menschheit
    hinweist. Eine etwas niedrigere Kategorie stellen die Badediener dar,
    unter denen ein ungeheurer Perzentsatz von Homosexuellen zu finden
    ist, was gleichfalls für das Bäckergewerbe zutrifft, wo die Leute mit
    nacktem Oberkörper arbeiten.
     

    Eine merkwürdige Faychologie weist auch die Tätigkeit der Infin-
    der auf; es gibt eine Menge von Menschen, für die das Erfinden Beruf is
    Vom Erfinden philosophischer Systeme war schon die Rede. Wie krimina-
    listische Instinkte in den Dienst der Erfinderkunst gestellt werden,
    einigen
    erläutert der Vortragende ani Fällen aus der Praxis.
     

    Dass das Soldatenspielen der Kinder mit sadistischen Regungen
    zusammenhängt, zeigt sich an der Häufigkeit der Soldatenmisshandlun-
    gen und es ist charakteristisch, dass anlässlich des bosnischen Rum-
    mels die Kastrationsphantasie so grosse Erregung hervorrief. Es gibt
     

    eine Anzahl von Houten, die direkt darauf warten, in den Krieg zu geh
    hen, um alles was damit zusammenhängt (Jungfernschändung? Mord, Plünderu
    rung etz.) begehen zu können. Dass Flasher und Schinder, ebenso wie
    Jäger aus sadistischen Momenten heraus handeln, braucht wohl nicht
    ausgeführt zu werden. Auch Kritiker sind Sadisten; sie schlachten Leute
    ab in einer sublimierteren Form; die Verbindung dieser hämischen Grau-
    samkeit mit einer gewissen Impotenz hat etwas Infantiles.
     

    Dass Postbeamten und Hassiere so vielfach an Platzangst leiden,
     

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    hängt mit der beständigen ersuchung zusammen, denen diese Leute aus-
    gesetzt sind; alle diese Leute kämpfen mit dem Gedanken durchzuge-
    hen, haben die Phantasie erwischt, verfolgt und eingesperrt zu wer-
    den.Solche ersonen wechseln öfter ihre Barttracht und Frisur etz.
     

    alles in der Vorsarge event.nicht ertappt zu werden.
     

    Auch verschiedene Formen von Fetischismus kommen in der Be-
    rufswahl zur Geltung, 2.5. beim Schuster, Schneider. Auch das Ergrei-
    fen des Schreiner-Schlosser-und anderer Handwerke hängt zum eil
    mit perversen Regungen zusammen.
     

    Bei Apothekern und Drogister spielt die kindliche Phantasie
    vom Vergiften ine groase Rolle, die das Äind deswegen do häufig
    bevorzugt, weil es auch auch seine schwachen Kräften die Möglich-
    keit gibt, grosse aaschenmessen aus der Walt schaffen zu können.
     

    In der Zwangs neurose sehen wir dann die Angst vor Gift und Ver-
    giftung in einer sonderbaren Form auftreten. Hinter ihrer Angst,
    sie könnten mit einem zufällig an ihrem Körper haftenden Gifte
    jemanden schädigen, stekt ihr alter Wunsch zu vergiften. Deswegen wer▼
    den sie Apotheker und viele ergreifungen und erwechslungen wer-
     

    den uns nach dem Muster der Symptomhandlung verständlich.
     

    An dieser Stelle wäre auch die Psycholgie des Pädagogen zu
    besprechen, der häufig aus homosexueller Neigung den beruf ergreift
    und hinter dessen altruistischen Bedürfnissen, Ainder zu belehren.
    und zu erziehen oft des Gegenteil steckt. Der Sadismus bricht beke
    kanntlich bei vielen Pädagogen in einer Form durch, die den meist
    ten aus ihrer Mittelschulzeit in unliebsamer Erinnerung ist.
     

