S.
Aus Vereinen und Versammlungen. 605
Aus Vereinen und Versammlungen.
Verhandlungen der Internationalen Gesellschaft fiir medi-
zinische Psychologie und Psychotherapie
am 7, und 8. August 1910 in Brüssel.Freud ist Problem geworden. Wie sich die Arbeit des einzelnen mit ihm
auseinandersetzen muss und an ihm nicht mehr vorbeigehen kann, so ist es auch
ganz natürlich, dass die medizinischen Kongresse sich in steigendem Masse der
Auseinandersetzung über die von Freud aufgeworfenen Fragestellungen und
Forschungsergebnisse zuwenden.So beschäftigten sich in Brüssel über ein Viertel der Vorträge mit psycho-
analytischen Themen, die bei den Kongressteilnehmern auf ebenso lebhaftes Inter-
esse wie erbitterte Gegnerschaft stiessen. Dies kann um so weniger wundernehmen,
als die Probleme der Psychanalyse fiir den ihnen Fernstehenden sehr vieles
Ungewohnte enthalten und im allgemeinen noch viel zu wenig bekannt sind, als
sie unerbittlich an persönlichen, gesellschaftlichen, ethischen etc. Vorurteilen rütteln
und nicht nur gegen die mannigfaltigen heiss verfochtenen Schulmeinungen ver-
stossen, sondern auch nicht wenig gegen die empfindlichen Gefiihle derer, die die-
selben Gebiete auch, aber schmerzlicherweise mit geringerem Erfolge bearbeitet
haben. Wie kann man denn auch mit der psychanalytischen Methode zu anderen
Ergebnissen kommen als mit den anderen früheren Methoden? Also müssen diese
Ergebnisse falsch sein oder die Methode. So argumentieren ungefähr die Gegner.
Das wesentliche Kennzeichen der Gegner Freud's ist, dass sie von seinen Arbeiten
nur wenig kennen und sich nicht der nicht zu unterschätzenden Mühe unterzogen
haben, seine Methode und ihre Resultate an eigener Arbeit nachzuprüfen, also von
ganz anderen Betrachtungsweisen her verneinen, was sie dort aufgestellt finden. Die
persönlichen Widerstände werden in ein intellekluelles Gewand gesteckt, die an
dem emotionellen Aplomb, mit dem sie auftreten, die. persönliche Unterströmung
verraten, der sie letzten Grundes entstammen.Als ersten psychanalytischen Vortrag brachte M. Ch. de Montet-Vevey
ein grosses Diskussionsreferat: Problemes théoriques et pratiques
de la psychanalyse, das sich die doppelte Aufgabe stellte, einmal an der
Terminologie Freud's, dann aber insbesondere an dem Begriffe der Verdrängung,
an der Deutung und der Sexualätiologie der Psychoneurosen eingehende Kritik
zu üben.Die terminologischen Vorschläge gipfeln in der Übersetzung der Begriffe
Freud’s in die der Assoziationspsychologie, z. B. Komplexbildung in patho-
logischem Sinne = fehlerhafte Assoziation; Konflikt im ethischen Sinne = Spezial-
fall der Affektivität, der sich im wesentlichen als assoziativer Widerstand entpuppt.
Die Annahme einer Verdrängung ist überflüssig, zumal sie auf etwas Aktives,
einen Willensvorgang anspielt; er setzt dafür die Modifikation: Abdrångung
von der normalen Assoziationsgruppe, indem er der abgedrängten
Gefühlsbetonung die Wirkung zuschreibt, unmittelbar zur Komplexbildung zu führen,
nicht weil sie sich sexualiter assoziiert, sondern überhaupt in einer vom Erlebnis
abweichenden Richtung; denn es ist ihm ein konventioneller Zufall, dass die Natur
der Entstehung von Konflikten in sexueller oder moralischer Form augenfålliger ist
als die Entstehung von Konflikten durch nicht ethisch gehemmte Dispositionen.
Das Bewusstsein von Arzt und Patient sind in der überwiegenden Mehrzahl derS.
