S.
[61]
V
DAS VERSPRECHENWenn das gebräuchliche Material unserer Rede in der Mutter-
sprache gegen das Vergessen geschützt erscheint, so unterliegt
dessen Anwendung um so häufiger einer anderen Störung, die
als „Versprechen“ bekannt ist. Das beim normalen Menschen
beobachtete Versprechen macht den Eindruck der Vorstufe für
die unter pathologischen Bedingungen auftretenden sogenannten
„Paraphasien“.Ich befinde mich hier ausnahmsweise in der Lage, eine
Vorarbeit würdigen zu können. Im Jahre 1895 haben Meringer
und C. Mayer eine Studie über „Versprechen und Verlesen“
publiziert, deren Gesichtspunkte fernab von den meinigen liegen.
Der eine der Autoren, der im Texte das Wort führt, ist
nämlich Sprachforscher und ist von linguistischen Interessen zur
Untersuchung veranlaßt worden, den Regeln nachzugehen, nach
denen man sich verspricht. Er hoffte, aus diesen Regeln auf das
Vorhandensein „eines gewissen geistigen Mechanismus“ schließen
zu können, „in welchem die Laute eines Wortes, eines Satzes,
und auch die Worte untereinander in ganz eigentümlicher Weise
verbunden und verknüpft sind“ (S. 10).Die Autoren gruppieren die von ihnen gesammelten Beispiele
des „Versprechens“ zunächst nach rein deskriptiven Gesichts-
punkten als Vertauschungen (z. B. die Milo von VenusS.
62
anstatt Venus von Milo), Vorklänge oder Antizipationen
(z. B. es war mir auf der Schwest . . . auf der Brust so schwer),
Nachklänge, Postpositionen (z. B. „Ich fordere Sie auf,
auf das Wohl unseres Chefs aufzustoßen“ für anzustoßen),
Kontaminationen (z. B. „Er setzt sich auf den Hinterkopf“
aus: „Er setzt sich einen Kopf auf“ und: „Er stellt sich auf die
Hinterbeine“), Substitutionen (z. B. „Ich gebe die Präparate
in den Briefkasten“ statt Brütkasten), zu welchen Hauptkategorien
noch einige minder wichtige (oder für unsere Zwecke minder
bedeutsame) hinzugefügt werden. Es macht bei dieser Gruppierung
keinen Unterschied, ob die Umstellung, Entstellung, Ver-
schmelzung usw. einzelne Laute des Wortes, Silben oder ganze
Worte des intendierten Satzes betrifft.Zur Erklärung der beobachteten Arten des Versprechens stellt
Meringer eine verschiedene psychische Wertigkeit der Sprach-
laute auf. Wenn wir den ersten Laut eines Wortes, das erste
Wort eines Satzes innervieren, wendet sich der Erregungsvorgang
bereits den späteren Lauten, den folgenden Worten, zu, und soweit
diese Innervationen miteinander gleichzeitig sind, können sie
einander abändernd beeinflussen. Die Erregung des psychisch
intensiveren Lautes klingt vor oder hallt nach und stört so den
minderwertigen Innervationsvorgang. Es handelt sich nun darum
zu bestimmen, welche die höchstwertigen Laute eines Wortes
sind. Meringer meint: „Wenn man wissen will, welchem Laute
eines Wortes die höchste Intensität zukommt, so beobachte man
sich beim Suchen nach einem vergessenen Wort, z. B. einen
Namen. Was zuerst wieder ins Bewußtsein kommt, hatte jeden-
falls die größte Intensität vor dem Vergessen (S. 160). Die hoch-
wertigen Laute sind also der Anlaut der Wurzelsilbe und der
Wortanlaut und der oder die betonten Vokale“ (S. 162).Ich kann nicht umhin, hier einen Widerspruch zu erheben.
Ob der Anlaut des Namens zu den höchstwertigen Elementen
des Wortes gehöre oder nicht, es ist gewiß nicht richtig, daßS.
63
er im Falle des Wortvergessens zuerst wieder ins Bewußtsein
tritt; die obige Regel ist also unbrauchbar. Wenn man sich
bei der Suche nach einem vergessenen Namen beobachtet, so
wird man verhältnismäßig häufig die Überzeugung äußern
müssen, er fange mit einem bestimmten Buchstaben an. Diese
Überzeugung erweist sich nun ebenso oft als unbegründet wie
als begründet. Ja, ich möchte behaupten, man proklamiert
in der Mehrzahl der Fälle einen falschen Anlaut. Auch in
unserem Beispiel „Signorelli“ ist bei dem Ersatznamen der
Anlaut und sind die wesentlichen Silben verloren gegangen;
gerade das minderwertige Silbenpaar elli ist im Ersatznamen
Botticelli der Erinnerung wiedergekehrt. Wie wenig die Er-
satznamen den Anlaut des entfallenen Namens respektieren,
mag z. B. folgender Fall lehren:Eines Tages ist es mir unmöglich, den Namen des kleinen
Landes zu erinnern, dessen Hauptort Monte Carlo ist. Die
Ersatznamen für ihn lauten:Piemont, Albanien, Montevideo, Colico.
Für Albanien tritt bald Montenegro ein, und dann fällt
mir auf, daß die Silbe Mont (Mon ausgesprochen) doch allen
Ersatznamen bis auf den letzten zukommt. Es wird mir so
erleichtert, vom Namen des Fürsten Albert aus das vergessene
Monaco aufzufinden. Colico ahmt die Silbenfolge und Rhythmik
des vergessenen Namens ungefähr nach.Wenn man der Vermutung Raum gibt, daß ein ähnlicher
Mechanismus wie der fürs Namenvergessen nachgewiesene auch
an den Erscheinungen des Versprechens Anteil haben könne, so
wird man zu einer tiefer begründeten Beurteilung der Fälle
von Versprechen geführt. Die Störung in der Rede, welche sich
als Versprechen kundgibt, kann erstens verursacht sein durch
den Einfluß eines anderen Bestandteils derselben Rede, also
durch das Vorklingen oder Nachhallen, oder durch eine zweite
Fassung innerhalb des Satzes oder des Zusammenhanges, denS.
64
auszusprechen man intendiert — hieher gehören alle oben
Meringer und Mayer entlehnten Beispiele —: zweitens aber
könnte die Störung analog dem Vorgang im Falle Signorelli
zustande kommen durch Einflüsse außerhalb dieses Wortes,
Satzes oder Zusammenhanges, von Elementen her, die auszu-
sprechen man nicht intendiert und von deren Erregung man
erst durch eben die Störung Kenntnis erhält. In der Gleich-
zeitigkeit der Erregung läge das Gemeinsame, in der Stellung
innerhalb oder außerhalb desselben Satzes oder Zusammenhanges
das Unterscheidende für die beiden Entstehungsarten des Versprechens.
Der Unterschied erscheint zunächst nicht so groß, als er für
gewisse Folgerungen aus der Symptomatologie des Versprechens
in Betracht kommt. Es ist aber klar, daß man nur im ersteren
Falle Aussicht hat, aus den Erscheinungen des Versprechens
Schlüsse auf einen Mechanismus zu ziehen, der Laute und Worte
zur gegenseitigen Beeinflussung ihrer Artikulation miteinander
verknüpft, also Schlüsse, wie sie der Sprachforscher aus dem
Studium des Versprechens zu gewinnen hoffte. Im Falle der
Störung durch Einflüsse außerhalb des nämlichen Satzes oder
Redezusammenhanges würde es sich vor allem darum handeln,
die störenden Elemente kennen zu lernen, und dann entstünde
die Frage, ob auch der Mechanismus dieser Störung die zu
vermutenden Gesetze der Sprachbildung verraten kann.Man darf nicht behaupten, daß Meringer und Mayer die
Möglichkeit der Sprechstörung durch „komplizierte psychische
Einflüsse“, durch Elemente außerhalb desselben Wortes, Satzes
oder derselben Redefolge übersehen haben. Sie mußten ja bemerken,
daß die Theorie der psychischen Ungleichwertigkeit der Laute
streng genommen nur für die Aufklärung der Lautstörungen,
sowie der Vor- und Nachklänge ausreicht. Wo sich die Wort-
störungen nicht auf Lautstörungen reduzieren lassen, z. B. bei
den Substitutionen und Kontaminationen von Worten, haben
auch sie unbedenklich die Ursache des Versprechens außerhalbS.
65
des intendierten Zusammenhanges gesucht und diesen Sachverhalt
durch schöne Beispiele erwiesen. Ich zitiere folgende Stellen:(S. 62.) „Ru. erzählt von Vorgängen, die er in seinem Innern
für ,Schweinereien‘ erklärt. Er sucht aber nach einer milden Form
und beginnt: ‚Dann aber sind Tatsachen zum Vorschwein
gekommen . . .‘ Mayer und ich waren anwesend und Ru.
bestätigte, daß er ‚Schweinereien‘ gedacht hatte. Daß sich dieses
gedachte Wort bei ‚Vorschein‘ verriet und plötzlich wirksam
wurde, findet in der Ähnlichkeit der Wörter seine genügende
Erklärung.“(S. 73.) „Auch bei den Substitutionen spielen wie bei den
Kontaminationen und in wahrscheinlich viel höherem Grade die
‚schwebenden‘ oder ,vagierenden‘ Sprachbilder eine große Rolle.
Sie sind, wenn auch unter der Schwelle des Bewußtseins, so doch
noch in wirksamer Nähe, können leicht durch eine Ähnlichkeit
des zu sprechenden Komplexes herangezogen werden und führen
dann eine Entgleisung herbei oder kreuzen den Zug der Wörter.
Die ‚schwebenden‘ oder ‚vagierenden‘ Sprachbilder sind, wie
gesagt, oft die Nachzügler von kürzlich abgelaufenen Sprach-
prozessen (Nachklänge).“(S. 97.) „Eine Entgleisung ist auch durch Ähnlichkeit möglich,
wenn ein anderes ähnliches Wort nahe unter der Bewußtseins-
schwelle liegt, ohne daß es gesprochen zu werden
bestimmt wäre. Das ist der Fall bei den Substitutionen. —
So hoffe ich, daß man beim Nachprüfen meine Regeln wird
bestätigen müssen. Aber dazu ist notwendig, daß man (wenn ein
anderer spricht) sich Klarheit darüber verschafft, an
was alles der Sprecher gedacht hat1. Hier ein lehr-
reicher Fall. Klassendirektor Li. sagte in unserer Gesellschaft: ‚Die
Frau würde mit Furcht einlagen‘. Ich wurde stutzig, denn das
l schien mir unerklärlich. Ich erlaube mir, den Sprecher auf
seinen Fehler ,einlagen‘ für ‚einjagen‘ aufmerksam zu machen,1) Von mir hervorgehoben.
S.
66
worauf er sofort antwortete: ‚Ja, das kommt daher, weil ich
dachte: ich wäre nicht in der Lage‘ usw.“„Ein anderer Fall. Ich frage R. v. Schid., wie es seinem
kranken Pferd gehe. Er antwortete: ‚Ja, das draut . . . dauert
vielleicht noch einen Monat.‘ Das ‚draut‘ mit einem r war mir
unverständlich, denn das r von ,dauert‘ konnte unmöglich so
gewirkt haben. Ich machte also R. v. S. aufmerksam, worauf er
erklärte, er habe gedacht, ‚das ist eine traurige Geschichte‘.
Der Sprecher hatte also zwei Antworten im Sinne und diese
vermengten sich.“Es ist wohl unverkennbar, wie nahe die Rücksichtnahme auf
die „vagierenden“ Sprachbilder, die unter der Schwelle des
Bewußtseins stehen und nicht zum Gesprochenwerden bestimmt
sind, und die Forderung, sich zu erkundigen, an was der Sprecher
alles gedacht habe, an die Verhältnisse bei unseren „Analysen“
herankommen. Auch wir suchen unbewußtes Material, und zwar
auf dem nämlichen Wege, nur daß wir von den Einfällen des
Befragten bis zur Auffindung des störenden Elements einen längeren
Weg durch eine komplexe Assoziationsreihe zurückzulegen haben.Ich weile noch bei einem anderen interessanten Verhalten, für
das die Beispiele Meringers Zeugnis ablegen. Nach der Einsicht
des Autors selbst ist es irgend eine Ähnlichkeit eines Wortes im
intendierten Satze mit einem anderen nicht intendierten, welche
dem letzteren gestattet, sich durch die Verursachung einer
Entstellung, Mischbildung, Kompromißbildung (Kontamination) im
Bewußtsein zur Geltung zu bringen:lagen, dauert, Vorschein.
jagen, traurig, ...schwein.Nun habe ich in meiner Schrift über die „Traumdeutung“1
dargetan, welchen Anteil die Verdichtungsarbeit an der
Entstehung des sogenannten manifesten Trauminhalts aus den1) Die Traumdeutung. Leipzig und Wien 1900, 7. Aufl. 1922.
S.
67
latenten Traumgedanken hat. Irgend eine Ähnlichkeit der Dinge
oder der Wortvorstellungen zwischen zwei Elementen des
unbewußten Materials wird da zum Anlaß genommen, um ein
Drittes, eine Misch- oder Kompromißvorstellung zu schaffen,
welche im Trauminhalt ihre beiden Komponenten vertritt, und
die infolge dieses Ursprungs so häufig mit widersprechenden
Einzelbestimmungen ausgestattet ist. Die Bildung von Substitutionen
und Kontaminationen beim Versprechen ist somit ein Beginn
jener Verdichtungsarbeit, die wir in eifrigster Tätigkeit am Aufbau
des Traumes beteiligt finden.In einem kleinen, für weitere Kreise bestimmten Aufsatz („Neue
Freie Presse“ vom 23. August 1900: „Wie man sich versprechen
kann“) hat Meringer eine besondere praktische Bedeutung für
gewisse Fälle von Wortvertauschungen in Anspruch genommen,
für solche nämlich, in denen man ein Wort durch sein Gegenteil
dem Sinne nach ersetzt. „Man erinnert sich wohl noch der Art,
wie vor einiger Zeit der Präsident des österreichischen Abgeordneten-
hauses die Sitzung eröffnete: ‚Hohes Haus! Ich konstatiere die
Anwesenheit von soundsoviel Herren und erkläre somit die Sitzung
für geschlossen!‘ Die allgemeine Heiterkeit machte ihn erst
aufmerksam und er verbesserte den Fehler. Im vorliegenden Falle
wird die Erklärung wohl diese sein, daß der Präsident sich
wünschte, er wäre schon in der Lage, die Sitzung, von der
wenig Gutes zu erwarten stand, zu schließen, aber — eine
häufige Erscheinung — der Nebengedanke setzte sich wenigstens
teilweise durch und das Resultat war ,geschlossen‘ für ,eröffnet‘,
also das Gegenteil dessen, was zu sprechen beabsichtigt war. Aber
vielfältige Beobachtung hat mich belehrt, daß man gegensätzliche
Worte überhaupt sehr häufig miteinander vertauscht; sie sind
eben schon in unserem Sprachbewußtsein assoziiert, liegen hart
nebeneinander und werden leicht irrtümlich aufgerufen.“Nicht in allen Fällen von Gegensatzvertauschung wird es so
leicht, wie hier im Beispiel des Präsidenten, wahrscheinlich zuS.
68
machen, daß das Versprechen infolge eines Widerspruchs geschieht,
der sich im Innern des Redners gegen den geäußerten Satz
erhebt. Wir haben den analogen Mechanismus in der Analyse
des Beispiels aliquis gefunden; dort äußerte sich der innere Wider-
spruch im Vergessen eines Wortes anstatt in seiner Ersetzung
durch das Gegenteil. Wir wollen aber zur Ausgleichung des
Unterschiedes bemerken, daß das Wörtchen aliquis eines ähnlichen
Gegensatzes, wie ihn „schließen“ und „eröffnen“ ergeben, eigentlich
nicht fähig ist, und daß „eröffnen“ als gebräuchlicher Bestandteil
des Redeschatzes dem Vergessen nicht unterworfen sein kann.Zeigen uns die letzten Beispiele von Meringer und Mayer,
daß die Sprechstörung ebensowohl durch einen Einfluß vor- und
nachklingender Laute und Worte desselben Satzes entstehen kann,
die zum Ausgesprochenwerden bestimmt sind, wie durch die
Einwirkung von Worten außerhalb des intendierten Satzes, deren
Erregung sich sonst nicht verraten hätte, so werden
wir zunächst erfahren wollen, ob man die beiden Klassen von
Versprechen scharf sondern und wie man ein Beispiel der einen
von einem Falle der anderen Klasse unterscheiden kann. An dieser
Stelle der Erörterung muß man aber der Äußerungen Wundts
gedenken, der in seiner umfassenden Bearbeitung der Entwicklungs-
gesetze der Sprache (Völkerpsychologie, 1. Band, 1. Teil, S. 371 u. ff.,
1900) auch die Erscheinungen des Versprechens behandelt. Was
bei diesen Erscheinungen und anderen, ihnen verwandten niemals
fehlt, das sind nach Wundt gewisse psychische Einflüsse. „Dahin
gehört zunächst als positive Bedingung der ungehemmte Fluß
der von den gesprochenen Lauten angeregten Laut- und Wort-
assoziationen. Ihm tritt der Wegfall oder der Nachlaß der
diesen Lauf hemmenden Wirkungen des Willens und der auch
hier als Willensfunktion sich betätigenden Aufmerksamkeit als
negatives Moment zur Seite. Ob jenes Spiel der Assoziation darin
sich äußert, daß ein kommender Laut antizipiert oder die voraus-
gegangenen reproduziert, oder ein gewohnheitsmäßig eingeübterS.
