S.
100 Referate und Kritiken,
in sehr seltenen Fällen. Die Zwangsneurosen sind am schwersten zu
behandeln. Eine ganze Reihe von bereits sekundären Symptomen, von
Abwehrhandlungen nach Freud, ist es, die den Kranken zum Arzt
führen. Ein ganzes kompliziertes Rituale ist es, welches das Leben
des Kranken vom Aufwachen bis zum Schlafengehen erfüllen. Auch
hier gilt das Prinzip: am Anfang war die Psychoanalyse. Die ersten
Anzeichen der Erkrankung sind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
schon im Alter von 4—6 Jahren zu linden. Häufig ist die Reinlichkeit
und Dinge, die damit zusammenhängen, Gegenstand der Neurose. Der
Kern ist gewöhnlich ein Ereignis aus dem Geschlechtsleben, der daraus
hervorgehende Affekt das Gefühl von moralischer Beschmutzung. Nach
Freud werden diese Ideen in Ideen von physischer Verunreinigung trans-
formiert. Dennoch ergeben sehr vernachlässigte Fälle oft keine günstigen
Resultate. Überhaupt soll nach Wyrubow bei dieser Neurose ausser
der Psychoanalyse die Du h 0 1 5 - Methode angewendet werden, wobei das
Überzeugen von der Absurdität der Symptome natürlich wegfällt. Die
Kranken sind davon ohnehin überzeugt. Das Überführen ins Sanatorium
ist hier an sich ein wirksamer Faktor. Daher sind Besuche von Ver-
wandten etc. zu verbieten. Jedenfalls sollte die Heilungsdauer auf viele
Monate bemessen werden.Dass in einem Sanatorium auch alle physikalischen Heilmethoden
zur Bekämpfung von Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit etc. zur Hand sein
müssen, verstehe sich von selbst. Dr. Jenny Adler-Herzmarck.Kostyleff, Les derniers travaux de Freud et le problem
de l’hysterie. Archiv de Neurologie. 1911. Heft I u. ILEine eingehende Analyse der letzten Arbeiten Freud's bis zum
Bruchstück einer Hysterieanalyse. (Dora.) Der Autor hält die Methode
Freud's fast ausserordentlich „suggestiv”. In gewissen Schlüssen jedoch
sei er nicht Herr seiner Methode und scheine über die Grenzen seiner
Wissenschaft gegangen zu sein. Das Fragment der Hysterieanalyse er-
leuchte ebenso die Wichtigkeit der Psychoanalyse, als es auch die Irr-
timer verrate, in die man sich verstricken könne. Stekel.Aus Vereinen und Versammlungen.
Bericht iiber den III. Psychoanalytisehen Kongress
in Weimar am 21. und 22. September 1911
von Otto Rank (Wien).I. Professor James J. Putnam (Boston): Uber die Bedeutung der
Philosophie fiir die weitere Entwicklung der Psychoanalyse,Redner hebt als nächste Anfgabe der psychoanalytischen Forschung, die bis
jetzt vorwiegend therapeutische Ziele verfolgte, die Beschäftigung mit dem normalen
Seelenleben, das Aufsuchen der Urquellen des Denkens, Fühlens, Handelns im ge-S.