606 Aus Vereinen und Versammlungen.
Fälle ethisch eingestellt, kein Wunder also, dass der Sexualkonflikt der ‘häufigste
ist. Es ist Freud zu danken, dass er diesen Gesichtspunkt systematisch venti-
lierte und entdeckte, was der Sexualtrieb in pathogener Richtung leisten kann. Es
ist aber ein enormer Irrtum, wenn demzufolge die gesamte Evolution Sexualität
wird, diese also fiir das gesamte Erleben der zentrale Attraktionspunkt sein soll,
so dass immer nur ein pathogener Sexualkomplex aus dieser gefiihlsweise wirkenden
Verschiebung resultieren soll. Vielmehr ist dem von Semon gefassten Begriff
der gefühlsweisen Irradiation wissenschaftlich der Vorzug zu geben,
weil sie wenigstens offen lässt, dass die Gefiihlsirradiation auch in anderer
Richtung als in der Richtung der Sexualdisposition assoziativ assimiliert werden
kann. Die phylogenetische Auffassung Freud's führt ganz arbitrire Werte ein,
indem sie den Sexualtrieb pråvalieren lässt, so dass sie nur als ein Konditionalismus
anzusehen ist, dessen Bedeutung lediglich in den sozialen Lebensverhiillnissen
des Individuums liegt. In seiner Beobachtungsweise antizipiert Freud das
Prinzip, dass der Sexualtrieb pråvaliert, und wo er dies nicht findet, liefert ihm
das Material keine Beobachtungen.Die Deutung ist zu verwerfen, nicht nur, weil für sie gar keine Normen
aufzustellen sind, sondern auch weil sie auf der für unsere Begriffe falschen
sexuellen Auffassung der Verdrüngung beruht.Die Therapie soll in der möglichst ausgiebigen Identifikation von bisher
unterbewussten Erlebnissen bestehen und in ihrer fortschreitenden Assimiliation.
Es soll mit anderen Worten ein Annäherungswert an das strukturell mögliche
Optimum von Assoziabilitåt erreicht werden. Voraussetzung für das Gelingen der
Analyse ist, dass die möglichst grosse Assoziationsfåhigkeit des Arztes eine móg-
lichst gründliche Identifikation mit dem Patienten erlaubt.Die Vogt'sche Methode der direkten Exploration, die nach Ló wenfeld,
Franck u. a. für die Praxis zu nutzenden hypermnestischen Leistungen in der
Hypnose, die Bilderanalyse Bezzola's und die verschiedenen Modifikationen
des freien Assoziierens kónnen wertvolle Dienste leisten.Gegenüber dem Berichte de Montet's stellle sich Ref. in seinem Vor-
trage: Über den Wert und die Bedeutung der psychanalyti-
schen Methode für die Diagnose und Therapie der Neurosen
entschieden auf den Standpunkt der Freud'schen Anschauungen. Nach einem
kurzen zusammenfassenden Referate über die Freud'sche Lehre von der Struktur
und Ätiologie der Psychoneurosen, aufgezeigt an den Beispielskizzen eines hysteri-
schen Kopfschmerzes, einer Insektenphobie und einer Zwangsneurose, sowie nach
einer kurzen Darlegung der psychanalytischen Technik, deren Hauptprobleme,Wider-
stand und Übertragung, besonders hervorgehoben werden, wird das Wesen der
Psychanalyse und ihrer therapeutischen. Wirkungsweise dargelan und der Haupt-
einwand der Gegner gegen die Freud'sche Lehre von der Sexualätiologie zurück-
geführt teils auf die mangelhafte Kenntnis und Technik der Gegner, teils auf ih
eigenen Sexualwiderstånde, die die Selbstanalyse zur Grundvoraussetzung für jede
tiefer eindringende psychanalytische Arbeit machen. Freud's Gesamtbedeutung
findet Ref. nicht nur darin, dass er lichtvolle kausale Zusammenhänge aufdeckte, wo
vorher ein chaotisches Dunkel herrschte, den Sinn und die Gesetzmüssigkeit nach-
wies bei Erscheinungen wie den psychoneurotischen, die bisher nur durch Regel,
Mass- und Sinnlosigkeit imponiert hatten, der der Psycho'ogie und Psychopathologie
und Pädagogik Neuland erschloss mit einer reichen Fülle von Fragestellungen
und Arbeitsmäglichkeiten, sondern auch in der Tiefe und Nachhaltigkeit der thera-
peulischen Erfolge, besonders bei den schweren Fällen von Hysterie, Zwangs-
neurosen und Phobien, die den Kranken ihre Selbstführung geben.S.
