• S.

    PROF. DR. FREUD   WIEN IX., BERGGASSE 19
    Semmering

    23. 9. 25

    Liebe Ruth

    Ich weiß nicht, ob Sie meine Schrift er-
    kannt haben. Die Teilnahme des Ver-
    lags an unserer Korrespondenz erklärt 
    sich aus der Tatsache, daß der mitge-
    brachte Vorrat an Couverts aufge-
    braucht ist. Es geht übhpt zu Ende. In 
    einer Woche sind wir in Wien. Es 
    ist zuletzt, wie Sie richtig bemerken, Dank 
    den Feiertagen, noch sehr schön geworden, 
    aber der Strom von Besuchern hat 
    die gewünschte Ruhe arg gestört. Eben 
    haben die letzten, meine Schwester 
    Anna aus NY, Lucy und Frau Brasch
    Ernst’s Schwiegermutter, Abschied 
    genommen. Das Zusam̄enwirken von 
    Föhn und Nasenschwellung macht 
    mir Kopfweh, ich finde eine leichte 
    u angenehme Beschäftigung darin 
    Ihnen zu antworten, was Sie zwar 
    nicht verlangen, aber doch nicht aus-
    schließen können.

    Natürlich sehr begierig auf Ihre Arbeit, 
    die ich lesen, kritisiren, und wenn 
    sie es braucht, zurichten werde.

    Der Ausgang Ihrer Beziehung zu Mark 
    scheint mir noch ungewiß; es sind 
    noch zwanghafte Elemente dabei, 
    die Sie zu überwinden haben. 
    Ich zweifle, ob man ihm den Aufsatz 
    von der M. Klein zu lesen geben 
    soll. Das Intellektuelle ist zwar 
    bei ihm weniger gefährlich für 
    die Analyse als bei anderen,

  • S.

    aber man ist nicht in der Lage, seine 
    Reaktion darauf zu verwirken, 
    ehe er wieder in der Kur ist.

    Anna wird Ihnen die Korrektur meines 
    letzten Aufsatzes (unkorrigirt) ge-
    schickt haben. Sie sind meine letzte 
    Schülerin u bleiben mir nahe, 
    auch nachdem wir die Analyse 
    beendigt haben, was ja auch einmal 
    geschehen muß.

    Mit geht es nach allen Berichten von 
    außen sehr gut. Subjektiv leide ich 
    sehr unter den eher zunehmenden 
    Nasenbeschwerden, meine Sprache 
    macht mir direkt Sorgen, ob sie 
    für die Tagesarbeit in Wien 
    ausreichen wird. Der junge Liebman
    den ich hier begonnen habe, ist 
    ein unangenehmer Zwangstypus, 
    wenn er mich weiter ärgert, reiße 
    ich ihn nach dem biblischen Ratschlag 
    aus.  Ich will mich nicht mehr so 
    plagen.

    Die Encycl. Brit hat einen Artikel 
    über ψα für ihre nächsten Ergänzungs-
    bände verlangt u so schreibe ich 
    denn zum xten Mal dasselbe 
    u bemühe mich, es wieder etwas 
    anders zu machen.

    Zollschan ist ein sehr netter Mann, seine 
    Frau ein haltloses Weib.  Es thut 
    mir leid, daß sich die berühmte 
    Karlsbader Euphorie bei Ihnen 
    noch nicht eingestellt hat.

    Herzlich Ihr
    Freud