S.
Internationale Zeitschrift
fur PsychoanalyseHerausgegeben von Sigm. Freud
XIIL Band 1927 Heft 4
Fetischismus
Von
Sigm. Freud
In den letzten Jahren hatte ich Gelegenheit, eine Anzahl von Männern,
deren Objektwahl von einem Fetisch beherrscht war, analytisch zu studieren.
Man braucht nicht zu erwarten, daB diese Personen des Fetisch wegen
die Analyse aufgesucht hatten, denn der Fetisch wird wohl von seinen
Anhängern als eine Abnormität erkannt, aber nur selten als ein Leidens-
symptom empfunden; meist sind sie mit ihm recht zufrieden oder loben
sogar die Erleichterungen, die er ihrem Liebesleben bietet. Der Fetisch
spielte also in der Regel die Rolle eines Nebenbefundes.Die Einzelheiten dieser Fille entziehen sich aus naheliegenden Griinden
der Veröffentlichung. Ich kann darum auch nicht zeigen, in welcher
Weise zufillige Umstinde zur Auswahl des Fetisch beigetragen haben. Am
merkwiirdigsten erschien ein Fall, in dem ein junger Mann einen gewissen
„Glanz auf der Nase“ zur fetischistischen Bedingung erhoben hatte. Das
fand seine iiberraschende Aufklirung durch die Tatsache, daB der Patient eine
englische Kinderstube gehabt hatte, dann aber nach Deutschland gekommen
war, wo er seine Muttersprache fast vollkommen vergaB. Der aus den ersten
Kinderzeiten stammende Fetisch war nicht deutsch, sondern englisch zu lesen,
der ,Glanz auf der Nase“ war eigentlich ein ,Blick auf die Nase“
(glance = Blick), die Nase war also der Fetisch, dem er iibrigens nach
seinem Belieben jenes besondere Glanzlicht verlieh, das andere nicht
wahrnehmen konnten.Die Auskunft, welche die Analyse iiber Sinn und Absicht des Fetisch
gab, war in allen Fillen die nåmliche. Sie ergab sich so ungezwungen
und erschien mir so zwingend, daß ich bereit bin, dieselbe Lösung
allgemein für alle Fälle von Fetischismus zu erwarten, Wenn ich nunInt. Zeitschr, f. Psychoanalyse, XIIIĄ. 26
- INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITYDIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
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mitteile, der Fetisch ist ein Penisersatz, so werde ich gewiß Enttäuschung
hervorrufen. Ich beeile mich darum hinzuzufügen, nicht der Ersatz eines
beliebigen, sondern eines bestimmten, ganz besonderen Penis, der in frühen
Kinderjahren eine große Bedeutung hat, aber später verloren geht. Das
heißt: er sollte normalerweise aufgegeben werden, aber gerade der Fetisch
ist dazu bestimmt, ihn vor dem Untergang zu behüten. Um es klarer zu
sagen, der Fetisch ist der Ersatz für den Phallus des Weibes (der Mutter),
an den das Knäblein geglaubt hat und auf den es — wir wissen warum
— nicht verzichten will."Der Hergang war also der, daB der Knabe sich geweigert hat, die
Tatsache seiner Wahrnehmung, daB das Weib keinen Penis besitzt, zur
Kenntnis zu nehmen, Nein, das kann nicht wahr sein, denn wenn das
Weib kastriert ist, ist sein eigener Penisbesitz bedroht, und dagegen striubt
sich das Stiick NarziBmus, mit dem die Natur vorsorglich gerade dieses
Organ ausgestattet hat. Eine ähnliche Panik wird vielleicht der Erwachsene
später erleben, wenn der Schrei ausgegeben wird, Thron und Altar sind
in Gefahr, und sie wird zu åhnlich unlogischen Konsequenzen fiihren.
