Bericht über die II. private psychoanalytische Vereinigung in Nürnberg am 30. und 31. März 1910 1910-766/1910
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    Bericht über die II. private psychoanalytische Ver-
    einigung in Nürnberg am 30. und 31. März 1910.

    Referate von Otto Rank (Wien).

    I. Prof. Dr. 8. Freud (Wien):
    Die zukiinftigen Chancen der psyehoanalytisehen Therapie.

    Von drei Seiten her ist eine Steigerung der psychotherapeuti-
    schen Chancen zu erwarten:

    1. durch den inneren Fortschritt unserer Erkenntnis;

    2. durch den Zuwachs an äußerer Autorität;

    3. durch die allgemeine Wirkung der psychoanalytischen Arbeit.

    ad 1. ist insbesondere die Ausgestaltung und Vervollkommnung
    der psychoanalytischen Technik gemeint. Die Kur setzt sich aus zwei
    Leistungen zusammen: erstens aus dem, was der Arzt dem Kranken
    sagt, und zweitens aus dem, was der Kranke mitteilt. Je mehr nun
    der Arzt dem Kranken zu sagen weiß, desto mehr kann dieser aus
    seinem Unbewulten zutage fördern. Nun wissen wir lange noch nicht
    alles, dessen man zur Ubersetzung des vom Kranken Vorgebrachten
    bedarf. Eine Bereicherung unserer Kenntnisse steht insbesondere
    noch bevor in betreff der Symbolismen des Traumes und des
    UnbewuBten, wovon mehrere Beispiele gegeben werden. Andere Fort-
    schritte beziehen sich auf die Auflösung der Widerstände, denen
    in der heutigen Technik die Aufmerksamkeit vorwiegend gilt. Es
    scheint, als ob bei minnlichen Patienten die wichtigsten Arten des
    Widerstandes vom Vaterkomplex ausgingen. Noch andere Ver-
    besserungen der Technik betreffen den Arzt selbst. Dieser darf seine
    eigene Übertragung auf den Patienten, die sogenannte „Gegeniiber-
    tragung“, nicht übersehen, sondern muß sie jedesmal restlos auf-

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    732 Otto Rank.

    zuheben trachten. Uberhaupt scheint die Vorbedingung fiir eine
    erfolgreiche Anwendung der psychoanalytischen Technik zu sein,
    daß der Arzt seine Erziehung zur Analyse mit einer Selbstanalyse be-
    ginne. Endlich wird jede Form der Neurose einer besonderen Abänderung
    der Technik bediirfen, wie z. B. eine vertiefte Einsicht in das Wesen
    der Phobien eine solche dem Charakter dieser Erkrankungsform an-
    gepaBte technische Änderung bereits ergeben hat. Auch wird die
    Technik je nach den Trieben des Kranken abzuiindern sein (ein
    Masochist wird z. В. anders behandelt werden müssen wie ein Sadist);
    die Behandlung darf dem verdrångten Trieb ein gewisses Maß von Be-
    friedigung bringen.

    Гай ② werden die Chancen der psychoanalytischen Therapie be-
    deutend. günstigere werden, sobald sie die allgemeine Autorität, die
    noch gegen sie gerichtet ist, auf ihrer Seite haben wird. Es wird auf die
    Bedeutung der Autorität für die große Mehrheit der Menschen hin-
    gewiesen, sowie auf die Suggestion, die von der Autoritåt ausgeht und
    betont, daß alle bisherigen Erfolge der Psychoanalyse gegen diese
    Autorität errungen werden mußten.

    ad 3 darf man erwarten, daß mit Bekanntmachung des geheimen
    Sinnes der Symptome die psychoneurotischen Erkrankungsformen
    ihre Existenzmöglichkeit verlieren werden. Die Kranken müßten
    sich andere, noch nicht durchschaute Formen der Verhüllung schaffen,
    die jedoch mit Hilfe der vervollkommneten Technik auch bald erraten
    würden.

    Die ausführliche Wiedergabe des Vortrages ist im ersten Heft
    des „Zentralblattes für Psychoanalyse“ (Oktober 1910) zu finden.

    IT. Dr. Karl Abraham (Berlin):
    Psychoanalyse eines Falles von Schuh- und Korsettfeti-
    schismus.