    Ueber den Dünstler haben Rank und Stekel so präzise Angabang
    gemacht, dass weitere Ausführungen sich erübrigen. Interessante
    Aufklärungen, wieso manche Menschen zum Künstlerberuf greifen, er-
    hält man von Musikern, insbesondere Violin-und Elavierspidern .
    Die Geige ist den meisten ein Symbol des Weibes und es darf uns n
    nicht wundern, wenn manche Spieler plötzlich versagen, sobald diese
    Vorstellung die Oberhand gewinnt. Für eine Klavierspielerin er-
    wies sich das Spiel als ein Ersatz für die Masturbation.
     

    Dass der Schauspieler dem Neurotiker sehr nahe steht und
     

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    die Möglichkeit, verschiedene Gestalten zu spielen, seinen kriminel-
    len Instinkten entspricht, wurde schon angedeutet.
     

    Endlich wäre zur Schliessung des ganzen Kreises noch über den
    Verbrecher beruf als solchen zu sprechen. De zeigt sich, dass alle
    diese Dinge dduélich erotische Peziehungen aufweisen und ganz in-
    dividuele erotische Phantasien ausdrücken, was man am besten aus
    dem Studium der Verbrechersprache ersieht. Diese Vermengung des ero-
    tischen und Kriminellen führt uns wieder auf die Beziehungen des
    Zindes zum Verbrecher. Der Verbrecher ist ein Mensch, der auf auf
    dem infantilen Standpunkt stehen geblieben ist. Und da jedes Indivi-
    duum die Entwicklung der Monschheit wieder durbhmacht, so zeigt auch
    das Kind wieder alle brutalen Triebe und Regungen. Beim Verbrecher
    sind diese Tribe in ihrer ursprünglichen Gestalt stehen geblieben,
    er hat die Hemmungen der Kultur nicht aufgenommen. Der eurotiker hat
    sie zwar aufgenommen, war aber nicht imstande, diese Tribe zu subli-
    miren. Der Neurotiker ist dies die kürzeste Formel für ihn-der
    ohne den Mut zum Verbrechen.
     

    Verbrecher
     

    DISKUSSION.
     

    Adler glaubt das Wort ergreifen zu dürfen, da sich ihm aus seiner
    Erfahrung im "aufe der Jahre eine Anzahl von Gesichtspunkten zur
    Berufswahl aufgedrängt haben/auf die er gelegentlich auch schon hin-
    gewissen habe. So habe er in seiner Arbeit über den Aggressions
    trieb eine Anzahl von Berufen namhaft gemacht, welche Sadistisch-
    masochistischen Triebregungen ihre Entstehung verdanken (Soldat,
     

    Lehrer, Arzt, Geistlicher fusy). Die Frage sei nur, ob dieser Padismus dem
     

    Xinde wirklich ursprünglich angeboren sei, oder aber, wie in der At-
    beit über den Aggressionstrieb dargelegt sei, ob er erst als eine
    spätere Bildung auftrete, wofür eine Anzahl von Gründen spricht.Ur-
    sprünglich zeigt das Kind eine schrankenlose Triebausbreitung, die
    insoferne nützlich ist, als das Kind dadurch die Welt austasten lernt
    So kommt es aber, dass ein Kind, welches im Stadium der Triebausbrei-
    tung als Sadist erscheinen könnte, später als Erwachsener mit sehr
     

