Correspondenzblatt der internationalen psychoanalytischen Vereinigung. April 1911. No. 5 1911-766/1911
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    No. 5

    Zürich, April 1911

    CORRESPONDENZBLATT
    der internationalen psychoanalytischen Vereinigung

    REDAKTION: DR. C. G. JUNG, KÜSNACHT b./ZÜRICH, ZENTRALPRÄSIDENT UND
    DR. F. RIKLIN, NEUMÜNSTERSTRASSE 34, ZÜRICH V, ZENTRALSEKRETÄR


    I. Vereinsberichte.

    Ortsgruppe Berlin.

    Sitzung am 9. Februar 1911. 1. Dr. Stegmann: Ergebnisse der Psycho-
    therapie in einigen Fällen von Asthma. — 2. Dr. Abraham: Psychoanalyse
    einer Zwangsneurose.
    Sitzung am 18. März 1911. Dr. Körber: Über Autoerotismus und
    Narzissmus.
    Sitzung am 18. April 1911 in Dresden. Dr. Abraham: Psychoanalyse
    einer hysterischen Pseudoepilepsie.
    Als Mitglied wurde aufgenommen: Fräulein Dr. M. Ginsburg, Berlin
    NW, Charitéstraße 9.
    Im März hielt Dr. Abraham einen vierwöchentlichen Kurs über Freud's
    Neurosenlehre.


    Ortsgruppe München.

    Unter dem Vorsitz von Dr. Ludwig Seif hat sich in München eine
    Ortsgruppe gebildet. Nähere Mitteilungen stehen noch aus.


    Ortsgruppe New-York.

    The New York Psychoanalytic Society was organized February 12, 1911
    and is now incorporated under the laws of the State of New York. Meetings are
    held on the first Tuesday of every month. A Special Meeting was held
    March first with the following program: 1. Discussion of the Constitution
    prepared for the Society. 2. Paper: „A Fragment of the Analysis of a
    Compulsion Neurosis“ by Dr. A. A. Brill. 3. Discussion of Dr. Brill's paper.

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    The Regular Meeting, March 28th, had the following program:
    1. Paper: „Freud's Theory of Sex“ by Dr. E. W. Scripture. 2. Presentation
    of a Case, by Dr. C. P. Oberndorf. 3. Discussion of papers.
    A next meeting to be held April the program will be a paper,
    „Analysis of a Mixed Neurosis“ by Dr. H. W. Frink.

    Members of the New York Psychoanalytic Society.

    Officers:
    A. A. Brill (President), 97 Central Park West, New York.
    B. Onuf (Vice President), Knickerbocker Hall, Amityville, Long Island,
    New York.
    H. W. Frink (Secretary and Treasurer), 34 West 83d Street, New York.

    Active Members:
    L. E. Bish, 239 West 165th Street, New York.
    C. O. Cheney, 1215 Vyse Avenue, New York.
    H. L. Day, Manhattan State Hospital, Ward's Island, New York.
    F. J. Farnell, 171 Westminster Street, Providence, Rhode Island.
    W. V. P. Garretson, 112 West 85th Street, New York.
    W. C. Garvin, Manhattan State Hospital, New York.
    A. Hoch, Manhattan State Hospital, New York.
    M. J. Karpas, Manhattan State Hospital, New York.
    M. Keschner, 264 East 7th Street, New York.
    G. H. Kirby, Manhattan State Hospital, Ward's Island, New York.
    C. P. Oberndorf, 320 Central Park West, New York.
    F. Peterson, 20 West 50th Street, New York.
    R. E. Pou, 20 West 50th Street, New York.
    C. Ricksker, Manhattan State Hospital, Ward's Island, New York.
    E. W. Scripture, 87 Madison Avenue, New York.
    F. W. Stechmann, 321 East 18th Street, New York.
    S. A. Tannenbaum, 243 East 7th Street, New York.

    Associate Member:
    Mr. L. Horton, Hartley Hall, Columbia University, New York.


    Ortsgruppe Wien.

    Geschäftliches. Im Vorstande der Wiener psychoanalytischen Ver-
    einigung sind folgende Änderungen eingetreten: An Stelle des von seiner
    Funktion als Obmann zurückgetretenen Dr. Adler und des gleichfalls von
    der Funktion des Obmann-Stellvertreters zurückgetretenen Dr. Stekel
    wurde zum Obmann der Vereinigung per Akklamation Herr Prof. Freud

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    gewählt. Das Wahlresultat bezüglich der andern gleichfalls in statu de
    missionis getretenen Ausschußmitglieder ergab folgendes Resultat: Ob-
    mann-Stellvertreter Dr. Eduard Hitschmann, Bibliothekar Dr. Hans Sachs,
    Kassier Dr. Maxim. Steiner, Schriftführer Otto Rank.
    Als Mitglied wurde aufgenommen Herr stud. Bernhard Dattner,
    Wien IX., Elisabethpromenade 11.

