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S.
PROF. DR. FREUD. Wien, IX., BERGGASSE 19.
19.7.09
Ammerswald
Lieber Freund
Ich habe Ihnen noch für die überraschende Gabe
des Aufsatzes über die Trdeutung zu danken,
die ich in der Mappe hieher mitgenom̄en.
Hier gedenke ich nichts zu thun, auch nicht an Amerika
zu denken; ich bin zu müde. Gestern, nachdem
ich die müden Knochen wieder auf einen
Bergabhang geschleppt, wo die Natur mit der
einfachsten Regie, mit weißem Gestein, roten
Alpenrosenfeldern, einem Schneefleck, einem
Wasserfall u viel Grün darunter einen
so großartigen Effekt produzirt, kannte ich
mich kaum mehr persönlich. Sie hätten Dem.
pr. diagnosticiren können. Leider ist
das sonst herrliche Haus in einem Wald-
schlauch ohne Aussicht gelegen, worauf man
nur schwer verzichtet, und die ersten trüben
Fra¿Tage waren eine harte Prüfung. Jetzt
ist es sehr schön, aber wir gedenken doch
nicht über den 1 Aug hier zu bleiben.Ich habe sonst wenig, was mit Ihren
interessanten Nachrichten in Vergleich
treten könnte. Silberer ist ein unbekannter
junger Mensch, wahrscheinlich ein feinere
Dégénéré; sein Vater ist eine Wiener
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S.
Persönlichkeit, Gemeinderat u „Macher“. Aber
seine Sache ist gut u macht ein Stück der Trarbeit
greifbar. Morton Prince hat mir vor einigen
Tagen einen süß‑sauren Brief geschickt; Dank
für eine Zusendung; ich wüßte ja, daß er
nicht in allen Punkten mit mir übereinstim̄e,
das Problem der Neurose lasse vielerlei (!)
Lösungen zu, er huldige anderen als ich: Er be-
dauere, sich schon für Genua (oder Genf?) gebookt
zu haben, so daß er mich auf beiden Continenten
verfehlen werde usw. Mir ebenso lieb, wenn
ich ihn nicht sehe. – Einern Kollegen aus der Mark,
mit dem schönen, aber leider zu beziehungsreichen
Namen „Hundertmark“, habe ich eben auf eine
Anfrage Auskunft gegeben, durch welche Bücher
man sich in das gesegnete Land der ΨΑ
durchfressen kann. Ob sein Magen es aushält, weiß
ich nicht. – Gegen McCormick werden wir beide
Sie vertheidigen; ich kann mich sehr grauslich
machen. Ihre Vorträge werden mir durchaus neu
sein, ich kenne die Dinge doch nur aus sehr ober-
flächlicher Lektüre Ihrer „Diag. Studien“; ich
werde also sehr aufmerksam zuhören. Wenn
ich dann rede, werde ich mich mit der Idee
trösten, daß es wenigstens für Sie u
Ferenczi geschieht.Ich bin Ihnen hier an der nordwestlichen Reichsgrenze
viel näher als in Wien. Ich grüße Sie u
Ihre liebe Frau sowie die kleine Heldin Agathli
herzlich
Ihr
Freud
Hotel
Ammerswald 6600
Oostenryk
Burghölzli
Zürich 8000
Switserland
C32F18