Aus Vereinen und Versammlungen. 101
sunden Menschen hervor. Zwar wurden bereits die Erfahrungen und Einsichten aus
der. Kindheit des Einzelnen auf die Kindheit der primitiven Volker übertragen und
wenn auch den Kinderwünschen zweifellos eine ungeheuere Wirkung zukomme, so
haben doch die Regungen der erwachsenen Seele gleichfalls ein Anrecht in Betracht
gezogen zu werden: die ethischen Gefühle, welche sich mächtig in die tiefen Seelen-
regungen einmengen, und das logische Denken; dabei wird insbesondere auf Hegels
Logik hingewiesen, deren tiefer Wahrheitsgehalt sich immer wieder aufs Neue er-
weist. Schliesslich betont Redner, dass er damit das Unbewusste keineswegs ans-
schliessen möchte, vielmehr meine, man dürfe sich im Handeln auf die uns vertraut
gewordenen Regungen des Unterbewusstseins verlassen.IL Professor Dr. E. Bleuler (Zirich-Burghólzli): Zur Theorie des Au-
tismus.Von Freud's „Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Ge-
schehens* (Jahrbuch 111/1( ausgehend, präzisiert Redner seinen in Bezug auf den psy-
chologischen Zusammenhang dieser Dinge etwas abweichenden Standpunkt. Dem
Freud ’schen Begriff des Lustprinzips, der zu enge erscheine, wird das antistische
Denken gegenübergestellt und als dessen Gegensatz das realistische Denken (Freud's
Realitätsprinzip) bezeichnet. Insbesondere betont Redner seine abweichende Auf-
fassung der phylogenetischen Stellung des autistischen Denkens, das nach ihm eine
spät erworbene Funktion sei, während Freud sie als Rest einer primären Arbeits-
weise des psychischen Apparats auffasse. Es werden schliesslich die Unterschiede
zwischen realistischem und autistischem Denken hervorgehoben, sowie auf die Not-
wendigkeit und Zweckmässigkeit des letzteren im Seelenleben hingewiesen,III. Dr. J. Sadger (Wien): Über Masturbation.
Redner führt die ungeheuere Verbreitung der Masturbation auf drei Haupt-
gründe zurück: 1. die Allgemeinheit und Intensität der Geschlechtsempfindung über-
haupt; 2. ihre besondere Eignung als allzeit parates Ausdrucksmittel für jegliche
Art von Sexualgeniissen und 8. ihre Wirkung als Trost- und Beruhigungsmittel.Die wahre Bedeutung erhalte die Masturbation nicht durch das pheriphere
Tun, sondern durch die begleitenden Gedanken und Vorstellungen (Phantasien). Aus
der Verzweiflung über die Unrealisierbarkeit dieser (Inzest-)Phantasien erklären sich
auch die schweren Depressionszustånde, von denen der masturbatorische Akt oft
gefolgt ist, wie man anderseits der Depression scheinbar durch den peripheren Akt
entrinnen kann, weil einen die Phantasien aus der unbefriedigenden Gegenwart in
die lustvollste Kindheitszeit zurückführen. Die letzten Bedingungen der Selbst-
befriedigung wurzeln in der Siuglingspflege mit ihren notwendigen Reizungen der
äusseren Genitalien durch die Pflegepersonen. Ob man dem Kind die Masturbation
abgewöhnen kann, hängt von seiner Konstitution und den Fähigkeiten der Eltern
ab; das Kind gibt diese Lustquelle nur aus Liebe zu jemand auf. Die Abgewóhnungs-
mittel, die nur auf das Exekutive gerichtet sind, müssen unwirksam bleiben; nur
durch Fingehen auf die begleitenden Phantasien ist eine therapeutische Wirkung
möglich. Jede habituelle Masturbation hat zwangsartigen Charakter, ist die ein-
fachste Form einer Zwangshandlung.IV. Dr. Karl Abraham (Berlin): Die psychosexuelle Grundlage
der Depressions- und Exaltationszustinde.In fünf analysierten Fällen konnte Redner die Ähnlichkeit im Aufbau der
Depressionszustände und der Zwangsneurose konstatieren. In allen Fällen nahm
die Depression ihren Ausgang von einer die Liebe paralysierenden Hasseinstellung
und auch die Unfähigkeit, sich für die hetero- oder homosexuelle Einstellung zu
entscheiden, fand sich regelmässig. Ferner zeigte sich der Anteil des Projektions-S.