    Der Fetischist zeigt eine auffällige Herabsetzung der sexuellen
    Aktivität. Er begnügt sich — abgesehen von autoerotischer Betätigung
    — im wesentlichen mit der Betätigung des Schautriebes, der jedoch
    in eigentümlicher Weise umgewandelt ist. Der Schautrieb ist s peziali-
    siert auf eine bestimmte Kärpergegend oder mehrere solche, ist ver-
    schoben vom nackten Körper auf dessen Bekleidung und ist idea-
    lisiert, insofern als der Fetischist meist übergroßen Wert auf ästhetische
    Qualitäten bei seinem Sexualobjekte legt.

    Diese Umwandlung kommt durch einen eigenartigen Ver-

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    Bericht über die IT. private psychoanalytische Vereinigung usw. 733

    drångungsvorgang zustande. Von diesem werden besonders die
    sadistische Komponente des Sexualtriebes, die Schaulust und die
    koprophile Riechlust betroffen. Von großem Belange ist ferner die
    Verdrängung und Sublimierung der Analerotik. Die Analyse ergibt
    ferner, daß der Fuß auf Grund verschiedenartiger Determinierungen
    die Bedeutung eines Genitalersatzes erlangt hat.

    Eine ausführliche Mitteilung folgt im „Jahrbuch für psycho-

    analytische Forschungen". (Autoreferat.)

    IIL Dr. J. Marcinowsky (Haus Sielbeck in Holstein):
    Sejunktive Prozesse als Grundlage der Psychoneurosen..

    Die Bedeutung des sexuellen Traumas in der Entstehungsgeschichte
    einer Neurose ist nicht die eines krankmachenden Faktors, denn diese
    Form der Sexualität ist Allgemeingut auch aller Gesunden; aber
    selbst als krankheits auslósendes Moment hat es nur bedingte Geltung.
    Die Sexualität ist vielmehr nur das von der Neurose ergriffene Gebiet,
    weil sie den natiirlichen Tummelplatz fiir jene angeborene Neigung zu
    Empfindungskonflikten und Zwiespältigkeiten abgibt, die das eigent-
    liche Wesen der Neurose ausmacht, welche also in einer angeborenen
    Neigung zur Sejunktion, zu BewuBtseinsspaltungen, kurz in einem
    zur Dissoziation veranlagten Charakter besteht, einem Charakter, der
    als Lockerung des zentralen Ichverbandes zu bezeichnen ist, also als eine
    gewisse in jeder Richtung bestehende Minderwertigkeit des nervösen
    Organismus. Die Lehre von dem Bestehen ausgesprochen infantiler
    Sexualität wird als erwiesene Tatsache hiervon nicht berührt.

    (Autoreferat.)
    1V. Dr. A. Stegmann (Dresden):
    Psychoanalyse und andere Behandlungsarten in der nerven-
    ärztlichen Praxis.

    Wer die Psychoanalyse in der nervenårztlichen Praxis als thera-
    peutisches Hilfsmittel verwenden will, muB sich in erster Linie vor Uber-
    eifer hüten und muß sorgfältig die fiir diese Art der Psychotherapie
    geeigneten Fälle auswählen. Ist dies geschehen, so bleiben aber noch
    mancherlei Hindernisse zu überwinden, die leicht unterschätzt werden
    und die doch oft genug das Zustandekommen der Kur vereiteln.

    So ist es zunächst meist schwer, das Vertrauen der Kranken zu
    gewinnen, zumal wenn sie durch zahlreiche vorausgegangene Kuren
    an ein Übermaß von örtlicher Behandlung gewöhnt sind und die Be-

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    734 Otto Rank.

    deutung der psychoanalytischen Besprechungen nicht gleich zu ver-
    stehen vermögen. Noch schwerer gelingt es, die Angehörigen davon
    zu überzeugen, daß eine Kur wirksam sein könne, deren wichtigster
    Bestandteil einfache Unterredungen sind, und nicht selten wecken sie
    durch ihre unverständigen, wohl auch durch falsche Empfindlichkeit
    geleiteten Reden das Mißtrauen des Kranken von neuem, nachdem
    es eben mühsam überwunden war,

    In solchen Fällen, ferner aber auch bei sehr lebhaften Beschwerden
    ist die Verwendung unterstützender Kurmittel neben der eigentlichen
    Psychotherapie unerläßlich, und je erfahrener der Arzt ist, um so sicherer
    wird er im Einzelfalle das Richtige finden, ohne in Polypragmasie zu
    verfallen oder das eigentliche Ziel aus den Augen zu verlieren.

