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S.
PROF. DR. FREUD
WIEN, IX., BERGGASSE 19.18. XI. 1928
Meine liebe Ruth
Zwei Briefe von Ihnen liegen vor mir
u beide handeln hauptsächlich von der
berühmten Prothese. Also muß ich auch auf
sie eingehen. Richtig, sie ist kein voller
Erfolg, nur ein etwa 70%iger, die rest-
lichen 30% ergeben noch immer ein kleines
Elend, aber kein großes mehr. Dabei
möchte ich Schröder ausdrücklich von jeder
Schuld freisprechen, ich glaube nicht, daß
die Prothese besser oder sorgfältiger
gemacht werden konnte. Es sind heute
fast drei Wochen, daß ich mich von
ihm verabschiedet, auch hatte er in der
letzten Woche 1)vorher nichts geändert,
und nichts hat sich an dem lieben Ding
gerührt. Die Schleimhautschwellungen sind
offenbar nicht zu vermeiden. Manches
was Sie über die Funktion der Pro-
these und die Aussicht auf weitere
Besserung im Brief sagen deckt sich
genau mit Schr’s Äußerungen.
Es wird Sie interessiren, daß ich noch
vor Ihrem Brief zu Hirsch gegangen
bin, bei dem ich auf einen eher
überzärtlichen Empfang traf. Der Erfolg
zweier Lapispinselungen war eine
deutliche Verschlechterung, sodaß
er versprach sich nach anderen Behand-
lungsmethoden umzusehen. Ihre Auf-
fassung von den Folgen einer Nasen-
höhleneiterung, die auch die meinige
war, habe ich ihm vergeblich vor-
getragen. Er bleibt dabei, es sei
nur Oberflächensekretion durch
den Reiz des Fremdkörpers.Es scheint mir genug von der Prothese
zu sein, ich will lieber von anderem
erzälen, wofür sich auch Mark
interessiren kann. durch Schr’s -
S.
Weigerung reich geworden, habe ich fast $ 1000
bei Lederer ausgegeben, nicht viel dafür
bekommen. Seine Preise sind sehr hoch.
Immerhin folgendes: Eine große glänzend
erhaltene praedynastisch-ägyptische Vase,
eine bemalte Pyxis, ein Kopfgefäß, eine
kleinere plastisch verzierte hellenist. Vase,
ein thönernes Laternhäuschen, ein primitives
Frauenidol, drei Broncen (kl. Mercur, kl.
Ammon, kl. Frauenherme.), einen Herakles
als Hermen (Thon) und einen ähnlichen Philo-
sophen, drei kleine Köpfchen. Außerdem
für Anna ein besonderes Glasgefäß und
einen recht schönen Marmortorso, sagen
wir einer Venus. Sie werden vielleicht
sagen, daß das eher viel als wenig ist,
aber man hätte auch das meiste andere
nehmen können. Vergessen habe ich noch
ein schwarzfigüriges Krüglein für Dorothy’s
Geburtstag und einen geschnittenen Stein
mit bukolischen Darstellungen im Silber-
ring als Gastgeschenk für den
so überaus diskreten u liebenswürdigen
Simmel.Um von der Antike zur Gegenwart und
Trägerin der Zukunft überzugehen: ich
bin mit allem, was Sie mitteilen, ein-
verstanden, Ihre Gallenblase und Ihren
Patientenmangel ausgenom̄en. Zur
Psychologie der ersteren habe ich nie
recht Zutrauen gehabt; neugierig, was
sich für Sondirung sagen wird.
Daß Sie nicht mehr Patienten haben, ist
mir einfach unverständlich. Wie ver-
meidet man nur die Patienten in
Nyork? Es kann nicht so bleiben. -
S.
Wittels hat mir bereits geschrieben.
Er rechnet darauf, sich zu be-
reichern, ist sonst von
Amerika sehr wenig be-
friedigt. Ihr Urteil ist,
wie gewöhnlich, zu scharf,
streift an’s Ungerechte.
Lehrman ist brav, tüchtig
und ehrlich, unläugbar common-
place und nicht schöpferisch.
(Ich rechne damit, daß Sie
die Eigenschaft hoher
Diskretion bei sich weiter
entwickeln). Pötzl hat
gestern seine Antritts-
rede als Nachfolger von
Wagner‑Jauregg gehalten,
auch einige lahme An-
erkennungen der Analyse
dem Ausdruck seiner grenzen-
losen Devotion für alles
Offizielle beigemengt. Von
meinen Pat. ist Ruths
noch in Berlin, Dorothy
ist der hoffnungsvollste
Fall, klärt sich schön auf
u wird gut ausgehen.
Marie entwickelt sich immer
freier, ihre omnivore Natur
kommt gut heraus, nur -
S.
für Antiquitäten hat sie keinen
Appetit. Ferenczi ist von
Spanien natürlich krank,
aber sehr befriedigt wieder-
gekommen; in Madrid hat
er auf Anstiften meines
Übersetzers Lopez Ballesteros
einen französ. Vortrag ge-
halten. Oscar leidet wieder
unter seinen klarl. troubles;
unheimlich, daß er zur gestrigen
Tarokpartie abgesagt hat.
Wolf und Lun Jug sind beide
reizend, fehlen mir Samstag
u Sonntag, wenn sie in
Kagran sind, sehr merklich.Nun aber grüße ich
Sie beide herzlich
und drücke die Hoff-
nung aus, immer Besseres
von Ihnen zu hören.
Ihr
Freud