Aus Vereinen und Versammlungen [Juni 1911] 1911-767/1911
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    können vielleicht wirklich auf die Kranke schädlich wirken, wer aber
    auch die geringste Ahnung von der Psychoanalyse hat und Freud’s
    Lehren kennt, wird keinen Augenblick zweifeln, dass das Feldmannsche
    Verfahren mit der Freud’schen Psychoanalyse gar nichts zu tun hat.
    Wenn man aber „keinen Mut hat“, eine Sache gründlich nach Be-
    herrschung der dazu gehörigen Technik zu prüfen, so sollte man doch
    wenigstens ebensowenig Mut haben, sich über diese Sache öffentlich zu
    äussern, besonders vor einem Publikum, das selbst der Sache fern steht
    und kein eigenes Urteil haben kann.
                                                                                         M. Wulff.


    Aus Vereinen und Versammlungen.

    Wiener psychoanalytische Vereinigung.

    17. Sitzung, am 1. Februar 1911:

    Dr. Alfred Adler: Der männliche Protest, seine Rolle
    und Bedeutung in der Neurose.

    Von einer kritischen Betrachtung des Begriffes der Verdrängung ausgehend
    schildert der Vortragende die Einfügung des neurotisch disponierten Kindes in die
    Kultur, die von intensiver Trotzstellung begleitet sei und Macht für diese
    Einstellung, diese Lust am Verbergen, Verbotenen, in Verbindung mit einer
    Gier nach Geltung, zwei Durchgangspunkte der psychischen Entwicklung ver-
    antwortlich sei. Das Aufkommen eines Minderheitsgefühls im Zusammenhang mit
    einer Minderwertigkeit gewisser Organe, sei 2. deutlicher Hinweis auf eine ein-
    malige Befürchtung vor einer weiblichen Rolle. An Hand eines Falles wird darauf
    hingewiesen, dass der Pat. seine Libido arrangierte, um sich vor ihr fortwährend
    zu steigern, dass er seine Phantasien als Schreckbilder für sich aufrichtete und
    dass schliesslich der Ödipuskomplex als Teilerscheinung des männlichen Protestes
    zu verstehen sei, als der reduzierte Ausdruck seiner Geltungs- und Herrschsucht,
    die sich frühzeitig schon auf Vater und Mutter erstreckten.

    18. Sitzung, am 8. Februar 1911:

    Diskussion über Adler’s Vortrag (17. Sitzung).

    19. Sitzung, am 15. Februar 1911:

    Dr. Hans Sachs: Über die Anwendbarkeit der Psycho-
    analyse auf Werke der Dichtkunst.

    Nachdem der Vortragende die Einwendungen zu widerlegen versucht hat,
    die sich gegen die Anwendung der Psychoanalyse auf Werke der Dichtkunst er-
    heben können, gibt er eine kurze Analyse von Heines Loreley und erörtert dann
    im einzelnen die Beziehungen des Tagtraums zur Dichtung, um schliesslich die
    Wirkung des Kunstwerks mit der unbewussten Wirkung bei der Suggestion (Hypnose,
    Ferenczi) in Parallele zu stellen.

    20. Sitzung, am 22. Februar 1911:

    Fortsetzung der Diskussion über Adler’s Vortrag (vom 1. Februar).
                                                                                         Rank.

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    372 Aus Vereinen und Versammlungen.

    Aus ungarischen Vereinen,

    In der Sitzung des „Budapester Arzte-Vereins“ vom 12. Febr.
    d. J. hielt S. Ferenczi einen Vortrag über Psychoanalyse und
    Suggestion, in dem er die technischen und psychologischen Unterschiede
    der beiden Methoden besprach. (Der Vortrag wird im Zentralblatt erscheinen. An
    der darauffolgenden ,,Diskussion” beteiligten sich: ein Hydrotherapeut und ein
    Dermatologe. Ersterer brachte den bekannten metaphysischen Einwand gegen die
    Analyse („nur das Bewusste ist psychisch") und behauptete (in voller Un-
    kenntnis des Sublimierungsbegriffs), dass Freud die bösen Instinkte auf die
    Gesellschaft loslassen will. Letzterer sprach vom gefihrlichen Gift, das in der
    sexuellen Aufklirung der Kinder stecken soll und drohte, einstweilen nur scherz-
    haft, mit dem Staatsanwalt. Das eigentliche Thema des Vortrages wurde von
    keinem der beiden Kritiker berührt.

