Protokoll der 17. Sitzung am 14. Februar 1912. Dr. Theodor Reik: Der Elternkomplex als Kulturferment 1912-508/1912
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    12 un
     

    sm 21.Februar 1912.
     

    Theodor Reik
     

    Is Kulturfement
     

    Der Elter
     

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    Reik zeigt an einigen Punkten die Bedeutung des Elternkomplexes
    für die kulturelle Einstellung. Im Sexualneid gegen den Vater erblickt
    er eine der Wurzeln des Ehrgeizes; der Vaterkomplex, der sich des Ehr-
    geize a bediene sei beispielsweise besonders stark ausgeprägt bei Schiil-
    ler. Dieses Verhältnis gebe auch oft Anlass zur Skepsis (Flaubert, Heine),
    wenn vom Xinde die Relativität ier moralischen Werte früh geahnt werde.
    Vortr.streift denn den Zusammenhang des Vaterkomplexes mit der Religion
    und weist darauf hin, wie die infantile Sexual neugirde auf den religiösen
    Zweifel einwirkt und wis disser und der Atheismus im Vaterkomplex wurzeln
    Redner eht lann auf die Einflüs c über, die die Mutter auf die Ent-
    wicklung des Kindes nimmt und weist auf Freuds Untersuchungen über die
    Objektwahl (Lie be stypus hin. Er sucht von hier einen Weg zum Verständnis
    des Don Juan Problems: Der Don Juan könne einerseits nie genug finden, an-
    derseits die eine nie finden. Auch der Zweifel an der Frauentreue wurzelt
    am infen tilen Komplex (Schnitzler); diese infantilen Phantasien seien be-
    deutsam für die Genese der Eifersucht. Redner möchte dem Freudschen Typus
    einen zweiten gegenüberstellen, den Mann, der nur die reine Jungfrau liebt,
    das Mütterliche ihres Resens, die Dulde rin, man könnte geradezu von einer
    Bedingung des nicht vorhandenen Dritter reden. Die Bedingungen dieses
    Gtetohen-Typus wurzeln in Kindereindrücken. Das Kind wünscht die Mutter in
    einen Zustand, wie sie ihm vor Entdeckung des geschlechtlichen Verhältnis-
    ses erschienen war; auch erscheint die Mutter ihm leidend. Diese Glorifi -
    zierung der Mutter gilt auch für den Madonnentypus, in dem utter und rei-
    ne Jungfrau vereinigt sind.
     

    Redner geht schliesslich auf die Beziehungen der Eltern zu den Zin-
    dern ein.Auch die Eltern müssen resignieren. Die Einstellung der Eltern
    zeige sich z.b/ in der Vorbildlichkeit, die sich in der Erziehung der Kin-
    der äussere.Es zeigt sich die Notwendigkeit, die psychoanalytische Be-
    trachtung in die Geschichtswissenschaft einzuführen. Am Kampf der alten u.
    neuen Generation, an der Ablösung von Stamm und Familie zeigt sich, dass
    der Elternkomplex eines der wertvollsten Elturfermente der Menschheit
     

    darstellt.
     

    Tausk möchte die Ausführungen durch "eispiele bestätigen. An der Zwanganeu
    rose eines 16 jährigen Jungen wird die Wirkung des Alte mkomliexes gezeigt
     

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    Wenn de Hauge nicht auf Religion gehalten wird, so ist der Einfluss der
    Schule nacht so bedeutend; Der Religionslehrer kann den Gott Licht ein-
    Pflanzen, den der Vater nicht repräsentiert. Schliesslich erzählt Redner
    einige Kindergeschichten.
     

    Reitler findet einen Widerspruch in dem Satz: Wenn die Vaterautorität lei
    det dann tritt Gott-Vater in Aktion. Es ist umgekehrt: Dann verleirt er den
    Glauben. Der Wunsch nach Erlösung durch das Weib ist psychoanalytisch so
    aufzufassen, dass das Kind die Einführung in das Sexualle ben durch die Mut
    ter wünscht.-Die jungfräuliche Mutter dient einer Inzestphantasie: Der Got
    be fruchtet eine Frau und wird aus ihr geboren.
     

    Sachs teilt eine Stelle aus Anatole France mit, welche die Bedeutung des
    Elternkomplexes xxx kennt.
     