    Als Überleitung zur psychoanalytischen Behandlung sind u. a.
    besonders diätetische Vorschriften sowie die Regelung von Arbeit und
    Ruhe durch bestimmten Tagesplan verwendbar und sehr oft gebraucht
    man mit Vorteil die ärztliche Suggestion im Wachzustande oder in
    Hypnose. Vortragender glaubt die Hypnose überhaupt als therapeutisches
    Hilfsmittel höher einschätzen zu sollen, als Freud es tut; er macht auch
    während der psychoanalytischen Kur von ihrer beruhigenden Wirkung
    Gebrauch und verwendet sie gerne, um am Ende der Behandlung einen
    gewissen Abschluß zu erzielen und die Rückkehr in die alte Umgebung
    zu erleichtern.

    Die Wirkung der Allgemeinbehandlung haben Freud und seine
    Schüler zwar stets betont, ihre Hervorhebung scheint aber gerade
    jetzt besonders geboten, da die Psychoanalyse in größerem Umfange
    in die ärztliche Praxis einzudringen beginnt. Anderseits dürfte die
    Kenntnis der Freudschen Lehren für das therapeutische Handeln
    jedes, auch des in der allgemeinen Praxis stehenden Arztes ungemein
    nutzbringend werden, während freilich die Anwendung der eigent-
    lichen Psychoanalyse nur in der Hand des besonders geschulten Psycho-
    therapeuten ihren Zweck erfüllen wird. (Autoreferat.)

    V. Dr. J. Honegger (Zürich):
    Über paranoide Wahnbildung.

    Vortragender legt das ausführliche Wahnsystem einer paranoiden
    Demenz vor. Die psychoanalytische Betrachtung desselben ergibt,
    daß es entstanden ist durch ausgiebige Projizierung der eigenen Kom-
    plexe auf die nächste Umgebung und auf das ganze Weltall. Es lassen
    sich dabei eine ganze Reihe von Neuschôpfungen uralter mythologischer

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    Bericht über die II. private psychoanalytische Vereinigung usw. 5

    und philosophischer Vorstellungen nachweisen, von denen Patient,
    ein Kommis mit einfacher Sekundarschulbildung, keine Ahnung gehabt
    haben konnte. Erwähnt wird die Idee der ewigen Wiedergeburt der
    Welt, die Generatio acquivoca, die vollständige Identifizierung des
    Weltalls mit Gott (d. h. mit dem Patienten), die Idee der Selbst-
    ausbrütung (Phoenix oder Scarabäussage), die Vorstellung, daß die
    Gottheit ursprünglich weiblich war (vorderasiatischer Mutterkultus),
    der Mond als Samenbewahrer (asiatische Mythologie), die Versetzung
    der Toten an den Himmel als Sterne, eine Variation der Seelenwanderung,
    eine Modifikation der Vampyrsage. Wichtig ist, daß Pat. trotz genauer
    Kenntnis der modernen Weltauffassung wieder zum ptolemäischen
    Weltsystem zurückkehrt: Die Erde ist flach und rings vom unendlichen
    Meer umflossen. Es lassen sich im wesentlichen zwei Denkformen kon-
    statieren: 1. die symbolisch-mythologische, das Traumdenken, 2. die
    dialektische, die als eine Denkiibung zur Kompensation der sym-
    bolischen Denkweise aufzufassen ist. Das autochthone Wiederaufleben
    antiker Mythen, philosophischer Vorstellungen und Weltanschauungen
    stellt sich als eine Regression dar, die nicht nur bis auf die Kindheit
    des Individuums, sondern auf die der ganzen Rasse zurückgeht. Sie
    1806 sich auf anatomischem Gebiete den MiBbildungen vergleichen,
    die einen ontogenetischen Riickschlag auf Vorstadien der Phylogenese
    darstellen. Ursache der Regression ist die Introversion der Libido.
    Zahlreiche Ubereinstimmungen zwischen Traum- und Wahnsystem
    werden aufgedeckt und die Behauptung aufgestellt, daß auch die schein-
    bar unsinnigsten Wahnideen theoretisch restlos analysierbar sein
    müssen, wenn wir uns nicht durch Werturteile der analytischen Arbeit
    entheben wollen.