69
zwischen andere eingeschaltet wird, oder endlich darin, daß ganz
andere Worte, die mit den gesprochenen Lauten in assoziativer
Beziehung stehen, auf diese herüberwirken — alles dies bezeichnet
nur Unterschiede in der Richtung und allenfalls in dem Spiel-
raum der stattfindenden Assoziationen, nicht in der allgemeinen
Natur derselben. Auch kann es in manchen Fällen zweifelhaft
sein, welcher Form man eine bestimmte Störung zuzurechnen,
oder ob man sie nicht mit größerem Rechte nach dem
Prinzip der Komplikation der Ursache1auf ein
Zusammentreffen mehrerer Motive zurückzuführen habe.“ (S. 380
und 381.)Ich halte diese Bemerkungen Wundts für vollberechtigt und
sehr instruktiv. Vielleicht könnte man mit größerer Entschieden-
heit als Wundt betonen, daß das positiv begünstigende Moment
der Sprechfehler — der ungehemmte Fluß der Assoziationen —
und das negative — der Nachlaß der hemmenden Aufmerksam-
keit — regelmäßig miteinander zur Wirkung gelangen, so daß
beide Momente nur zu verschiedenen Bestimmungen des nämlichen
Vorganges werden. Mit dem Nachlaß der hemmenden Aufmerk-
samkeit tritt eben der ungehemmte Fluß der Assoziationen in
Tätigkeit; noch unzweifelhafter ausgedrückt: durch diesen
Nachlaß.Unter den Beispielen von Versprechen, die ich selbst gesammelt,
finde ich kaum eines, bei dem ich die Sprechstörung einzig und
allein auf das, was Wundt „Kontaktwirkung der Laute“ nennt,
zurückführen müßte. Fast regelmäßig entdecke ich überdies einen
störenden Einfluß von etwas außerhalb der intendierten Rede,
und das Störende ist entweder ein einzelner, unbewußt gebliebener
Gedanke, der sich durch das Versprechen kundgibt und oft erst
durch eingehende Analyse zum Bewußtsein gefördert werden
kann, oder es ist ein allgemeineres psychisches Motiv, welches
sich gegen die ganze Rede richtet.1) Von mir hervorgehoben.
S.
70
1) Ich will gegen meine Tochter, die beim Einbeißen in einen
Apfel ein garstiges Gesicht geschnitten hat, zitieren:Der Affe gar possierlich ist,
Zumal wenn er vom Apfel frißt.Ich beginne aber: Der Apfe . . . Dies scheint eine Kontamination
von „Affe“ und „Apfel“ (Kompromißbildung) oder kann auch
als Antizipation des vorbereiteten „Apfel“ aufgefaßt werden. Der
genauere Sachverhalt ist aber der: Ich hatte das Zitat schon
einmal begonnen und mich das erstemal dabei nicht versprochen.
Ich versprach mich erst bei der Wiederholung, die sich als
notwendig ergab, weil die Angesprochene, von anderer Seite mit
Beschlag belegt, nicht zuhörte. Diese Wiederholung, die mit ihr
verbundene Ungeduld, des Satzes ledig zu werden, muß ich in
die Motivierung des Sprechfehlers, der sich als eine Verdichtungs-
leistung darstellt, mit einrechnen.2) Meine Tochter sagt: Ich schreibe der Frau Schresinger . . .
Die Frau heißt Schlesinger. Dieser Sprechfehler hängt wohl
mit einer Tendenz zur Erleichterung der Artikulation zusammen,
denn das I ist nach wiederholtem r schwer auszusprechen. Ich
muß aber hinzufügen, daß sich dieses Versprechen bei meiner
Tochter ereignete, nachdem ich ihr wenige Minuten zuvor
„Apfe“ anstatt „Affe“ vorgesagt hatte. Nun ist das Versprechen
in hohem Maße ansteckend, ähnlich wie das Namenvergessen, bei
dem Meringer und Mayer diese Eigentümlichkeit bemerkt
haben. Einen Grund für diese psychische Kontagiosität weiß ich
nicht anzugeben.3) „Ich klappe zusammen wie ein Tassenmescher —
Taschenmesser“, sagt eine Patientin zu Beginn der Behandlungs-
stunde, die Laute vertauschend, wobei ihr wieder die Artikulations-
schwierigkeit („Wiener Weiber Wäscherinnen waschen weiße
Wäsche“ — „Fischflosse“ und ähnliche Prüfworte) zur Entschuldi-
gung dienen kann. Auf den Sprechfehler aufmerksam gemacht,
erwidert sie prompt: „Ja, das ist nur, weil Sie heute ,Ernscht‘S.
71
gesagt haben.“ Ich hatte sie wirklich mit der Rede empfangen:
„Heute wird es also Ernst“ (weil es die letzte Stunde vor dem
Urlaub werden sollte) und hatte das „Ernst“ scherzhaft zu
„Ernscht“ verbreitert. Im Laufe der Stunde verspricht sie sich
immer wieder von neuem, und ich merke endlich, daß sie mich
nicht bloß imitiert, sondern daß sie einen besonderen Grund hat,
im Unbewußten bei dem Worte Ernst als Namen zu verweilen1.4) „Ich bin so verschnupft, ich kann nicht durch die Ase
natmen — Nase atmen“ — passiert derselben Patientin ein
andermal. Sie weiß sofort, wie sie zu diesem Sprechfehler kommt.
„Ich steige jeden Tag in der Hasenauerstraße in die
Tramway, und heute früh ist mir während des Wartens auf den
Wagen eingefallen, wenn ich eine Französin wäre, würde ich
Asenauer aussprechen, denn die Franzosen lassen das H im
Anlaut immer weg.“ Sie bringt dann eine Reihe von Reminis-
zenzen an Franzosen, die sie kennen gelernt hat, und langt nach
weitläufigen Umwegen bei der Erinnerung an, daß sie als vier-
zehnjähriges Mädchen in dem kleinen Stück „Kurmärker und
Picarde“ die Picarde gespielt und damals gebrochen Deutsch
gesprochen hat. Die Zufälligkeit, daß in ihrem Logierhaus ein
Gast aus Paris angekommen ist, hat die ganze Reihe von Erinne-
rungen wachgerufen. Die Lautvertauschung ist also Folge der
Störung durch einen unbewußten Gedanken aus einem ganz
fremden Zusammenhang.5) Ähnlich ist der Mechanismus des Versprechens bei einer
anderen Patientin, die mitten in der Reproduktion einer längst
verschollenen Kindererinnerung von ihrem Gedächtnis verlassen
wird. An welche Körperstelle die vorwitzige und lüsterne Hand1) Sie stand nämlich, wie sich zeigte, unter dem Einfluß von unbewußten
Gedanken über Schwangerschaft und Kinderverhütung. Mit den Worten: „zusammen-
geklappt wie ein Taschenmesser“, welche sie bewußt als Klage vorbrachte, wollte sie
die Haltung des Kindes im Mutterleibe beschreiben. Das Wort „Ernst“ in meiner
Anrede hatte sie an den Namen (S. Ernst) einer bekannten Wiener Firma in der
Kärntnerstraße gemahnt, welche sich als Verkaufsstätte von Schutzmitteln gegen die
Konzeption zu annoncieren pflegt.S.
72
des anderen gegriffen hat, will ihr das Gedächtnis nicht mitteilen.
Sie macht unmittelbar darauf einen Besuch bei einer Freundin
und unterhält sich mit ihr über Sommerwohnungen. Gefragt, wo
denn ihr Häuschen in M. gelegen sei, antwortet sie: an der
Berglende anstatt Berglehne.6) Eine andere Patientin, die ich nach Abbruch der Stunde
frage, wie es ihrem Onkel geht, antwortet: „Ich weiß nicht, ich
sehe ihn jetzt nur in flagranti.“ Am nächsten Tage beginnt
sie: „Ich habe mich recht geschämt, Ihnen eine so dumme
Antwort gegeben zu haben. Sie müssen mich natürlich für eine
ganz ungebildete Person halten, die beständig Fremdwörter
verwechselt. Ich wollte sagen: en passant. Wir wußten
damals noch nicht, woher sie die unrichtig angewendeten Fremd-
wörter genommen hatte. In derselben Sitzung aber brachte sie
als Fortsetzung des vortägigen Themas eine Reminiszenz, in welcher
das Ertapptwerden in flagranti die Hauptrolle spielte. Der
Sprechfehler am Tage vorher hatte also die damals noch nicht
bewußt gewordene Erinnerung antizipiert.7) Gegen eine andere muß ich an einer gewissen Stelle der
Analyse die Vermutung aussprechen, daß sie sich zu der Zeit,
von welcher wir eben handeln, ihrer Familie geschämt und ihrem
Vater einen uns noch unbekannten Vorwurf gemacht habe. Sie
erinnert sich nicht daran, erklärt es übrigens für unwahrschein-
lich. Sie setzt aber das Gespräch mit Bemerkungen über ihre
Familie fort: „Man muß ihnen das eine lassen: Es sind doch
besondere Menschen, sie haben alle Geiz — ich wollte sagen
Geist.“ Das war auch denn wirklich der Vorwurf, den sie aus
ihrem Gedächtnis verdrängt hatte. Daß sich in dem Versprechen
gerade jene Idee durchdrängt, die man zurückhalten will, ist ein
häufiges Vorkommnis (vgl. den Fall von Meringer: zum
Vorschwein gekommen). Der Unterschied liegt nur darin, daß die
Person bei Meringer etwas zurückhalten will, was ihr bewußt
ist, während meine Patientin das Zurückgehaltene nicht weiß,S.
73
oder wie man auch sagen kann, nicht weiß, daß sie etwas, und
was sie zurückhält.8) Auf absichtliche Zurückhaltung geht auch das nachstehende
Beispiel von Versprechen zurück. Ich treffe einmal in den Dolo-
miten mit zwei Damen zusammen, die als Touristinnen verkleidet
sind. Ich begleite sie ein Stück weit, und wir besprechen die
Genüsse, aber auch die Beschwerden der touristischen Lebens-
weise. Die eine der Damen gibt zu, daß diese Art, den Tag zu
verbringen, manches Unbequeme hat. „Es ist wahr,“ sagt sie,
„daß es gar nicht angenehm ist, wenn man so in der Sonne den
ganzen Tag marschiert hat und Bluse und Hemd ganz durch-
geschwitzt sind.“ In diesem Satze hat sie einmal eine kleine
Stockung zu überwinden. Dann setzt sie fort: „Wenn man aber
dann nach Hose kommt und sich umkleiden kann . . .“ Ich
meine, es bedurfte keines Examens, um dieses Versprechen
aufzuklären. Die Dame hatte offenbar die Absicht gehabt, die
Aufzählung vollständiger zu halten und zu sagen: Bluse, Hemd
und Hose. Dies dritte Wäschestück zu nennen, unterdrückte sie
dann aus Gründen der Wohlanständigkeit. Aber im nächsten,
inhaltlich unabhängigen Satz setzte sich das unterdrückte Wort
als Verunstaltung des ähnlichen Wortes „nach Hause“ wider
ihren Willen durch.9) „Wenn Sie Teppiche kaufen wollen, so gehen Sie nur zu
Kaufmann in der Matthäusgasse. Ich glaube, ich kann Sie dort
auch empfehlen,“ sagt mir eine Dame. Ich wiederhole: „Also
bei Matthäus . . . bei Kaufmann will ich sagen.“ Es sieht
aus wie Folge von Zerstreutheit, wenn ich den einen Namen an
Stelle des anderen wiederhole. Die Rede der Dame hat mich
auch wirklich zerstreut gemacht, denn sie hat meine Aufmerk-
samkeit auf anderes gelenkt, was mir weit wichtiger ist als
Teppiche. In der Matthäusgasse steht nämlich das Haus, in dem
meine Frau als Braut gewohnt hatte. Der Eingang des Hauses
war in einer anderen Gase, und nun merke ich, daß ich derenS.
74
Namen vergessen habe und ihn mir erst auf einem Umweg
bewußt machen muß. Der Name Matthäus, bei dem ich verweile,
ist mir also ein Ersatzname für den vergessenen Namen der
Straße. Er eignet sich besser dazu als der Name Kaufmann, denn
Matthäus ist ausschließlich ein Personenname, was Kaufmann
nicht ist, und die vergessene Straße heißt auch nach einem
Personennamen: Radetzky.10) Folgenden Fall könnte ich ebensogut bei den später zu
besprechenden „Irrtümern“ unterbringen, führe ihn aber hier an,
weil die Lautbeziehungen, auf Grund deren die Wortersetzung
erfolgt, ganz besonders deutlich sind. Eine Patientin erzählt mir
ihren Traum: Ein Kind hat beschlossen, sich durch einen Schlangen-
biß zu töten. Es führt den Beschluß aus. Sie sieht zu, wie es
sich in Krämpfen windet usw. Sie soll nun die Tagesanknüpfung
für diesen Traum finden. Sie erinnert sofort, daß sie gestern
abends eine populäre Vorlesung über erste Hilfe bei Schlangen-
bissen mitangehört hat. Wenn ein Erwachsener und ein Kind
gleichzeitig gebissen worden sind, so soll man zuerst die Wunde
des Kindes behandeln. Sie erinnert auch, welche Vorschriften für
die Behandlung der Vortragende gegeben hat. Es käme sehr viel
darauf an, hatte er auch geäußert, von welcher Art man gebissen
worden ist. Hier unterbreche ich sie und frage: Hat er denn
nicht gesagt, daß wir nur sehr wenige giftige Arten in unserer
Gegend haben, und welche die gefürchteten sind? „Ja, er hat die
Klapperschlange hervorgehoben.“ Mein Lachen macht sie dann
aufmerksam, daß sie etwas Unrichtiges gesagt hat. Sie korrigiert
jetzt aber nicht etwa den Namen, sondern sie nimmt ihre Aussage
zurück. „Ja so, die kommt ja bei uns nicht vor, er hat von der
Viper gesprochen. Wie gerate ich nur auf die Klapperschlange?“
Ich vermutete, durch die Einmengung der Gedanken, die sich
hinter ihrem Traum verborgen hatten. Der Selbstmord durch
Schlangenbiß kann kaum etwas anderes sein, als eine Anspielung
auf die schöne Kleopatra. Die weitgehende Lautähnlichkeit derS.
75
beiden Worte, die Übereinstimmung in den Buchstaben Kl . . p . . r
in der nämlichen Reihenfolge und in dem betonten a sind nicht
zu verkennen. Die gute Beziehung zwischen den Namen Klapper-
schlange und Kleopatra erzeugt bei ihr eine momentane
Einschränkung des Urteils, derzufolge sie in der Behauptung, der
Vortragende habe sein Publikum in Wien in der Behandlung
von Klapperschlangenbissen unterwiesen, keinen Anstoß nimmt.
