Aus Vereinen und Versammlungen [August 1911] 1911-772/1911
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    Sitzungsberichte der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung.

    27. Sitzung, am 19. April 1911. Richard Wagner, Versuch
    einer Deutung von Stucken’s „Lanval“. Einleitend bemißt
    der Vortragende, die Anwendungsmöglichkeit der Psychoanalyse und ihre Grenzen
    bei der Deutung von Kunstwerken festzustellen. Stucken’s Lanval er-
    weist sich als ein günstiges Studienobjekt, da ihm die alte Lanvalsage zugrunde
    liegt, auf deren Deutung zunächst eingegangen wird. Die Sage ist nur ein Beispiel
    für einen ganzen Sagentypus, in dem es sich stets um die heimliche Verbindung
    eines Ritters mit einem feenhaften Wesen handelt, das von ihm für das Glück der
    Liebe, unbegrenzter Geheimnisse fordert und zu jeder Zeit und an jedem Ort, wo immer
    der Ritter will, erscheint. Überall aber wird der Ritter entweder durch Schmähungen
    oder durch übertriebene Verherrlichung anderer Frauen gereizt, das Geheimnis
    zu verraten und aufgefordert, die Geliebte nur zu einem bestimmten Termin zur
    Stelle zu zitieren. Als die Fee dann nach kürzerem oder längerem Zögern erscheint,
    folgt ihr der Ritter nach der alten Insel der Seligen. Am leitersten und ein-
    fachsten spielt sich diese Handlung im Lai des Lanval von der Marie de France
    ab. Die Sage zeigt den Ödipuskomplex sehr deutlich auf. Dass die Königin Lanval
    ihre Liebe gesteht, ist nur die Verdrängung des bekannten infantilen Wunsches,
    ihre Anschuldigung und Verleumdung beim König die Objektivierung seiner ge-
    heimen Beobachtung, der Vater könne einen besonderen Bemerkenswert ist
    die kritiklose Selbverständlichlichkeit, mit der in all diesen Sagen als die
    Schönste zu gelten hat, neben der eine andere Frau überhaupt nicht in Betracht
    kommt darf. Der König ist in der Sage der ursprüngliche, strenge, rachsüchtige
    Vater, die Reaktionsbildung auf die geheimen, incestuösen Phantasien des Sohnes.
    Kieren zweiten Hauptkomplex, einen Ref. an Mästurbationsprozesse. Alle diese Fabel-
    wesen der Sage (Elfen, Feen, Zwerge, Riesen, böse und gute Geister) sind unter
    einen gemeinsamen Hut zu bringen und gehören in den intimsten Zusammen-
    hang mit der Sexualsphäre. Im Lanval handelt es sich um das Erscheinen eines guten
    Geistes ganz nach Wunsch des Helten (vgl. auch „Aladin und die Wunderlampe“
    wo Aladin die Lampe reibt, wenn er will, dass der Geist erscheine, was einen
    deutlichen Hinweis auf die Masturbation enthält). Auch die ganze Geheimnistnerei
    mit seiner geheimen Liebschaft gehört in diesen Zusammenhang. Nach dem Gesetz
    von der Überdetermination ist die Masturbation nicht die einzige, sondern sozu-
    sagen nur die engere Deutung für die geheime Beschäftigung mit der Fee; sie be-
    deutet auch überhaupt die Abkehr von der alten, incestuösen zur Mutter. Der
    Schluß der Sage deut zwei Möglichkeiten, Leben und Tod, offen — d. h. normale
    Objektliebe und Losung von der Mutter oder Zugrundenlegen der Fixation an die
    Mutter.
    Stucken’s Drama ist nicht mehr so deutlich und einheitlich und der
    Ödipuskomplex der Sage verundeutlicht. Der Königin ist sozusagen die Mutterrolle
    entzogen, das feenhafte Fabelwesen ins Elbische übersetzt und die Figur der
    Lionors, sowie die Verheiratungsprozession ganz neu eingeführt. Die incestuöse
    Wunschphantasie nach der Mutter bleibt ohne Veränderung, eine Art Verdrängungs-
    fortschritt im Sinne Freuds. Lionors ist eine Art Kompromißbildung aus
    Mutter und Schwester. In der Verheiratungsprozession und in Lanvals unvermögen,
    den königlichen Wünschen nachzukommen, sowie in dem langen Spiel des letzten

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    Aus Vereinen und Versammlungen.