    Eine ausführliche Darstellung des Falles wird demnächst in diesem
    Jahrbuch erscheinen. (Autoreferat.)

    VI. Dr. L. Lówenfeld (München):
    Uber Hypnotherapie.

    Referent bespricht zunächst die einzelnen hypnotherapeutischen
    Methoden, von denen in erster Linie der Schlafzustand Erwähnung
    verdiene (Wetterstrand), obwohl er in Deutschland wenig Verwendung
    finde und man große Dinge davon nicht erwarten dürfe. In großer
    Ausdehnung bediene man sich dagegen der gesteigerten Sugge-
    stibilität und als dritte Methode komme in Betracht die Ausnutzung
    der gesteigerten Reproduktionsfåhigkeit in der Hypnose,

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    736 Otto Rank.

    die jedoch nicht nur zur Reproduktion vergessener Vorstellungen benutzt
    wird, sondern auch solcher, die im UnterbewuBtsein existieren oder
    existiert haben und die einen großen Einfluß auf den Zustand des
    Patienten ausiiben. Diese 'Art Kausalanalyse (Psychoanalyse) ist
    jedoch an eine gewisse Tiefe der Hypnose gebunden, kann dann aber
    auch, wie Muth mann gezeigt hat, zur ausgedehnten Analyse schwerer
    Fille von Hysterie verwendet werden.

    Von den Neurosen wird zunächst die Neurasthenie besprochen,
    deren Grundsymptome als nicht besonders günstige Objekte der
    Hypnotherapie bezeichnet werden.

    Bedeutende Erfolge lassen sich dagegen bei den Störungen
    der sexuellen Sphäre (Onanie, Ejakulatio praecox, Pollutionen)
    erzielen. Eine besondere Rolle spielen für die hypnotische Behandlung
    die sogenannten Perversionen (wie Homosexualität, Fetischismus),
    bei denen sich oft, namentlich bei den sogenannten Bisexuellen, günstige
    Erfolge ergeben.

    Die Störungen der Gemiitssphåre, die man bei Neurasthenie,
    Hysterie, Zwangsneurose, melancholischer Verstimmung usw. findet,
    stellen die geeignetsten Objekte für die Hypnotherapie dar, in der man
    auch ein Machtmittel gegen die affektive Ubererrregbarkeit hat.

    Bei der Hysterie ist zu bemerken, daß sich die Erwartungen,
    die man in den Achtzigerjahren an die glånzenden Erfolge Bern-
    heims kniipfte, nicht erfillten. Trotzdem lassen sich auf hyp-
    notischem Wege, nicht nur durch Suggestion, sondern auch durch
    Kausalanalyse des UnterbewuBtseins, einzelne Symptome beseitigen
    und dadurch der Gesamtzustand heben. Besonders gilt das fiir die-
    Hyperästhesien, hysterischen Schmerzen, Lähmungserscheinungen und
    Schwächezustände, weniger für die Spasmen, Kontrakturen und An-
    fälle, Bei den letzteren sind jedoch die Resultate sehr verschieden,
    was uns verständlich geworden ist, seit wir durch die Analyse die kom-
    plizierten Mechanismen kennen, die dabei ins Spiel kommen.

    Für die Zwangsneurose sind die Bedingungen günstiger als
    für die Angstneurose und es ist bemerkenswert, daB die oft über-
    raschenden Erfolge nicht variieren nach Grad und Ausbreitung des
    Leidens. Bei der Angstneurose, wo die ätiologischen Momente
    häufig sexueller Natur sind, läBt sich wohl durch Hypnotherapie die
    Angst einschränken, aber nicht der Einfluß dieser ätiologischen Mo-
    mente ausschalten.

    Die Phobien mit flottierendem Vorstellungsinhalt (Topophobie,

  • S.