Wenn ich nicht irre, wiirde Laforgue in diesem Falle sagen, der Knabe
„skotomisiert* die Wahrnehmung des Penismangels beim Weibe.* Ein
neuer Terminus ist dann berechtigt, wenn er einen neuen Tatbestand
beschreibt oder heraushebt. Das liegt hier nicht vor; das älteste Stück
unserer psychoanalytischen Terminologie, das Wort „Verdrängung“, bezieht
sich bereits auf diesen pathologischen Vorgang. Will man in ihm das
Schicksal der Vorstellung von dem des Affekts schärfer trennen, den Aus-
druck „Verdrängung“ fiir den Affekt reservieren, so wire fiir das Schicksal
der Vorstellung „Verleugnung” die richtige deutsche Bezeichnung. ,Skotomi-
sation” scheint mir besonders ungeeignet, denn es weckt die Idee, als
wire die Wahrnehmung glatt weggewischt worden, so daß das Ergebnis
dasselbe wäre, wie wenn ein Gesichtseindruck auf den blinden Fleck der
Netzhaut fiele. Aber unsere Situation zeigt im Gegenteil, daß die Wahr-
nehmung geblieben ist und daß eine sehr energische Aktion unternommen
wurde, ihre Verleugnung aufrecht zu halten. Es ist nicht richtig, daB das1) Diese Deutung ist bereits 1910 in meiner Schrift „Eine Kindheitserinnerung
des Leonardo da Vinci“ ohne Begründung mitgeteilt worden.2) Ich berichtige mich aber selbst, indem ich hinzufiige, daß ich die besten Gründe
habe, anzunehmen, Laforgue würde dies überhaupt nicht sagen. Nach seinen
eigenen Ausführungen ist „Skotomisation“ ein Terminus, der aus der Deskription
der Dementia praecox stammt, nicht durch die Ubertragung psychoanalytischer Auf-
fassung auf die Psychosen entstanden ist und auf die Vorgänge der Entwicklung und
Neurosenbildung keine Anwendung hat. Die Darstellung im Text bemiiht sich, diese
Unvertrüglichkeit deutlich zu machen.S.
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Kind sich nach seiner Beobachtung am Weibe den Glauben an den Phallus
des Weibes unverändert gerettet hat. Es hat ihn bewahrt, aber auch auf-
gegeben; im Konflikt zwischen dem Gewicht der unerwiinschten Wahr-
nehmung und der Stärke des Gegenwunsches ist es zu einem KompromiB
gekommen, wie es nur unter der Herrschaft der unbewuBten Denkgesetze
~~ der Primárvorginge — möglich ist. Ja, das Weib hat im Psychischen
dennoch einen Penis, aber dieser Penis ist nicht mehr dasselbe, das er
früher war, Etwas anderes ist an seine Stelle getreten, ist sozusagen zu
seinem Ersatz ernannt worden und ist nun der Erbe des Interesses, das
sich dem früheren zugewendet hatte. Dies Interesse erfährt aber noch eine
auBerordentliche Steigerung, weil der Abscheu vor der Kastration sich in
der Schaffung dieses Ersatzes ein Denkmal gesetzt hat. Als stigma indelebile
der stattgehabten Verdrángung bleibt auch die Entfremdung gegen das
wirkliche weibliche Genitale, die man bei keinem Fetischisten vermiBt.
Man iiberblickt jetzt, was der Fetisch leistet und wodurch er gehalten
wird. Er bleibt das Zeichen des Triumphes iiber die Kastrationsdrohung
und der Schutz gegen sie, er erspart es dem Fetischisten auch, ein Homo-
sexueller zu werden, indem er dem Weib jenen Charakter verleiht, durch
den es als Sexualobjekt erträglich wird. Im späteren Leben glaubt der
Fetischist noch einen anderen Vorteil seines Genitalersatzes zu genieBen.