    Akts, wo ihm Lionors heimlich und in aller Eile und Hast doch endlich angetraut
    wird, liegen für den Psychoanalytiker die Hauptaugenpunkte des Dramas.
    Stucken's **Lanval** ist die dichterische Fassung der allgemein menschlichen
    Tragödie des psychisch-impotenten Schulterneurotikers, der an seiner eigenen
    Potenz zweifelt und an seinen hartnäckigsten Festhalten am **Ödipuskomplex** zugrunde
    geht. Lanvals Gegenspieler ist **Agravain**, die Darstellung des Potenten, des Männ-
    lichen, des Mannes mit den grossen moralischen Schranken und dem Uebergefühls,
    vor Lanval wegen seiner Impotenz verachtet und seine Schwester eifersüchtig
    vor Lanval hütet (Motiv des feindlichen Brüder, Kampf um die Schwester vgl.
    Schiller's Braut von Messina). Überall sieht man bei Stucken Verdrängung
    und Zensur direkt am Werk, alles Unsexuose und Anstossige ist wohl getarnt
    und verschleiert. Dargestellt wird Lanval eigentlich durch den Gegensatz, nämlich
    als der grosse Fraueneroberer; allein **Masturbation** und ausschweifende, jederzeit
    disponible Libido schliessen sich nicht aus, gehören vielmehr eng zusammen;
    andererseits lassen sich wiederum für Lanvals Darstellung des impotenten Mastur-
    basten zahlreiche Beziehungen aus dem Drama beibringen (z. Bsp. die Beschreibung
    durch Agravain, I. Akt, 1. Szene). Die übrigen Personen des Dramas passen sich
    durchwegs in den obigen Zusammenhang ein, besonders das vanspyrische Wesen
    Freidas. Der Bischof Baldwin bedeutet wohl nichts anderes als eine Abspaltung
    vom Ueberkomplex und zwar stellt er jenen Vater dar, gegen den sich die intel-
    lektuelle Kritik des Sohnes wendet und über den sich der Sohn lustig macht.
    König Artus ist bei Stucken der gütige, allzeit befreiende und verzeihende
    Vater. Das Drama schliesst im Gegensatz zur Sage mit Lanvals Läuterung, ist also
    einseitiger als diese, wie überhaupt das ganze Stück nicht befriedigt.

    Diese **Deutung des Stückes** ist sicher nicht erschöpfend, sondern sie ist
    bloss ein Versuch, sie herzustellen einigen aus zahlreichen **Deutungsmöglichkeiten**.
    mit dem Absicht, das Stück nur auf einen besonders in die Augen springenden
    **Hauptkomplex** zu beschränken und zu reduzieren und gerade an der Uebertragung
    der alten Sage durch den modernen Dichter zu zeigen, wie dieser Hauptkomplex
    von ihm gehandhabt wurde. (Autorreferat.)
     


    28. Sitzung, am 26. April 1911.

    Diskussion über das Buch von W. Stekel: Die Sprache des
    Traumes. (Wiesbaden 1911.)
     


    29. Sitzung, am 3. Mai 1911.

    Dr. J. Sadger: Über Haut-, Schleimhaut- und Muskel-
    Erotik.
     