Sie weiß sonst so gut wie ich, daß diese Schlange nicht zur
Fauna unserer Heimat gehört. Wir wollen es ihr nicht verübeln,
daß sie an die Versetzung der Klapperschlange nach Ägypten
ebensowenig Bedenken knüpfte, denn wir sind gewohnt, alles
Außereuropäische, Exotische zusammenzuwerfen, und ich selbst
mußte mich einen Moment besinnen, ehe ich die Behaup-
tung aufstellte, daß die Klapperschlange nur der neuen Welt
angehört.Weitere Bestätigungen ergeben sich bei Fortsetzung der
Analyse. Die Träumerin hat gestern zum erstenmal die in der
Nähe ihrer Wohnung aufgestellte Antoniusgruppe von Straßer
besichtigt. Dies war also der zweite Traumanlaß (der erste der
Vortrag über Schlangenbisse). In der Fortsetzung ihres Traumes
wiegte sie ein Kind in ihren Armen, zu welcher Szene ihr das
Gretchen einfällt. Weitere Einfälle bringen Reminiszenzen an
„Arria und Messalina“. Das Auftauchen so vieler Namen
von Theaterstücken in den Traumgedanken läßt bereits vermuten,
daß bei der Träumerin in früheren Jahren eine geheimgehaltene
Schwärmerei für den Beruf der Schauspielerin bestand. Der Anfang
des Traumes: „Ein Kind hat beschlossen, sein Leben durch einen
Schlangenbiß zu enden“, bedeutet wirklich nichts anderes als:
Sie hat sich als Kind vorgenommen, einmal eine berühmte
Schauspielerin zu werden. Von dem Namen Messalina zweigt
endlich der Gedankenweg ab, der zu dem wesentlichen Inhalt
dieses Traumes führt. Gewisse Vorfälle der letzten Zeit haben in
ihr die Besorgnis erweckt, daß ihr einziger Bruder eine nichtS.
76
standesgemäße Ehe mit einer Nicht-Arierin, eine Mésalliance
eingehen könnte.11) Ein völlig harmloses oder vielleicht uns nicht genügend
in seinen Motiven aufgeklärtes Beispiel will ich hier wiedergeben,
weil es einen durchsichtigen Mechanismus erkennen läßt:Ein in Italien reisender Deutscher bedarf eines Riemens, um
seinen schadhaft gewordenen Koffer zu umschnüren. Das Wörter-
buch liefert ihm für Riemen das italienische Wort coreggia.
Dieses Wort werde ich mir leicht merken, meint er, indem ich
an den Maler (Correggio) denke. Er geht dann in einen
Laden und verlangt: una ribera.Es war ihm anscheinend nicht gelungen, das deutsche Wort
in seinem Gedächtnis durch das italienische zu ersetzen, aber
seine Bemühung war doch nicht gänzlich ohne Erfolg geblieben.
Er wußte, daß er sich an den Namen eines Malers halten müsse,
und so geriet er nicht auf jenen Malernamen, der an das
italienische Wort anklingt, sondern an einen anderen, der sich
dem deutschen Worte Riemen annähert. Ich hätte dieses Beispiel
natürlich ebensowohl beim Namenvergessen wie hier beim
Versprechen unterbringen können.Als ich Erfahrungen von Versprechen für die erste Auflage
dieser Schrift sammelte, ging ich so vor, daß ich alle Fälle, die
ich beobachten konnte, darunter also auch die minder eindrucks-
vollen, der Analyse unterzog. Seither haben manche andere sich
der amüsanten Mühe, Versprechen zu sammeln und zu analysieren,
unterzogen und mich so in den Stand gesetzt, Auswahl aus einem
reicheren Material zu schöpfen.12) Ein junger Mann sagt zu seiner Schwester: Mit den D.
bin ich jetzt ganz zerfallen, ich grüße sie nicht mehr. Sie antwortet:
Überhaupt eine saubere Lippschaft. Sie wollte sagen: Sipp-
schaft, aber sie drängte noch zweierlei in dem Sprechirrtum
zusammen, daß ihr Bruder einst selbst mit der Tochter dieser
Familie einen Flirt begonnen hatte, und daß es von dieser hieß,S.
77
sie habe sich in letzter Zeit in eine ernsthafte unerlaubte Lieb-
schaft eingelassen.13) Ein junger Mann spricht eine Dame auf der Straße mit
den Worten an: „Wenn Sie gestatten, mein Fräulein, möchte ich
Sie begleit-digen.“ Er dachte offenbar, er möchte sie gern
begleiten, fürchtete aber, sie mit dem Antrag zu beleidigen.
Daß diese beiden einander widerstreitenden Gefühlsregungen in
einem Worte — eben dem Versprechen — Ausdruck fanden,
weist darauf hin, daß die eigentlichen Absichten des jungen Mannes
jedenfalls nicht die lautersten waren und ihm dieser Dame
gegenüber selbst beleidigend erscheinen mußten. Während er aber
gerade dies vor ihr zu verbergen sucht, spielt ihm das Unbewußte
den Streich, seine eigentliche Absicht zu verraten, wodurch
er aber andererseits der Dame gleichsam die konventionelle
Antwort: „Ja, was glauben Sie denn von mir, wie können
Sie mich denn so beleidigen“ vorwegnimmt. (Mitgeteilt von
O. Rank.)Eine Anzahl von Beispielen entnehme ich einem Aufsatz von
W. Stekel aus dem „Berliner Tageblatt“ vom 4. Jänner 1904,
betitelt „Unbewußte Geständnisse“.14) „Ein unangenehmes Stück meiner unbewußten Gedanken
enthüllt das folgende Beispiel. Ich schicke voraus, daß ich in
meiner Eigenschaft als Arzt niemals auf meinen Erwerb bedacht
bin und immer nur das Interesse des Kranken im Auge habe,
was ja eine selbstverständliche Sache ist. Ich befinde mich bei
einer Kranken, der ich nach schwerer Krankheit in einem
Rekonvaleszentenstadium meinen ärztlichen Beistand leiste. Wir
haben schwere Tage und Nächte mitgemacht. Ich bin glücklich,
sie besser zu finden, male ihr die Wonnen eines Aufenthaltes in
Abbazia aus und gebrauche dabei den Nachsatz: ‚wenn Sie, was
ich hoffe, das Bett bald nicht verlassen werden —‘. Offenbar
entsprang das einem egoistischen Motiv des Unbewußten, diese
wohlhabende Kranke noch länger behandeln zu dürfen, einemS.
78
Wunsche, der meinem wachen Bewußtsein vollkommen fremd ist
und den ich mit Entrüstung zurückweisen würde.“15) Ein anderes Beispiel (W. Stekel). „Meine Frau nimmt
eine Französin für die Nachmittage auf und will, nachdem man
sich über die Bedingungen geeinigt hatte, ihre Zeugnisse zurück-
behalten. Die Französin bittet, sie behalten zu dürfen, mit der
Motivierung: Je cherche encore pour les après-midis, pardon, pour
les avant-midis. Offenbar hatte sie die Absicht, sich noch ander-
weitig umzusehen und vielleicht bessere Bedingungen zu erhalten
— eine Absicht, die sie auch ausgeführt hat.“16) (Dr. Stekel:) „Ich soll einer Frau die Leviten lesen, und
ihr Mann, auf dessen Bitte das geschieht, steht lauschend hinter
der Tür. Am Ende meiner Predigt, die einen sichtlichen Eindruck
gemacht hatte, sagte ich: ‚Küss’ die Hand, gnädiger Herr!‘ Dem
Kundigen hatte ich damit verraten, daß die Worte an die
Adresse des Herrn gerichtet waren, daß ich sie um seinetwillen
gesprochen hatte.“17) Dr. Stekel berichtet von sich selbst, daß er zu einer
Zeit zwei Patienten aus Triest in Behandlung gehabt habe, die
er immer verkehrt zu begrüßen pflegte. „Guten Morgen, Herr Peloni,“
sagte ich zu Askoli, — „Guten Morgen, Herr Askoli,“ zu Peloni. Er war
anfangs geneigt, dieser Verwechslung keine tiefere Motivierung zu-
zuschreiben, sondern sie durch die mehrfachen Gemeinsamkeiten der
beiden Herren zu erklären. Er ließ sich aber leicht überzeugen, daß die
Namenvertauschung hier einer Art Prahlerei entsprach, indem er
durch sie jeden seiner italienischen Patienten wissen lassen konnte,
er sei nicht der einzige Triestiner, der nach Wien gekommen
sei, um seinen ärztlichen Rat zu suchen.18) Dr. Stekel selbst in einer stürmischen Generalversammlung:
Wir streiten (schreiten) nun zu Punkt 4 der Tagesordnung.19) Ein Professor in seiner Antrittsvorlesung: „Ich bin nicht
geneigt (geeignet), die Verdienste meines sehr geschätzten
Vorgängers zu schildern.“S.
79
20) Dr. Stekel zu einer Dame, bei welcher er Basedowsche
Krankheit vermutet: „Sie sind um einen Kropf (Kopf) größer
als Ihre Schwester.“21) Dr. Stekel berichtet: Jemand will das Verhältnis zweier
Freunde schildern, von denen einer als Jude charakterisiert werden
soll. Er sagt: Sie lebten zusammen wie Kastor und Pollak.
Das war durchaus kein Witz, der Redner hatte das Versprechen
selbst nicht bemerkt und wurde erst von mir darauf aufmerksam
gemacht.22) Gelegentlich ersetzt ein Versprechen eine ausführliche
Charakteristik. Eine junge Dame, die das Regiment im Hause
führt, erzählt mir von ihrem leidenden Manne, er sei beim Arzt
gewesen, um ihn nach der ihm zuträglichen Diät zu befragen.
Der Arzt habe aber gesagt, darauf käme es nicht an. „Er kann
essen und trinken was ich will.“Die folgenden zwei Beispiele von Th. Reik (Intern. Zeitschr. f.
Psychoanalyse, III, 1915) stammen aus Situationen, in denen sich
Versprechen besonders leicht ereignen, weil in ihnen mehr zurück-
gehalten werden muß, als gesagt werden kann.23) Ein Herr spricht einer jungen Dame, deren Gatte kürzlich
gestorben ist, sein Beileid aus und setzt hinzu: „Sie werden Trost
finden, indem Sie sich völlig ihren Kindern widwen.“ Der unter-
drückte Gedanke wies auf andersartigen Trost hin: eine junge
schöne Witwe wird bald neue Sexualfreuden genießen.24) Derselbe Herr unterhält sich mit derselben Dame in einer
Abendgesellschaft über die großen Vorbereitungen, welche in Berlin
zum Osterfeste getroffen werden, und fragt: „Haben Sie heute die
Auslage bei Wertheim gesehen? Sie ist ganz dekolletiert.“ Er
hatte seiner Bewunderung über die Dekolletage der schönen Frau
nicht laut Ausdruck geben dürfen, und nun setzte sich der verpönte
Gedanke durch, indem er die Dekoration einer Warenauslage in
eine Dekolletage verwandelte, wobei das Wort Auslage unbewußt
doppelsinnig verwendet wurde.S.
80
Dieselbe Bedingung trifft auch für eine Beobachtung zu, über
welche Dr. Hanns Sachs ausführliche Rechenschaft zu geben
versucht:25) „Eine Dame erzählt mir von einem gemeinsamen Bekannten,
er sei, als sie ihn das letztemal sah, so elegant angezogen gewesen
wie immer, besonders habe er hervorragend schöne, braune Halb-
schuhe getragen. Auf meine Frage, wo sie ihn denn getroffen
habe, berichtete sie: ‚Er hat an meiner Haustür geläutet und ich
hab’ ihn durch die heruntergelassenen Rouleaux gesehen. Ich habe
aber weder geöffnet noch sonst ein Lebenszeichen gegeben, denn
ich wollte nicht, daß er es erfährt, daß ich schon in der Stadt
bin.‘ Ich denke mir beim Zuhören, daß sie mir dabei etwas ver-
schweigt, am wahrscheinlichsten wohl, daß sie deswegen nicht
geöffnet habe, weil sie nicht allein und nicht in der Toilette war,
um Besuche zu empfangen, und frage ein wenig ironisch: ‚Also
durch die geschlossenen Jalousien hindurch haben Sie seine Haus-
schuhe — seine Halbschuhe bewundern können?‘ In ,Hausschuhe‘
kommt der von der Äußerung abgehaltene Gedanke an ihr Haus-
kleid zum Ausdruck. Das Wort ‚Halb‘ wurde anderseits wieder
deswegen zu beseitigen versucht, weil gerade in diesem Worte
der Kern der verpönten Antwort: ‚Sie sagen mir nur die halbe
Wahrheit und verschweigen, daß Sie halb angezogen waren‘ ent-
halten ist. Befördert wurde das Versprechen auch dadurch, daß
wir unmittelbar vorher von dem Eheleben des betreffenden Herrn,
von seinem ‚häuslichen Glück‘ gesprochen hatten, was wohl die
Verschiebung auf seine Person mitdeterminierte. Schließlich muß
ich gestehen, daß vielleicht mein Neid mitgewirkt hat, wenn ich
diesen eleganten Herrn in Hausschuhen auf der Straße stehen ließ;
ich selbst habe mir erst vor kurzem braune Halbschuhe gekauft,
die keineswegs mehr ‚hervorragend schön’ sind.“Kriegszeiten wie die gegenwärtigen bringen eine Reihe von
Versprechen hervor, deren Verständnis wenig Schwierigkeiten
macht.S.
81
26) „Bei welcher Waffe befindet sich Ihr Herr Sohn?“ wird
eine Dame gefragt. Sie antwortet: „Bei den 42er Mördern.“27) Leutnant Henrik Haiman schreibt aus dem Felde: „Ich
werde aus der Lektüre eines fesselnden Buches herausgerissen, um
für einen Moment den Aufklärungstelephonisten zu vertreten. Auf
die Leitungsprobe der Geschützstation reagiere ich mit: Kontrolle
richtig, Ruhe. Reglementmäßig sollte es lauten: Kontrolle richtig,
Schluß. Meine Abweichung erklärt sich durch den Ärger über die
Störung im Lesen.“ (Intern. Zeitschr. f. Psychoanalyse, IV, 1916/17.)28) Ein Feldwebel instruiert die Mannschaft‚ ihre Adressen
genau nach Hause anzugeben, damit die Gespeckstücke nicht
verloren gehen.29) Das nachstehende, hervorragend schöne und durch seinen
tieftraurigen Hintergrund bedeutsame Beispiel verdanke ich der
Mitteilung von Dr. L. Czeszer, der während seines Aufenthaltes
in der neutralen Schweiz zu Kriegszeiten diese Beobachtung gemacht
und sie erschöpfend analysiert hat. Ich gebe seine Zuschrift mit
unwesentlichen Auslassungen im folgenden wieder:„Ich gestatte mir, einen Fall von ‚Versprechen‘ mitzuteilen, der
Herrn Professor M. N. in O. bei einem seiner im eben verflossenen
Sommersemester abgehaltenen Vorträge über die Psychologie der
Empfindungen unterlief. Ich muß voraussenden, daß diese Vor-
lesungen in der Aula der Universität unter großem Zudrang der
französischen internierten Kriegsgefangenen und im übrigen der meist
aus entschieden ententefreundlich gesinnten Französisch-Schweizern
bestehenden Studentenschaft gehalten wurden. In O. wird, wie in
Frankreich selbst, das Wort boche jetzt allgemein und ausschließlich
zur Bezeichnung der Deutschen gebraucht. Bei öffentlichen Kund-
gebungen aber, sowie bei Vorlesungen u. dgl. bestreben sich höhere
Beamte, Professoren und sonst verantwortliche Personen, aus Neu-
tralitätsgründen das ominöse Wort zu vermeiden.Professor N. nun war gerade im Zuge, die praktische Bedeutung
der Affekte zu besprechen, und beabsichtigte, ein Beispiel zu zitierenS.
82
für die zielbewußte Ausbeutung eines Affekts, um eine an sich
uninteressante Muskelarbeit mit Lustgefühlen zu laden und so inten-
siver zu gestalten. Er erzählte also, natürlich in französischer Sprache,
die gerade damals von hiesigen Blättern aus einem alldeutschen
Blatte abgedruckte Geschichte von einem deutschen Schulmeister,
der seine Schüler im Garten arbeiten ließ und, um sie zu inten-
siverer Arbeit anzufeuern, sie aufforderte, sich vorzustellen, daß
sie statt jeder Erdscholle einen französischen Schädel einschlügen.