    Federn bemerkt zur Kretssymbolik, dass die Dedeutung des Lasttragens dabei
    nicht ganz klar sei.-Beiu Madonnentypus wird es sich fragen aus welcher
    Zeit er stammt; wahrscheinlich aus der Zeit, wo die Mutter dem Kinde asexu*
    ell erschien.Alfred de Musset hat die beider Typen in einem Gedicht be-
    schrieben. Die Menschen mit ursprünglichem Madonnentypus werden spät zur
    Sexual kenntnis kommen und dadurch zu stärkerer Sexualverdrängung prädes-
    tiniert sein.-Freud hat einmal als Don Juan Vorbedingung konstruiert, dac
    er die Mutter früh verloren oder nicht gekannt habe und sie dann immer
    suche.In dem Punkte könne er Reiks Ausführunge bestätigen, dass die Mutter
    auf die Löslösung ihrer Kinder oft mit Melancholte reagiere.Als neuroti-
    sches Symptom erscheint der Vaterkomplex in der Arbeitsstörung infolge
    feindlicher Einstellung zum Vater.
     

    Spielrein erzählt den Famlienraman eines Mädchens, die vom Hause fortging
    um studieren zu können. Es stellten sich dann neben Selbstvorwürfen Angst
    und Hasa den Vater gegenüber ein; sie projizierte ihre eigenen Wünsche auf
    den Vater. Sie hatte auch die Ueberzeugung, dass ihre Eltern einander nie
    untret werden könnten.
     

    Rank bringt zum Don Juan Typus einen Fall, der deutlich zeige, dass ein Ty-
    pus dieser "Zwangsheterosexuellen" (Ferenczi) eigentlich unbewusst homo-
    sexuell verankert sei, und dass sich daraus manches Detail ihrer Liebes-
    wahl verstehen lasse.-Als kulturhistorisch bedeutsames Beispiel für den
    Elternkomplex wird Luther genannt (Papst-Antichrist-Teufel; Unglaube an die
    Jungfrau Maria).-Die Inzestphantasie im jungfräulichen Madomnentypus
     

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    gei im Christentum nicht mehr so deutlich wie in anderen mythologischen
    und kosmologischen Systemen. -Als Gegenstück zur Arbeitsstörung (Federn)
    wird schliesslich erwähnt, dass es auch einen übertriebenen Fleiss als Re-
    aktion gegen die wirkliche oder vereintliche Faulheit des Vaters gibt.
    Prof.Freud möchte zunächst einige Ausstellungen machen: die erste betreffe
    den Stil, der epigrammatisch zugespitzte Sätze liebe und zu geistreich sein
    wolle. Der zweite Cinwand sei, dass man den Elternkomplex, so ziemlich das
    wichtigste, was wir kennen gelernt haben, nicht so leicht behandeln darf.
    Zum Inhalt übergehend wird bemerkt, dass der beschriebene buttertypus nicht
    der sineige,siuch nicht der häufigste, sondern nur ein besonders auffällige
    sei. Das Ideal des jungfräulichen Weibes entspringe vielleiht erst der Ab-
    lehnung des gewöhnlichen mütterlichen Weibes. Von da ere be sich die Frage
    nach dem Ursprung des Ideals überhaupt; als eine Reaktion und Sublimierung
    muss es mit den gewöhnlichester Erfahrungen in Zusammenhang stehen und
    auf Kinde reindrücke zurückgehen. Das Geheimnis der Liebe gipfelt in der
    Forderung so geleibt zu werden, wie fan als ind von der Mutter geliebt
    worden ist. Das gilt vornehmlich für den menn, denn der eigentliche Typus
    Weib le ibt den Mann nicht, sondern ist in der Regel im Stadium des Narziss
    mus stehen geblieben. Auch das Kind liebt sie, als einen Teil ihres Selbst,
    be stent
     

    narzistisch. Darum auch die für den Mann charakteristische Sexuelüberschätz
    ung für das Weib nid.-bei den de bestypen darf men die domplikationen.
    nicht vergessen, die sich dadurch ergeben, dass die Pflegepersonen der Kind
    heit mit der utter verschmelzen. -bei der blösung vom Vater ist zu bemer-
    ken, dass diese zweckmässigerweise erst dann erfolgen soll, wenn der Sohn ge
    nügend stark geworden ist. Die vorzeitige Ablösung rächt sich später an
    den Söhnen, wenn sie selbst Väter geworden sind: sie sind tyrannische Väter
    und ernten auch den grössten Undank von ihren Söhnen. -Die Beziehung der
    Homosexualität zur Paranoia liess sich kürzlich experimentell an einem
    Pat. demonstrieren, der auf dem Wege zur Befreiung von seiner Homosexuali*
    tät einen Zoitus versuchte und unmittelbet darauf einen paranoischen An-
    fall bekam.
     