Der Fetisch wird von anderen nicht in seiner Bedeutung erkannt, darum
auch nicht verweigert, er ist leicht zugänglich, die an ihn gebundene
sexuelle Befriedigung ist bequem zu haben. Um was andere Mánner
werben und sich miihen müssen, das macht dem Fetischisten keine
Beschwerde.Der Kastrationsschreck beim Anblick des weiblichen Genitales bleibt
wahrscheinlich keinem männlichen Wesen erspart. Warum die einen infolge
dieses Eindruckes homosexuell werden, die anderen ihn durch die Schöpfung
eines Fetisch abwehren und die übergroße Mehrzahl ihn überwindet, das
wissen wir freilich nicht zu erklären. Möglich, daß wir unter der Anzahl
der zusammen wirkenden Bedingungen diejenigen noch nicht kennen, welche
für die seltenen pathologischen Ausgänge maßgebend sind; im übrigen
müssen wir zufrieden sein, wenn wir erklären können, was geschehen ist,
und dürfen die Aufgabe, zu erklären, warum etwas nicht geschehen ist,
vorläufig von uns weisen,Es liegt nahe, zu erwarten, daß zum Ersatz des vermißten weiblichen
Phallus solche Organe oder Objekte gewählt werden, die auch sonst als
Symbole den Penis vertreten. Das mag oft genug stattfinden, ist aber
gewiß nicht entscheidend, Bei der Einsetzung des Fetisch scheint vielmehr
ein Vorgang eingehalten zu werden, der an das Haltmachen der Erinnerung26"
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bei traumatischer Amnesie gemahnt. Auch hier bleibt das Interesse wie
unterwegs stehen, wird etwa der letzte Eindruck vor dem unheimlichen,
traumatischen, als Fetisch festgehalten. So verdankt der FuB oder Schuh
seine Bevorzugung als Fetisch — oder ein Stiick derselben — dem Umstand,
daB die Neugierde des Knaben von unten, von den Beinen her nach dem
weiblichen Genitale gespåht hat; Pelz und Samt fixieren — wie längst
vermutet wurde — den Anblick der Genitalbehaarung, auf den der ersehnte
des weiblichen Gliedes hätte folgen sollen; die so häufig zum Fetisch
erkorenen Wäschestücke halten den Moment der Entkleidung fest, den
letzten, in dem man das Weib noch für phallisch halten durfte. Ich will
aber nicht behaupten, daß man die Determinierung des Fetisch jedesmal
mit Sicherheit durchschaut. Die Untersuchung des Fetischismus ist all
denen dringend zu empfehlen, die noch an der Existenz des Kastrations-
komplexes zweifeln oder die meinen können, der Schreck vor dem weib-
lichen Genitale habe einen anderen Grund, leite sich z. B. von der
supponierten Erinnerung an das Trauma der Geburt ab. Für mich hatte
die Aufklärung des Fetisch noch ein anderes theoretisches Interesse.Ich habe kürzlich auf rein spekulativem Wege den Satz gefunden, der
wesentliche Unterschied zwischen Neurose und Psychose liege darin, daß
bei ersterer das Ich im Dienste der Realität ein Stück des Es unterdrücke,
während es sich bei der Psychose vom Es fortreißen lasse, sich von einem
Stück der Realität zu lösen; ich bin auch später noch einmal auf dasselbe
Thema zurückgekommen.' Aber bald darauf bekam ich Anlaß, zu bedauern,
daß ich mich so weit vorgewagt hatte. Aus der Analyse zweier junger
Männer erfuhr ich, daß sie beide den Tod des geliebten Vaters im zweiten
und im zehnten Jahr nicht zur Kenntnis genommen, „skotomisiert“ hatten
— und doch hatte keiner von beiden eine Psychose entwickelt. Da war
also ein gewiß bedeutsames Stück der Realität vom Ich verleugnet worden,
ähnlich wie beim Fetischisten die unliebsame Tatsache der Kastration des
Weibes. Ich begann auch zu ahnen, daß analoge Vorkommnisse im Kinder-
leben keineswegs selten sind, und konnte mich des Irrtums in der
Charakteristik von Neurose und Psychose für überführt halten. Es blieb
zwar eine Auskunft offen; meine Formel brauchte sich erst bei einem
höheren Grad von Differenzierung im psychischen Apparat zu bewähren;
dem Kind konnte gestattet sein, was sich beim Erwachsenen durch schwere
Schädigung strafen mußte. Aber weitere Untersuchungen führten zu einer
anderen Lösung des Widerspruchs.1) „Neurose und Psychose“ und der „Realitätsverlust bei Neurose und Psychose“,
beides in dieser Zeitschrift, Bd. X (1924). [In Ges. Schriften, Bd. V, bzw. VL]S.