Beim Vortrag seiner Geschichte sagte N. natürlich jedesmal, wo
von Deutschen die Rede war, ganz korrekt Allemand und nicht
boche. Doch als es zur Pointe der Geschichte kam, trug er die
Worte des Schulmeisters folgenderweise vor: Imaginez vous, qu’en
chaque moche vous écrasez le crâne d’un Français. Also statt motte
— moche!Sieht man da nicht förmlich, wie der korrekte Gelehrte vom
Anfang der Erzählung sich zusammennimmt, um ja nicht der
Gewohnheit und vielleicht auch der Versuchung nachzugeben und
das sogar durch einen Bundeserlaß ausdrücklich verpönte Wort
von dem Katheder der Universitätsaula fallen zu lassen! Und gerade
im Augenblick, wo er glücklich das letztemal ganz korrekt ‚insti-
titeur allemand‘ gesagt hat und innerlich aufatmend zum unver-
fänglichen Schlusse eilt, klammert sich die mühsam zurückgedrängte
Vokabel an den Gleichklang des Wortes motte und — das Unheil
ist geschehen. Die Angst vor der politischen Taktlosigkeit, vielleicht
eine zurückgedrängte Lust, das gewohnte und von allen erwartete
Wort doch zu gebrauchen, sowie der Unwillen des geborenen
Republikaners und Demokraten gegen jeden Zwang in der freien
Meinungsäußerung interferieren mit der auf die korrekte Wieder-
gabe des Beispiels gerichteten Hauptabsicht. Die interferierende
Tendenz ist dem Redner bekannt und er hat, wie nicht anders
anzunehmen ist, unmittelbar vor dem Versprechen an sie gedacht.Sein Versprechen hat Professor N. nicht bemerkt, wenigstens hat
er es nicht verbessert, was man doch meist geradezu automatischS.
83
tut. Dagegen wurde der Lapsus von der meist französischen Zuhörer-
schaft mit wahrer Genugtuung aufgenommen und wirkte voll-
kommen wie ein beabsichtigter Wortwitz. Ich aber folgte diesem
anscheinend harmlosen Vorgang mit wahrer innerer Erregung. Denn
wenn ich mir auch aus naheliegenden Gründen Versagen mußte,
dem Professor die sich nach psychoanalytischer Methode aufdrän-
genden Fragen zu stellen, so war doch dieses Versprechen für
mich ein schlagender Beweis für die Richtigkeit Ihrer Lehre von
der Determinierung der Fehlhandlungen und den tiefen Analogien
und Zusammenhängen zwischen dem Versprechen und dem Witz.“30) Unter den betrübenden Eindrücken der Kriegszeit entstand
auch das Versprechen, welches ein heimgekehrter österreichischer
Offizier, Oberleutnant T., berichtet:„Während mehrerer Monate meiner italienischen Kriegsgefangen-
schaft waren wir, eine Zahl von 200 Offizieren, in einer engen
Villa untergebracht. In dieser Zeit starb einer unserer Kameraden
an der Grippe. Der Eindruck, der durch diesen Vorfall hervor-
gerufen wurde, war naturgemäß ein tiefgehender; denn die
Verhältnisse, in denen wir uns befanden, das Fehlen ärztlichen
Beistands, die Hilflosigkeit unserer damaligen Existenz ließen ein
Umsichgreifen der Seuche mehr denn wahrscheinlich werden —
Wir hatten den Toten in einem Kellerraume aufgebahrt. Am
Abend, als ich mit einem Freunde einen Rundgang um unser
Haus angetreten hatte, äußerten wir beide den Wunsch, die Leiche
zu sehen. Mir als dem Voranschreitenden bot sich beim Eintritt
in den Keller ein Anblick, der mich heftig erschrecken ließ; denn
ich war nicht vorbereitet gewesen, die Bahre so nahe beim Ein-
gang aufgestellt zu finden und aus solcher Nähe in das durch
spielende Kerzenlichter in Unruhe versetzte Antlitz schauen zu
müssen. Noch unter diesem nachwirkenden Bilde setzten wir dann
den Rundgang fort. An einer Stelle, von wo sich dem Auge die
Ansicht des im vollen Mondenscheine schwimmenden Parkes, einer
hellbestrahlten Wiese und dahintergelegter, leichter NebelschleierS.
84
zeigte, gab ich der damit verknüpften Vorstellung Ausdruck, einen
Reigen Elfen unter dem Saume der anschließenden Kiefern tanzen
zu sehen.Am folgenden Nachmittag begruben wir den toten Gefährten.
Der Weg von unserem Kerker bis zum Friedhof des kleinen,
benachbarten Ortes war für uns gleicherweise bitter und ent-
würdigend; denn halbwüchsige, johlende Burschen, eine spöttische,
höhnende Bevölkerung, derbe, schreiende Lärmer hatten diesen
Anlaß benützt, um unverhohlen ihren von Neugierde und Haß
gemischten Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Die Empfindung,
selbst in diesem wehrlosen Zustand nicht ungekränkt bleiben zu
können, der Abscheu vor der bekundeten Roheit beherrschten
mich bis zum Abend mit Erbitterung. Zur gleichen Stunde wie
tagszuvor, in der nämlichen Begleitung begingen wir auch dies-
mal den Kiesweg rund um das Wohnhaus; und an dem Keller-
gitter vorüberkommend, hinter dem die Leiche gelegen hatte,
überfiel mich die Erinnerung des Eindrucks, den ihr Anblick in
mir hinterlassen hatte. An der Stelle, von der sich mir dann
wiederum der erhellte Park darbot, unter dem gleichen Vollmond-
lichte, hielt ich an und äußerte zu meinem Begleiter: ‚Wir könnten
uns hier ins Grab — — Gras setzen und eine Serenade
sinken!‘ — Erst beim zweiten Versprechen wurde ich auf-
merksam; das erstemal hatte ich verbessert, ohne des Sinnes im
Fehler bewußt geworden zu sein. Nun überlegte ich und reihte
aneinander: ‚ins Grab — sinken!‘ Blitzartig folgten diese Bilder:
im Mondschein tanzende, schwebende Elfen; der aufgebahrte
Kamerad, der erweckte Eindruck; einzelne Szenen vom Begräbnis,
die Empfindung des gehabten Ekels und der gestörten Trauer;
Erinnerung an einzelne Gespräche über die aufgetretene Seuche,
Furchtäußerungen mehrerer Offiziere. Später entsann ich mich
des Umstandes, daß es der Todestag meines Vaters sei, was für
mich meines sonst sehr schlechten Datengedächtnisses wegen auf-
fallend wurde.S.
85
Beim nachherigen Überdenken wurde mir klar: das Zusammen-
treffen äußerer Bedingungen zwischen beiden Abenden, die gleiche
Stunde, Beleuchtung, der nämliche Ort und Begleiter. Ich erinnerte
mich des Unbehagens, das ich empfunden hatte, als die Besorgnis
einer Ausbreitung der Grippe erörtert wurde; aber zugleich auch
des inneren Verbotes, mich Furcht anwandeln zu lassen. Auch die
Wortstellung: ‚wir könnten ins Grab sinken‘ wurde mir darauf
in ihrer Bedeutung bewußt, wie ich auch die Überzeugung gewann,
nur die zuerst stattgehabte Korrektur von ,Grab‘ in ‚Gras‘, die
noch ohne Deutlichkeit geschehen war, habe auch das zweite
Versprechen: ‚singen‘ in ‚sinken‘ zur Folge gehabt, um dem unter-
drückten Komplex endgültige Wirkung zu sichern.Ich füge bei, daß ich zu jener Zeit an beängstigenden Träumen
litt, in denen ich eine mir sehr nahestehende Angehörige wieder-
holt krank, einmal selbst tot sah. Ich hatte noch knapp vor meiner
Gefangennahme die Nachricht erhalten, daß die Grippe gerade in
der Heimat dieser Angehörigen mit besonderer Heftigkeit wüte,
hatte ihr auch meine lebhaften Befürchtungen geäußert. Seither
war ich ohne Verbindung geblieben. Monate später empfing ich
die Kunde, daß sie zwei Wochen vor dem geschilderten Ereignis
ein Opfer der Epidemie geworden sei!“31) Das nachstehende Beispiel von Versprechen beleuchtet blitz-
ähnlich einen der schmerzlichen Konflikte, die das Los des Arztes
sind. Ein wahrscheinlich dem Tode verfallener Mann, dessen
Diagnose aber noch nicht feststeht, ist nach Wien gekommen,
um hier die Lösung seines Knotens abzuwarten, und hat einen
Jugendfreund, der ein bekannter Arzt geworden ist, gebeten, seine
Behandlung zu übernehmen, worauf dieser nicht ohne Wider-
streben schließlich einging. Der Kranke soll in einer Heilanstalt
Aufenthalt nehmen und der Arzt schlägt das Sanatorium „Hera“
vor. Das ist doch eine Anstalt nur für bestimmte Zwecke (eine
Entbindungsanstalt), wendet der Kranke ein. O nein, ereifert sich
der Arzt: In der „Hera“ kann man jeden Patienten umbringenS.
86
— unterbringen, meine ich. Er sträubt sich dann heftig gegen
die Deutung seines Versprechens. „Du wirst doch nicht glauben,
daß ich feindselige Impulse gegen dich habe?“ Eine Viertelstunde
später sagte er zu der ihn hinausbegleitenden Dame, die die Pflege
des Kranken übernommen hat: „Ich kann nichts finden und glaube
ja noch immer nicht daran. Aber wenn es so sein sollte, bin ich
für eine tüchtige Dosis Morphium, und dann ist Ruhe.“ Es kommt
heraus, daß der Freund ihm die Bedingung gestellt hat, daß er
seine Leiden durch ein Medikament abkürze, sobald es feststeht,
daß ihm nicht mehr zu helfen ist. Der Arzt hatte also wirklich
die Aufgabe übernommen, den Freund umzubringen.32) Auf ein ganz besonders lehrreiches Beispiel von Versprechen
möchte ich nicht verzichten, obwohl es sich nach Angabe meines
Gewährsmannes vor etwa 20 Jahren zugetragen hat. „Eine Dame
äußerte einmal in einer Gesellschaft — man hört es den Worten
an, daß sie im Eifer und unter dem Drucke allerlei geheimer
Regungen zustande gekommen sind: ‚Ja, eine Frau muß schön
sein, wenn sie den Männern gefallen soll. Da hat es ein Mann
viel besser; wenn er nur seine fünf geraden Glieder hat, mehr
braucht er nicht!‘ Dieses Beispiel gestattet uns einen guten Ein-
blick in den intimen Mechanismus eines Versprechens durch
Verdichtung oder einer Kontamination (vgl. S. 62). Es
liegt nahe, anzunehmen, daß hier zwei sinnähnliche Redeweisen
verschmolzen sind:wenn er seine vier geraden Glieder hat
wenn er seine fünf Sinne beisammen hat.Oder aber das Element gerade ist das Gemeinsame zweier Rede-
intentionen gewesen, die gelautet haben:wenn er nur seine geraden Glieder hat
alle fünf gerade sein lassen.Es hindert uns auch nichts anzunehmen, daß beide Redensarten,
die von den fünf Sinnen und die von den geraden fünf mit-S.
87
gewirkt haben, um in den Satz von den geraden Gliedern zunächst
eine Zahl und dann die geheimsinnige fünf anstatt der simpeln
vier einzuführen. Diese Verschmelzung wäre aber gewiß nicht
erfolgt, wenn sie nicht in der als Versprechen resultierenden Form
einen eigenen guten Sinn hätte, den einer zynischen Wahrheit,
wie sie von einer Frau allerdings nicht ohne Bemäntelung bekannt
werden darf. — Endlich wollen wir nicht versäumen, aufmerksam
zu machen, daß die Rede der Dame ihrem Wortlaut nach ebenso-
wohl einen vortrefflichen Witz wie ein lustiges Versprechen bedeuten
kann. Es hängt nur davon ab, ob sie diese Worte mit bewußter
Absicht oder — mit unbewußter Absicht gesprochen hat. Das
Benehmen der Rednerin in unserem Falle widerlegte allerdings
die bewußte Absicht und schloß den Witz aus.“Die Annäherung eines Versprechens an einen Witz kann so
weit gehen wie in dem von O. Rank mitgeteilten Falle, in dem
die Urheberin des Versprechens es schließlich selbst als Witz belacht:33) „Ein jung verheirateter Ehemann, dem seine um ihr
mädchenhaftes Aussehen besorgte Frau den häufigen Geschlechts-
verkehr nur ungern gestattet, erzählte mir folgende, nachträglich
auch ihn und seine Frau höchst belustigende Geschichte: Nach
einer Nacht, in welcher er das Abstinenzgebot seiner Frau wieder
einmal übertreten hat, rasiert er sich morgens in ihrem gemein-
samen Schlafzimmer und benützt dabei — wie schon öfter aus
Bequemlichkeit — die auf dem Nachtkästchen liegende Puder-
quaste seiner noch ruhenden Gattin. Die um ihren Teint äußerst
besorgte Dame hatte ihm auch dies schon mehrmals verwiesen
und ruft ihm darum geärgert zu: ‚Du puderst mich ja schon
wieder mit deiner Quaste!‘ Durch des Mannes Gelächter auf ihr
Versprechen aufmerksam gemacht (sie wollte sagen: du puderst
dich schon wieder mit meiner Quaste), lacht sie schließlich
belustigt mit (‚pudern‘ ist ein jedem Wiener geläufiger Ausdruck
für koitieren, die Quaste als phallisches Symbol kaum zweifelhaft).“
(Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse, I, 1913.)S.
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34) An die Absicht eines Witzes könnte man auch in folgendem
Falle denken (A. J. Storfer):Frau B., die an einem Leiden, offenbar psychogenen Ursprungs,
laboriert, wird wiederholt nahegelegt, den Psychoanalytiker X. zu
konsultieren. Sie lehnt es stets mit der Bemerkung ab, so eine
Behandlung sei doch nie etwas Rechtes, der Arzt würde doch
alles fälschlicherweise auf sexuelle Dinge zurückführen. Schließlich
ist sie einmal doch bereit, dem Rate Folge zu leisten und sie
fragt: „Nun gut, wann ordinärt also dieser Dr. X.?“Die Verwandtschaft zwischen Witz und Versprechen bekundet
sich auch darin, daß das Versprechen oft nichts anderes ist als
eine Verkürzung:35) Ein junges Mädchen hat nach dem Verlassen der Schule
den herrschenden Zeitströmungen Rechnung getragen, indem sie
sich zum Studium der Medizin inskribierte. Nach wenigen Seme-
stern hatte sie die Medizin mit der Chemie vertauscht. Von dieser
Schwenkung erzählt sie einige Jahre später in folgender Rede:
Ich hab’ mich ja im allgemeinen beim Sezieren nicht gegraust,
aber wie ich einmal an einer Leiche die Nägel von den Fingern
abziehen sollte, da habe ich die Lust an der ganzen — Chemie
verloren.36) Ich reihe hier einen anderen Fall von Versprechen an,
dessen Deutung wenig Kunst erfordert. „Der Professor bemüht
sich in der Anatomie um die Erklärung der Nasenhöhle, eines
bekanntlich sehr schwierigen Abschnittes der Eingeweidelehre.
Auf seine Frage, ob die Hörer seine Ausführungen erfaßt haben,
wird ein allgemeines ,Ja‘ vernehmlich. Darauf bemerkt der
bekannt selbstbewußte Professor: Ich glaube kaum, denn die
Leute, welche die Nasenhöhle verstehen, kann man selbst in einer
Millionenstadt wie Wien an einem Finger, pardon, an den
Fingern einer Hand wollte ich sagen, abzählen.“37) Derselbe Anatom ein andermal: „Beim weiblichen Genitale
hat man trotz vieler Versuchungen — pardon, Versuche . . .“S.
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38) Herrn Dr. Alf. Robitsek in Wien verdanke ich den
Hinweis auf zwei von einem altfranzösischen Autor bemerkte
Fälle von Versprechen, die ich unübersetzt wiedergeben werde.
Brantôme (1527—1614) Vies des Dames galantes, Discours
second: „Si ay-je cogneu une très belle et honneste dame de par
le monde, qui, devisant avec un honneste gentilhomme de la cour
des affaires de la guerre durant ces civiles, elle luy dit: ‚J’ay
ouy dire que le roy a faiet rompre tous les c... de ce pays là.
Elle vouloit dire les ponts. Pensez que, venant de coucher d’avec
son mary, ou songeant à son amant, elle avoit encor ce nom frais
en la bouche; et le gentilhomme s’en eschauffer en amours d’elle
pour ce mot.‘“„Une autre dame que j´ai cogneue, entretenant une autre
grand dame plus qu’elle, et luy louant et exaltant ses beautez,
elle luy dit après: ‚Non, madame, ce que je vous en dis: ce n’est
point pour vous adultérer; voulant dire adulater, comme
elle le rhabilla ainsi: pensez qu’elle songeoit à adultérer.‘“39) Es gibt natürlich auch modernere Beispiele für die Ent-
stehung sexueller Zweideutigkeiten durch Versprechen: Frau F.
erzählt über ihre erste Stunde in einem Sprachkurs: „Es ist ganz
interessant, der Lehrer ist ein netter junger Engländer. Er hat
mir gleich in der ersten Stunde durch die Bluse (korrigiert sich:
durch die Blume) zu verstehen gegeben, daß er mir lieber
Einzelunterricht erteilen möchte.“ (Storfer.)Bei dem psychotherapeutischen Verfahren, dessen ich mich zur
Auflösung und Beseitigung neurotischer Symptome bediene, ist
sehr häufig die Aufgabe gestellt, aus den wie zufällig vorge-
brachten Reden und Einfällen des Patienten einen Gedankeninhalt
aufzuspüren, der zwar sich zu verbergen bemüht ist, aber doch
nicht umhin kann, sich in mannigfaltigster Weise unabsichtlich
zu verraten. Dabei leistet oft das Versprechen die wertvollsten
Dienste, wie ich an den überzeugendsten und anderseits sonder-
barsten Beispielen dartun könnte. Die Patienten sprechen z. B.S.
