Prof. Dr. Freud
IX., Berggasse 19.
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S.
7.X.06
Hochgeehrter Herr College
Ich habe mich mit Ihrem Schreiben sehr
gefreut, u die Mittheilung, daß Sie
Bleuler bekehrt haben läßt mich
Ihnen besonderen Dank sagen.
Daß Sie die Schätzung für meine
Psychologie nicht voll auf meine
Anschauungen in der Hysterie‑ und
Sexualitätsfrage ausdehnen, habe
ich nach Ihren Schriften längst ver-
mutet, verzichte aber nicht auf die
Erwartung, Sie würden mir im
Laufe der Jahre viel näher kom̄en,
als Sie es jetzt für möglich halten.Gerade Sie müßten aus Ihrer
schönen Analyse eines Falles von
Zwangsneurose entnom̄en haben,
wie gut sich das sex. Momentzuso
verbergen weiß und was es, einmal
aufgedeckt, für Verständniß -
S.
und Therapie zu leisten vermag. Ich hoffe
im̄er noch, daß dieser Theil meiner
Ermittlungen sich als der bedeut-
samere herausstellen wird.Auf Aschaffenburg’s Angriff werde
ich aus prinzipiellen Gründen
und auch wegen der persönlichen
Unliebenswürdigkeit, von der er
zeugt, nicht antworten. Ich würde
ihn natürlich etwas strenger als
Sie beurtheilen. Ich finde nichts
als Albernheiten darin u nebst-
bei eine beneidenswerte Un-
kenntniß der Verhältniße, über
die er Urtheil schöpft. So kämpft
er noch gegen die seit einem
Dezennium aufgegebene Hypnose,
zeigt kein Verständniß für
die simpelste Symbolik (s1. An-
merkg), von deren Bedeutung
ihn Sprachforscher u Folkloristen
aufklären könnten, wenn er -
S.
von mir die Belehrung nicht annehmen
will. Das Treibende bei ihm wie beiseinenso vielen „Autoritäten“ ist ja
doch die Neigung zur Verdrängung
des Sexuellen, dieses unbequemen
u in guter Gesellschaft nicht gern
gesehenen Faktors. Es kämpfen da
zwei Welten mit einander, und
wer im Leben steht, wird bald nicht
zweifeln können, welche die unter-
gehende u welche die siegreiche
sein wird. Freilich erwarte ich
mir selbst noch viel Kampf u
kann bei meiner Alterszal
(L) nicht glauben, daß ich selbst noch
den Ausgang sehen werde. Aber
meine Schüler werden, hoffe ich, dabei
sein, und ich hoffe ferner, wer es in
sich vermag, der Wahrheit zu Liebe
innere Widerstände zu über-
winden, -
S.
wird sich gerne zu meinen Schülern
rechnen und die Reste von Zaghaftig-
keit in seinem Denken austilgen.
Ich kenne Aschaffenburg sonst nicht,
aber nach diesem Aufsatz habe ich
eine recht geringe Meinung von
ihm gefaßt.Ihr angekündigtes Buch über
die Dem. praecox wird von mir mit
Spannung erwartet. Lassen Sie mich
gestehen, daß Arbeiten wie die von
Ihnen u Bleuler mir jedesmal
die schließlich doch unentbehrliche
Befriedigung schaffen, daß ich so
mühevolle Lebensarbeit doch nicht
ganz ungehört verrichtet habe.Ihr collegial u hochachtungsvoll
ergebener
DrFreudMeine „Übertragung“ dürfte
die Lücke im Mechanismus
der Heilung (Ihr persönlich
Rapport) ganz
ausfüllen.Anmerkungen CD:
Jung, C. G. (1906): VI. Psychoanalyse und Assoziationsexperiment. In: Jung, C. G. (Hg.) (1906): Diagnostische Assoziationsstudien. Beiträge zur experimentellen Psychopathologie. Band 1. Leipzig: Verlag Johann Ambrosius Barth:258-281.
https://pure.mpg.de/rest/items/item_2350957_4/component/file_2350956/contentAnmerkung 18 in:
Aschaffenburg, Gustav (1905): Die Beziehungen des sexuellen Lebens zur Entstehung von Nerven- und Geisteskrankheiten. Münchener medizinische Wochenschrift (11 Sept. 06), LIII:37.Gustav Aschaffenburg
* 23. Mai 1866 in Zweibrücken;
† 2. September 1944 in Baltimore (Maryland, USA)
Deutscher Psychiater. Mitbegründer der Forensischen Psychiatrie und Kriminologie in Deutschland.
1890 Promotion in Medizin an der Kaiser-Wilhelm-Universität Straßburg.
Ab 1891 wissenschaftlicher Assistent von Emil Kraepelin an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg.
1895 Habilitation
1901 Universität Halle
Dort schrieb er sine Hauptwerkes, das bis zur NS-Zeit maßgebliche deutschsprachige kriminologische Lehrbuch war
Aschaffenburg, Gustav (1903): Das Verbrechen und seine Bekämpfung. 3. Auflage, Heidelberg, 1923)
1904 Akademie für praktische Medizin in Köln,(ab 1919 Teil der Universität zu Köln)
Ab 1906 war er leitender Arzt der Irrenanstalt Lindenburg (heute Universitätsklinikums Köln).
Dort ab 1928 Leiter des kriminalwissenschaftliches Institut.
Herausgeber der Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform.
1934 als Jude aus dem Staatsdienst entlassen.
1938 Emigration über die Schweiz in die USA.
Dort Professor für Kriminalpsychologie an der Catholic Universitity of America in Washington D. C., später an der Johns Hopkins University in Baltimore.
Beratender Psychiater des Mount Hope Retreat.
1942 Ehrenmitglied der American Psychatric Association.
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Aschaffenburg [2025-07-31]
https://www.catalogus-professorum-halensis.de/aschaffenburggustav.html [2025-07-31]Jung, Carl Gustav (1907): Über die Psychologie der Dementia praecox. Ein Versuch. Halle an der Saale: Verlagsbuchhandlung Cark Marhold.
Berggasse 19
Wien 1090
Oostenryk
C32F5