• S.

    PROF. DR. FREUD
    WIEN, IX. BERGGASSE 19.

    27. 1. 08

    Lieber Freund u College

    Spotten Sie nur über Ihre sentiments! Der Vortrag 
    ist reizend; schade, daß ich Sie nicht hier habe, um 
    Ihnen einige Male die Hand zu drükcken. Geist von 
    meinem Geist, darf ich stolz sagen, u dabei etwas 
    künstlerisch Weiches, heiter überlegenes, Einschmeichelndes, 
    das mir nie gelungen wäre, dem die Schwierigkeiten 
    der Arbeit noch in allen Gelenken sitzen. Ich werde 
    mir alle Mühe geben, ihn bald in den Druck zu 
    liefern; die Verhandlgen über den Verlag drängen 
    gerade zum Abschluß.

    Wie kommen Sie zum Mißtrauen, daß ich mich über Ihre 
    allzu häufi­gen Briefe u Ihre „manische“ Geschäftigkeit 
    beklage? Ihre Briefe haben mir in den letzten 
    Wochen geradezu gefehlt, u was Ihre Ge­schäftigkeit 
    betrifft, so muß ich ähnliche Anlagen besitzen, die 
    nur nicht überall zur Entwicklg gelangt sind, denn 
    ich fühle mich in unge­ wöhnlichem Maße mit Ihnen 
    einverstanden. Wunderschön, wenn Sie für mich 
    die Frechheit haben wollen; mir fehlt nicht diese, 
    sondern das Verhältniß zu den Menschen, in dem 
    sie sich zeigen kann.

    Als Gegenstück zu Bezzola u Liepmann stelle ich Ihnen 
    Meyer in dem heute erschienenen Heft des A. f. Psych. 
    vor. Bemer­kungen zu Ihrer Dem. pr.! Haupteinwand, 
    daß die Beein­trächtigungscomplexe bei allen 
    Menschen vorkommen! Die Möglich­ keit solcher schwach-
    sinniger Einreden kom̄t daher, daß die Herren 
    nichts gelernt haben, nie vom Traum und vom 
    Alltagsleben her sich psych. Einsicht aufgebaut haben. 

    Meyer, Ernst (1908): Bemer­kungen zu Jung, „Über die Psychologie der Dementia prae­ cox“. Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, 63 1908:1312ff.

  • S.

    Ich glaube, wenn man sie der Analyse unterzöge, käme 
    heraus, daß sie noch heute auf den Bazillus 
    oder das Protozoon der Hysterie warten wie auf den 
    Messias, der ja für die Rechtgläubigen einmal kom̄en 
    muß. Hoffentlich wird dann die Diff.diagnose von 
    der Dem. pr. sehr leicht, da der Parasit der Hy nur 
    einen steifen geißelartigen Fortsatz haben dürfte, 
    der bei Dem. pr. aber regelmäßig zwei, die sich 
    noch außerdem anders färben. Dann: überlassen 
    wir die Psychologie ruhig den Dichtern!

    Vorträge für unseren Congreß werden eher zuviel 
    als zuwenig einlau­fen. Wir können doch nicht 
    den ganzen Tag zuhören. In meinem Kreise werde 
    ich möglichst zurückhalten u auf Kürze drängen. 
    Ich meine auch, die Termine sind etwas früh angesetzt, 
    da doch die Zusam̄en­kunft erst in 3 Monaten 
    stattfindet.

    Meine Influenza hat nicht lange angehalten. Bei 
    meiner Tochter ist keine Veränderung, subjektives 
    Befinden also sehr gut.

    Ich hoffe, alle die Ihrigen befinden sich wol. Ich 
    werde Ihnen nach dem Mittwoch kurze 
    Auskunft schreiben u grüße Sie herzlich

    Ihr treu ergebener 
    Freud