Aus Vereinen und Versammlungen. 607
Die Diskussion über beide Vorträge, die sehr lebhaft, stellenweise sehr affekt.
reich geführt wurde, ist in mehr als einer Beziehung lehrreich. Abgesehen von
den eingangs erwähnten persönlichen und intellektuellen Widerstiinden, die sich
besonders gegen die Fren d `sche Terminologie, die Begriffe der Verdrängung
und des Widerstandes richteten, war es vor allem das böse Karnickel der Sexualität,
gegen das sich, wie augenscheinlich in allen derartigen Diskussionen, die heftigsten
Ausfälle ergingen. Vogt z. В. fand das sexuelle verursachende Moment trotz einer
bis in die jüngste Kindheit ausgedehnten Analyse in einem Falle von Spinnweben-
furcht nicht. Schlussfolgerung: also existiert es nicht. F o rel unterscheidet zwischen
sexuellen und unsexuellen Karessen. Menzerath hat seit vier Jahren seine
såmtlichen Lapsus, mehrere Tausend, aufgezeichnet mit genauer Selbstbeobachtung
und er bestreitet durchaus, dass es sich hier um sexuelle Dinge handelt, und
macht sich anheischig, Freud's Beispiele in der Psychopathologie des Alltags-
lebens mtlich einfach und besser zu erklären ohne jedes sexuelle Moment. Vogt
wendet sich gegen Ref, dass einem Manne, der, wie er, seit seinem 16. Jahre seine
Tråume und seit 1894, also beinahe so lange wie Freud und linger als irgend
ein Freudianer, die zur Diskussion stehenden Fragen an seinen Kranken
studiert, das Recht abgesprochen wird, über diese Fragen mitzusprechen (wer hat
das getan? Ref.).Jones wendet gegen Vogt ein, dass es verschiedene psychogenetische
Forschungsmethoden gäbe. Eine sei die Gesamtheit der Freud schen Methoden,
eine andere die Vogt'sche usw. Das Wort Psychoanalyse sei nur auf die Ge-
samtheit der Freud'schen Methoden anzuwenden. Worauf Vogt erwidert, er
werde seine auf Selbstanalyse des Kranken beruhende Methode fortan als Kausal-
analyse der kausalkonstruierenden Psychoanalyse der Freudianer gegeniiberstellen.
Wären die vom methodologischen Standpunkt aus ganz ungleichartigen Methoden
der Freudianer ein geschlossenes Ganzes (Ref. hatte behauptet, die p. a. Methode
sei ein zusammengehóriges geschlossenes Ganzes, aus dem man nicht beliebige
Teile herausreissen kann, ohne das Ganze wesentlich zu ändern, während es jedem
freistehe, dieses Ganze anzunehmen oder zu verwerfen), so wire es noch schlechter
mit den Freud 'schen Lehren bestellt als er behaupte. Es hätten sich Freudianer
Kausalkonstruktionen geleistet, welche man einfach als kompletten Unsinn be-
zeichnen müsste, Dagegen hob Ref. hervor: dass einzelne Schüler Freud's
in ihrer Polemik iiber die Schnur hauen, mag zugegeben werden, kann aber nicht
Freud zugerechnet werden. Man vergesse iibrigens nicht, welch massloses und
häufig unsachliches Urteil aus dem Lager der Gegner kommt. Das lässt vieles
verstehen und verzeihen, wer aber die Schriften Freud's unbefangen durchgeht,
muss die erfreulich sich abhebende, massvolle und sachliche Art anerkennen, mit
der dieser heftigst befehdete Forscher seine Lehren vorträgt und seine Gegner
behandelt. Dasselbe gilt fir Jung und viele ihrer Mitarbeiter.Forel wirft dem Ref. vor, die Versammlung „sur le terrain de Ja poésie
et de la théologie" zu führen. (Tónt dahinter nicht fast so etwas wie das Wort
Sekte, das den Psychanalytikern so oft entgegengeschleudert wird? Nun ja, Forel
hat, so scheint es mir, damit nicht so ganz Unrecht. Wir Psychanalytiker sind
vielleicht so eine Art Sekte; die Psychanalyse hat ja, sozusagen, einen gewissen
esoterischen Kern, die Libidolehre, sie hat eine eigene Terminologie und beschåftigt
sich mit dem Dichter im Menschen, mit dem Tråumer, sie produziert Kranken-
geschichten in einer im allgemeinen bisher ungewohnten ge gen und inter-
essanten, fast poetischen Art der Darstellung und alle ihre Anhänger zeigen eine
freudige und begeisterte Hingebung an die Beschäftigung mit ihren Kranken und
wissenschaftlichen Problemen. Ref.)S.