    Von den **erogenen Zonen** Freud's unterzieht der Vortragende zwei einer
    besonderen Besprechung: die **Haut** mit ihrer Differenzierung in **Schleimhaut** und
    **Sinnesorgane** und die **Muskulatur**. Haut-, Schleimhaut- und Muskel-Erotik kommen
    gewöhnlich zusammen vor, doch lebt es auch Fälle reiner Hauterotik, bei denen
    allerdings mitunter auch die Infantilsexualität stark mitspielt. Eine typische Äusserung
    der **Hautsexualität** ist das **Kitzelgefühl**, das sich in eminenter Weise bei Menschen
    findet, die noch keinen regelmässigen Sexualverkehr haben. Auch verschiedene
    **Dermatozen** (Pruritus, manche Formen von Urticaria und Ekzem) haben nahen
    Beziehungen zur Hauterotik. Eine **Neurose der letzteren** ist die **Akrodynie** bei
    Friedrich Schultze. Haut-, Schleimhaut- und Muskel-Erotik erklären zum Teil
    auch die **Stigmen** der Hysterie und **traumatischen Neurose** (Rückkehr zur infantilen
    Hauterotik). Es werden dann einige für die Erotik der Sinnesorgane charakte-
    ristische Erscheinungen besprochen (Nasenbohren, nervöse Seh- und Hörstörungen).
     

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    Aus Vereinen und Versammlungen.


    und schließlich die Erscheinungen der Muskel-Erotik (Strampeln, Springen, Raufen
    der Buben; Bedürfnisse nach Küssen, Tanzen, Umarmungen etc. bei Mädchen). Als
    eine Neurose der Muskelerotik wird der Tic aufgefasst.

    Die Bedeutung der Haut-, Schleimhaut- und Muskel-Erotik für den Kultur-
    fortschritt wird geltend gemacht und auf ihre Beziehung zum rapiden Anwachsen
    der Sportbewegung in unseren Jahrhunderten hingewiesen. Diese extragenitale Erotik
    wird dadurch wertvoll, dass sie die gefahrlose Aufspeicherung einer enormen
    Menge von Sexualität gestattet, zugleich aber in ganz ausserordentlichem Masse
    sublimierbar ist.
     

    30. Sitzung, am 10. Mai 1911.


    Dr. Viktor Tausk: Ein Beitrag zur Psychologie des Maso-
    chismus.

    In den seit dem 6. Lebensjahre bestehenden masochistischen Phantasien
    des auch leicht zwangsneurotischen Patienten spielt die Mutter eine tragende Rolle:
    mit der Patient bis zu seinem 9. Lebensjahr in inniger Liebe lebte, die sich aber
    von da an feindselig gegen das Kind einstellte, das auf diese Weise enttäuscht,
    sich nach einem schweren Konflikt von der Mutter abwendet, die er heute direkt
    hasst. Es hat aber nicht diese eigentümliche Einstellung der Mutter zum Maso-
    chismus geführt, der ja schon zur Zeit der liebevollen Behandlung der Mutter
    bestand.

    Zum Verständnis der masochistischen Lustempfindung gelangt man beim
    Patienten auf zweierlei Weise: 1. beisst er sich nach Wutanfällen selbst, eine
    Form der Abreagierens abnormal sadistischer Anwendungen, die möglicherweise
    vorzutäuschen vermag, dass der Schmerz selbst es ist, der wohltut; 2. vom
    Komplex der Analerotik aus, die beim Patienten ganz besonders betont und durch
    Reizungen aller Art gesteigert erscheint. Patient vermag nur passiv, von der
    Altersperson, sexuelle Lust zu geniessen und da ihm die päderastische Be-
    friedigungsmöglichkeit unbewusst bleibt, so muss er sich vermittels der Kastrations-
    phantasie zum Weibe machen. Die Kastrationsphantasie ist aber ausserdem eine
    vom Vater ausgehende Strafe für die auf die Mutter gerichteten aggressiven
    Wünsche.
     

    31. Sitzung, am 17. Mai 1911.


    Referate und kleinere kasuistische, sowie sonstige Mit-
    teilungen.

