Für die kulturelle Leistung der Wiener Stadtgemeinde 1927-051/1927.2
S.

Für die kulturelle Leistung der
Wiener Stadtgemeinde.

Eine gemeinsame Erklärung der geistigen Häupter Wiens.

Eine Gruppe der bedeutsamsten
geistigen Persönlichkeiten Wiens hat
die folgende Erklärung, die die
soziale und kulturelle Leistung der
kommunistischen Wiener Gemeinde-
verwaltung Wiens bekräfigen:

Angesichts des politischen Kampfes in
dieser Stadt fühlen wir uns vor unserem
Gewissen verpflichtet, folgende Erklärung
abzugeben.

Der geistig wirkende Mensch steht
zwischen und über den Klassen. Er kann
sich keinem politischen Dogma beugen,
denn der Geist allein ist es ja, der die neue
Gesellschaft bauen soll, deren die Politik
erst später sich bemächtigt. Ein Augenblick
aber wie dieser verlangt von uns Ent-
scheidungen, die im geistigen Sinne ge-
troffen werden müssen.

Es ist nicht unsere Absicht, in den
Kampf der Wirtschaftsauffassungen ein-
zugreifen und zu Steuerfragen etwas zu
sagen zu nehmen. Noch unserer Meinung
haben Staat und Gesellschaft die Pflicht,
den geistigen Menschen des Volkes zu
erleichtern und nicht zu erschweren. Wir
bekämpfen daher alle unbillige Härte
oberflächlicher Forderungen.

Es wäre aber ein wahres Ver-
säumnis, wenn man im Abwehr-
kampf gegen Steuerlasten die
große soziale und kulturelle
Leistung der Wiener Stadt-
verwaltung überläge. Diese große
und fruchtbare Leistung, welche die wich-
tigsten Intellektuellen betrifft, die Jugend
nach den besten Grundsätzen erzieht und
unterstützt, den Strom der Kultur in die
Tiefe leitet, diese Taten wollen gerade
jetzt mit allen verfügbaren Mitteln
unterstützt werden, damit wir sie erhalten und
gefördert wissen. Geist und Humanität
sind ein und dasselbe. Sie ver-
mögen die lautere und gerechte Gegen-
wehr des materiellen Lebens zu mildern.

Mögen auch die ökonomischen Be-
wegungen und politischen Schlagworte
den Vordergrund beanspruchen, wir werden uns nicht betäuben
lassen. Wir können den Opfern des
Geistes, des besten Intellektuellen, nicht
mähen; aber dem Versuch ent-
gegentreten, die Öffentlichkeit durch
eine Weltanschauung zu blenden,
die nur auf den Stillstand, ja auf den
Rückschritt abzielt.

Aber den Geistes ist vor allem
Freiheit, die jetzt gefährdet
ist und die zu schützen wir uns
verpflichtet fühlen. Das Ringen um eine
höhere Menschlichkeit und der Kampf
gegen Trägheit und Verdummung wird
uns immer bereit finden.

Er findet uns auch jetzt bereit.

Dr. Alfred Adler,
Wilhelm Barner, Schriftsteller, Wien.
Arthur Brutenbauer, akademischer Maler.
Professor Karl Bühler, Vorstand des
Psychologischen Instituts der Univer-
sität Wien.
Franz Cizek, Professor der Kunstgewerbe-
schule.
Lea Deleau, akademischer Maler.
Josef Dobrowsky, akademischer Maler.
Karl Foresi, Schauspieler und Regisseur
des Deutschen Volkstheaters.
Dr. Sigmund Freud, Professor an der
Universität Wien.
Dr. Max Graf, Schriftsteller, Professor
an der Akademie für Musik und dar-
stellende Kunst.
Fritz Grünbaum, Schriftsteller, Direktor
des Stadttheaters.
Dr. Janina Grün, Schriftstellerin.
Anton Hanak, akademischer Bildhauer,
Professor an der Kunstgewerbeschule.
Albert Heine, Hofrat, Direktor des Burg-
theaters a. D. Regisseur und Schau-
spieler, Professor an der Hochschule für
Musik und darstellende Kunst.
Josef Jahns, Direktor der Renaissance-
bühne.
Dr. Hans Kelsen, Professor an der Uni-
versität Wien.
Dr. Michael Kiewai, Komponist.
Theodor Klock-Tuzenbach, akademischer
Maler.
Dr. Rudolf Kraus, Professor an der Uni-
versität Wien.
Primarius Dr. Victor Lichtblau, Architekt.
Petronius M. Maeder, Dichter.
Anna Maria Morales.
Maria Mayer, Burgschauspielerin.
Georg Neirel, akademischer Maler.
Margarete Reinig.
Dr. Robert Rylil, Schriftsteller.
Wilhelm Reubauer, Professor an der
Hochschule für Bodenkultur.
Ferdinand Rahn, Schauspieler am Deutschen Volkstheater.
Alfred Volgar, Schriftsteller.
Professor Otto Kritscher, Architekt.
Professor Helene Raaberg.
Franz Salmbinger, Komponist.
Karl Schneller, Schriftsteller.
Dr. Oskar Strnad, Architekt, Professor an der
Kunstgewerbeschule.
Dr. Anton Webern, Tonkünstler.
Dr. Egon Wellesz, Dozent an der Universität
Wien.
Jenny Wuriel, Schauspielerin.
Professor Karl Withaus, Architekten.
Franz Zulow, akademischer Maler.


Ermordung des mexikanischen
Generalstabschefs.

R e u t e r. 19. April. Der General-
stabschef der mexikanischen
Armee, General Jesus M. Carranza,
wurde in einem offenen Auto auf der
Straße nach Nogales ermordet auf-
gefunden.