    (Solche und ähnliche Diskussionen nach analytischen Vorträgen scheinen
    typisch zu sein. Immerhin soll man sich vom heftigen Widerstand, den man
    so erweckt, nicht entmutigen lassen. Die nachtrügliche Wirkung der Vortráge ist
    unverkennbar. Auf das heftige ,,N ein" folgt recht bald von allen Seiten ein — wenn
    auch anfänglich schüchternes und verklausuliertes „Ја“.)

    *

    Im ,,Galilei"-Verein hielt Prof. J. Donáth einen Vortrag über moderne
    Strömungen in der Psychotherapie, in dem er zunächst über die
    physiologischen Begleiterscheinungen psychischer Phänomene, sodann über Hypnose,
    Suggestion, die Psychoanalyse und die Dubois'sche Methode sprach. Obzwar
    der Vortragende erklürte, die Unterschiede der in der Psychotherapie herrschenden
    Auffassungen objektiv darstellen zu "wollen, konnte er es nicht unterlassen, recht
    aggressiv gegen die „Schäden der Analyse“, die „Einseitigkeit der sexuellen
    Ätiologie‘ etc. auszufallen, um dann die Vorzüge der Dubois 'schen „rationalen.
    Psychotherapie" um so liebevoller hervorzuheben. S. Ferenczi replizierte
    auf diese 一 übrigens ganz allgemein gehaltenen —. Einwendungen gegen dic
    Analyse und wies auf die Sinnlosigkeit der Dubois'schen Moralpredigten hin,
    die den Namen „rationelle Psychotherapie sicherlich nicht verdienen.

    *

    In der darauffolgenden Sitzung des Galilei-Vereins sprach Ferenczi

    über Psychoanalyse.
    *

    In der Ung. Philosophischen Gesellschaft hielt Dozent
    Dr. Ranschburg einen Vortrag über die Pathologie des Gedächt-
    nisses. Der Vortrag soll eine Kritik des ,,Alltagslebens“ enthalten haben.
    Dr. S. Ferenczi (Budapest).

    Aus der neurol.-psychiatr. Sektion der königl. Gesellschaft der Ärzte in
    Budapest).

    In der Sitzung vom 30. Januar 1911 hielt Dozent Dr. Paul Ransch-

    burg einen Vortrag über die Hemmung homogener Reize als ein

    1) Im Referate wird nur das psychoanalytisch Interessierende mitgeteilt.

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    Aus Vereinen und Versammlungen. 373

    psychophysisches Grundgesetz. Im Laufe jahrelang fortgesetzter Ver-
    suche über die Grenzen der Apperzeptions- und Merkfähigkeit, die er an Geistes-
    kranken und Gesunden ausfiihrte, machte der Vortragende die Beobachtung, dass
    gewisse optische Reize, richtiger: gewisse Reihen von Reizen im allgemeinen
    besser, andere schlechter perzipiert und behalten werden. Bei der Vergleichung
    dieser Reize fand er, dass simultane oder sukzessive Reizreihen, deren Glieder
    verschieden sind (nach dem Typus: abcde), gut aufgefasst und gemerkt werden;
    wo aber einzelne Glieder mehrfach vorkommen (z. B. abcce), besonders wenn
    die Reizdauer kurz war oder die Reizgliederreihe lang, d. h. wenn erhöhte
    Anforderungen an das Aufmerken gestellt werden, so entstehen ganz typische
    Fehler und Tåuschungen. Bei Reizeinwirkungen mit sehr rascher Sukzession wird
    z. B. die Reihe abcce entweder als abce oder als abede aufgefasst und
    reproduziert, d. h. ein Glied der Reihe fällt scheinbar ganz aus oder wird assoziativ
    durch ein fremdes ersetzt. Auch Reihen wie a be b (in denen also die ,homogenen'
    Glieder weiter auseinanderliegen), werden unter den oben erwähnten Bedingungen
    falsch reproduziert und betrifft die Reproduktionsstórung stets die 。homogenen“
    Elemente, während die „heterogenen” gut gemerkt werden, 一