    1. Dr. Sachs: Beiträge zu steteel'schen Symbolen.

    2. Dr. Graf: Eine kleine aktuelle Mitteilung.

    3. Dr. Tausk: Eine funktionelle Fehlleistung;
    Analyse eines Wortwitzes;
    Eine intentonale Determinierung.

    4. Dr. Hitschmann: Goethe über Kleist,
    Belege aus der Literatur;
    Freud: einer beweiskaftigen Symbolik.

    5. Prof. Freud: Traumdarstellungen im Witzblatt.

    6. Hugo Heller: Ein Beitrag zum Inzestthema.

    7. O. Rank: Buchreferat:
    Zur Sagenbedeutung;
    Aus Schopenhauer.
     


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    Onanie. — 7. Prof. Freud: Über Traumdarstellung. 10. Sitzung am 7. Dez.
    1910. 8. Baron Winterstein: Aus Lichtenberg. — 9. Dr. Sachs: Referat
    über Spitzer, Wortbildung als stilist. Mittel. — 10. Franz Grüner: Über
    Chamoissierspiessspitzen. — 11. Rank: Referat über Hirschfeld: Die
    Transvestiten, über die Rettungsphantasie, zur Traumdeutung. 11. Sitzung
    am 14. Dez. 1910. 12. Frau Dr. Hilferding: Ein Traum Rosseggers. —
    13. Dr. R. Reitler: Sexualphantasie und ihre Beziehung zur Selbstmord-
    symbolik. — 14. Dr. E. Hitschmann: Über einen Fall von Melancholie

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    Aus Vereinen und Versammlungen.

    32. Sitzung, am 24. Mai 1911:

    Referate und kleinere kasuistische, sowie sonstige Mit-
    teilungen, II.

    8. Dr. J. Sadger: 1. Zur Frage der Fume.
    2. Zur Erklärung des Exhibitionismus.

    9. Dr. Furtmüller: Über eine psychoanalytisch interessante Erkrankung
    eines Schulmädchens.

    10. Frau Dr. Hilferding: Über eine Stelle aus Werner Sombart's:
    Die Juden.

    11. Heller: Über Todesahnungen.

    12. Prof. Freud: Zum Kastrationskomplex.
     

    33. Sitzung, am 31. Mai 1911.

    Referate und kleinere kasuistische, sowie sonstige Mit-
    teilungen, III.

    13. Richard Wagner: Zum Ödipuskomplex (Aus Hauptmann's Grie-
    chischem Frühling).

    14. Dr. R. Reitler: Ein Beitrag zur Sammelforschung über Sexualsymbolik.

    15. Dr. Oppenheim: Zur Sexualsymbolik.

    16. Dr. W. Stekel: 1. Ursprungslehre.
    2. Über den sogen. „Antifetischismus" (Hirschfeld).
    3. Zur Traumsymbolik.

    17. Dr. V. Tausk: Mitteilung eines Traumes.

    18. Dr. Karl Furtmüller: Referat über Bormann, Die Namen in
    Goethes Götz

    19. Prof. Freud: Zur Traumsymbolik.

    20. Prof. Freud: Ausführung einer Traumhandlung.
     

    Mit Ende Mai wurden die Sitzungen der Wiener Psychoanalytischen Ver-
    einigung für die Dauer der Sommerferien unterbrochen, um im Spätherbst wieder
    aufgenommen zu werden.
     

    Am 21. und 22. September findet in Weimar der III. Privatkongress der
    Psychoanalytiker statt, über dessen Verlauf seinerzeit ein ausführlicher Bericht
    an dieser Stelle erfolgen wird. 
    (Rank.)
     


    Aus ungarischen Vereinen.

    I.
    Aus der Sitzung der Königl. Gesellschaft der Ärzte in Budapest.

    In der Sitzung vom 27. Mai hielt Frl. Dr. Dósay-Révész einen Vortrag
    über Assoziations-Studien an Geisteskranken. Sie liess – auf
    Vorschlag des Prof. Moravcsik – die Psychotiker nicht nur auf reife, sondern
    auch auf ganze Sätze reagieren und erhielt sehr charakteristisch gestimmte Ant-
    worten je nach der euphorischen, deprimierten oder affektlosen Stimmung des
    Patienten. Auf die Analyse des Inhalts der Antworten wurde nicht eingegangen.
     