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    subtilem Zartgefühl ausgestattet ist. Denn wirklich gute Mneschen
    sind nur die, die in der Kindheit alle Möglichkeiten des Schmerzes
    und der Qualen ideell ausgekostet haben.-dise ursprünglich schran-
    konlogo Triebausbreitung wird gebindert von zwei momenten: Durch das
    Erwachen des Schuldgefülls und durch die Furcht vor Erniedrigung
    und Blamage. Dadurch wird das Kind in das Gefühl der Minderwertig-
    keit zurückgeworfen, weitere Momente sind die Suche des Kindes nach
    seiner Geschlechtsrolle und die Empfindung des minderwertigen als
    weiblich. Man kann nun die Perufswahl von jedem der genannten Punk-
    te aus zu determinieren versuchen, aber es nicht möglich sie von
    einem dieser Punkte aus vollständig zu erreichen Stekel hat sich
    hauptsächlich auf das moment des Zriminellen resp.Sadistischen ge-
    stützt. Für das Kind gilt diese Auseinandersetzung weniger. In dem
    Verlangen Kutscher zu werden, kann ebensowohl der Wunsch, oben zu
    sein, zum Ausdruck kommen und Aehnliches könnte man auf alle andern
    der genannten Berufe auch anwenden. Von Wichtige sei auch die
    Beziehung des Berufos zur Organwertigkeit. So gebe es Pat.mit Augenf
    fehlern, die alles sehen, denen nichts entgeht, wie ahnliches ja auch
    aus Autobiographien (Z.B.von Freytag/bekannt sei.Hier tritt zugleich.
    aie Sicherungstendenz in Evidenz, sich nämlich zu sichern gegen die
    von der inderwertigkeit des Organs drohenden Schädigungen.Wo es
    sich um einen Neutotiker handelt, der in seiner Perufswahl schwankt,
    da ist gewöhnlich der eine Berufder sichre.
     

    Bezüglich der Philosophen sei ein Typus namhaft zu machen Leu-
    te, die immer sagen, ich kenne mich nicht aus, was regelmässig auf
    den infantilen Zweifel bezüglich der Geschlechtsrolle führt. Bei
    Pädagogen handle es sich weniger um homosexuelle Züge; die treiben-
    de Tendenz ist die Sehnsucht nach Triumph. Bei Musikern steht ruch
    die sexuelle Symbolik nicht im Vordergrund, die überhaupt nicht als
    treibendes Motiv imponieren könne, sondern eben falls ein deutlich se-
    distisches "oment.
     

    Stekels Definition des "eurotikers ist nur cum grano salis
    zu verstehen. Man müsste hinaufügen, der eurotiker glaubt nur ein
    Verbrecher zu sein, denn in Wirklichkeit müsste er sich vor sei-
     

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    nen Versuchungen nicht fürchten.Sonst liese sich ja nicht einsehen,
    wieso wir mit der Freimachung der sadistischen Regungen keinen Scha-
    den anrichten.
     

    Tausk berichtet von einem nach manchen Richtungen interesssanten
    Fall eine jungen Mannes, dessen berufswahl unter die Sublimirung
    kulturwidriger Neigungen einzureihen wäre.Es handelt sich um einen
    Neigungen behafteten Ma-
     

    mit exhibitionistischen und homosexuellen
     

    ler, der Angst hatte Bildor auszustellen obwohl seine Arbeiten von
    entschiedenem Talent zeugten. Auf psychoanalytischem Wege wurde er
    dazu gebracht auszustellen,d.h/die hemende Verdrängung der Exhibi-
    tionslust zu sublimieren und seine homosexuellen Gefühle im Dienste
     

    dor Damenmode zu verwerten.
     

    Hilferding scheinen einzelne Funkte in Steele Ausführungen zu viel
    verallgemeinert. Vor allem ist die Unzufriedenheit mit dem Peruf
    keine Eigentümlichkeit des Neurotikers. Ferner erscheinen viele
    Dinge, die Stekel als ursprünglich in die inahoit versetz erst
    später hineingetragen (so entstehen z. B. die Brandinteressen viel
    später die beim täglichen Pade geweckten Wasserspiele).Ueberhaupt
    scheine die ganze Eriminalität erst durch spätere Effahrungen des
    Kindes in sein Seelenleben hineingetragen.
     