90
von ihrer Tante und nennen sie konsequent, ohne das Versprechen
zu bemerken, „meine Mutter“, oder bezeichnen ihren Mann als
ihren „Bruder“. Sie machen mich auf diese Weise aufmerksam,
daß sie diese Personen miteinander „identifiziert“, in eine Reihe
gebracht haben, welche für ihr Gefühlsleben die Wiederkehr
desselben Typus bedeutet. Oder: ein junger Mann von 20 Jahren
stellt sich mir in der Sprechstunde mit den Worten vor: Ich bin
der Vater des N. N., den Sie behandelt haben. — Pardon, ich
will sagen, der Bruder; er ist ja um vier Jahre älter als ich. Ich
verstehe, daß er durch dieses Versprechen ausdrücken will, daß
er wie der Bruder durch die Schuld des Vaters erkrankt sei, wie
der Bruder Heilung verlange, daß aber der Vater derjenige ist,
dem die Heilung am dringlichsten wäre. Andere Male reicht eine
ungewöhnlich klingende Wortfügung, eine gezwungen erscheinende
Ausdrucksweise hin, um den Anteil eines verdrängten Gedankens
an der anders motivierten Rede des Patienten aufzudecken.In groben wie in solchen feineren Redestörungen, die sich
eben noch dem „Versprechen“ subsumieren lassen, finde ich also
nicht den Einfluß von Kontaktwirkungen der Laute, sondern den
von Gedanken außerhalb der Redeintention maßgebend für die
Entstehung des Versprechens und hinreichend zur Aufhellung des
zustande gekommenen Sprechfehlers. Die Gesetze, nach denen die
Laute verändernd aufeinander einwirken, möchte ich nicht
anzweifeln; sie scheinen mir aber nicht wirksam genug, um für
sich allein die korrekte Ausführung der Rede zu stören. In den
Fällen, die ich genauer studiert und durchschaut habe, stellen sie
bloß den vorgebildeten Mechanismus dar, dessen sich ein ferner
gelegenes psychisches Motiv bequemerweise bedient, ohne sich
aber an den Machtbereich dieser Beziehungen zu binden. In
einer großen Reihe von Substitutionen wird beim
Versprechen von solchen Lautgesetzen völlig abge-
sehen. Ich befinde mich hiebei in voller Übereinstimmung mit
Wundt, der gleichfalls die Bedingungen des Versprechens alsS.
91
zusammengesetzte und weit über die Kontaktwirkungen der Laute
hinausgehende vermutet.Wenn ich diese „entfernteren psychischen Einflüsse“ nach
Wundts Ausdruck für gesichert halte, so weiß ich anderseits
von keiner Abhaltung um auch zuzugeben, daß bei beschleunigter
Rede und einigermaßen abgelenkter Aufmerksamkeit die Bedin-
gungen fürs Versprechen sich leicht auf das von Meringer und
Mayer bestimmte Maß einschränken können. Bei einem Teile
der von diesen Autoren gesammelten Beispiele ist wohl eine kom-
pliziertere Auflösung wahrscheinlicher. Ich greife etwa den vorhin
angeführten Fall heraus:Es war mir auf der Schwest...
Brust so schwer.Geht es hier wohl so einfach zu, daß das schwe das gleich-
wertige Bru als Vorklang verdrängt? Es ist kaum abzuweisen,
daß die Laute schwe außerdem durch eine besondere Relation
zu dieser Vordringlichkeit befähigt werden. Diese könnte dann
keine andere sein als die Assoziation: Schwester—Bruder,
etwa noch: Brust der Schwester, die zu anderen Gedanken-
kreisen hinüberleitet. Dieser hinter der Szene unsichtbare Helfer
verleiht dem sonst harmlosen schwe die Macht, deren Erfolg
sich als Sprechfehler äußert.Für anderes Versprechen läßt sich annehmen, daß der Anklang
an obszöne Worte und Bedeutungen das eigentlich Störende ist.
Die absichtliche Entstellung und Verzerrung der Worte und
Redensarten, die bei unartigen Menschen so beliebt ist, bezweckt
nichts anderes, als beim harmlosen Anlaß an das Verpönte zu
mahnen, und diese Spielerei ist so häufig, daß es nicht wunder-
bar wäre, wenn sie sich auch unabsichtlich und wider Willen
durchsetzen sollte. Beispiele wie: Eischeißweibchen für Eiweiß-
scheibchen, Apopos Fritz für Apropos, Lokuskapitäl für
Lotuskapitäl usw., vielleicht noch die Alabüsterbachse (Alabaster-S.
92
büchse) der hl. Magdalena gehören wohl in diese Kategorie1. —
„Ich fordere Sie auf, auf das Wohl unseres Chefs aufzustoßen,“
ist kaum etwas anderes als eine unabsichtliche Parodie als Nach-
klang einer beabsichtigten. Wenn ich der Chef wäre, zu dessen
Feierlichkeit der Festredner diesen Lapsus beigetragen hätte, würde
ich wohl daran denken, wie klug die Römer gehandelt haben, als
sie den Soldaten des triumphierenden Imperators gestatteten, den
inneren Einspruch gegen den Gefeierten in Spottliedern laut
zu äußern. — Meringer erzählt von sich selbst, daß er zu
einer Person, die als die älteste der Gesellschaft mit dem ver-
traulichen Ehrennamen „Senexl“ oder „altes Senexl“ angesprochen
wurde, einmal gesagt habe: „Prost, Senex altesl!“ Er erschrak
selbst über diesen Fehler (S. 50). Wir können uns vielleicht seinen
Affekt deuten, wenn wir daran mahnen, wie nahe „Altesl“ an
den Schimpf „alter Esel“ kommt. Auf die Verletzung der Ehr-
furcht vor dem Alter (d. i., auf die Kindheit reduziert: vor dem
Vater) sind große innere Strafen gesetzt.1) Bei einer meiner Patientinnen setzte sich das Versprechen als Symptom so
lange fort, bis es auf den Kinderstreich, das Wort ruinieren durch uri-
nieren zu ersetzen, zurückgeführt war. — An die Versuchung, durch den Kunst-
griff des Versprechens zum freien Gebrauch unanständiger und unerlaubter Worte
zu kommen, knüpfen sich Abrahams Beobachtungen über Fehlleistungen „mit
überkompensierender Tendenz“ (Intern. Zeitschr. f. Psychoanalyse VIII,
1922). Eine Patientin mit leichter Neigung, die Anfangssilbe von Eigennamen durch
Stottern zu verdoppeln, hatte den Namen Protagoras in Protragoras verändert.
Kurz vorher hatte sie anstatt Alexandros — A—alexandros gesagt. Die Erkun-
digung ergab, daß sie als Kind besonders gerne die Unart gepflegt hatte die an-
lautenden Silben a und po zu wiederholen, eine Spielerei, die nicht selten das
Stottern der Kinder einleitet. Beim Namen Protagoras verspürte sie nun die Gefahr,
das r der ersten Silke auszulassen und Po—potagoras zu sagen. Zum Schutz dagegen
hielt sie aber dies r krampfhaft fest und schob noch ein weiteres r in die zweite
Silbe ein. In ähnlicher Weise entstellte sie andere Male die Worte parterre und
Kondolenz zu partrerre und Kodolenz, um den in ihrer Assoziation naheliegen-
den Worten pater (Vater) und Kondom auszuweichen. Ein anderer Patient
Abrahams bekannte sich zur Neigung anstatt Angina jedesmal Angora zu
sagen, sehr wahrscheinlich, weil er die Versuchung fürchtete, Angina durch
Vagina zu ersetzen. Diese Versprechungen kommen also dadurch zustande, daß
an Stelle der entstellenden eine abwehrende Tendenz die Oberhand behält, und
Abraham macht mit Recht auf die Analogie dieses Vorganges mit der Symptom-
bildung bei Zwangsneurosen aufmerksam.S.
93
Ich hoffe, die Leser werden den Wertunterschied dieser Deu-
tungen, die sich durch nichts beweisen lassen, und der Beispiele,
die ich selbst gesammelt und durch Analysen erläutert habe, nicht
vernachlässigen. Wenn ich aber im stillen immer noch an der
Erwartung festhalte, auch die scheinbar einfachen Fälle von Ver-
sprechen würden sich auf Störung durch eine halb unterdrückte
Idee außerhalb des intendierten Zusammenhanges zurückführen
lassen, so verlockt mich dazu eine sehr beachtenswerte Bemerkung
von Meringer. Dieser Autor sagt, es ist merkwürdig, daß
niemand sich versprochen haben will. Es gibt sehr gescheite und
ehrliche Menschen, welche beleidigt sind, wenn man ihnen sagt,
sie hätten sich versprochen. Ich getraue mich nicht, diese Behaup-
tung so allgemein zu nehmen, wie sie durch das „niemand“ von
Meringer hingestellt wird. Die Spur Affekt aber, die am Nach-
weis des Versprechens hängt und offenbar von der Natur des
Schämens ist, hat ihre Bedeutung. Sie ist gleichzusetzen dem
Ärger, wenn wir einen vergessenen Namen nicht erinnern, und
der Verwunderung über die Haltbarkeit einer scheinbar belang-
losen Erinnerung und weist allemal auf die Beteiligung eines
Motivs am Zustandekommen der Störung hin.Das Verdrehen von Namen entspricht einer Schmähung, wenn
es absichtlich geschieht, und dürfte in einer ganzen Reihe von
Fällen, wo es als unabsichtliches Versprechen auftritt, dieselbe
Bedeutung haben. Jene Person, die nach Mayers Bericht einmal
„Freuder“ sagte anstatt Freud, weil sie kurz darauf den
Namen „Breuer“ vorbrachte (S. 38), ein andermal von einer
Freuer-Breudschen Methode (S. 28) sprach, war wohl ein
Fachgenosse und von dieser Methode nicht sonderlich entzückt.
Einen gewiß nicht anders aufzuklärenden Fall von Namenent-
stellung werde ich weiter unten beim Verschreiben mitteilen1.1) Man kann auch bemerken, daß gerade Aristokraten besonders häufig die Namen
von Ärzten, die sie konsultiert haben, entstellen, und darf daraus schließen, daß sie
dieselben innerlich geringschätzen, trotz der Höflichkeit, mit welcher sie ihnen zuS.
94
In diesen Fällen mengt sich als störendes Moment eine Kritik
ein, welche beiseite gelassen werden soll, weil sie gerade in dem
Zeitpunkt der Intention des Redners nicht entspricht.Umgekehrt muß die Namenersetzung, die Aneignung des fremden
Namens, die Identifizierung mittels des Namenversprechens, eine
Anerkennung bedeuten, die im Augenblick aus irgendwelchen
Gründen im Hintergrunde verbleiben soll. Ein Erlebnis dieser Art
erzählt S. Ferenczi aus seinen Schuljahren:„In der ersten Gymnasialklasse habe ich (zum erstenmal in
meinem Leben) öffentlich (d. h. vor der ganzen Klasse) ein Gedicht
rezitieren müssen. Ich war gut vorbereitet und war bestürzt, gleichbegegnen pflegen. — Ich zitiere hier einige treffende Bemerkungen über das Namen-
vergessen aus der englischen Bearbeitung unseres Themas durch Dr. E. Jones,
damals in Toronto (The Psychopathologie of Everyday Life. American Journal of
Psychology, Oct. 1911):„Wenige Leute können sich einer Anwandlung von Ärger erwehren, wenn sie
finden, daß man ihren Namen vergessen hat, besonders dann, wenn sie von der
betreffenden Person gehofft oder erwartet hatten, sie würde den Namen behalten
haben. Sie sagen sich sofort ohne Überlegung, daß die Person den Namen nicht ver-
gessen hätte, wenn man einen stärkeren Eindruck bei ihr hinterlassen hätte; denn
der Name ist ein wesentlicher Bestandteil der Persönlichkeit. Anderseits gibt es wenig
Dinge, die schmeichelhafter empfunden werden, als wenn man von einer hohen Per-
sönlichkeit, wo man es nicht erwartet hätte, mit seinem Namen angeredet wird.
Napoleon, ein Meister in der Kunst, Menschen zu behandeln, gab während des
unglücklichen Feldzuges von 1814 eine erstaunliche Probe seines Gedächtnisses nach
dieser Richtung. Als er sich in einer Stadt bei Graonne befand, erinnerte er sich,
daß er deren Bürgermeister De Bussy etwa 20 Jahre vorher in einem bestimmten
Regiment kennen gelernt hatte; die Folge war, daß der entzückte De Bussy sich
seinem Dienst mit schrankenloser Hingebung widmete. Dementsprechend gibt es auch
kein verläßlicheres Mittel, einen Menschen zu beleidigen, als indem man so tut, als
habe man seinen Namen vergessen; man drückt damit aus, die Person sei einem so
gleichgültig, daß man sich nicht die Mühe zu nehmen brauche, sich ihren Namen
zu merken. Dieser Kunstgriff spielt auch in der Literatur eine gewisse Rolle. So
heißt es in Turgenjews ,Rauch‘ einmal: ‚Sie finden Baden noch immer amüsant,
Herr — Litvinov?‘ Ratmirov pflegte Litvinovs Namen immer zögernd auszuprechen,
als ob er sich erst auf ihn besinnen müßte. Dadurch, wie durch die hochmütige Art,
wie er seinen Hut beim Gruß lüftete, wollte er Litvinov in seinem Stolze kränken.“
An einer anderen Stelle in ‚Väter und Söhne‘ schreibt der Dichter: ‚Der Gouver-
neur lud Kirsanov und Bazarov zum Balle ein und wiederholte diese Einladung einige
Minuten später, wobei er sie als Brüder zu betrachten schien und Kisarov ansprach.“
Hier ergibt das Vergessen der früheren Einladung, die Irrung in den Namen und die
Unfähigkeit, die beiden jungen Männer auseinander zu halten, geradezu eine Häufung
von kränkenden Momenten. Namenentstellung hat dieselbe Bedeutung wie Namen-
vergessen, es ist ein erster Schritt gegen das Vergessen hin.“S.
95
beim Beginne durch eine Lachsalve gestört zu werden. Der Pro-
fessor erklärte mir dann diesen sonderbaren Empfang: ich sagte
nämlich den Titel des Gedichtes ‚Aus der Ferne‘ ganz richtig,
nannte aber als Autor nicht den wirklichen Dichter, sondern —
mich selber. Der Name des Dichters ist Alexander (Sándor)
Petöfi. Die Gleichheit des Vornamens mit meinem eigenen
begünstigte die Verwechslung; die eigentliche Ursache derselben
aber war sicherlich die, daß ich mich damals in meinen geheimen
Wünschen mit dem gefeierten Dichterhelden identifizierte. Ich
hegte für ihn auch bewußt eine an Anbetung grenzende Liebe
und Hochachtung. Natürlich steckt auch der ganze leidige Ambi-
tionskomplex hinter dieser Fehlleistung.“Eine ähnliche Identifizierung mittels des vertauschten Namens
wurde mir von einem jungen Arzt berichtet, der sich zaghaft und
verehrungsvoll dem berühmten Virchow mit den Worten vor-
stellte: Dr. Virchow. Der Professor wendete sich erstaunt zu
ihm und fragte: Ah, heißen Sie auch Virchow? Ich weiß nicht,
wie der junge Ehrgeizige das Versprechen rechtfertigte, ob er die
anmutende Ausrede fand, er sei sich so klein neben dem großen
Namen vorgekommen, daß ihm sein eigener entschwinden mußte,
oder ob er den Mut hatte zu gestehen, er hoffe auch noch einmal
ein so großer Mann wie Virchow zu werden, der Herr Geheim-
rat möge ihn darum nicht so geringschätzig behandeln. Einer
dieser beiden Gedanken — oder vielleicht gleichzeitig beide —
mag den jungen Mann bei seiner Vorstellung in Verwirrung
gebracht haben.Aus höchst persönlichen Motiven muß ich es in der Schwebe
lassen, ob eine ähnliche Deutung auch auf den nun anzuführenden
Fall anwendbar ist. Auf dem internationalen Kongreß in Amsterdam
1907 war die von mir vertretene Hysterielehre Gegenstand einer
lebhaften Diskussion. Einer meiner energischesten Gegner soll sich
in seiner Brandrede gegen mich wiederholt in der Weise ver-
sprochen haben, daß er sich an meine Stelle setzte und in meinemS.