102 Aus Vereinen und Versammlungen.
mechanismus bei manischen Patienten. Der Gedanke: ich kann die Menschen nicht
lieben, ich muss sie hassen, wird verdrängt und nach aussen projiziert in der Form:
die Menschen können mich nicht lieben, sie müssen mich hassen und darum bin ich
unglücklich. Damit ist die eigentliche Liebesunfihigkeit beseitigt und wird ver-
mittels einer falschen Verknüpfung auf irgend eine geistige oder körperliche Minder-
wertigkeit geworfen. Von hier aus ergeben sich Einblicke in die Psychogenese der
Rachephantasien (Richard III), aus denen die Schuldgefühle des Patienten stammen,
anderseits ihre wahnhaften Selbstvorwürfe, hinter denen sich der Wunsch verbirgt,
ein Verbrecher grossen Stils zu sein. Auch auf das masochistische Geniessen des
Depressionszustandes wird hingewiesen, der so einen versteckten Lustgewinn liefert.Manisches und depressives Stadium stehen unter der Herrschaft der gleichen
Komplexe. Die Manie bricht aus, wenn die Verdrängung nicht mehr Stand hält
und ihre Lustgefühle stammen aus der frei werdenden Hemmungsersparnis. Die
Ideenflucht ermöglicht das Hineingelangen in einen anderen Instvollen Vorstel-
lungskreis.V. Dr. S. Ferenczi (Budapest): Einige Gesichtspunkte zur Frage
der Homosexualität.Nachdem der Redner kurz zusammengefasst hat, was die Psychoanalyse bis-
her über die Genese der Homosexualität ergeben hat, kommt er zu dem Schluss,
dass weder der Gesichtspunkt der allgemeinen Bisexualitit, noch das frühe hetero-
sexuelle Stadium später homosexuell Gewordener, noch endlich die narzissistische
Einstellung darüber Aufschluss gebe, wie ein Individuum dazu komme, manifest
homosexuell zu bleiben. Man müsse von der echten Inversion, die zweifellos durch
konstitutionelle Momente bedingt sei, eine Objekthomosexualität unterscheiden. Im
Gegensatz zum echt Invertierten, der einen umgekehrten Odipuskomplex entwickelt,
hat der Objekthomosexuelle einen zu starken normalen Odipuskomplex, vor dem er
flüchtet. Diese Homosexuellen suchen nicht die Liebe des Mannes, sondern flüchten
vor der Liebe zur Frau; sie sind nicht Invertierte (Pervers2), sondern Zwangsneu-
rotiker. Die Normalen sind den umgekehrten Weg gegangen; sie haben auf die
Homosexualität ganz verzichtet und sind zu Zwangsheterosexuellen geworden.VI. Dr. H. Körber (Berlin): Uber Sexualablehnung.
An der Hand eines Falles eines 24jährigen Mädchens, das an Anorexie und
Dyspepsie litt und seit 2 Jahren verlobt, stets vor der Heirat zurückschreckt, wird
gezeigt, dass die kulturellen Hemmungen und Erlebnisse durchaus nicht hinreichen,
um die Ablehnung genetisch zu deuten. Vielmehr ist es die allzustarke Veranke-
rung im Familienkomplex, welche den später zu bewusster Betätigung drångenden
Sexualtrieb jedesmal an der Schwelle schon abweist. Dabei kann das Uberwiegen
eines Partialtriebes oder der Autoerotismus unterstützend hinzutreten. Die Auf-
hebung der Sexualablehnung auf psychoanalytischem Wege angelt in der Mglich-
keit, die Pat. aus dem Familienkomplex zu lösen und in diesem Sinne sind die Ver-
wandtenehen vielleicht als Selbsterlósung von der Sexualablehnung anzusehen. “Die
Sexualablehnung, die sich psychologisch durch ein Steckenbleiben im Familienkom-
plex erklärt, schrumpft als Sexualverdrüngung zu einem Teilproblem der Verdrängung
überhaupt zusammen. Von hier aus erklärt sich auch ihre Weiterwirkung ins Bio-
logische hinein.VII. Dr. Hanns Sachs (Wien): Die Wechselwirkungen zwischen
Psychoanalyse und den Geisteswissenschaften,Die Psychoanalyse tat den ersten Schritt auf dem Gebiete der Geisteswissen-
schaften, als ibre Technik auf die biographischen Mitteilungen und die Werke be-
rühmter Dichter angewendet wurde. Eine engere Beziehung entstand, als sich inS.