    17. Sitzung am 1. Februar 1911.

    Dr. Alfred Adler: Der männliche Protest, seine Rolle und Bedeutung in
    der Neurose.

    Von einer kritischen Betrachtung des Begriffes der Verdrängung
    ausgehend, schildert der Vortragende die Einfügung des Kindes in die
    Kultur, die von intensiver Trotzstellung begleitet sei und macht für
    diese Einstellung, diese Lust am Verkehren, Verbotenen, in Verbindung
    mit einer Gier nach Geltung, zwei Durchgangspunkte der psychischen
    Entwicklung verantwortlich: 1. Das Aufkeimen eines Minderheitsgefühls
    im Zusammenhang mit einer Minderwertigkeit gewisser Organe, und
    2. deutliche Hinweise auf eine jeweilige Befürchtung vor einer weiblichen
    Rolle. An Hand eines Falles wird darauf hingewiesen, daß der Pat.
    weder seine Libido verdrängt hatte, vor der er sich ja fortwährend zu
    sichern suchte, noch seine Phantasien, die er ja als Schreckbilder für sich
    aufrichtete, noch schließlich den Oedipuskomplex, der als Teilererscheinung
    des männlichen Protestes zu verstehen sei.

    18. Sitzung am 8. Februar 1911.

    Diskussion über Dr. Adlers Vor-
    trag (17. Sitzung).

    19. Sitzung am 15. Februar 1911.

    Dr. Hans Sachs: Über die Anwendbarkeit der Psychoanalyse auf Werke
    der Dichtkunst.

    Nachdem der Vortragende die Einwendungen zu widerlegen ver-
    sucht hat, die sich gegen die Anwendung der Psychoanalyse auf Werke
    der Dichtkunst erheben können, gibt er eine kurze Analyse von Heines
    Loreley und erörtert dann im einzelnen die Beziehungen des Tagtraums
    zur Dichtung, um schließlich die Wirkung des Kunstwerkes mit der un-
    bewußten Wirkung bei der Suggestion (Hypnose, Ferenczi) in Parallele
    zu stellen.

    20. Sitzung am 22. Februar 1911.

    Fortsetzung der Diskussion über
    Adlers Vortrag (v. 1. Febr.).

    21. Sitzung, am 1. März 1911.

    Prof. Freud: Materialien zur Traumlehre.

    Es werden zwei neue Sexualsymbole (die Krawatte als männliches,
    das Holz als weibliches) aus Träumen erwiesen, ferner einige technische

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    Kunstgriffe zur Symbolik (Ort, an dem man schon einmal war) wie zur
    Umkehrungsdeutung (doppelte Umkehrung) gegeben und endlich drei
    Beispiele auf die Annahme Swobodas hin geprüft, daß das Material des
    Traumes vor einem periodischen Zeitintervall erlebt wurde. Die aus-
    führliche Analyse ergibt in zwei Fällen allerdings ein periodisches Inter-
    vall, aber die Ereignisse des Traumtages determinieren das Traummaterial
    in völlig ausreichender Weise, so daß der Einfluß der periodischen Fällig-
    keit sehr zweifelhaft bleibt.

    22. Sitzung am 8. März 1911.

    Bernhard Dattner: Psychoanalytische Probleme in Dostojewskis Raskolnikow.

    Der Vortragende betrachtet, unter psychoanalytischer Verwertung
    des Traumes, den Raskolnikow vor dem Morde hat und der den Anstoß
    zur Tat gibt, von dem den Helden vollführten Mord aus drei Gesichts-
    punkten: 1. aus welchen Motiven er die Tat begehen wollte, 2. aus
    welchen Motiven er selbst sie begangen zu haben glaubt, und 3. aus
    welchen Motiven er sie wirklich begangen hat. Er kommt zu dem Schluß, daß
    sowohl das Motiv der sozialen Mitleids als auch die großmannssüchtige
    Identifizierung mit Napoleon hinter dem eigentlichen Motiv zurücktreten
    müsse, das von dem Mutter-Schwesterkomplex entstamme.

    23. Sitzung am 15. März 1911.

    Dr. Friedrich S. Krauss als Gast: Das Mieder in Sitte und Brauch der Völker.

    Von der Tatsache des Miederfetischismus ausgehend erläutert der
    Vortragende an einem reichen folkloristischen Material, daß nicht nur die
    Schlankheit des Frauenleibes die Taille, sondern in noch viel höherem
    Grade die Fettlosigkeit der Frau bei den meisten Völkern dem Ideal-
    typus entspreche. Von dem Gesichtspunkte, daß das Mieder nicht so sehr
    der Frau als dem Manne unentbehrlich sei, indem es ihm die sekundären
    Geschlechts-Charaktere des Liebesobjekts in sinnlicher Weise darbiele,
    glaubt der Vortragende für das Mieder als Schönheitsmittel der Frau
    und damit als Kulturfaktor eintreten zu sollen.