96
Namen sprach. Er sagte z. B.: Breuer und ich haben bekanntlich
nachgewiesen, während er nur beabsichtigen konnte zu sagen:
Breuer und Freud. Der Name dieses Gegners zeigt nicht die
leiseste Klangähnlichkeit mit dem meinigen. Wir werden durch
dieses Beispiel wie durch viele andere Fälle von Namenvertauschung
beim Versprechen daran gemahnt, daß das Versprechen jener
Erleichterung, die ihm der Gleichklang gewährt, völlig entbehren
und sich nur auf verdeckte inhaltliche Beziehungen gestützt durch-
setzen kann.ln anderen und weit bedeutsameren Fällen ist es Selbstkritik,
innerer Widerspruch gegen die eigene Äußerung, was zum Ver-
sprechen, ja zum Ersatz des Intendierten durch seinen Gegensatz
nötigt. Man merkt dann mit Erstaunen, wie der Wortlaut einer
Beteuerung die Absicht derselben aufhebt, und wie der Sprech-
fehler die innere Unaufrichtigkeit bloßgelegt hat1. Das Versprechen
wird hier zu einem mimischen Ausdrucksmittel, freilich oftmals
für den Ausdruck dessen, was man nicht sagen wollte, zu einem
Mittel des Selbstverrats. So z. B. wenn ein Mann, der in seinen
Beziehungen zum Weibe den sogenannten normalen Verkehr nicht
bevorzugt, in ein Gespräch über ein für kokett erklärtes Mädchen
mit den Worten einfällt: Im Umgang mit mir würde sie sich
das Koëttieren schon abgewöhnen. Kein Zweifel, daß es nur
das andere Wort koitieren sein kann, dessen Einwirkung auf
das intendierte kokettieren solche Abänderung zuzuschreiben
ist. Oder im folgenden Falle: „Wir haben einen Onkel, der schon
seit Monaten sehr beleidigt ist, weil wir ihn nie besuchen. Den
Umzug in eine neue Wohnung nehmen wir zum Anlaß, um nach
langer Zeit einmal bei ihm zu erscheinen. Er freut sich anscheinend
sehr mit uns und sagt beim Abschied so recht gefühlvoll: ‚Von
nun an hoffe ich euch noch seltener zu sehen als bisher‘.“1) Durch solches Versprechen brandmarkt z. B. Anzengruber im „G’wissens-
wurm“ den heuchlerischen Erbschleicher.S.
97
Die zufällige Gunst des Sprachmaterials läßt oft Beispiele von
Versprechen entstehen, denen die geradezu niederschmetternde
Wirkung einer Enthüllung oder der volle komische Effekt eines
Witzes zukommt.So in nachstehendem von Dr. Reitler beobachteten und mit-
geteilten Falle:„Diesen neuen, reizenden Hut haben Sie wohl sich selbst auf-
gepatzt?‘ sagte eine Dame in bewunderndem Tone zu einer
anderen. — Die Fortsetzung des beabsichtigten Lobes mußte
nunmehr unterbleiben; denn die im stillen geübte Kritik, der
Hutaufputz sei eine ‚Patzerei‘, hatte sich denn doch viel zu
deutlich in dem unliebsamen Versprechen geäußert, als daß irgend-
welche Phrasen konventioneller Bewunderung noch glaubwürdig
erschienen wären.“Milder, aber doch auch unzweideutig ist die Kritik in folgendem
Beispiel:„Eine Dame machte bei einer Bekannten einen Besuch und
wurde durch die wortreichen, weitschweifigen Erörterungen der
Betreffenden sehr ungeduldig und müde. Endlich gelang es ihr,
aufzubrechen, sich zu verabschieden, als sie, von der sie ins Vor-
zimmer begleitenden Bekannten mit einem neuerlichen Wortschwall
aufgehalten wurde und nun, schon im Weggehen begriffen, vor
der Tür stehen und neuerdings zuhören mußte. Endlich unterbrach
sie sie mit der Frage: ‚Sind Sie im Vorzimmer zu Hause?‘
Erst an der erstaunten Miene bemerkte sie ihr Versprechen. Sie
wollte, durch das lange Stehen im Vorzimmer ermüdet, das
Gespräch mit der Frage: ‚Sind Sie Vormittag zu Hause?‘ ab-
brechen und verriet so ihre Ungeduld über den neuerlichen Auf-
enthalt.“Einer Mahnung zur Selbstbesinnung entspricht das nächste von
Dr. Max Graf erlebte Beispiel:„In der Generalversammlung des Journalistenvereines ,Concordia‘
hält ein junges, stets geldbedürftiges Mitglied eine heftige Opposi-S.
98
tionsrede und sagt in seiner Erregung: ‚Die Herren Vorschuß-
mitglieder‘ (anstatt Vorstands- oder Ausschußmitglieder). Die-
selben haben das Recht, Darlehen zu bewilligen, und auch der
junge Redner hat ein Darlehensgesuch eingebracht.“An dem Beispiel „Vorschwein“ haben wir gesehen, daß ein
Versprechen leicht zustande kommt, wenn man sich bemüht hat,
Schimpfworte zu unterdrücken. Man macht sich dann eben auf
diesem Wege Luft:Ein Photograph, der sich vorgenommen hat, im Verkehr mit
seinen ungeschickten Angestellten der Zoologie auszuweichen, sagt
zu einem Lehrling, der eine große, ganz volle Schale ausgießen
will und dabei natürlich die Hälfte auf den Boden schüttet: „Aber
Mensch, schöpsen Sie doch zuerst etwas davon ab!“ Und bald
darauf zu einer Gehilfin, die durch ihre Unvorsichtigkeit ein
Dutzend wertvoller Platten gefährdet hat, im Fluß einer längeren
Brandrede: „Aber sind Sie denn so hornverbrannt . . .“Das nachstehende Beispiel zeigt einen ernsthaften Fall von Selbst-
verrat durch Versprechen. Einige Nebenumstände berechtigen seine
vollständige Wiedergabe aus der Mitteilung von A. A. Brill im
„Zentralbl. f. Psychoanalyse“, II. Jahrg.1.„Eines Abends gingen Dr. Frink und ich spazieren und
besprachen einige Angelegenheiten der New Yorker Psychoanaly-
tischen Gesellschaft. Wir begegneten einem Kollegen, Herrn Dr. R.,
den ich seit Jahren nicht gesehen hatte, und von dessen Privat-
leben ich nichts wußte. — Wir freuten uns sehr, uns wieder zu
treffen, und gingen auf meine Aufforderung in ein Kaffeehaus,
wo wir uns zwei Stunden lang angeregt unterhielten. Er schien
von mir Näheres zu wissen, denn nach der gewöhnlichen Begrüßung
erkundigte er sich nach meinem kleinen Kinde und erklärte mir,
daß er von Zeit zu Zeit über mich von einem gemeinsamen
Freunde höre und sich für meine Tätigkeit interessiere, nachdem1) Im „Zentralbl. f. Psychoanalyse“ irrtümlicherweise E. Jones zugeschrieben.
S.
99
er darüber in den medizinischen Zeitschriften gelesen hatte. —
Auf meine Frage, ob er verheiratet sei, gab er eine verneinende
Auskunft und fügte hinzu: ‚Wozu soll ein Mensch wie ich
heiraten ?‘“„Beim Verlassen des Kaffeehauses wandte er sich plötzlich an
mich: ‚Ich möchte wissen, was Sie in folgendem Falle tun würden:
Ich kenne eine Krankenpflegerin, die als Mitschuldige in einen
Ehescheidungsprozeß verwickelt war. Die Ehefrau klagte ihren
Mann auf Scheidung und bezeichnete die Pflegerin als Mitschul-
dige und er bekam die Scheidung1.‘ — Ich unterbrach ihn, ‚Sie
wollen sagen, sie bekam die Scheidung.‘ — Er verbesserte sofort:
‚Natürlich, sie bekam die Scheidung,‘ und erzählte weiter, daß die
Pflegerin sich derart über den Prozeß und Skandal aufgeregt habe,
daß sie zu trinken begann, schwer nervös wurde usw., und fragte
mich um meinen Rat, wie er sie behandeln solle.“„Sobald ich den Fehler korrigiert hatte, bat ich ihn, ihn zu
erklären, aber ich bekam die gewöhnlichen erstaunten Antworten:
ob es nicht eines jeden Menschen gutes Recht sei, sich zu ver-
sprechen, daß das nur ein Zufall sei, nichts dahinter zu suchen
sei usw. Ich erwiderte, daß jedes Fehlsprechen begründet sein
müsse, und daß ich versucht wäre zu glauben, daß er selbst der
Held der Geschichte sei, wenn er mir nicht früher mitgeteilt
hätte, daß er unvermählt sei, denn dann wäre das Versprechen
durch den Wunsch erklärt, seine Frau und nicht er hätte den
Prozeß verlieren sollen, damit er nicht (nach unserem Eherecht)
Alimente zu zahlen brauche und in der Stadt New York wieder
heiraten könne. Er lehnte meine Vermutung hartnäckig ab,
bestärkte sie aber gleichzeitig durch eine übertriebene Affekt-
reaktion, deutliche Zeichen von Erregung und danach Gelächter.
Auf meinen Appell, die Wahrheit im Interesse der wissenschaft-1) „Nach unseren (amerikanischen) Gesetzen wird die Ehescheidung nur aus-
gesprochen, wenn bewiesen wird, daß der eine Teil die Ehe gebrochen hat, und
zwar wird die Scheidung nur dem betrogenen Teile bewilligt.“S.
100
lichen Klarstellung zu sagen, bekam ich die Antwort: ‚Wenn Sie
nicht eine Lüge hören wollen, müssen Sie an mein Junggesellen-
tum glauben, und daher ist Ihre psychoanalytische Erklärung durch-
aus falsch.‘ — Er fügte noch hinzu, daß solch ein Mensch, der
jede Kleinigkeit beachte, direkt gefährlich sei. Plötzlich fiel ihm
ein anderes Rendezvous ein, und er verabschiedete sich.“„Wir beide, Dr. Frink und ich, waren dennoch von meiner
Auflösung seines Versprechens überzeugt, und ich beschloß, durch
Erkundigung den Beweis oder Gegenbeweis zu erhalten. — Einige
Tage später besuchte ich einen Nachbar, einen alten Freund des
Dr. R., der mir vollinhaltlich meine Erklärung bestätigen konnte.
Der Prozeß hatte vor wenigen Wochen stattgefunden und die
Pflegerin war als Mitschuldige vorgeladen werden. — Dr. R. ist
jetzt von der Richtigkeit der Freudschen Mechanismen fest
überzeugt.“Der Selbstverrat ist ebenso unzweifelhaft in folgendem von
O. Rank mitgeteilten Falle:„Ein Vater, der keinerlei patriotisches Gefühl besitzt und seine
Kinder auch von diesem ihm überflüssig erscheinenden Empfinden
frei erziehen will, tadelt seine Söhne wegen ihrer Teilnahme an
einer patriotischen Kundgebung und weist ihre Berufung auf das
gleiche Verhalten des Onkels mit den Worten zurück: ‚Gerade
dem sollt ihr nicht nacheifern; der ist ja ein Idiot.‘ Das über
diesen ungewohnten Ton des Vaters erstaunte Gesicht der Kinder
macht ihn aufmerksam, daß er sich versprochen habe, und ent-
schuldigend bemerkt er: Ich wollte natürlich sagen: Patriot.“Als Selbstverrat wird auch von der Partnerin des Gesprächs ein
Versprechen gedeutet, das J. Stärcke (l. c.) berichtet, und zu dem
er eine treffende, wenn auch die Aufgabe der Deutung über-
schreitende Bemerkung hinzufügt.„Eine Zahnärztin hatte mit ihrer Schwester verabredet, daß sie
bei ihr einmal nachsehen würde, ob sie zwischen zwei Backen-
zähnen wohl Kontakt hätte (d. h. ob die Backenzähne mitS.
101
ihren Seitenflächen einander berühren, so daß keine Nahrungs-
reste dazwischen bleiben können). Ihre Schwester beklagte sich
jetzt darüber, daß sie auf diese Untersuchung so lange warten
mußte, und sagte im Scherze: ‚Jetzt behandelt sie wohl eine
Kollegin, aber ihre Schwester muß noch immer warten.‘ — Die
Zahnärztin untersucht sie jetzt, findet wirklich ein kleines Loch
in dem einen Backenzahn und sagt: ‚Ich dachte nicht, daß es so
schlimm war; ich dachte, daß du nur kein Kontant
hättest... kein Kontakt hättest.‘ — ,Siehst du wohl,‘
rief ihre Schwester lachend, ‚daß es nur wegen deiner Habsucht
ist, daß du mich soviel länger warten läßt als deine zahlenden
Patienten?!‘ “ —(„Ich darf selbstverständlich meine eigenen Einfälle nicht den
ihrigen hinzufügen oder daraus Schlüsse ziehen, aber beim
Vernehmen dieser Versprechung ging mein Gedankengang sofort
dahin, daß diese zwei lieben und geistreichen jungen Frauen
unverheiratet sind und auch sehr wenig mit jungen Männern
umgehen, und ich fragte mich selbst, ob sie mehr Kontakt mit
jungen Leuten haben würden, wenn sie mehr Kontant hätten.“)Den Wert eines Selbstverrates hat auch nachstehendes, von
Th. Reik (l. c.) mitgeteiltes Versprechen:„Ein junges Mädchen sollte einem ihr unsympathischen jungen
Manne verlobt werden. Um die beiden jungen Leute einander
näherzubringen, verabredeten deren Eltern eine Zusammenkunft,
der auch Braut und Bräutigam in spe beiwohnten. Das junge
Mädchen besaß Selbstüberwindung genug, ihren Freier, der sich
sehr galant gegen sie benahm, ihre Abneigung nicht merken zu
lassen. Doch auf die Frage ihrer Mutter, wie ihr der junge Mann
gefiele, antwortete sie höflich: ‚Gut. Er ist sehr liebenswidrigl‘“Nicht minder aber ein anderes, das O. Rank als „witziges
Versprechen“ beschreibt.„Einer verheirateten Frau, die gern Anekdoten hört und von
der man behauptet, daß sie auch außerehelichen WerbungenS.
102
nicht abhold sei, wenn sie durch entsprechende Geschenke unter-
stützt werden, erzählt ein junger Mann, der sich auch um ihre
Gunst bewirbt, nicht ohne Absicht die folgende altbekannte
Geschichte. Von zwei Geschäftsfreunden bemüht sich der eine
um die Gunst der etwas spröden Frau seines Kompagnons;
schließlich will sie ihm diese gegen ein Geschenk von tausend
Gulden gewähren. Als nun ihr Mann verreisen will, borgt sich
sein Kampagnen von ihm tausend Gulden aus und verspricht sie
noch am nächsten Tage seiner Frau zurückzustellen. Natürlich
gibt er dann diesen Betrag als vermeintlichen Liebeslohn der
Frau, die sich schließlich noch entdeckt glaubt, als ihr zurück-
gekehrter Mann die tausend Gulden verlangt und zum Schaden
noch den Schimpf hat. — Als der junge Mann in der Erzählung
dieser Geschichte bei der Stelle angelangt war, wo der Verführer
zum Kompagnon sagt: ‚Ich werde das Geld morgen deiner Frau
zurückgeben‘, unterbrach ihn seine Zuhörerin mit den viel-
sagenden Worten: ‚Sagen Sie, haben Sie mir das nicht schon —
zurückgegeben? Ah, pardon, ich wollte sagen — erzählt?‘
— Sie könnte ihre Bereitwilligkeit, sich unter denselben Bedingungen
hinzugeben, kaum deutlicher kundgeben, ohne sie direkt
auszusprechen.“ (Internat‚ Zeitschr. f. Psychoanalyse, l, 1914.)Einen schönen Fall von solchem Selbstverrat mit harmlosem
Ausgang berichtet V. Tausk unter dem Titel „Der Glauben der
Väter“: „Da meine Braut Christin war“, erzählte Herr A., „und
nicht zum Judentum übertreten wollte, mußte ich selbst vom
Judentum zum Christentum übertreten, um heiraten zu können.