Aus Vereinen und Versammlungen. 103
Sitte und Sprache, Brauch und Religion die Bestätigung der durch die Analyse beim
"Träumer und Neurotiker gefundenen Resultate nachweisen liess. Durch systematische
Berücksichtigung des Unbewussten, das bei allen diesen Erscheinungen schöpferisch
tätig war, und durch die Kenntnis seiner Ausdruckstechnik müssen sich auf zahl-
reichen Gebieten, wie Etymologie, Religionswissenschaft, Kunst- und Literatur-
geschichte, Ästhetik, Folklore, Kultur- und Sittengeschichte, Philosophie, wertvolle
Erkenntnisse zu tage fördern lassen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden
einige Probleme aufgezählt, deren Behandlung besonders wünschenswert und Erfolg
versprechend erscheint.Zum Schluss ergeht die Mitteilung, dass zur gründlichen und einheitlichen
Bearbeitung dieser hochwichtigen Wissensgebiete die Gründung einer Zeitschrift ge-
plant ist, deren ausschliessliche Aufgabe die Pflege der Anwendung der Psycho-
analyse auf die Geisteswissenschaften sein soll. Als Redakteure sollen Herr Otto
Rank und der Vortragende fungieren, das Amt des Herausgebers zu übernehmen
hat sich Herr Professor Freud bereit erklärt. (Autor-Referat.)VIIL Prof. Dr. 8. Freud (Wien): Nachtrag zur Analyse Schrebers
(Jahrbuch 111/1).Ein in der Publikation unaufgeklärt gebliebenes Detail der Wahnbildung, das
Schrebers Verhältnis zur Sonne betrifft, wird auf den Vaterkomplex zurückgeführt
und als mythologisch bedeutsam erwiesen. Es handelt sich um Schrebers Be-
hauptung, dass er ungeblendet in die Sonne blicken könne, ein Vorzug, den die
Alten nur einem einzigen Tiere, dem Adler, einräumten, der seine Jungen auf die
Weise einer Probe ihrer echten Abstammung von der Sonue unterzogen haben soll,
dass sie ohne zu blinzeln in die Sonne sehen mussten, Das menschliche Vorbild
dieses Brauches findet sich bei den Kelten, welche die Echtheit der Abstammung
vom Khein erprobten, indem sie ihre Kinder dem Fluss überliessen; und afrikanische
Stämme, welche sich der Abkunft von Schlangen rühmen, setzen ihre Kinder dem
Biss dieser Tiere aus, um so ihre Echtbürtigkeit zu prüfen. Diese Ordalien ruhen
auf einem Gedankengang, der dem Totemismus angehört, und den man so aus-
drücken kann, dass der Totem (der Ahnherr) seinem Abkómmlung nichts tut. Wenn
also der Adler ein Kind der Sonne ist, so muss sich das darin zeigen, dass die Sonne
ihm nichts tut. Schreber hat also einfach mit seiner Behauptung, ungeblendet in
die Sonne blicken zu können, den mythologischen Ausdruck für sein Kinderverhält-
nis zur Sonne wieder gefunden und beståtigt uns so, dass die Sonne nur ein Sym-
bol des Vaters ist.Es erweist hier Jung's Satz seine volle Berechtigung, dass die mythen-
bildende Kraft der Menschheit nicht erloschen ist und sich unter den Bedingungen
der Neurose wieder geltend macht. Aber auch die religionsbildenden Kräfte der
Menschheit sind nicht erloschen und kommen bei den Neurotikern, insbesondere bei
den Zwangskranken, immer wieder zum Vorschein (vel. Zwangshandlungen und
Religionsiibung, Kleine Schriften IL). Hier wäre eine Ankniipfung an das uralte
System des Totemismus gegeben. Wir finden also in Traum und Neurose nicht
nur das Kind mit seinen Impulsen weiterlebend, sondern auch — nach dem biogeneti-
schen Grundgesetz — den wilden und den primitiven Menschen.IX. Dozent Dr. C. G. Jung (Zürich): Beiträge zur Symbolik.