    Bericht über die 11. private psychoanalytische Vereinigung usw. 7

    Agoraphobie, Klaustrophobie) lassen sich, jedoch nur bei noch nicht
    langem Bestande, günstig beeinflussen. Schwierigkeiten bieten dagegen
    die Situationsphobien, während die Funktionsphobien (Schauspieler,
    Sänger, Studenten usw.) günstigere Objekte bilden. Die Zwangs-
    erscheinungen der motorischen Sphäre sind keineswegs leicht zu be-
    einflussen, während die Tics, die sexuellen Zwangshandlungen (Onanie,
    Exhibition) und nicht zu sehr eingewurzelte Zwangsimpulse im all-
    gemeinen günstige Objekte sind. Auch die verschiedenen Zwangs-
    affekte sind nicht selten Gegenstand der Hypnotherapie.

    Endlich bei den kurzdauernden periodischen Depressions-
    zuständen, die bei verschiedenen Neurosen vorkommen, läßt sich durch
    Analyse in der Hypnose nicht selten die veranlassende Vorstellung
    eruieren.

    Referent kommt zu dem Schluß: Wenn auch die Hypno-
    therapie der aufsteigenden Entwicklung der Psychoanalyse gegeniiber
    schon etwas außer Fasson gekommen ist, so berechtigen uns die der-
    zeitigen Erfahrungen doch nicht, sie gänzlich zu vernachlässigen. Um
    so weniger, als die damit erzielten, wenn auch manchmal nur vor-
    übergehenden Besserungen verhältnismäßig rasch und ohne besondere
    Schwierigkeiten erreicht werden. In Zukunft wird es sich allerdings
    als notwendig erweisen, um das zwar radikalere aber entsprechend
    langwierige und kostspielige Verfahren der Psychoanalyse allgemeiner
    anwendbar zu machen und auch auf kurzem Wege doch wesentliche

    und dauernde Erfolge zu erzielen, die Hypnotherapie mit der Psycho-
    analyse zu verbinden.

    VII. Dr. 0. 6. Jung (Zürich):
    Bericht über Amerika.

    Vortragender schildert eine Reihe von Eindrücken, die er auf
    zwei Reisen in Nordamerika gesammelt hat. Die psychologische Eigen-
    art der Amerikaner weist Züge auf, die der psychoanalytischen Be-
    trachtungsweise zugänglich sind. Es sind Züge, die auf energische
    Sexualverdrångung hindeuten. Die Gründe für die Verdrängung sind im
    spezifisch amerikanischen Komplex, nämlich dem Zusammenleben
    mit niederen Rassen, besonders den Negern zu suchen. Das Zusammen-
    leben mit barbarischen Rassen wirkt suggestiv auf die mühsam ge-
    båndigten Instinkte der weißen Rasse und zieht nach unten. Daher sind
    stark entwickelte Abwehrmaßregeln nötig, die eben in jenen besonderen
    Zügen der amerikanischen Kultur zutage treten. (Autoreferat.)

  • S.

    738 Otto Rank.

    VIII. Dr. Alfred Adler (Wien):
    Uber psychischen Hermaphroditismus.

    Eine eingehende Untersuchung der Neurosen in bezug auf herma-
    phroditische Ziige ergibt folgende Resultate:

    Körperliche Erscheinungen des gegensätzlichen Geschlechtes
    finden sich auffallend häufig. Ebenso gegensåtzliche sekundäre Ge-
    schlechtscharaktere, insbesondere aber Minderwertigkeitserscheinungen
    an den Genitalien, denen sich Minderwertigkeitserscheinungen an
    anderen Organen hinzugesellen.

    Diese objektiven Erscheinungen geben vielfach Anlaß zu einem
    subjektiven Gefühl der Minderwertigkeit, besonders dem
    Vater gegenüber. Dadurch werden diese Kinder in eine Rolle gerückt,
    die ihnen unmånnlich erscheint. Der Verzicht auf Männlichkeit ist
    aber in der kindlichen Wertung gleichbedeutend mit Weiblichkeit,
    so daß das Kind 一 wie zum Teil auch unser Kulturbewuftsein 一 alle
    Formen der Aggressionshemmung als weiblich, der Aggression selbst
    als männlich ansieht.