Ich wechselte die Konfession nicht ohne inneren Widerstand, aber
das Ziel schien mir den Konfessionswechsel zu rechtfertigen, und
dies um so eher, als ich nur eine äußere Zugehörigkeit zum
Judentum, keine religiöse Überzeugung, da ich eine solche nicht
besaß, abzulegen hatte. Ich habe mich trotzdem später immer
zum Judentum bekannt und wenige meiner Bekannten wissen,
daß ich getauft bin. Aus dieser Ehe entstammen zwei Söhne, dieS.
103
christlich getauft wurden. Als die Knaben entsprechend heran-
gewachsen waren, erfuhren sie von ihrer jüdischen Abstammung,
damit sie sich nicht, durch antisemitische Einflüsse der Schule
bestimmt, aus diesem überflüssigen Grunde gegen den Vater
kehrten. — Vor einigen Jahren wohnte ich mit den Kindern,
die damals die Volksschule besuchten, zur Sommerfrische in D.
bei einer Lehrerfamilie. Als wir eines Tages mit unseren, übrigens
freundlichen Wirtsleuten bei der Jause saßen, machte die Frau
des Hauses, da sie von der jüdischen Herkunft ihrer Sommer-
partei nichts ahnte, einige recht scharfe Ausfälle gegen die Juden.
Ich hätte nun tapfer die Situation deklarieren sollen, um meinen
Söhnen das Beispiel vom ‚Mut der Überzeugung‘ zu geben,
fürchtete aber die unerquicklichen Auseinandersetzungen, die einem
solchen Bekenntnis zu folgen pflegen. Außerdem bangte mir
davor, die gute Unterkunft, die wir gefunden hatten, eventuell
verlassen zu müssen und mir und meinen Kindern so die ohne-
hin kurz bemessene Erholungszeit zu verderben, falls unsere
Wirtsleute ihr Benehmen gegen uns, weil wir Juden waren, in
unfreundlicher Weise verändern sollten. Da ich jedoch erwarten
durfte, daß meine Knaben in freimütiger Weise und unbefangen
die folgenschwere Wahrheit verraten würden, wenn sie noch
länger dem Gespräche beiwohnten, wollte ich sie aus der Gesell-
schaft entfernen, indem ich sie in den Garten schickte. ‚Geht in
den Garten, Juden —,‘ sagte ich und korrigierte schnell:
‚Jungen‘. Womit ich also durch eine Fehlleistung meinem ‚Mut
der Überzeugung‘ zum Ausdruck verhalf. Die anderen hatten
zwar aus diesem Versprechen keine Konsequenzen gezogen, weil
sie ihm keine Bedeutung zumaßen, ich aber mußte die Lehre
ziehen, daß der ‚Glauben der Väter‘ sich nicht ungestraft verleugnen
läßt, wenn man ein Sohn ist und Söhne hat.“ (Internat. Zeitschr.
f. Psychoanalyse, IV. 1916.Keineswegs harmlos wirkt folgender Fall von Versprechen, den
ich nicht mitteilen würde, wenn ihn nicht der GerichtsbeamteS.
104
selbst während des Verhörs für diese Sammlung aufgezeichnet
hätte:Ein des Einbruchs beschuldigter Volkswehrmann sagt aus: „Ich
wurde seither aus dieser militärischen Diebsstellung noch nicht
entlassen, gehöre also derzeit noch der Volkswehr an.“Erheiternd wirkt das Versprechen, wenn es als Mittel benützt
wird, um während eines Widerspruches zu bestätigen, was dem
Arzte in der psychoanalytischen Arbeit sehr willkommen sein
mag. Bei einem meiner Patienten hatte ich einst einen Traum
zu deuten, in welchem der Name Jauner vorkam. Der Träumer
kannte eine Person dieses Namens, es ließ sich aber nicht finden,
weshalb diese Person in den Zusammenhang des Traumes
aufgenommen war, und darum wagte ich die Vermutung, es
könne bloß wegen des Namens, der an den Schimpf Gauner
anklinge, geschehen sein. Der Patient widersprach rasch und
energisch, versprach sich aber dabei und bestätigte meine
Vermutung, indem er sich der Ersetzung ein zweitesmal bediente.
Seine Antwort lautete: „Das erscheint mir doch zu jewagt.“
Als ich ihn auf das Versprechen aufmerksam machte, gab er
meiner Deutung nach.Wenn im ernsthaften Wortstreit ein solches Versprechen,
welches die Redeabsicht in ihr Gegenteil verkehrt, sich dem
einen der beiden Streiter ereignet, so setzt es ihn sofort in Nach-
teil gegen den anderen, der es selten versäumt, sich seiner
verbesserten Position zu bedienen.Es wird dabei klar, daß die Menschen ganz allgemein dem
Versprechen wie anderen Fehlleistungen dieselbe Deutung geben,
wie ich sie in diesem Buche vertrete, auch wenn sie sich in der
Theorie nicht für diese Auffassung einsetzen, und wenn sie für
ihre eigene Person nicht geneigt sind, auf die mit der Duldung
der Fehlleistungen verbundene Bequemlichkeit zu verzichten. Die
Heiterkeit und der Hohn, die solches Fehlgehen der Rede im
entscheidenden Moment mit Gewißheit hervorrufen, zeugen gegenS.
105
die angeblich allgemein zugelassene Konvention, ein Versprechen
sei ein Lapsus linguae und psychologisch bedeutungslos. Es war
kein geringerer als der deutsche Reichskanzler Fürst Bülow,
der durch solchen Einspruch die Situation zu retten versuchte,
als ihm der Wortlaut seiner Verteidigungsrede für seinen
Kaiser (November 1907) durch ein Versprechen ins Gegenteil
umschlug.„Was nun die Gegenwart, die neue Zeit Kaiser Wilhelms II.,
angeht, so kann ich nur wiederholen, was ich vor einem Jahre
gesagt habe, daß es unbillig und ungerecht wäre, von
einem Ring verantwortlicher Ratgeber um unseren
Kaiser zu sprechen . . . (Lebhafte Zurufe: Unverantwortlicher),
unverantwortlicher Ratgeber zu sprechen. Verzeihen Sie
den Lapsus linguae.“ (Heiterkeit.)Indes, der Satz des Fürsten Bülow war durch die Häufung
der Negationen einigermaßen undurchsichtig ausgefallen; die
Sympathie für den Redner und die Rücksicht auf seine schwierige
Stellung wirkten dahin, daß dies Versprechen nicht weiter gegen
ihn ausgenützt wurde. Schlimmer erging es ein Jahr später an
demselben Orte einem anderen, der zu einer rückhaltlosen
Kundgebung an den Kaiser auffordern wollte und dabei durch
ein böses Versprechen an andere in seiner loyalen Brust wohnende
Gefühle gemahnt wurde:„Lattmann (Deutschnational): Wir stellen uns bei der
Frage der Adresse auf den Boden der Geschäftsordnung
des Reichstages. Danach hat der Reichstag das Recht, eine solche
Adresse an den Kaiser einzureichen. Wir glauben, daß der einheit-
liche Gedanke und der Wunsch des deutschen Volkes dahin geht,
eine einheitliche Kundgebung auch in dieser Angelegen-
heit zu erreichen, und wenn wir das in einer Form tun können,
die den monarchischen Gefühlen durchaus Rechnung trägt, so
sollen wir das auch rückgratlos tun. (Stürmische Heiterkeit,
die minutenlang anhält.) Meine Herren, es hieß nicht rückgrat-S.
106
los, sondern rückhaltlos (Heiterkeit), und solche rückhaltlose
Äußerung des Volkes, das wollen wir hoffen, nimmt auch unser
Kaiser in dieser schweren Zeit entgegen.“Der „Vorwärts“ vom 12. November 1908 versäumte es nicht,
die psychologische Bedeutung dieses Versprechens aufzuzeigen: „Nie
ist wohl je in einem Parlament von einem Abgeordneten in unfrei-
williger Selbstbezichtigung seine und der Parlamentsmehrheit
Haltung gegenüber dem Monarchen so treffend gekennzeichnet
worden, wie das dem Antisemiten Lattmann gelang, als er am
zweiten Tage der Interpellation mit feierlichem Pathos in das
Bekenntnis entgleiste, er und seine Freunde wollten dem Kaiser
rückgratlos ihre Meinung sagen. — Stürmische Heiterkeit auf
allen Seiten erstickte die weiteren Worte des Unglücklichen, der
es noch für notwendig hielt, ausdrücklich entschuldigend zu
stammeln, er meine eigentlich ,rückhaltlos‘.“Ich füge noch ein Beispiel an, in dem das Versprechen den
gerade unheimlichen Charakter einer Prophezeiung bekam: Im
Frühjahr 1923 erregte es in der internationalen Finanzwelt großes
Aufsehen, daß der ganz junge Bankier X., von den „neuen
Reichen“ in W. wohl einer der Neuesten, jedenfalls der Reichste
und der an Jahren Jüngste, nach kurzem Majoritätskampfe in den
Besitz der Aktienmajorität der ***Bank gelangte, was auch zur
Folge hatte, daß in einer bemerkenswerten Generalversammlung
die alten Leiter dieses Instituts, Finanzleute alten Schlages, nicht
wiedergewählt wurden und der junge X. Präsident der Bank
wurde. In der Abschiedsrede, die dann das Verwaltungsratmitglied
Dr. Y. für den nicht wiedergewählten alten Präsidenten hielt, fiel
manchem Zuhörer ein wiederholtes peinliches Versprechen des
Redners auf. Es sprach immerfort vom dahinscheidenden
(statt: dem ausscheidenden) Präsidenten. — Es ereignete sich dann,
daß der nicht wiedergewählte alte Präsident einige Tage nach
dieser Versammlung starb. Er hatte aber das Alter von 80 Jahren
überschritten! (Storfer.)S.
107
Ein schönes Beispiel von Versprechen, welches nicht so sehr
den Verrat des Redners als die Orientierung des außer der Szene
stehenden Hörers bezweckt, findet sich im Wallenstein (Piccolo-
mini, I. Aufzug, 5. Auftritt) und zeigt uns, daß der Dichter,
der sich hier dieses Mittels bedient, Mechanismus und Sinn des
Versprechens wohl gekannt hat. Max Piccolomini hat in der vor-
hergehenden Szene aufs Ieidenschaftlichste für den Herzog Partei
genommen und dabei von den Segnungen des Friedens geschwärmt,
die sich ihm auf seiner Reise enthüllt, während er die Tochter
Wallensteins ins Lager begleitete. Er läßt seinen Vater und den
Abgesandten des Hofes, Questenberg, in voller Bestürzung zurück.
Und nun geht der fünfte Auftritt weiter:QUESTENBERG: O weh uns! Steht es so?
Freund, und wir lassen ihn in diesem Wahn
Dahingehen, rufen ihn nicht gleich
Zurück, daß wir die Augen auf der Stelle
Ihm öffnen?
OCTAVIO (aus einem tiefen Nachdenken zu sich kommend):
Mir hat er sie jetzt geöffnet,
Und mehr erblick’ ich, als mich freut.
QUESTENBERG: Was ist, Freund?
OCTAVIO: Fluch über diese Reise!
QUESTENBERG: Wieso? Was ist es?
OCTAVIO: Kommen Sie! Ich muß
Sogleich die unglückselige Spur verfolgen,
Mit meinen Augen sehen — kommen Sie —
(will ihn fortführen).
QUESTENBERG: Was denn? Wohin?
OCTAVIO (pressiert): Zu ihr!
QUESTENBERG: Zu —
OCTAVIO (korrigiert sich): Zum Herzog! Gehen wir! usw.Dies kleine Versprechen „zu ihr“ anstatt „zu ihm“ soll uns
verraten, daß der Vater das Motiv der Parteinahme seines Sohnes
durchschaut hat, während der Höfling klagt: „daß er in lauter
Rätseln zu ihm rede“.S.
108
Ein anderes Beispiel von poetischer Verwertung des Versprechens
hat Otto Rank bei Shakespeare entdeckt. Ich zitiere Ranks
Mitteilung nach dem Zentralblatt für Psychoanalyse, I, 3:„Ein dichterisch überaus fein motiviertes und technisch glänzend
verwertetes Versprechen, welches wie das von Freud im
„Wallenstein“ aufgezeigte verrät, daß die Dichter Mechanismus
und Sinn dieser Fehlleistung wohl kennen und deren Verständnis
auch beim Zuhörer voraussetzen, findet sich in Shakespeares
„Kaufmann von Venedig“ (III. Aufzug, 2. Szene). Die durch
den Willen ihres Vaters an die Wahl eines Gatten durch das Los
gefesselte Porzia ist bisher allen ihren unliebsamen Freiern durch das
Glück des Zufalls entronnen. Da sie endlich in Bassanio den Bewerber
gefunden hat, dem sie wirklich zugetan ist, muß sie fürchten, daß
auch er das falsche Los ziehen werde. Sie möchte ihm nun am liebsten
sagen, daß er auch in diesem Fall ihrer Liebe sicher sein könne, ist
aber durch ihr Gelübde daran gehindert. In diesem inneren Zwiespalt
läßt sie der Dichter zu dem willkommenen Freier sagen:Ich bitt’ Euch, wartet; ein, zwei Tage noch,
Bevor Ihr wagt: denn wählt Ihr falsch, so büße
Ich Euern Umgang ein; darum verzieht.
Ein Etwas sagt mir (doch es ist nicht Liebe),
Ich möcht’ Euch nicht verlieren; — — —
— — — Ich könnt’ Euch leiten
Zur rechten Wahl, dann bräch’ ich meinen Eid;
Das will ich nicht; so könnt Ihr mich verfehlen.
Doch wenn Ihr’s tut, macht Ihr mich sündlich wünschen,
Ich hätt’ ihn nur gebrochen. O, der Augen,
Die mich so übersehn und mich geteilt!
Halb bin ich Euer, die andre Hälfte Euer —
Mein wollt ich sagen; doch wenn mein, dann Euer,
Und so ganz Euer.
(Nach der Übersetzung von Schlegel und Tieck.)Gerade das, was sie ihm also bloß leise andeuten möchte, weil
sie es eigentlich ihm überhaupt verschweigen sollte, daß sie nämlich
schon vor der Wahl ganz die Seine sei und ihn liebe, das läßtS.
109
der Dichter mit bewundernswertem psychologischen Feingefühl in
dem Versprechen sich offen durchdrängen und weiß durch diesen
Kunstgriff die unerträgliche Ungewißheit des Liebenden sowie die
gleichgestimmte Spannung des Zuhörers über den Ausgang der
Wahl zu beruhigen.“Bei dem Interesse, welche solche Parteinahme der großen Dichter
für unsere Auffassung des Versprechens verdient, halte ich es für
gerechtfertigt, ein drittes solches Beispiel anzuführen, welches
von E. Jones mitgeteilt worden ist1:„Otto Rank macht in einem unlängst publizierten Aufsatz
auf ein schönes Beispiel aufmerksam, in welchem Shakespeare eine
seiner Gestalten, die Porzia, ein ,Versprechen‘ begehen läßt, durch
welches ihre geheimen Gedanken einem aufmerksamen Hörer
offenbar werden. Ich habe die Absicht, ein ähnliches Beispiel aus
‚The Egoist‘, dem Meisterwerke des größten englischen Roman-
schriftstellers, George Meredith, zu erzählen. Die Handlung des
Romans ist kurz folgende: Sir Willoughby Patterne, ein von seinem
Kreise sehr bewunderter Aristokrat, verlobt sich mit einer Miß
Konstantia Durham. Sie entdeckt in ihm einen intensiven Egoismus,
den er jedoch vor der Welt geschickt verbirgt, und geht, um der
Heirat zu entrinnen, mit einem Kapitän namens Oxford durch.
Einige Jahre später verlobt er sich mit einer Miß Klara Middleton.
Der größte Teil des Buches ist nun mit der ausführlichen
Beschreibung des Konfliktes erfüllt, der in Klara Middletons Seele
entsteht, als sie in ihrem Verlobten denselben hervorstechenden
Charakterzug entdeckt. Äußere Umstände und ihr Ehrbegriff fesseln
sie an ihr gegebenes Wort, während ihr Bräutigam ihr immer
verächtlicher erscheint. Teilweise macht sie Vernon Whitford,
dessen Vetter und Sekretär (den sie zuletzt auch heiratet), zum
Vertrauten. Er jedoch hält sich aus Loyalität Patterne gegenüber
und aus anderen Motiven zurück.1) Ein Beispiel von literarischer Verwertung des Versprechens. Zentralbl. f. Psycho-
analyse, I, 10.S.