608 Aus Vereinen und Versammlungen.
Einen interessanten Vortrag hielt E. Jones-Toronto über Thera-
peutic effect of Suggestion. Analog der Arbeit Ferenczi’s über
Introjektion und Übertragung legt Jones den Hauptanteil des Heilerfolges durch
Suggestion und Hypnose nicht so sehr in den Arzt als in den Kranken. Aufgebaut
auf der Übertragung verdrängier infantiler Liebesbeziehungen zu den Eltern, be-
sonders dem Vater, auf die Person des Arztes einerseits, andererseits auf der
Tendenz des Kranken, seine freien reizhungrigen Affekte zu verdiinnen, dadurch,
dass er sich seine Umgebung einverleibt und durch die Beziehung auf diese sein
Ich erweitert (introjiziert), wird der Rapport zwischen Arzt und Krankem zu einer
unbewussten Identifikation beider in der Psyche des Kranken auf dem Boden
der femininen Komponente des Sexualtriebes und gleichbedeutend mit dem Ge-
horsam und der Gelehrigkeit des Kindes gegen die Eltern. Wihrend die Wirkungs-
weise der Suggestion psychologiseh nur darin besteht, an die Stelle der die
verdrångten sexuellen Affekte ersetzenden neurotischen Symptome nur ein anderes
Symptom zu setzen, nämlich die abnorme psychosexuelle Abhängigkeit von dem
»Sympathischen" Arzte, und der Heilerfolg nur aufrecht erhalten werden kann
durch die Fortsetzung der Ubertragung auf den Arzt und das andauernde Interesse
des Arztes für den Kranken, führt die Psychanalyse diese Übertragung auf ihre
ursprüngliche unbewusste inzestuôse Quelle zurück und macht die hier gebundenen
Triebkråfte frei fiir nicht sexuelle kulturelle Ersatzziele. In der Diskussion be-
tonte Vogt, ebenso gute Heilerfolge zu haben wie die Herren Psychanalytiker,
und zwar fast immer ohne eingehende kausale Analyse, und bestritt nicht nur
den direkten grossen therapeutischen Erfolg der Psychanalyse, sondern meinte
es auch entschieden zurückweisen zu müssen, dass die Psychanalytiker, die in
Fällen geschadet haben, wo andere psychotherapeutische Methoden mit Nutzen
angewendet wurden, ihre Heilerfolge so herausstreichen und vor allem zwei Irr-
tümer begehen, nämlich die pathogene Bedeutung des Verdrängungsmomentes zu
überschätzen und die unheilbare konstitutionelle Degeneration zu unterschätzen.Von den anderen Vorträgen sei nur kurz hingewiesen ‚auf das Janet’sche
Diskussionsreferat über die Probleme der Suggestion und
auf den Bernheim’schen Vortrag über die klinische Differential-
diagnose der Neurasthenie und der Psychoneurosen, in deren
Diskussion Ref. den p. a. Standpunkt vertrat, schliesslich auf den Vortrag von
Ernst Trömmer-Hamburg über Vorgänge beim Einschlafen (hyp-
nagoge Phänomene), der ein grosses interessantes Material in rein deskriptiver
Weise bearbeitete und alles, was er in der Analyse der hypnagogen Phänomene,
Visionen, Träume, Wortkontaminationen nicht auf rezente Eindrücke zurückführen
konnte, als sinnlos abtat. Kraepelin wurde erwähnt, von Freud, gegen
dessen Traumbuch Forel energisch protestierte, und Silberer war mit keinem
Worte die Rede. Jones erzählte einige Beispiele von Kontaminationen im Traum,