    Diese Wertung der weiblichen Linien im Sinne eines Kinderfehlers
    führt bei Verstärkungen des psychischen Hermaphroditismus auf dem
    Wege zwangsmäßig erfolgender Überkompensation zu einem männ-
    lichen Protest, aus dem jede Form von innerem Zwange bei Normalen
    wie Neurotikern abzuleiten ist (z. B. Onaniezwang). Die Neurose zeigt
    die vielfach verschlungenen Linien der weiblichen Tendenzen durch
    Kompromißbildung maskiert und durch Sublimierungen überbaut
    (Symbolisierung usw.) im Dienste hypertrophisch männlicher Wünsche
    und Bestrebungen, Darin liegt aber nicht nur der Keim des Mißerfolges,
    sondern auch die Prädestination zu den genialen und künstlerischen
    Leistungen. Die Neurose setzt ein durch das Scheitern des männlichen
    Protestes auf einer Hauptlinie.

    Damit gerät auch das Traumleben unter die Herrschaft des
    männlichen Protestes und jeder Traum zeigt bei der Analyse die Tendenz,
    von der weiblichen Linie zur männlichen abzuriicken. Besonders deutlich
    die enuretischen Träume (urinieren wie ein Mann oder ein Erwach-
    sener); die Pollutionsträume, Alpträume und Angstträume zeigen stets
    Spuren der männlichen Gegenwehr.

    Exhibitionistische und narzissistische Züge werden begünstigt
    durch die Tendenz, sich als Mann zu zeigen, im Fetischismus kommt
    neben der weiblichen Linie (weibliche Kleidungsstücke usw.) stets der
    männliche Geltungs- und Eroberungsdrang zum Durchbruche.

  • S.

    Bericht über die II. private psychoanalytische Vereinigung usw. 9

    Das Kind bedient sich zur Darstellung seiner verschiedengeschlecht-
    lichen Tendenzen der Züge seiner Eltern. Im Gefolge des männlichen
    Protestes, worin das Kind den Vater zu übertreffen sucht, kommen
    sekundär jene Züge zustande, die auf die Mutter gerichteten Be-
    gehrungsvorstellungen entsprechen (Odipusmotiv).

    Sache der Pådagogik und Neurosentherapie ist es, diese Dynamik
    bewuBt zu machen, wodurch die Erscheinungen des aufgepeitschten
    Trieblebens verschwinden.

    Der Vortrag ist in den ,Fortschritten der Medizin“, 1910,
    Nr. 16 erschienen.

    IX. Dr. Alphonse Maeder (Bad Kreuzlingen):
    Zur Psychologie der Paranoiden.

    Redner beschrånkt sich auf den Zusammenhang zwischen
    Elternkomplex und den Wahnideen in einem Falle von paranoider
    Form der Dementia praecox (ausführliche Mitteilung in diesem Jahr-
    buche, II. Band, 1. Hälfte). Der Grå Benwahn enthält zuerst eine
    Genealogie des Patienten; nur die Mutterseite wird anerkannt. Såmt-
    liche Ahnen von Abel bis Philipp von Orleans, von Prometheus bis Jesus
    Christus lassen Züge erkennen, welche der Mutter des Patienten gehören.
    Der zweite Teil ist die Schilderung des Patienten als Helden. Såmtliche
    unbefriedigte Wünsche seiner ganzen Vorgeschichte bis zur Jetztzeit
    gehen in Erfüllung, in einer maBlosen, korrekturlosen Form. Der GróBen-
    wahn entsteht durch Introversion der Libido (Ubertragungsunfåhigkeit
    der Dementia praecox), es kommt zu einer Regression, welche das
    Infantile des Wahnes erklärt, eine Regression, welche mit sekundårer
    Bearbeitung des „ursprünglichen Familienromans des Neurotikers“
    kompliziert ist; in dieser Zeit entstehen auch die Erinnerungstiu-
    schungen. Eine besondere Form der Projektion des eigenen Körpers,
    die Exteriorisation genannt wird, wird beschrieben.