    Der Vortragende berichtet weiters über analoge Versuche mit ühnlichen
    Ergebnissen bei (simultan und sukzessiv einwirkenden) akustischen, taktilen und
    Geruchs-Reizen und findet überall, wie bei den optischen Versuchen, die Hem- ,
    mungswirkung homogener Reize. Er wiederholte dann die Versuche mit sinn-
    vollen Worten (gehörten und geschriebenen), sowie mit Bilderserien und war
    imstande, die zu erwartenden Fehlreproduktionen im voraus zu berechnen. Hieran
    knüpft er die Behauptung, dass durch seine Versuche, die in gleicher Weise auch
    fiir die Fehlerinnerungen und das Vergessen von Worten Geltung hitten, die Un-
    haltbarkeit der Freud'schen Lehre vom Vergessen erwiesen sei. Er sei imstande,
    alle Beispiele, die Freud sehr umstündlich und kompliziert auf unbewusste
    Unlustmotive zurückführi, „ohne dafür die geringsten Beweise geliefert, ja: ohne
    den Zeitpunkt, in dem die Fehlhandlung erfolgte, jedesmal notiert zu haben",
    mit Hilfe des Gesetzes der gegenseitigen Hemmung homogener Reize auf das
    prompteste zu erklären. Schliesslich weist der Vortragende auf physikalische
    und physiologische Vorgünge hin, die gleicherweise als Hemmungswirkungen
    homogener Reize aufzufassen sind und erklärt, in diesem Gesetze die Grundregel
    für die Enge oder Weite des Bewusstseins, für den Abstraktionsvorgang (Begriffs-
    bildung) und viele andere psychische Vorgünse gefunden zu haben.

    In der dem Vortrage folgenden Diskussion ergreift Ferenczi das
    Wort. Er zoll zunächst uneingeschrånktes Lob dem unermidlichen Fleisse
    Ransehburg's, der fast zehn Jahre lang arbeiten und viele kompli-
    zierte Apparate erfinden musste, bis er die Resultate, die er in seinem Vortrage
    mitteilt, erhalten konnte. Allerdings wundert sich Ferenczi darüber, dass der
    experimentelle Beweis einer so allgemeingültigen und allbekannten Tatsache, dass
    man nämlich Ähnliches schwerer unterscheiden, daher bei gleicher Exposition
    schlechter perzipieren und merken kann als Verschiedenes, so lange auf sich
    hat warten lassen. Der Vortragende habe kein neues ,,Gesetz“, sondern nur den
    Nachweis gebracht, dass das Merken und Unterscheiden homologer Reize auch „im
    Kleinen* (d. h. unter den Bedingungen des Experiments) schlechter geht als das von
    heterologen Reizeinwirkungen. Allerdings habe Ranschburg diesen Nachweis
    hoch gespannt Ranschburg habe ein Stück der Technik des Vergessens
    und der Aufmerksamkeitsstórungen instrumentell registriert und glaubt das Rätsel
    des Vergessens überhaupt gelóst zu haben. Er vergisst, dass er nicht das
    Recht hat, von psychophysischen Vorgängen zu sprechen, wo doch seine Ver-

    Zentralblatt für Psychoanalyse, J'/*. 25

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    374 Aus Vereinen und Versammlungen.

