Varia [Oktober 1910] 1910-769/1910
S.

80 Dichterstellen.

b) Menschen, die in ihrer Tugend einen Freibrief zur Jagd auf die
Laster der andern sehen, sind nur tugendhaft geblieben, um
Scharfrichter vorstellen zu konnen.

Friedrich Hebbel „Tagebücher“.

Zum gleichen Thema (Nietzsche):

a) „Wissend reinigt sich der Leib; mit Wissen versuchend erhöht
er sich; dem Erkennenden heiligen sich alle Triebe; dem Er-
höhten wird die Seele fröhlich.“

b) Für seinen Eigner ist nämlich alles Eigene gut versteckt; und
von allen Schatzgruben wird die eigene am spätesten aus-
gegraben.

c) Aber die Menschheit ist schwer zu tragen! Das macht, er
schleppt zu vieles Fremde auf seinen Schultern. Dem Kamele
gleich kniet er nieder und lässt sich Gut aufladen.

d) Der Mut schlügt auch den Schwindel tot an Abgründen und
wo stünde der Mensch nicht an Abgründen! Ist Sehen nicht
selber — Abgründe sehen?

e) Was gross ist, dafür ist das Auge des Feinsten heute grob.

Aus „Also sprach Zarathustra^
Dr. W. St.

Varia.

Die „Wiener Psyhoanalytische Vereinigung" hat ihre wissenschaft-
liche Tätigkeit am 5. Oktober im Vortragssaale des , Wiener mediz.
Doktoren-Kollegiums“ mit einer Diskussion über „Das einzige Kind“
begonnen. Referenten waren die Kollegen Dr. Sadger und Dr. Fried-
jung. Wir werden über die Arbeiten der Vereinigung fortlaufend
referieren.

An unsere Mitarbeiter! Die Fülle des eingelaufenen Materials
zwingt uns, die geehrten Mitarbeiter zu ersuchen, ihre Originalarbeiten
womöglich nicht über einen Druckbogen auszudehnen. Antoreferate
andernorts erschienener Arbeiten werden möglichst rasch erbeten,

Dr. Alfred Adler, Dr. Wilhelm Stekel,

Wien II, Praterstrasse 42. Wien I, Gonzagagasse 41.