Ref. empfahl das Material des Vortrags einer p. a. Bearbeitung zu unterziehen,
der allein sich die dahinter steckenden Gesetzmässigkeiten und sinnvollen Zu-
sammenhänge erschliessen könnten; aber Trömmer „lehnt ja auf Grund aller
seiner Erfahrungen die spezifisch Freud'schen Ideen ab".Was ist nun das Ergebnis des Kongresses für die P. A.? Zunächst scheinbar
nicht mehr und nicht weniger als dass die Gegner dagegen, die Anhänger dafür
sind. Man machte Widerstände, offener oder versteckter, persönlich oder in
intellektuelle Einwände eingewickelt. Im ganzen ungefähr dieselben wie man
sie allenthalben und immer wieder hören kann. Die Situation war manchmal
komisch und nicht immer sehr erfreulich für die angegriffenen Anhänger. Ganz
so wie bei der Analyse der Psychoneurotiker auch, und nicht anders schliesslichS.
Aus Vereinen und Versammlungen. 609
als man es bei der Selbstanalyse ebenfalls gefunden hatte. Bei der Diskussion
kam unter solchen Umständen nichts heraus als die Entbindung zahlreicher, bis-
weilen etwas gewalttätiger Affekte, und konnte nichts anderes herauskommen,
wie aus naheliegenden Gründen alle gleichen Gelegenheiten lehren,Dies war die äussere Physiognomie des Kongresses. Ganz anders sah es
im Hintergrunde, ich möchte fast sagen, auf dem Nebenkongresse aus, bei den
privaten Zusammenkünften. Hier zu zweien oder mehreren beherrschte das grösste
Interesse fiir die P. A. das Feld, Erfahrungen und Anregungen wurden ausgetauscht,
eine ruhige sachliche gegenseitige Verständigung hatte sich angebahnt. Und hier
liegt ‚wohl der Weg jeder Verständigung,Man machte natürlich auch Widerstände; aber das war augenscheinlich, die
Sache hatte doch eingeschlagen, liess den einzelnen und sein Interesse nicht
mehr los, ganz wie in der Einzelanalyse auch, Unbelehrbare natiirlich ausgeschlossen.Einige Worte noch zur Kritik der Vorträge: de Montet’s Vorschläge zur
Terminologie halte ich für überflüssig, zum mindesten für verfrüht, seine Haltung
für unentschieden, seine Kritik der Libidolehre, wohl eine der wertvollsten Er-
rungenschaften der Freud'schen Forschung, und die darauf aufbauende Kritik
und Ablehnung des Verdrüngungsbegriffes und der Deutung für das Resultat unge-
nügender Erfahrung. Zur Kritik meines eigenen Vortrages aber muss ich sagen,
dass auf so engem Raum und so kurze Zeit zusammengedrünste Referate der
ganzen Freud'schen Lehre Gefahr laufen, dem Uneingeweihten schwer ver-
ståndlich zu sein und daher ihren Zweck verfehlen, der durch ausführliche
kasuistische Mitteilungen oder Behandlung von Einzelproblemen wohl besser er-
reicht wird.Und schliesslich werden es überhaupt nicht Kongresse sein, — und dies
trifft gemäss der Natur des Gegenstandes hier noch mehr zu wie auf anderen
wissenschaftlichen Gebieten — die die Sache der P. A. fórdern; sondern nur die
hingebungsvolle persónliche Einzelarbeit und die Selbstanalyse kónnen zur Über.
zeugung führen und die persónliche Verstündigung unter vier Augen, wo eine solche
möglich ist. . Dr. Leonhard Seif.Psychoanalytische Vereinigung Zürich.
Sitzung vom 9. Juni 1911.Dr. Riklin: Über die Realisationstendenz.