    suche rein psychologische seien. Von rein psychologischer Seite ist aber
    das von Ranschburg gefundene „Gesetz” schon einmal gefunden worden, und
    zwar gerade von Freud, der in einer Fussnote der letzten Ausgabe des „Alltags-
    lebens‘ das Vergessen von indifferenten Eindrücken auf einen Verdichtungs-
    prozess zurückführt, der doch nichts anderes ist als die ehrlich psychologische
    Bezeichnung desselben Vorganges, den Ranschburg's physiologisierende Ter-
    minologie als „gegenseitige Hemmung homogener Reize" benennt. Freud begnügt
    sich aber mit der Feststellung dieser Technik nicht, sondern sucht und findet
    Motive und Tendenzen, die sich dieser Verdichtungsmåglichkeit bedienen.
    Die indifferenten Eindriicke — fiihrt er dort aus — fallen gewissen misslungenen
    Verdrüngungstendenzen, gleichsam als Kanonenfufler, zum Opfer. Ferenczi gibt
    weiter der Vermutung Ausdruck, dass — wo nicht stårkere Unlustmotive ver-
    drångend wirken, also bei indifferenten Eindriicken — das Lustprinzip in der
    Spartendenz (ähnlich wie im Witz und im Traum) sich manifestiert, der
    Tendenz nämlich, an intellektueller Arbeitsleistung soviel als möglich zu er-
    sparen. Dies könnte an der Verdichtungstendenz und an den dadurch be-
    wirkten Entstellungen der Eindrücke mitbeteiligt sein. Es sei also zumindest
    unvorsichtig von Ranschburg, wenn er in der 。homologen Reizhemmung“
    die alleinige Ursache des Vergessens und der Fehlerinnerung sucht. Freud war
    in der Formulierung seiner These viel weniger präjudizierend und liess —
    nebst der Verdrängung — die Möglichkeit anderer Entstellungsmechanismen offen.
    Ranschburg sollte seine — an sich gewiss wertvollen — Untersuchungen
    ergänzen, indem er scine Aufmerksamkeit auch auf das Vergessen nichtindifferenier
    Eindrücke ausdehnt. Nur das Zusammenwirken der sog. ,,experimentalpsycho-
    logischen mit anderen psychologischen Richtungen, so auch mit der Psycho-
    analyse, könne die Wissenschaft fördern. —

    Es sprachen weiters zum Thema Dozent Dr. Pandy von psychiatrischem,
    Anstalisdirektor Dr. Epstein von psychologischem Standpunkte, ohne auf diese
    Streitfrage einzugehen.

    Ranschburg versicherte in seiner Erwiderung, er habe zahlreiche Ver-
    suche an sich und an Anderen angestellt, konnte aber keinen einzigen
    Fall von Namenvergessen mit dem Freud'schen Mechanismus, wohl aber alle
    mit Hilfe der homologen Reizhemmung erklären.

    (Referent war nicht mehr in der Lage, auf diese Replik zu reagieren. Er
    hätte dieses , argumentum ad hominem" mit der Versicherung beantwortet, dass
    zahlreiche hochachtbare Männer der Wissenschaft die Feststellungen Freud's
    bestätigen konnten, so dass es, den guten Willen vorausgesetzt, nur an einer
    ungleichen oder ungleich vollkommenen Technik der Analyse liegen kann, wenn
    die Resultate derart divergieren. Ranschburg versprach sich einmal in der
    Diskussion; er redete den Referenten als „Kollegen Freud‘ (statt Ferenczi)
    an. Darauf aufmerksam gemacht, erklärte er, dass auch hier die homologe
    Reizhemmung von den identischen Anfangsbuchstaben „F“ ausgegangen sei.
    Der Ref. dagegen ist iiberzeugt, dass bei dieser ihn ehrenden Verwechslung die
    Gleichheit der Buchstaben nur den Weg, die Brücke, den äusseren An-
    lass, gewisse halb oder gar nicht bewusste Tendenzen aber die Triebkraft zur
    Verschiebung geliefert haben. Übrigens ist Ref. überzeugt, Ranschburg auch
    durch diese Einwendungen nicht bekehrt haben zu kénnen. In der Psychoanalyse
    gibt es, wie es scheint, kein Überzeugen, die Überzeugungen muss sich hier
    jeder selber holen.)

