• S.

    Berlin, 12.11.22 

    Liebe Freunde,  

    Dieser Brief geht etwas früher als vorgesehen ab, weil  
    das Rundschreiben Otto’s an die Sekretäre dazu nötigt.

    Mir scheint, „so sollten wir nicht verfahren“! Im Rundbrief  
    vom 1.11. stellst Du, l. Otto, dieses Circular an die Sekretäre in Aus-  
    sicht und versendest es am 6ten, d. h. nachdem sicherlich der Londoner &  
    Berliner Brief vom 1ten bereits dort sein mußten. Alle Vorschläge  
    von Ernest & mir sind damit erledigt, und wir müssen uns nun nach den  
    Direktiven richten, die jetzt nach allen Seiten versandt sind. Ich  
    persönlich bin dazu auch bereit, aber nur, damit keine Verwirrung  
    hervorgerufen wird. Aber sagen muß ich doch, daß mir die Termine  
    ungeeignet scheinen, auch derjenige für das Mitgliederverzeichnis.  
    Besonders aber finde ich, daß ich selbst in Zukunft eine völlig  
    nutzlose Arbeit tun werde. Denn das Corresp.-Blatt wird tatsächlich 
    von Otto (oder Mrs. Rivière) zusammengestellt und mit meinem „offiziellen“ 
    Bericht „verglichen“. D. h. also die Übersetzungsarbeit und alles 
    andre geschieht an drei (!) Stellen. Zwei von diesen (die beiden  
    Redaktionen in L. & W.) arbeiten jede selbständig, und der „offizielle“  
    Bericht des Zentralsekretärs wird nur zum Vergleichen benutzt. Das  
    Corr.-Bl. wird aber in seinem Namen veröffentlicht. Das ist doch gerade 
    zu widersinnig. 

    Deine Feststellung, l. Otto, daß das Circular hinter dem  
    Rücken des Zentr.-Sekr. versendet sei, enthält eine Beschönigung,  
    die ich nicht unerwähnt lassen will. Präsident und Zentralsekr.  
    geben im Com.-Brief ihr Votum ab, über ihren Kopf hinweg wird aber 
    ein Beschluß gefaßt und versandt. Wie schon gesagt, nehme ich das  
    fait accompli an. Weit bedenklicher als die Verletzung dieser Rechte  
    scheint mir, daß unser Briefwechsel auf diese Weise einen Teil seines  
    Wertes verliert. Man wird es müde, Vorschläge zu machen, wenn man ihr  
    Schicksal kennt! Ich persönlich bedaure, daß beide letzten Briefe  
    nicht durch Ihre Hände, l. Herr Professor, gegangen waren.  

    Es bedarf in unserm Kreise wohl kaum eines Wortes darüber,  
    wie wenig ich derartige Erörterungen liebe. Aber man darf sie nicht  
    ganz umgehen, soll nicht zwischen uns etwas unerledigt zurückbleiben.  
    Ich hoffe, Du, l. Otto, wirst die obigen Bemerkungen selbst berechtigt  
    finden. Sie liegen, hoffe ich, nur im Interesse der Sache!  

    Mit dem Beginn des Wintersemesters dürfen wir zufrieden sein.  
    Die 1. Sitzung des Vereins – „kleine Mitteilungen“ – war sehr reichhal-  
    tig und auch qualitativ recht gut. Zu meinem Einführungskurs haben  
    sich bisher 56 Personen, hauptsächlich Mediziner, aber auch etliche  
    Pädagogen, eingeschrieben. – Die Nachfrage nach Ärzte-Analysen ist  
    stark. Radó hat mehrere übernommen.  

    Von Frau Dr. Spielrein kam eine Anfrage. Claparède & Piaget  
    haben in einer Sitzung der Genfer behauptet, in Berlin von einem Mitglieder
    unsrer Gruppe erfahren zu haben, daß die Poliklinik nur 10 % Er-

  • S.

    Erfolge habe. Sie zogen daraus natürlich die Folgerungen, die ihrem Wider-  
    stand genehm sind. Frau Sp. wollte wissen, wie es sich in Wirklichkeit  
    verhält. Bezeichnend ist, daß beide nicht wußten, von wem sie die Anga-  
    ben hatten. Schmideberg, der sie durch die Poliklinik geführt hat, erklärt,  
    daß von Heilungsprozenten überhaupt nicht gesprochen worden sei.  

    Auch wir sind der Meinung, der Kongr. solle nicht wieder in  
    einer Großstadt tagen!  

    Sonst von uns nichts Neues. Mit den besten Grüßen.  
     
    Abraham Sachs  
     

  • S.

    [Handschriftlicher Nachtrag von Sachs:]  

    Lieber Otto, ich habe von Dr. Langer, wie er mit Dir verabredet, ein  
    Manuskript zur Überprüfung erhalten. Ich fand es schlecht u. z. T. a. be-  
    deutungslos, habe es ihm mit höflicher Form – denn er ist ein netter Mensch –  
    mit Ausrede auf Präzisionsmangel u. dgl. mitgeteilt. Wenn Du es nicht  
    besonders wünschest, verzichtet er darauf, das Ms. nach Wien zu senden u.  
    Deine Entscheidung zu hören. Sonst R. S.  

    Herzlichst Dein  

    S.