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Es stellte sich nämlich heraus, daß die beiden jungen Männer den Tod
des Vaters ebensowenig „skotomisiert“ hatten wie die Fetischisten die
Kastration des Weibes. Es war nur eine Strömung in ihrem Seelenleben,
welche den Tod des Vaters nicht anerkannt hatte; es gab auch eine andere,
die dieser Tatsache vollkommen Rechnung trug; die wunschgerechte wie
die realitätsgerechte Einstellung bestanden nebeneinander. Bei dem einen
meiner beiden Fälle war diese Spaltung die Grundlage einer mittelschweren
Zwangsneurose geworden; in allen Lebenslagen schwankte er zwischen
zwei Voraussetzungen, der einen, daß der Vater noch am Leben sei und
seine Tätigkeit behindere, und der entgegengesetzten, daß er das Recht
habe, sich als den Nachfolger des verstorbenen Vaters zu betrachten, Ich
kann also die Erwartung festhalten, daß im Fall der Psychose die eine,
die realitätsgerechte Strömung, wirklich vermißt werden würde.Wenn ich zur Beschreibung des Fetischismus zurückkehre, habe ich
anzuführen, daß es noch zahlreiche und gewichtige Beweise für die zwie-
spältige Einstellung des Fetischisten zur Frage der Kastration des Weibes
gibt. In ganz raffinierten Fällen ist es der Fetisch selbst, in dessen Aufbau
sowohl die Verleugnung wie die Behauptung der Kastration Eingang gefunden
hat. So war es bei einem Manne, dessen Fetisch in einem Schamgürtel bestand,
wie er auch als Schwimmhose getragen werden kann. Dieses Gewandstück ver-
deckte überhaupt die Genitalien und den Unterschied der Genitalien. Nach dem
Ausweis der Analyse bedeutete es sowohl, daß das Weib kastriert sei, als auch,
daß es nicht kastriert sei, und ließ überdies die Annahme der Kastration des
Mannes zu, denn alle diese Möglichkeiten konnten sich hinter dem Gürtel,
dessen erster Ansatz in der Kindheit das Feigenblatt einer Statue gewesen
war, gleich gut verbergen. Ein solcher Fetisch, aus Gegensätzen doppelt
geknüpft, hält natürlich besonders gut. In anderen zeigt sich die Zwie-
spältigkeit an dem, was der Fetischist — in der Wirklichkeit oder in der
Phantasie — an seinem Fetisch vornimmt. Es ist nicht erschöpfend, wenn
man hervorhebt, daß er den Fetisch verehrt; in vielen Fällen behandelt er
ihn in einer Weise, die offenbar einer Darstellung der Kastration gleich-
kommt. Dies geschieht besonders dann, wenn sich eine starke Vater-
identifizierung entwickelt hat, in der Rolle des Vaters, denn diesem hatte
das Kind die Kastration des Weibes zugeschrieben.‘ Die Zärtlichkeit und
die Feindseligkeit in der Behandlung des Fetisch, die der Verleugnung
und der Anerkennung der Kastration gleichlaufen, vermengen sich bei
verschiedenen Fällen in ungleichem Maße, so daß das eine oder das andere
deutlicher kenntlich wird. Von hier aus glaubt man, wenn auch aus der
Ferne, das Benehmen des Zopfabschneiders zu verstehen, bei dem sich das
Bedürfnis, die geleugnete Kastration auszuführen, vorgedrängt hat. SeineS.
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Handlung vereinigt in sich die beiden. miteinander unvertriglichen
Behauptungen: das Weib hat seinen Penis behalten und der Vater hat das
Weib kastriert. Eine andere Variante, aber auch eine vólkerpsychologische
Parallele zum Fetischismus möchte man in der Sitte der Chinesen erblicken,
den weiblichen Fuß zuerst zu verstimmeln und den verstiimmelten dann
wie einen Fetisch zu verehren. Man könnte meinen, der chinesische Mann
will es dem Weibe danken, daB es sich der Kastration unterworfen hat.SchlieBlich darf man es aussprechen, das Normalvorbild des Fetisch ist
der Penis des Mannes, wie das des minderwertigen Organs der reale kleine
Penis des Weibes, die Klitoris.
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