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als Held; er entsteht durch Introversion der Libido, wodurch es zu einer Regression
kommt, die das Infanttile des Wahns erklärt. Der Verfolgungswahn lässt sich sich
auf den Vater zurückführen, das physikalische Verfolgungssystem ist homosexuellen
Ursprungs.
Neben dem Freudschen Mechanismus der Verfolgung durch Projektion des
eigenen negativistischen Wunsches wird eine andere Form skizziert, wo es die An-
lehnung an animistische Vorstellungen, das Hineinleben und Erlebtwerden eines Objektes
besagt, unterstützt wird. (Ausführliche Mitteilung im „Jahrbuch“ II. Bd., 1. Hälfte.)
10. Dr. Wilh. Stekel (Wien): Vorschläge zur Symbolforschung im
Gebiete der Symbolik und der typischen Träume.
Referent belegt die Notwendigkeit einer genauen Kenntnis der Symbolik an
zahlreichen Traumbeispielen, die auf die Symbolik des Tarnen, der Erde (kosmische
Symbolik), des Fusses und des Gehens, der Eisenbahn etc. neues Licht werfen. Dabei
wird zum ersten Mal das Prinzip des symbolischen Gleichungen des Neuro-
tikers erwähnt und einige Beispiele davon gegeben, aus denen zu ersehen ist, dass
für den Neurotiker oft die verschiedensten Begriffe adäquat getauscht werden.
Beiträge zur Sammelforschung auf dem Gebiete der Traum- und Neurosen-
symbolik werden zur Einsendung an das dreigliedrige internationale Komitee erbeten:
Dr. Wilhelm Stekel, Wien I, Gonzagagasse 21,
Dr. Karl Abraham, Berlin W, Rankestrasse 24,
Dr. Alphonso Maeder, Konstanz, Bellevue.
11. Dr. S. Ferenczi (Budapest): Referat über die Notwendigkeit
einer engeren Zusammenfassung der Anhänger der Freudschen
Lehre und Vorschläge zur Gründung einer ständigen internatio-
nalen Organisation.
Auf Grund eines summarischen Überblicks über den bisherigen Entwicklungs-
gang der Psychoanalyse hält Referent die Zeit zur Gründung einer „Internationalen
psychoanalytischen Vereinigung“ für gekommen und unterbreitet dem Kongress einen
diesbezüglichen Vorschlag sowie den Entwurf zu einem Statut.
In der anschliessenden Diskussion wird der Vorschlag von der Mehrheit mit
Prinzipien gebilligt, den Statutenentwurf mit einzelnen Modifikationen akzeptiert und
die „Internationale psychoanalytische Vereinigung“ konstituiert. Zum Präsidenten
wird Doz. Dr. C. G. Jung (Zürich-Küsnacht) gewählt, der als Sekretär Dr. Franz
Riklin (Zürich) nominiert.
Sitzungsberichte der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung.
1. Vortragsabend, am 5. Oktober 1910:
Zur Psychologie des einzelnen und des Lieblingskindes.
Referent Dr. J. Sadger hob eingangs hervor, dass der Titel seines heutigen
Themas zu enge gefasst sei, da die Psychologie des Lieblingskindes bei der Psycho-
logie der betreffenden Eltern beginne. Jene Kinder seien nämlich buchstäblich die
Geliebten ihrer Eltern, zumal des andersgeschlechtlichen Teils (aber auch des gleich-
geschlechtlichen, mitunter sogar beider), wobei die Knaben besonders exponiert er-
scheinen.
Ref. bespricht dann den individuellen Einfluss, den jeweils Vater oder Mutter
auf ihr Lieblingskind ausüben und geht dabei ausführlich auf das bei weitem inten-
sivere und folgenreichere Verhältnis zwischen Mutter und Sohn ein. Der Kindes-
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der Mutter beginnt meist schon bei der Beschränkung der Kinderzahl auf dieses eine,
das sie nicht zum Liebensopfer, sondern zu ihrem Liebhaber erziehe, der ihr die
in der Ehe vermisste Befriedigung gewähren solle. Dabei spielen besonders die bei
der Kinderpflege wieder auf-frischten, infantil-perversen Regungen eine bedeutende
Rolle. Solche Mütter suchen häufig die Kindeszeit künstlich zu verlängern, kommen
den oft im Haus aus veralteten Erziehungs- und Zärtlichkeitsbedürfnissen in über-
schwelliger Weise entgegen, sie halten das Kind mißlichst fern von allen Eheherad
und späterhin auch Liebschaften und erschweren, ja verhindern so die notwendige
Ablösung von den ersten Liebsobjekten: nämlich von der eigenen Person selbst
(Narzissmus) und von den Eltern. Dass mit solchen Kindheitserlebnissen die Er-
krankungen für **psychologische Impotenz** eng, bei Frauen natur-trieblich gesehen
sind, liegt auf der Hand. Anderseits erwächst aus dem allzuhigen Festhalten und
der gesteigerten Intensität des Autoerotismus eine verhängnisvolle Neigung zur
**Homosexualität** (Mutterliebe und Narzissmus) wie zur **Dementia praecox**
(**Autoerotismus**).Korreferent Dr. Friedjung schickt voraus, dass er keinen abgerundeten
Vortrag bieten könne, sondern lediglich sein gesammeltes Material zur Diskussion stel-
le. In den letzten zwei Jahren habe er 91 Fälle von einzigen Kindern beobachten
können. Es handelte sich um 41 Knaben und 50 Mädchen im Alter vom vollendeten
2. bis zum 14. Lebensjahre und es entspreche unseren Erwartungen vollauf, dass
unter diesen Kindern nur 12 normal oder annähernd normal waren, während die
andern 79 mehr oder minder pathologisch-neurotische Anzeichen – 17 sogar ziemlich
schwere – aufwiesen.Diese Erkrankungen zerfallen in zwei Gruppen:
I. **Allgemeinsymptome.**
II. **Organsymptome.**
Die ersten zerfallen wieder:
a) in solche rein körperlicher Natur (**Dystrophie**),
b) in solche psychischer Natur.
Abgesehen von den bei anderen Autoren gewürdigten Charakterereigenschften
des einzigen Kindes (wie Mutlosigkeit, Launenhaftigkeit, Ungeschicklichkeit etc.) ist
in der zweiten Gruppe hervorzuheben die ungewöhnliche **Ängstlichkeit**, die in
verschiedenen Graden auftreten kann.Ausdrücklich **dystrophisch** zeigten sich 14 Knaben und 18 Mädchen, was in
der Mehrzahl der Fälle auf **Appetitlosigkeit** zurückging. Damit greifen wir bereits
auf Gruppe II über, da von den **Organsymptomen** vor allem die Erscheinungen des
Verdauungstraktes hervorzuheben sind: **Appetitlosigkeit, Erbrechen, Obstipation.** —
Seltener finden sich Erkrankungen der **Harnorgane** (**Enuresis**) und der **Atmungs**-
**organe** (**Keuchhusten, Asthma nervosum** etc.).Endlich stellen interkurrente Krankheiten bei einzigen Kindern an den Arzt
besondere Anforderungen, da die Kinder selbst und deren Umgebung ausserordentlich
zur **Aggravation** neigen.In der darauffolgenden Diskussion (12. Oktober) werden die einschlägigen
Probleme ausführlich erörtert und besonders die pädagogisch-therapeutischen Gesichts-
punkte zur Geltung gebracht.
(Rank).
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