    Der Verfolgungswahn läßt sich auf den Vater und auf die
    Ehefrau (Vatersurrogat) zurückführen. Sämtliche Züge der Verfolger
    sind den beiden entlehnt. Der größte Teil des physikalischen Ver-
    folgungswahnes des Patienten ist eine homosexuelle Verfolgung, ver-
    bunden mit Geburtsphantasien.

    Neben dem Freudschen Mechanismus der Verfolgung durch
    Projektion des eigenen Wunsches mit negativem Zeichen wird eine
    neue Form skizziert, wo das Hindernis zur Erlangung irgend eines
    Objektes beseelt, belebt wird und als aktiver Widerstand, als Ver-

  • S.

    740 Otto Rank.

    folgung, vom Patienten empfunden wird. Anlehnung an den Animismus
    der Primitiven (Tylor), an Kinderpsychologie. Entweder das erwiinschte
    Objekt oder irgend ein Hindernis zur Erlangung desselben werden zur
    Verfolgung, im ersten Fall unter dem Einflusse der Verdrängung, im
    zweiten wegen des empfundenen (passiven) Widerstandes. Beide Fille
    kommen jedenfalls kombiniert vor. (Autoreferat.)

    X. Dr. Wilhelm Stekel (Wien):
    Vorschläge zur Sammelforsehung auf dem Gebiete der Sym-
    bolik und der typischen Träume,

    Referent geht von der Deutung eines rezenten eigenen Traumes aus,
    der einen Beitrag zur Farbensymbolik liefert. Im Anschlusse an die
    Ausführungen Honeggers bespricht er die kosmische Symbolik
    und erwähnt den Hinweis Freuds, wonach in zwei Fällen die Sonne
    für den Patienten im symbolischen Sinne den Vater bedeutete. Nach
    dem Prinzipe der Bisexualitåt bedeute sie aber auch die Mutter. Re-
    refent verbreitet sich nun des weiteren über die Symbolik von Mond,
    Sterne und Erde. Von der Erde kommt er auf die Symbolik des FuBes und
    des Gehens, das in vielen Sprachen beiwohnen bedeutet (coire). Dabei
    wird zum ersten Male das Prinzip der symbolischen Gleichungen
    des Neurotikers erwähnt. So ist 2, B. Penis = Fuß = Busen =
    = Schenkel = Finger = Podex. Eine zweite symbolische Gleichung
    wäre: Milch = Urin = Samen = Wasser = Blut = Eiter = Schweiß =

    Schleim = Luft = Sprache = Geld = Gold = Kot; das sind für
    den Neurotiker adäquate Begriffe, die füreinander gesetzt werden
    und auch als Symbole der Seele und des Lebens überhaupt dienen.
    Diese Gleichungen werden an einer Reihe von Beispielen belegt. Von der
    Milch kommt Redner auf die Amme und weist darauf hin, daß alle
    Klettertriume, Träume vom Heraufheben, Gehobenwerden sich auf
    Ammenphantasien beziehen. Bei der Symbolik der Eisenbahn
    wird auf deren Beziehungen zum Tode (abfahren; Vorfahren, Nach-
    fahren) sowie zur Onanie (Zug — ziehen; reisen — reißen) auf-
    merksam gemacht.

    Nachdem Referent so die Notwendigkeit einer genauen Kenntnis
    der Symbolik an einzelnen Beispielen belegt hat, wird iiber seine An-
    regung ein dreigliedriges internationales Komitee zur Anlegung einer
    großen Sammelforschung auf dem Gebiete der Traum- und Neu-
    rosensymbolik gewählt. Im Interesse dieser Sammelforschung werden
    alle Mitarbeiter gebeten, diesbeziigliches, entsprechend belegtes Material,

  • S.

    Bericht über die 11. private psychoanalytische Vereinigung usw. 741

    das ihr geistiges Eigentum bleibt, an einen der drei genannten Herren
    gelangen zu lassen:

    Dr. Wilhelm Stekel, Wien, I., Gonzagagasse 21;

    Dr. Karl Abraham, Berlin, W., RankestraBe 24;

    Dr. Alphonse Maeder, Konstanz, Bellevue.

    XI. Dr. S. Ferenezi (Budapest):

    Referat iiber die Notwendigkeit eines engeren Zusammen-
    schlusses der Anhånger der Freudschen Lehre und Vorschlige
    zur Griindung einer ståndigen internationalen Organisation.