Unter Realisationstendenz versteht der Vortragende das, manchmal als
aktiv imponierende, Bestreben von Komplexen, Phantasien usw. an irgend einer
Stelle Kontakt mit der Wirklichkeit zu gewinnen. Nachdem er seine Auffassung
durch Beispiele näher beleuchtet hat, grenzt er den Begriff Realisationstendenz
von denen der Wunscherfúllung und der Rationalisation (Jones) ab. Es werden
dann die hauptsüchlichsten Formen der Realisation besprochen, worunter die:
ldentifizierung mit Personen oder anderen Wesen, die Darstellung des Komplexes
durch etwas Konkretes (z. B. Statue), die Kuppelung des Komplexinhaltes an eine
indifferente Handlung (Verschiebung, Symbolisierung) besonders hervortreten.Sitzungen vom 23. Juni, 7. und 21. Juli 1911.
Dr. Itten: Bruchstücke aus der Analyse von drei Е еп.
von Dementia praecox.
Vortragender kommt nach Anführung und Besprechung einiger Analysen
Schizophrener zum Resultat, dass in allen besprochenen Füllen die Krankheits-
dusserungen im Wesentlichen durch einen herrschenden Komplex determiniert sind.S.
610 Aus Vereinen und Versammlungen.
Dieser Komplex, welcher sowohl die klinischen. Symptome als auch die analytischen
Produktionen beherrscht, ist der (meist heterosexuelle) Elterninzestkomplex. Für
dic frühe Anlage zur Fixierung des Inzestkomplexes spricht das eigentümliche,
schon etwas introvertierte Verhalten Frihdementer in ihrer Kindheit. Diese Fixie-
rung, welche als Enlwickelungshemmung aufgefasst werden muss, führt zu einer
Regression in jene Vorstufen der menschlichen Kulturentwickelung, wo der Inzest
als entwickelungshemmendes Prinzip noch nicht überwunden war. Diese Vorstufen
werden von den Kranken merkwürdig oft wieder durchlebt in den uralt anmutenden
symbolischen Produktionen, welche übrigens bei vielen Kranken cine bemerkens-
werte Übereinstimmung zeigen. (Autoreferat)Dr. Nelken: Die Geschichte eines Inzestes.
Vortragender bringt eine ausführliche, psychoanalylische Krankengeschichte
eines Schizophrenen, dessen Wahnbildungen überwiegend Inzestphantasien sind, vor.
Der Fall ist nicht ohne Interesse in Bezug auf die reichen Phantasien, welche viel
Material zu den mythologischem Analogien, zum ambivalenten Denken und zur
psychoanalytischen Betrachtung verschiedener klinischen (paranoiden und kata-
tonischen) Stadien der Dementia praecox darbieten. (Auloreferat.)van Ophuijsen.
Varia.
Ein offener Brief.Dear Sir,
Herr Dr. Maeder, in a review of an analysis I published of a
case of hypomania (see Zentralbl. S. 344), points out that the case
was really one of Schizophrenia. With this criticism I quite agree,
especially on going again over my notes of this case. But with this
reservation, that it was a case of Schizophrenia only in the Bleuler-
Jung sense, not in the Kraepelinian. Bleuler and Jung have not followed
Kraepelin's latter tendencies to restrict the dementia praecox group in
favour of the manic-depressive; I think it probable, and Dr. Jung has
expressed to me a similar opinion, that Kraepelin would have made
the diagnosis of manic-depressive insanity with my patient. I might
say that the patient has remained well ever since the analysis (over
two years). The interesting question however is, how many other cases
labelled chronic mania, or hypomania, show the action of complexes
similar to those present in dementia praccox. I must say that I have
found evidences of such complexes in all the cases of the kind I have
examined (to be sure, not a large number). On the other hand, Brill:
has pointed out (Zentralbl. S. 158) that many cases labelled melancholia,
of which he relates an interesting example, are really cases of Angst-
hysterie. Psycho-analytic investigation would therefore seem to to restrict
to a considerable extent the number of cases of “causeless” affective
psychoses (manic-depressive insanity), and the question arises whether
there actually are any such cases that show no psychogenic mechanism.
I believe that further experiences in this direction would prove of great
interest, and would suggest that other observers communicate theirs.Yours sincerely
Ernest Jones.
zb1191112
605
–610