    Dr. S. Ferenczi (Budapest).

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    Aus Vereinen und Versammlungen. 375

    Aus der „Gesellschaft der schwedischen Ärzte“.
    Dr. Poul Bjerre, Spezialarzt für Psychotherapie in Stockholm, Die psychoana-
    lytische Methode,
    Vortrag in der Svenska läkaresällskapet (Gesellschaft der schwedischen Ärzte)
    am 17, Jänner 1911.

    Die medizinische Psychologie befindet sich gegenwärtig, dank der von Prof.
    Freud in Wien ausgehenden Bewegung, in einer Entwickelungsperiode, die an
    Bedeutung alle früheren Epochen übertrifft. Die Untersuchungen, welche vom
    berühmten Falle Breuer's ausgingen und 1893 veröffentlicht wurden, brachten
    die Lehre von der Verdrängung und die Therapie des Abreagierens. Im Bestreben,
    die verdrängten Komplexe aus dem Unbewussten herauszugraben, entwickelte sich
    die psychoanalytische Methode. — Beschreibung derselben und der Traumdeutung. —
    Als die wichtigsten wissenschaftlichen Eroberungen dieser Methode wurden die
    Komplexlehre, die Lehre vom infantilen Trauma und die Sexuallehre hervor-
    gehoben. Beim ersten Punkt wurden die Untersuchungen von Jung erwähnt;
    der zweite Punkt wurde durch ein Beispiel erläutert. Die Sexualentwickelung
    wurde genau beschrieben von der primären inzestösen Sehnsucht zur Mutter
    bis zum Auffinden des heterosexuellen Objektes und die Hand in Hand mit
    diesen Verwandlungen eintretende Verdrängung, Übertragung und Sublimierung. —
    Für das Entstehen der Neurosen haben die Entwickelungshemmungen und die
    misslungenen Verdrängungen die grösste Bedeutung. Die Ausbildung dieser Sexual-
    lehre nebst neueren Entdeckungen haben einen neuen Ausblick auf die Therapie
    mit sich gebracht. Statt des Abreagierens ist jetzt die Übertragung als der
    wichtigste Hebel der Heilung in den Vordergrund getreten. Hier stösst die Psycho-
    analyse mit der Suggestionslehre zusammen. Die Suggestion wird von Freud
    und seinen Schülern als ein Ubertragungsprozess aufgefasst. Der Arzt soll nåm-
    lich die suggestive Macht iiber den Patienten nur dadurch bekommen, dass dieser
    ihn unbewusst mit irgend jemand identifiziert, der in der Wirklichkeit die Rolle
    der höchsten Autorität gespielt hat, gewöhnlich mit dem Vater. Gegen diese
    Auffassung wurde eine Einwendung gemacht. Es könnte hierin eine Tendenz
    stecken, zur Suggestionslehre zuriickzufallen, anstatt die Konsequenzen der Ver-
    drångungslehre weiter gerade herauszuarbeiten. Die Heilung bei der Psychoanalyse
    geschieht durch die Lösung gebundener Kräfte und die Projektion dieser Kråfte
    nach aussen, entweder gerade als solcher oder nach sublimierender Umwandlung.
    Die Therapie muss oft die Sublimierung als letztes Ziel erstreben, und hier
    fliesst die Behandlung mit den höchsten Prinzipien der kulturellen Erziehung und
    der psychischen Hygiene zusammen.