    24. Sitzung am 22. März 1911.

    Referate und kleinere kasuistische sowie sonstige Mitteilungen.
    1. Frau Dr. Hillel-Jörding: Über einen Fall von hysterischem Erbrechen.
    2. Dr. Sachs: Deutung eines Traumes auf Grund der symbolischen Be-
    deutung der Krawatte. 3. Dr. D. E. Oppenheim: Zwei psychoanalytisch
    interessante Dichterstellen: a) aus Lenaus Faust, b) aus Dostojewskis
    Roman: Ein Werder. 4. Dr. J. Sadger: Über Mondsucht und Nacht-
    wandeln. Über die Masturbationsphantasien.

     

     

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    25. Vortragsabend am 29. März 1911.

    Referate und kleinere kasuistische sowie sonstige Mitteilungen (II).
    5. Dr. Fürthmüller: Eine Knabenphantasie Göthes. 6. Dr. Hitschmann:
    Über Nachwirkung der Träume und Beeinflussung des Wachzustandes
    durch denselben. — Über die Beziehung von Traum und Dichtung.
    7. G. Grüner: Psychoanalytische Betrachtung eines Witzes. 8. Dr. R. Reitler:
    Über Leonardo da Vincis „Anatomische Darstellung des Geschlechts-
    aktes.“ — Über tendenziöses Vergessen. 9. Dr. D. Oppenheim: Über ein
    Detail des Osirismythos. — Material zur Frage des Oedipusmythos.


    Ortsgruppe Zürich.

    Sitzungen. 10. März: Dr. C. G. Jung, Kritik über „Interpretations of
    dreams“ v. Morton Prince. — Dr. Binswanger, Neue Kritiken über Traum-
    analyse.
    24. März: Dr. Mäder, Beobachtungen aus England. — Dr. C. G. Jung,
    Ein Zahlentraum. — Über Traumanalyse.
    Am 28. März starb unser Mitglied Dr. J. Honegger in Rheinau. Ein
    kurzer Nekrolog folgt in der nächsten Nummer.


    II. Mitteilungen.

    1. Als dießjähriger Congressort ist Weimar in Aussicht ge-
    nommen. Die Ortsgruppe Berlin hat sich aneboten, das Arrange-
    ment zu übernehmen. Als Datum kam ursprünglich in Betracht der 23.
    und 24. September. Da nun dieses Datum mit dem Naturforscherkongress
    in Karlsruhe collidiert, so wird statt dessen der 16. und 17., oder der 21.
    und 22. Sept. vorgeschlagen. Die Ortsgruppen werden um Mitteilung ihrer
    Meinung an den Zentralvorstand ersucht.
    2. Der Zentralvorstand bittet dringend, Adressenänderungen sofort
    mitzuteilen.


    III. Literatur.

    Als 10. Heft der Schriften zur angewandten Seelenkunde erschien von
    Ernest Jones (Toronto): Das Problem des Hamlet und der Oedipuscomplex
    Übersetzt von P. Tausig.

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    Dr. Wilhelm Stekel: Die Sprache des Traumes. Eine Darstellung der
    Symbolik und Deutung des Traumes in ihren Beziehungen zur ge-
    sunden und kranken Seele für Ärzte und Psychologen (Wiesbaden,
    Bergmann 1911).

    Dr. J. K. Friedjung: Die Pathologie des einzigen Kindes (Wiener Mediz.
    Wochenschrift Nr. 6, 1911).

    Dr. K. Escher: Assistenzarzt, Münsingen (Schweiz): Zur Frage der Psycho-
    analyse. „Der Kirchenfreund" Nr. 3 u. 4. u. 3. u. 17. Febr. 1911, Basel,
    Verlag v. Helbing u. Lichtenhahn.

    Prof. Asnaourow, La crise sexuelle en Russie. Archives d'Anthropologie cri-
    minelle, tome XXVI, n°208, 15 avril 1911, Paris et Lyon, Rey & Masson,
    editeurs.

    B. Hart, Freud's Conception of Hysteria. Brain, A Journal of Neurology,
    ed. by Henry Head, London & New York. Macmillan & Co. 1911,
    Part. 131, Vol. 33. Mit einem Literaturverzeichnis.

    E. Jones, The Action of Suggestion in Psychotherapy. Journ. of Abnorm.
    Psychology, Boston, Dec. 1910 - Jan. 1911.

    E. Jones, The Therapeutic Effect of Suggestion. Canadian Journ. of Med. and
    Surgery, Toronto 1911.

    Aug. Hoch, Contitutional factors in the Dementia-praecox-Group. Review
    of Neurology and Psychiatry, Aug. 1910.

    Aug. Hoch, On some of the Mental Mechanisms in Dementia praecox.
    Journ. of Abnorm. Psych., Boston, Dec. 1910 - Jan. 1911.

    Vom Centralblatt für Psychoanalyse ist Heft 56 erschienen.
     


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