Ausgehend von dem Gegensatz, in welchem die hysterischen Phantasien zu
denen der Dementia praecox stehen, wird darauf hingewiesen, dass zum Verständnis
der letzteren historische Parallelen herangezogen werden miissen, da bei der Dementia
praecox der Kranke an Reminiszenzen der Menschheit leide. Seine Sprache benützeS.
104 Aus Vereinen und Versammlungen,
im Gegensatz zur Hysterie alte und allgemeingiiltige Bilder, die uns merkwiirdiger-
weise zunächst doch unverständlich seien.An dem Fall einer 34jährigen Neurotica wird nun gezeigt, wie eine rezente
Phantasie durch historisches Material belegt und verständlich gemacht werden kann.
Die Phantasie der Pat., die das Aufhängen eines ihr unerreichbaren geliebten Mannes
an den Geschlechtsteilen zum Inhalt hatte, und die sich auch bei einem 9jährigen
Knaben als symbolischer Ausdruck seiner unbefriedigten Libido (Hangen und Bangen
in schwebender Pein) fand, ergibt mit entsprechenden ethnologischen Überlieferungen
und mytholugischen Parallelen von dem durch Hängen oder Schinden geopferten
Frühlingsgott zusammengehalten den Sinn einer Opferung der Sexualität, an der
man hängt, von der man nicht loskommen kann und die in den alten Kulten als
Phallusopfer der grossen Mutter dargebracht wurde,X. Otto Rank (Wien): Über das Motiv der Nacktheit in Dichtung
und Sage.Es werden einige in Dichtung und Sage typisch wiederkehrende Verdrängungs-
formen des Nacktheitsmotives aufgezeigt, die entsprechend der ihnen zugrunde
liegenden Perversionsneigung der Exhibition in zwei Gruppen zeifallen. 1. Als Ver-
drüngungsform der Schaulust erscheint subjektiv das Motiv der Blendung
(Godiva), objektiv das Motiv der Unsichtbarkeit (Melusine) als Strafe fir den
Yerponten Anblick der Nacktheit. Auf den Schaulustigen übertragen wird das Motiv
der Unsichtbarkeit anderseits zur Wunschphantasie, welche wieder der Befriedigung
der Schaulust dient (Gyges). 2. Als Verdringungsform der eigentlichen Exhibitions-
neigung, der Zeigelust, erscheint das Motiv der Hemmun g (Nacktheitstråume),
objektivier& als Fesselung, welche die schamhafte Flucht vereitelt und endlich das
Motiv der kórperlichen Entstellung, welche den ursprünglich lustvollen Anblick
des entblóssten Körpers abscheuerregend macht.XL Dr. Poul Bjerre (Stockholm): Zur Radikalbehandlung der
chronischen Paranoia.Eine unverheiratete Frau von 53 Jahren suchte mich Mitte Dezember 1909
wegen einer Struma auf. Es kam an den Tag, dass sie seit zehn Jahren einer
Verschwörung ausgesetzt war, die von einem Frauenbund in Stockholm geleitet
wurde, und die über ganz Europa verbreitet war. Dieses unerschütterlich fest orga-
nisierte Wahnsystem wurde aufgelöst, Eine vollständige Heilung mit Krankheits-
einsicht trat im Frühjahr 1910 durch die Blosslegung einiger Identifizierungsprozesse
ein und besteht noch ohne jede Spur von Rückfall. — Die theoretische Diskussion
setzt die Bedeutung einer Reihe von Mechanismen auseinander, Die Krankheit trat
durch den Untergang einer 20 jährigen Sublimation ein und der Wahn wurde einige
Jabre spüter als eine Art Heilungsversuch aufgebaut. (Autoref.)XII. Dr. J. Nelken (Zürich): Über Phantasien bei Dementia praecox.
Redner berichtet über seine Untersuchungen der Phantasien eines Dementia
praecox-Kranken und hebt als zentrale Phantasie den Inzestgedanken hervor, ob-
wohl die Geschichte des Pat. die ganze Mythologie enthält. Er kommt zu dem
Ergebnis, dass die Schizophrenen an Inzestphantasien in wenig verhüllter Form
leiden und weist darauf hin, wie in diesen Füllen die individuellen Inzestphantasien
in den Tnzestphantasien der ganzen Menschheit zerfliessen. Pat. projiziert den Kern-
komplex auf das ganze Universum und gebraucht dazu die uralte symbolische Bilder-
sprache. Seine Geschichte spiegelt den circulus vitiosus des Libidoproblems wieder.S.