110
In einem Monolog über ihren Kummer spricht Klara folgender-
maßen: ‚Wenn doch ein edler Mann mich sehen könnte, wie ich
bin, und es nicht zu gering erachtete, mir zu helfen! Oh! befreit
zu werden aus diesem Kerker von Dornen und Gestrüpp. Ich
kann mir allein meinen Weg nicht bahnen. Ich bin ein Feigling.
Ein Fingerzeig1 — ich glaube, er würde mich verändern. Zu einem
Kameraden könnt’ ich fliehn, blutig zerrissen und umbraust von
Verachtung und Geschrei . . . Konstantia begegnete einem Soldaten.
Vielleicht betete sie, und ihr Gebet ward erhört. Sie tat nicht
recht. Aber, oh, wie lieb’ ich sie darum. Sein Name war Harry
Oxford . . . Sie schwankte nicht, sie riß die Ketten, sie ging offen
zu dem andern über. Tapferes Mädchen wie denkst du über mich?
Ich aber habe keinen Harry Whitford, ich bin allein.‘ — —Die plötzliche Erkenntnis, daß sie einen anderen Namen für
Oxford gebraucht habe, traf sie wie ein Faustschlag und über-
goß sie mit flammender Röte.Die Tatsache, daß die Namen beider Männer mit ‚ford‘ endigen,
erleichtert das Verwechseln der beiden offensichtlich und würde von
vielen als ein hinreichender Grund dafür angesehen werden. Der
wahre tieferliegende Grund jedoch ist von dem Dichter klar aus-
geführt.An einer anderen Stelle kommt dasselbe Versprechen wieder vor.
Es folgt ihm jene spontane Unschlüssigkeit und jener plötzliche
Wechsel des Themas, mit denen uns die Psychoanalyse und Jungs
Werk über die Assoziationen vertraut machen, und die nur ein-
treten, wenn ein halbbewußter Komplex berührt wird. Patterne
sagt in patronisierendem Tone von Whitford: ‚Falscher Alarm!
Der gute alte Vernon ist gar nicht imstande, etwas Ungewöhn-
liches zu tun.‘ Klara antwortet: ‚Wenn aber nun Oxford —
Whitford . . . da — Ihre Schwäne kommen gerade den See1) Anmerkung des Übersetzers: Ich wollte ursprünglich das Orginal beckoning of
a finger mit „leiser Wink“ übersetzen, bis mir klar wurde, daß ich durch Unter-
schlagung des Wortes „Finger“ den Satz einer psychologischen Feinheit beraube.S.
111
durchsegelnd; wie schön sie aussehen, wenn sie indigniert sind!
Was ich Sie eben fragen wollte. Männer, die Zeugen einer offen-
sichtlichen Bewunderung für jemand anderen sind, werden wohl
natürlicherweise entmutigt?‘ Sir Willoughby traf eine plötzliche
Erleuchtung, er richtete sich steif auf.Noch an einer anderen Stelle verrät Klara durch ein anderes
Versprechen ihren geheimen Wunsch nach einer innigeren Ver-
bindung mit Vernon Whitford. Zu einem Burschen sprechend, sagt
sie: ‚Sage abends dem Mr. Vernon — sage abends dem Mr. Whit-
ford . . . usw1.‘“Die hier vertretene Auffassung des Versprechens hält übrigens
der Probe an dem Kleinsten stand. Ich habe wiederholt zeigen
können, daß die geringfügigsten und naheliegendsten Fälle von
Redeirrung ihren guten Sinn haben und die nämliche Lösung zu-
lassen wie die auffälligeren Beispiele. Eine Patientin, die ganz gegen
meinen Willen, aber mit starkem eigenen Vorsatz einen kurzen
Ausflug nach Budapest unternimmt, rechtfertigt sich vor mir, sie
gehe ja nur für drei Tage dahin, verspricht sich aber und sagt:
nur für drei Wochen. Sie verrät, daß sie mir zum Trotze lieber
drei Wochen als drei Tage in jener Gesellschaft bleiben will, die
ich als unpassend für sie erachte. — Ich soll mich eines Abends
entschuldigen, daß ich meine Frau nicht vom Theater abgeholt,
und sage: Ich war zehn Minuten nach 10 Uhr beim Theater.
Man korrigiert mich: Du willst sagen: vor 10 Uhr. Natürlich
wollte ich vor 10 Uhr sagen. Nach 10 Uhr wäre ja keine Ent-
schuldigung. Man hatte mir gesagt, auf dem Theaterzettel stehe:
Ende vor 10 Uhr. Als ich beim Theater anlangte, fand ich das
Vestibül verdunkelt und das Theater entleert. Die Vorstellung war
eben früher zu Ende gewesen, und meine Frau hatte nicht auf1) Andere Beispiele von Versprechen, die nach des Dichters Absicht als sinnvoll,
meist als Selbstverrat, aufgefaßt werden sollen, finden sich bei Shakespeare in
Richard II. (II, 2), bei Schiller im Don Carlos (II, 8, Versprechen der Eboli). Es
wäre gewiß ein leichtes, diese Liste zu vervollständigen.S.
112
mich gewartet. Als ich auf die Uhr sah, fehlten noch fünf Minuten
zu 10 Uhr. Ich nahm mir aber vor, meinen Fall zu Hause günstiger
darzustellen und zu sagen, es hätten noch zehn Minuten zur zehnten
Stunde gefehlt. Leider verdarb mir das Versprechen die Absicht
und stellte meine Unaufrichtigkeit bloß, indem es mich selbst mehr
bekennen ließ, als ich zu bekennen hatte.Man gelangt von hier aus zu jenen Redestörungen, die nicht
mehr als Versprechen beschrieben werden, weil sie nicht das ein-
zelne Wort, sondern Rhythmus und Ausführung der ganzen Rede
beeinträchtigen, wie z. B. das Stammeln und Stottern der Verlegen-
heit. Aber hier wie dort ist es der innere Konflikt, der uns durch
die Störung der Rede verraten wird. Ich glaube wirklich nicht,
daß jemand sich versprechen würde in der Audienz bei Seiner
Majestät, in einer ernstgemeinten Liebeswerbung, in einer Ver-
teidigungsrede um Ehre und Namen vor den Geschworenen, kurz
in all den Fällen, in denen man ganz dabei ist, wie wir so
bezeichnend sagen. Selbst bis in die Schätzung des Stils, den ein
Autor schreibt, dürfen wir und sind wir gewöhnt, das Erklärungs-
prinzip zu tragen, welches wir bei der Ableitung des einzelnen
Sprechfehlers nicht entbehren können. Eine klare und unzweideutige
Schreibweise belehrt uns, daß der Autor hier mit sich einig ist,
und wo wir gezwungenen und gewundenen Ausdruck finden, der,
wie so richtig gesagt wird, nach mehr als einem Scheine schielt,
da können wir den Anteil eines nicht genugsam erledigten, kom-
plizierenden Gedankens erkennen oder die erstickte Stimme der
Selbstkritik des Autors heraushören1.Seit dem ersten Erscheinen dieses Buches haben fremdsprachige
Freunde und Kollegen begonnen, dem Versprechen, das sie in den
Ländern ihrer Zunge beobachten konnten, ihre Aufmerksamkeit1) Ce qu’on conçoit bien
S’annonce clairement
Et Ies mots pour le dire
Arrivent aisément. Boileau, Art poétique.S.
113
zuzuwenden. Sie haben, wie zu erwarten stand, gefunden, daß die
Gesetze der Fehlleistung vom Sprachmaterial unabhängig sind, und
haben dieselben Deutungen vorgenommen, die hier an Beispielen
von Deutsch redenden Personen erläutert wurden. Ich führe nur
ein Beispiel anstatt ungezählt vieler an:Dr. A. A. Brill (New York) berichtet von sich: A friend descri-
bed to me a nervous patient and wished to know whether I could
benefit him. I remarked, I believe that in time I could remove all his
symptoms by psycho-analysis because it is a durable case wishing
to say „curable“! (A contribution to the Psychopathology of
Everyday Life. Psychotherapy, Vol. III, Nr. 1, 1909.)Schließlich will ich für diejenigen Leser, die eine gewisse
Anstrengung nicht scheuen und denen die Psychoanalyse nicht
fremd ist, ein Beispiel anfügen, aus dem zu ersehen ist, in
welche seelischen Tiefen auch die Verfolgung eines Versprechens
führen kann.Dr. L. Jekels berichtet: „Am 11. Dezember werde ich von
einer mir befreundeten Dame in polnischer Sprache etwas heraus-
fordernd und übermütig mit den Worten apostrophiert: ‚Warum
habe ich heute gesagt, daß ich zwölf Finger habe?‘
— Sie reproduziert nun über meine Aufforderung die Szene, in
der die Bemerkung gefallen ist. Sie habe sich angeschickt, mit
der Tochter auszugehen, um einen Besuch zu machen, habe ihre
Tochter, eine in Remission befindliche Dementia praecox, auf-
gefordert, die Bluse zu wechseln, was diese im anstoßenden
Zimmer auch getan hat. Als die Tochter wieder eintrat, fand sie
die Mutter mit dem Reinigen der Nägel beschäftigt; und da
entwickelte sich folgendes Gespräch:Tochter: ‚Nun siehst du, ich bin schon fertig und du noch
nicht!"Mutter: ‚Du hast ja aber auch nur eine Bluse und ich
zwölf Nägel.‘Tochter: ,Was?‘
S.
114
Mutter (ungeduldig): ‚Nun natürlich, ich habe ja doch
zwölf Finger.‘Die Frage eines die Erzählung mitanhörenden Kollegen, was
ihr zu zwölf einfalle, wird ebenso prompt wie bestimmt
beantwortet: ‚Zwölf ist für mich kein Datum (von
Bedeutung).‘Zu Finger wird unter einem leichten Zögern die Assoziation
geliefert: ‚In der Familie meines Mannes kamen sechs Finger an
den Füßen (im Polnischen gibt es keinen eigenen Ausdruck
für Zehe) vor. Als unsere Kinder zur Welt kamen, wurden
sie sofort darauf untersucht, ob sie nicht sechs Finger haben.‘
Aus äußeren Ursachen wurde an diesem Abend die Analyse
nicht fortgesetzt.Am nächsten Morgen, dem 12. Dezember, besucht mich die
Dame und erzählt mir sichtlich erregt: ‚Denken Sie, was mir
passiert ist; seit etwa 20 Jahren gratuliere ich dem alten Onkel
meines Mannes zu seinem Geburtstag, der heute fällig ist, schreibe
ihm immer am 11. einen Brief; und diesmal habe ich es ver-
gessen und mußte soeben telegraphieren.‘Ich erinnere mich und die Dame, mit welcher Bestimmtheit sie
am gestrigen Abend die Frage des Kollegen nach der Zahl Zwölf,
die doch eigentlich sehr geeignet war, ihr den Geburtstag in
Erinnerung zu bringen, abgetan hat mit der Bemerkung, der
Zwölfte sei für sie kein Datum von Bedeutung.Nun gesteht sie, dieser Onkel ihres Mannes sei ein Erbonkel,
auf dessen Erbschaft sie eigentlich immer gerechnet habe, ganz
besonders in ihrer jetzigen bedrängten finanziellen Lage.So sei er, respektive sein Tod, ihr sofort in den Sinn gekommen, als
ihr vor einigen Tagen eine Bekannte aus Karten prophezeit habe,
sie werde viel Geld bekommen. Es schoß ihr sofort durch den
Kopf, der Onkel sei der einzige, von dem sie, respektive ihre
Kinder, Geld erhalten könnten; auch erinnerte sie sich bei dieser
Szene augenblicklich, daß schon die Frau dieses Onkels versprochenS.
115
habe, die Kinder der Erzählerin testamentarisch zu bedenken; nun
ist sie aber ohne Testament gestorben; vielleicht hat sie ihrem
Manne den bezüglichen Auftrag gegeben.Der Todeswunsch gegen den Onkel muß offenbar sehr intensiv
aufgetreten sein, wenn sie der ihr prophezeienden Dame gesagt
hat: ‚Sie verleiten die Leute dazu, andere umzubringen.‘In diesen vier oder fünf Tagen, die zwischen der Prophezeiung
und dem Geburtstage des Onkels lagen, suchte sie stets in den
im Wohnorte des Onkels erscheinenden Blättern die auf seinen
Tod bezügliche Parte.Kein Wunder somit, daß bei so intensivem Wunsche nach
seinem Tode, die Tatsache und das Datum seines demnächst zu
feiernden Geburtstages so stark unterdrückt wurden, daß es nicht
bloß zum Vergessen eines sonst seit Jahren ausgeführten Vorsatzes
gekommen ist, sondern auch, daß sie nicht einmal durch die Frage
des Kollegen ins Bewußtsein gebracht wurden.In dem Lapsus ‚zwölf Finger‘ hat sich nun die unterdrückte
Zwölf durchgesetzt und hat die Fehlleistung mitbestimmt.Ich meine: mitbestimmt, denn die auffällige Assoziation zu
,Finger‘ läßt uns noch weitere Motivierungen ahnen; sie erklärt
uns auch, warum der Zwölfer gerade diese so harmlose Redensart
von den zehn Fingern verfälscht hat.Der Einfall lautete: ‚In der Familie meines Mannes kamen
sechs Finger an den Füßen vor.‘Sechs Zehen sind Merkmale einer gewissen Abnormität, somit
sechs Finger ein abnormes Kind undzwölf Finger zwei abnorme Kinder.
Und tatsächlich traf dies in diesem Falle zu.
Die in sehr jungem Alter verheiratete Frau hatte als einzige
Erbschaft nach ihrem Manne, der stets als exzentrischer, abnormer
Mensch galt und sich nach kurzer Ehe das Leben nahm, zwei
Kinder, die wiederholt von Ärzten als väterlicherseits schwer
hereditär belastet und abnorm bezeichnet wurden.S.
116
Die ältere Tochter ist nach einem schweren katatonen Anfall
vor kurzem nach Hause zurückgekehrt; bald nachher erkrankte
auch die jüngere, in der Pubertät befindliche Tochter an einer
schweren Neurose.Daß die Abnormität der Kinder hier zusammengestellt wird
mit dem Sterbewunsche gegen den Onkel und sich mit diesem
ungleich stärker unterdrückten und psychisch valenteren Element
verdichtet, läßt uns als zweite Determinierung dieses Versprechens
den Todeswunsch gegen die abnormen Kinder
annehmen.Die prävalierende Bedeutung des Zwölfers als Sterbewunsch
erhellt aber schon daraus, daß in der Vorstellung der Erzählenden
der Geburtstag des Onkels sehr innig assoziiert war mit dem
Todesbegriffe. Denn ihr Mann hat sich am 13. das Leben
genommen, also einen Tag nach dem Geburtstag ebendesselben
Onkels, dessen Frau zu der jungen Witwe gesagt hatte: ‚Gestern
gratulierte er noch so herzlich und lieb, — und heute!‘Ferner will ich noch hinzufügen, daß die Dame auch genug
reale Gründe hatte, den Kindern den Tod zu wünschen, von
denen sie gar keine Freude erfuhr, sondern nur Kummer
und arge Einschränkungen ihrer Selbstbestimmung zu leiden
hatte, und denen zuliebe sie auf jegliches Liebesglück verzichtet
hatte.Auch diesmal war sie außerordentlich bemüht, jeglichen Anlaß
zur Verstimmung der Tochter, mit der sie zu Besuch ging, zu
vermeiden; und man kann sich vorstellen, welchen Aufwand an
Geduld und Selbstverleugnung einer Dementia praecox gegenüber
dies verlangt, und wie viele Wutregungen dabei unterdrückt
werden müssen.Demzufolge würde der Sinn der Fehlleistung lauten:
Der Onkel soll sterben, diese abnormen Kinder sollen sterben
(sozusagen diese ganze abnorme Familie), und ich soll das Geld
von ihnen haben.S.
117
Diese Fehlleistung besitzt nach meiner Ansicht mehrere Merk-
male einer ungewöhnlichen Struktur, und zwar:a) Das Vorhandensein von zwei Determinanten, die in einem
Element verdichtet sind.b) Das Vorhandensein der zwei Determinanten spiegelt sich in
der Doppelung des Versprechens (zwölf Nägel, zwölf Finger).c) Auffällig ist, daß die eine Bedeutung des Zwölfers, nämlich
die die Abnormität der Kinder ausdrückenden zwölf Finger, eine
indirekte Darstellung repräsentiert; die psychische Abnormität
wird hier durch die physische, das Oberste durch das Unterste
dargestellt“1.1) Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse, I, 1913.
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