    Stekel bemängelt auch, dess so gewaltige Theman in literarischer Form be-
    handelt werden. Es ist richtig, dass der Don Juan ein Homosexueller sei. Er
    ist in sich verliebt und jede neue Eroberung beweist ihm seine Unwide r-
    stehlichkeit. Der Gretchen-Typus eiks sei das bipolare Gegenstück zum
     

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    Freudschen Cypus.-Frauen, die sich in der Jugend des Ideal des reinen
    Mannes gestellt haben zeigen oft bei der Analyse, dass ihr ursprüngliches
    Ideal der Don Juan war.-ann lieser Typus gebildet wirs (Federn): Wenn der
    Neurotiker die "erabsetzung der Mutter zur Dirne peinlich empfindet ver-
    wandelt er den Typus in den entgegengesetzten.-Wenn die Kinder auch sagen
    sie glauben nicht, so sind sie deswegen doch nicht areligiös; sie werder
    später oft wieder gläubig. Auch religiöse Erziehung ist kein Schutz geger
    die Entstehung von religiösem Schuldbewusstsein.-Vater und Gott stürzen-
    wie das vor Sadger vorgetragene Hebbel-Bekenntnis zeigt nicht zugleich.
    Der tritt an die Stelle des Vaters/Der Vaterkomplex bei den Dichtern, be-
    sonders bei Schiller und Shakespeare, die den Typus des undenkbaren Boh-
    nes repräsentieren, wäre eine dankbare Aufgabe.-Das Kind sterft oft nicht
    Vater und utter, sondern sich selbst.-Die Frau liebt nur den kann, weil e
    a bewundert. So interes ant der Fall des Homosexuellen mit dem paranoi-
    ischen Anfall sei,so bestäre er ihn doch nur in ier Ueberzeugung, dass
    die Homosexualitat nicht heilbar sei. Wenn die Homosexuellen zum Weibe
    gehen, so tun sie es aus Liebe zum Arzt.
     

    Dr.Heller teilt eine Beobachtung mit über die Entstehung der Vorstellung
    vom Leiden der Mutter (urbh Belauschung des Koitus) und ihre Folge für
    die ganze spätere Leben einstellung.
     

    Dr.Dattner bringt ein beispiel defür, wie schwer sich der Gedanke an den
    Koitus der Mutter durchsetzt zřed rns -emerkung, dass die Antipathie geger
    des Lerren aus Opposition zum Vater erfolge, könne aus Erfahrung bestäti
    gen.)Endlich die Beobachtung, dass die Brauen, die die Forderung des rei-
    nen Mannes aufstellen, meist einen stark ausgeprägten männlicher Typus
     

    zeigen.
     

    Scheu vermisst die Aufklärung eines männlichen Typus mit feindlicher
    Einstellung zum Mutter und Liebe zum Vater (Hamlet?Orest, Schopenhauer)
    Lebensgeschichte eines von der Geburt and atheistisch erzogegen Enaber,
    der trotzdem einen für seine ganze Einstellung bedeutungsvollen Vater-
    komplex erworben hat?
     

    Tausk erwähnt eine Prühere Arbeit über des Ideal/.Zeigt an einem Bei-
    apel, wie Gott durch die Mutter entwurzelt werden kann. -Ob nicht zum
    Don Juanismus jede unbewusste Perversion führen könnte?
    Rosenstein fragt ob schon ein Fall analysiert wurde, der seine Mutter
     

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    überhaupt nicht kannte und wie sich da der Homplex gestaltete.
     

    Spielrein macht geltend, dass auch der Mann zuerst narzistisch lie be.
    Man müsse bei der Frau zwei Typen unterscheiden: Die Mannweiber wollen
    nur Sexualobjekte für sich.
     

    Friedjung macht zu Liebe swahl die -emerkung, dass die Frau eigentlich
    jeden Mann wolle, der ihr entgegenkomme, sonst wäre es unverständlich, wie
    so derselbe Mann bei der verschiedensten Frauen Erfolge haben kann.
     

    Ein Beispiel einer Jungen Frau, deren Liebesbedingung es ist, dass der
     

    Mann unterdrückt herebgesetzt wird, dass es ihm schlecht geht, was sich
    aus ihrer Identifizierung mit ihm erklärt.