Varia. 105
Dr. C. G. Jung: Bericht über das Vereinsjahr.
Geschåftliche Beratungen,
1. Es wird beschlossen, das bisher jeden zweiten Monat erschienene ,Korre-
spondenzblatt der Internationalen psychoanalytischen Vereinigung“ aufgehen zu
lassen in dem „Zentralblatt für Psychoanalyse“, das nunmehr den Mitgliedern der
„Internationalen psychoanalytischen Vereinigung“ als offizielles Vereinsorgan zugeht.2. Die panamerikanische „General-Association“, deren Mitglieder über ganz
Amerika verstreut sind und nur einmal jährlich zusammenkommen, wird neben der
bereits bestehenden Ortsgruppe New-York als selbständige „Ortsgruppe“ der „Inter-
nationalen Psa. V.“ angegliedert.3. Der bisherige Präsident der „Internationalen Psa. V.*, Dr. С. ©. Jung in
Zürich und der Zentralsekretär Dr. Franz Riklin (Zürich) werden per Akklamation
wieder gewählt.Varia.
Die Bedeutung der Vokalfolge. Es ist sicherlich oft beanstandet worden,
dass, wie Stekel behauptet, in Träumen und Einlillen Namen, die sich
verberger, durch andere ersetzt werden sollen, welche nur die Vokalfolge
mit ihnen gemein haben. Doch liefert die Religionsgeschichte dazu eine frappante
Analogie. Bei den alten Ilebräern war der Name Gottes „tabu“; er sollle weder
ausgesprochen, noch niedergeschrieben werden; ein keineswegs vereinzelles Beispiel
von der besonderen Bedeutung der Namen in archaischen Kulturen. Dies Verbot
wurde so gul eingehalten, dass die Vokalisation der vier Buchstaben des Gottes-
namens 1177 auch heute unbekannt ist. Der Name wird Jehova h ausgesprochen,
indem man ihm die Vokalzeichen des nicht verbotenen Wortes Adonai (Herr)
verleiht. (S. Reinach, Cultes, Mythes et Religions. T. I, p. 1, 1908.)Freud.
Goethe über einen Fall von Konversion. „Und leider, versetzie der Arzt,
der in Wilhelms Ausrufung nur eine menschenfreundliche Teilnahme zu hören
glaubte, ist diese Dame mit einem noch tieferen Kummer behaftet, der ihr eine
Entfernung von der Welt nicht widerlich macht. Eben dieser junge Mensch nimmt
Abschied von ihr; sie ist nicht vorsichtig genug, eine aufkeimende Neigung zu
verbergen; er wird kühn, schliesst sie in seine Arme und drückt ihr das grosse mit
Brillanten besetzte Porträt ihres Gemahls gewaltsam wider die Brust. Sie empfindet
einen heftigen Schmerz, der nach und nach vergehl, erst eine kleine Rite und
dann keine Spur zurücklässt. Ich bin als Mensch überzeugt, dass sie sich nichts
weiter vorzuwerfen hat; ich bin als Arzt gewiss, dass dieser Druck keine üblen
Folgen haben werde, aber sie lässt sich nicht ausreden; es sei eine Verhårtung
da, und wenn man ihr durch das Gefühl den Wahn benehmen will, so behauptet
sie, nur in diesem Augenblick sei nichts zu fühlen; sie hat sich fest eingebildet,
es werde dieses Übel mit einem Krebsschaden sich endigen, und so ist ihre Jugend,
ihre Liebenswürdigkeit für sie und andere völlig verloren."(Aus: Wilhelm Meisters Lehrjahre) Stekel.
Ein anderes treffendes Wort Goethes. „Es ist eine schauderhafte Emp-
findung, wenn ein edler Mensch mit Bewusstsein auf dem Punkte steht, wo er über
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