S.

Transkription Ernst Falzeder:

Dr Eduard Hitschmann

Meine Rede zum sechzigsten Geburtstag Freud’s, 6. Mai 1916

Ungehaltene und ungehalten machende Rede an den Jubilar:

Sehr verehrter Herr Professor,

Als wir Ihren 60. Geburtstag benützen wollten, Ihre äußere Persönlichkeit in plastischer oder graphischer Darstellung der Nachwelt zu erhalten, erwiesen Sie sich gütig, wie sonst im Geben, auch im –Nichtnehmen. Des „Hauens und Stechens“ dachten Sie, sei in dieser Zeit genug und wiesen uns mit den Ihnen geläufigen Worten „Was fällt Ihnen ein?!“ in unsere Schranken.

Ließen wir uns auch verhindern, Sie zu beschenken, so wollen wir uns doch nicht nehmen lassen, Sie zu bedenken, bedenken im wahrsten Sinn des Wortes.  Nicht Ihre für die Ewigkeit bedeutenden, für die Menschheit wertvollen Leistungen sollen hier näher erinnert werden. Aber Sie sind uns, die wir des bevorzugten Schicksals teilhaftig wurden, als Ihre nächsten Schüler den persönlichen Kontakt zu geniessen – ein so herrliches Vorbild des großen freien Geistes, des aufrechten, unabhängigen Mannes, des voraussetzungslosen Forschers, des wahrhaft vollendet Gebildeten und Alles verstehenden Verzeihers geworden, dass wir dies einmal heraussagen wollen. Bedenken wir also unser Verhältnis zu Ihnen, so kann es nur ein – Bedanken sein und wir versichern Sie in unauslöschlicher Dankbarkeit unserer Verehrung, Liebe, Anhänglichkeit und Überzeugungstreue.

Von der grossen Menge ist Verständnis für Ihre neu entdeckten Wahrheiten nicht zu erwarten, haben Sie uns geduldig gelehrt: sie sieht lieber ein Bühnenbild im künstlichen Licht – als die Requisiten, aus denen es besteht, im scharfen Tageslicht. Übrigens ist es mitunter schwerer, eine Sache zuzugeben, als sie einzusehen (Nietzsche). So sehen wir mit Schmerz, dass Sie bisher noch nicht die Anerkennung haben, die Sie in der Jugend entbehrt …

„Das Höchste“, sagt Schopenhauer, „was der Mensch erlangen kann, ist ein heroischer Lebenslauf. Einen solchen führt der, welcher in irgend einer Art und Angelegenheit, für das Allen irgendwie zu Gute kommende mit übergrossen Schwierigkeiten kämpft und am Ende siegt, dabei aber schlecht oder gar nicht belohnt wird. Sein Andenken bleibt und wird als das eines Heros gefeiert.“

Aber wir ahnen den endlichen Erfolg, der die Welt umändern wird.  Emerson sagt: „Seht Euch vor, wenn der große Gott einen Denker auf unsern Planeten kommen lässt. Alles ist dann in Gefahr. Es ist, wie wenn in einer grossen Stadt eine Feuersbrunst ausgebrochen ist, wo Keiner weis, was eigentlich noch sicher ist u. wo es enden wird. Da ist Nichts in der Wissenschaft, was nicht morgen eine Umdrehung erfahren haben möchte, da gilt kein litterar. Ansehn mehr, noch die sogen. ewigen Berühmtheiten; alle Dinge, die dem Menschen zu dieser Stunde theuer u. werth sind, sind dies nur auf Rechnung der Ideen, die an ihrem geistig. Horizonte aufgestiegen sind, u. welche die gegenwärtige Ordnung der Dinge ebenso verursachen, wie ein Baum seine Äpfel trägt. Enio neuer Grad der Cultur würde augenblicklich das ganze System menschlicher Bestrebungen einer Umwälzung unterwerfen.“