    Hofrat Prof. Moravcsik berichtete über seine Erfahrungen über das
    psychogalvanische Phänomen. Die mit viel Scharfsinn durch-
    geführten Experimente bestätigten die von **Veraguth** mitgeteilten grundlegenden
    Tatsachen. Neu und interessant sind **Moravcsik's** psychogalvanische Versuche
    an Hypnotisierten. Er wies nach, dass bei suggerierter sensorischer oder
     

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    522                                                                                      Aus Vereinen und Versammlungen.

    sensibler Anästhesie die sonst bei Reizeinwirkungen auftretende Stromschwankung
    fast ganz ausbleibt, bei suggerierter Hyperästhesie die Schwankung ungeheuer
    stark ausfällt.
    Ref. vermisste in beiden Vorträgen den Hinweis auf die Bestätigungen,
    die die Psychoanalytik sowohl seitens der Jung-Riklin’schen Asso-
    ziationsversuche als auch der psychogalvanischen Untersuchungen Jung’s und
    Binswanger’s erfahren hat. Es ist ja möglich, dass die galvanischen Unter-
    suchungen einen stein- füre Gebäude einer zukünftigen physikalischen Psychologie
    bedeuten, sicherlich aber liefern die viel aktuallere Bedeutung sowohl dieser als
    auch der Assoziationsexperimente darin, dass sie die Psychoanalytik auch jenen
    Exakten zugänglich machen, die auf messbare und graphisch darstellbare, objektive
    Beweise nicht verzichten können. Die Vortragenden besaen aber diese Gelegen-
    heit zum Verstehen und Verständlichmachen der Psychoanalyse unbenutzt.
                                                                                         Ferenezi.

    II.

    Sitzung des Budapester Ärztevereins vom 22. Mai 1911.

    Dr. J. Decsi hielt einen Vortrag über das Programm der Psycho-
    therapie, in dem er zur Schlussfolgerung gelangte, dass die Psychoanalytik und
    die darauf gegründete Erziehung als die einzig rationellen Mittel der Bekämpfung
    und Verhütung der Psychoneurosen und immerhin befürwortete Vortragender
    auch suggestive Massnahmen. Der Vortrag wurde beifällig aufgenommen.
    Ref. betonte in der Diskussion die Notwendigkeit, die Suggestion in jeder
    Form aus der Psychotherapie auszuschalten. Er wies auf den verdummenden
    Einfluß der heutigen Erziehung auf das Kind hin und forderte, dass man endlich
    statt des Alters die Jugendkraft hochzuschätzen beginne. Die Alten seien als
    mässigende, hemmende Faktoren von unleugbarem Wert. Sie dürften aber diese
    ihre Fähigkeit nicht missbrauchen.
                                                                                         Ferenezi.


    Varia.

     

    „Die unverstandene Frau“. Wie oft kommen Frauen zu uns mit der
    Klage, ihr Mann verstehe sie nicht. Anders jammert ihr Mann hätte keine
    „Seele“. Es interessiert unsern Leser gewiss, das Bekenntnis einer Dichterin
    über diesen Punkt zu hören. In den Gedichten der Frau Maria Unger findet
    sich eines, das mit „Homme naïf“ überschrieben ist:

    „Deine Briefe kamen leicht und leer,
    Was ich suchte, traurig, tränenfeuer,
    Überall, du Mann, nach deiner Seele.
    Bittend, tadelnd, — kennst du Sprache, mein Ohr:
    Quilt sie nirgends aus der Tiefe vor?
    Sag, o Mann: Wo birgst du deine Seele?
    Nicht verstehst du meine tiefen Klagen,
    Niemals traf mein Ohr die Überschwang
    Ich, das Wort der scheuen Mannesseele.
    Aber als ich deinem Wunsch erlag,
    Kam das Glück am allerletzten Tag.
    Töricht Ahust du lauschend nun die Seele?
    Marmorstummt! Knistern scheint!
    Kläglich strömst nur die Begrenzte ein:
    Deine stolze Kraft ist deine Seele.“

    Dr. W. St.

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