    als
     

    Inbezug auf die "edizin seion eine Menge von Stekels Anführun
    gen durchaus gelten zu lassen. Anderseits werde man heute oft genug
    Spezialist nicht aus Neigung als weil man die entsprechnie Protek-
    tion besitse. Es wird die polymorph-perverse Anlage cben nach ver-
    schiedenen Richtungen entwicklungsfähig sein und wird dann je nach
    dem Berufe don der Betreffende ergreift ausgestalte tvund betätigt.
    Endlich hebt die ednerin noch hervor, dass sie in das Studium der
    Medizin ganz zufällig sus rein praktischen Erwägungen gekom en sei,
    zum Studium dor Naturwissenschaften aber auf dem Wege der Sicher
    rungstondenz gegen einen Rückfall in das üppige Phantasieleben.
    Sadger möchte den Zulauf zum Journalismus wie den häufigen Berufs-
    wechsel überhaupt mit dem Belastungsstigma des Assoziationswider-
    willens in Beziehung bringen. Ferner berichtigen, dass das Bestreben
    nach möglichst geringer Arbeitsleistung und grosses Einkommen kein
     

  • S.

    -13-
     

    neurotisches Spezifikum sei.-Die Behauptung von der universellen
    Kriminalität sei für das Zind vor der Pubertät nicht zutreffend. Wo
    sich das Zind kriminell fühlt, fühlt es sich erotisch schuldbewusst,
    Im Uebrigen zeige sich Stekel stark beeinflusst von Wulffens Sexual-
    verbrecher und von Wittels nouem Roman. Der eigentlichs Detektiv-
    instinkt wurzle darin, den Eltern dahinter zu kommen, was sie ma -
    chen/.Ebenso haben auch die andern mit den Tötungsphantasien in
    Beziehung gebrachten Berufe einen erotischen Hintergrung/Zu richti-
    gen Verbrechernatuern gehören allerdings die Zwangs neurotiker.
     

    Recht glücklich sei die Einteilung in die fünf Gruppen, im üb-
    rigen habe Stekel jedoch nichts besonders Noues gesagt. Dass das
    Gefühl der Strafbarkeit den Juristen determiniert wassen wir längst
    Der Sadismus ist die Grundlage zu zwei noch nicht genannten Peru-
    fen dem des Polizei-und Steuerbeamten.
     

    Die Differzierung vom Vater ist ziemlich sllgemein und jeder
    fast hat in der Periode der Pubertät eine Zeit wo er Atheist ev.
    auch Anarchist ist. Merkwürdig ist in dieser Hinsicht auch die
    Beziehung zum Sozialismus. Sozialist wird man nur, wenn man eine
    Reihe von unge stilter Rachegedaneken hat, die sich meist auf Vater
    oder utter beziehen. Diese Leute sind oft persönlich gerade die
    anatändigsten und liabenswürdigsten Menschen.
     

    Pyromanie und Kleptomanie sind begründet nicht in verbrecheri-
    schen Impulsen sondemim Sexuellen. Die Frauen stenglen meist den
    Penis des Vaters,das Zündeln knüpft an die ursprüngliche Urethral-
    erotik an. In dor Fubertät können dann die Dinge eins Auflagerung
    nach der kriminellen Seite erfahren.
     

    Stekel möchte noch kurz feststellen, dass er das Kriminelle
    nicht als selbständige Wurzel sondern nur als Aufbau über dem Sexu-
    ollen und damit Hand in Hand gehend aufgefasst habe das gehe ja
    aus seiner Auffassung der Kleptomanie hervor?
     

    Auf Vorschlag des Vorsitzenden (Prof.Fraud] wird die Diskussion
    auf den nächsten Sitzungsabend verschoben, a be neo die Beratung da-
    rüber, ob sich dieses Thema zur Publikation in den "Diskussionen "eig-
    ne. Prof.Freud wünschte nur für die Fortsetzung der Diskussion eine
    stärkere Berücksichtigung der beziehungen zwischen Perufswahl und
     

  • S.

    -14-
     

    Neurose, wobei die Selbstboko u tnisse als nicht unter diese Bezie-
    hung fallend auszuschliesson wären, ebenso wie anderseits die Be-
    rufsphantasien der Feurotiker, die eine gesonderte Behandlun er-
     

    fordern würden.