    Referent überblickt zunächst die Geschichte der Psycho-
    analyse, in der er drei Perioden unterscheidet. Die erste, ,heroische
    Periode", in der Freud ganz allein, von seinem urspriinglichen
    Mitarbeiter verlassen, die grundlegenden Werke schafft. In der zweiten
    Periode, gekennzeichnet durch die Mitarbeiterschaft zunåchst der
    Wiener, dann der Züricher Anhänger, wird in einer Art „Guerilla-
    krieg“ — ganz unorganisiert — das ungeheure wissenschaftliche
    Terrain erobert. Endlich eine dritte Periode, die gegenwårtig ihren
    Anfang nehme, die der Organisation.

    Bei aller Anerkennung der bisherigen Vorteile des ,,Guerilla-
    krieges“ scheint doch angesichts der 'gånzlich veränderten Ver-
    håltnisse sowie des wachsenden Einflusses der psychoanalytischen
    Richtung in der Psychiatrie und Neurologie, bei gleichzeitig ent-
    schiedenem Riickgange der anatomischen und experimental-psycho-
    logischen Richtung, der Vorschlag zur Gründung einer „Inter-
    nationalen psychoanalytischen Vereinigung" zeitgemäß. Re-
    ferent skizziert die Richtungslinien der Tätigkeit einer solchen Ver-
    einigung. Er gibt einen Überblick über die monotonen ethischen und
    logischen Einwürfe der Gegner und weist die Widersprüche in deren
    Kritik nach. Er findet eine weitgehende Übereinstimmung des Wider-
    standes neurotisch Kranker mit dem der Neurologen, die sich so be-
    nehmen, als stünden sie sämtlich in Behandlung. Der , Internationalen
    psychoanalytischen Vereinigung" fiele es zu, diese Behandlung zu
    systemisieren und nicht dem Zufalle zu überlassen. Weitere Aufgaben
    wären: die Kontrolle der verkappten und sich unberechtigterweise
    so nennenden Psychoanalytiker; die Schaffung einer Zentrale und
    mehrerer Zweigvereinigungen ; Systemisierung der Kongresse; Gründung
    eines Korrespondenzblattes usw.

    Jahrbuch für psychoanalyt. u. psychopathol. Forschungen, II. 48

  • S.

    742 Otto Rank.

    Referent schlieBt mit einem Hinweise auf die giinstigen Aus-
    sichten einer Vereinigung, deren Mitglieder durch ihre psychoanalytische
    Einsicht und Selbstbeherrschung die üblichen Mängel des Vereinslebens
    vermeiden könnten, und legt schließlich einen Statutenentwurf vor.

    XII. Inder anschließenden Diskussion spricht sich die Mehrzahl
    der Redner im Prinzipe fiir die offizielle Vereinsgründung — jedoch nicht
    als Kampforganisation — aus. Stekel (Wien) kiindigt neben dem
    bereits bestehenden Jahrbuch und dem zu gründenden Korrespondenz-
    blatt die Herausgabe eines Periodikums fiir kleinere Arbeiten an.
    Jung hebt im Sinne des Vorschlages ausdrücklich hervor, daß die
    Bewegung nicht auf das medizinische (therapeutische) Gebiet beschränkt
    werden konne, und betont die Vorteile einer Organisation auch als
    Informationsstelle fiir Uberweisung von Patienten. Abraham weist
    auf die Notwendigkeit årztlicher Kurse iiber Psychoanalyse hin usw.

    Nach Abschluß der Diskussion konstituiert sich die „Internationale
    psychoanalytische Vereinigung" und nimmt nach Ablehnung eines
    Gegenvorschlages (Adler, Wien) den vorgelegten Statutenentwurf
    nach gründlicher Durchberatung im Plenum mit einzelnen Veränderungen
    an. Zum Präsidenten der „Internationalen psychoanalitischen Ver-
    einigung" wird auf Vorschlag Freuds und auf Antrag Steiners
    (Wien) Dozent Dr. C. G. Jung (Zürich-Küsnacht) gewihlt, der als
    Sekretär Dr. Franz Riklin (Zürich) nominiert.