    Niemand, der die Entwickelung der Psychologie kennt, kann die unerhørte
    Bedeutung Freud's verleugnen. In dem grossen Streit, der gegenwärtig um
    sein Werk vor sich geht, gilt es hauptsächlich, wieweit man ihm folgt. Auch
    seine årgsten Gegner ziehen oft Nutzen aus seinen Forschungen, vielleicht ohne
    es selbst zu merken. An einzelnen Punkten können ohne Zweifel Einwendungen
    gemacht werden, welche auch innerhalb der Schule zum Ausdruck kommen.
    Abgesehen von diesen möchte man vielleicht bei Freud eine durchgehende
    Einseitigkeit aufspüren können. Er hat die unermessliche Bedeutung der unbe-
    wussten Determinierung der Neurosen klar gemacht. Seine Aufmerksamkeit ist
    aber so vollstindig von dieser neuen Welt gefesselt worden, dass er nicht
    immer genug mit den bewussten Kråften rechnet. Wenn Freud bei der Traum-
    forschung die latenten Traumgedanken gefunden hat, gilt das ganze weitere Studium
    nur diesen. Der manifeste Traum wird als nicht mehr zu behandelndes Material

    25%

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    376 Varia.

    weggelassen. Hier lässt dieses sich wohl tun, weil der manifeste Traum ein an
    sich gleichgültiges Produkt der Psyche ist. In gewisser Hinsicht macht Freud
    aber bisweilen etwas Ähnliches mit dem manifesten Inhalt des realen Lebens,
    Dieses Verhåltnis wird z. B. ersichtlich, wenn er zur Suggestionserklärung haupt-
    såchlich die unbewusste Wirkung durch Ubergreifen auf den Vaterkomplex heran-
    zieht. Hier dürfte man aber auch mit wichtigen bewussten Faktoren rechnen
    müssen, Der Arzt bekommt oft seine suggestive Macht dadurch, dass er besser
    als andere die schweren Lebensprobleme, welche zur Krankheit geführt haben,
    dem Pat. auseinandersetzen kann; 一 m. а. W. ganz einfach dadurch, dass er
    ihn dank seiner Kenninisse besonders gut versteht. Im Verständnis liegt immer
    grosse Macht. —

    In der Diskussion äusserten sich nur zwei Assistenzärzte an der Irren-
    anstalt Konradsberg, Dr. Fröderström und Dr. Wigart. Sie brachten keine
    andere Einwendungen als die von psychiatrischer Seite üblichen, Sie hoben hervor,
    dass die misslungenen Behandlungen durch das Aufwühlen der sexuellen Vor-
    stellungen oft Verschlimmerungen mit sich bringen, und dass die Stellung der
    Irrenärzte, welche dann die Pat. zur Pflege bekommen, dadurch schwerer wird.
    Sie glaubten, dass der Streit gegen die Psychoanalyse nicht so sehr von den
    inneren Widerständen als von diesen äusseren Verhältnissen herrührte. Dr. W.
    richtete sich besonders gegen das Forschen in den analerotischen Irrgången.

    Alle Einwendungen wurden beantwortet. (Autoref.)

    Varia.

    Im Verlage H. Altenberg, Lemberg, ist nun auch eine polnische Ubersetzung
    der „Fünf Vorlesungen über Psychoanalyse“, die Prof. Freud aus
    Anlass des 25 jährigen Bestehens der Clarc University in Worcester Mass gehalten
    hat, in ausgezeichneter Anpassung an das Original erschienen. Der Ubei
    Dr. L. Jekels, ist insbesondere der schwierigen Aufgabe, für die s
    Terminologie der Psychoanalyse ausdrucksvolle Bezeichnungen der fremden Боске
    heranzuziehen, in besonders glücklicher Weise gerecht geworden,

    Dattner.

    Schriftleitung:

    Dr. med. Alfred Adler, Dr. Wilhelm Stekel,
    Wien I, Dominikanerbastei 10. Wien IL, Gonzagagasse 21.