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S.
PROF. DR. FREUD WIEN IX., BERGGASSE 19
9. XI. 25.
Geehrter Herr Doktor!
Ihr Wunsch trifft mit dem meinigen zu-
sammen. Ich erwarte mir, wenn Sie in die
Vereinigung eintreten, davon Vorteile für
beide Seiten. Noch ehe ich von Ihrer Absicht
Kenntnis hatte, habe ich die Angelegenheit
mit Dr. Federn (Obmann‑Stellvertreter) be-
sprochen und ihn ersucht, die Stimmung der
Vereinsmitglieder für Sie zu sondieren. Es
stellte sich heraus, dass manche Bedenken
gegen Sie vorhanden sind, die einen haben
Ihnen das literarische Dokument Ihrer Ab-
hängigkeit von Stekel nicht verziehen, die
anderen fürchten Ihre journalistischen Nei-
gungen. Wir beschlossen daher, die Sache ruhen
zu lassen, bis Sie sich selbst gerührt hätten,
aber mein Eindruck ist, dass die Widerstände
gegen Sie nicht unbesiegbar sind. Ich könnte
natürlich meine durch die gegenwärtige Latenz -
S.
gewachsene Autorität dazu verwenden, um Sie
dem Verein zu oktroieren. Aber das werden wir
beide nicht wollen. Man würde mir nachgeben
und es Sie dann entgelten lassen. Ich denke,
Sie warten jetzt ab, was für Nachricht von
Dr. Federn kommt, den ich gleichzeitig auf-
fordere, die Agitation für Sie wieder auf-
zunehmen, und bewerben sich dann um das
Gastrecht. Ein Jahr müssen Sie wohl als
Gast Ihren Wert als Mitarbeiter und Ihre
Fähigkeit, sich einzuordnen, beweisen. Es wird
Ihre Aufgabe sein, den Mitgliedern zu zeigen,
welch wertvolle Aquisition Sie wären. Es
wäre vielleicht am zweckmässigsten, wenn Sie
sich nach Erhalt dieses Briefes direkt und
persönlich mit Dr. Federn in Einvernehmen
setzen.Mit den besten Wünschen
Ihr ergebener
Freud