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Accessorius, der [accedere von ad-cedere]; (frz. nerf
accessoire, ou de Willis, nerf spinal; engl. the recurrent
Nerve; it. accessorio di Willis; Nervus recurrens
Willisii), Beinenerv. Als N. accessorius wird von
den Anatomen ein Nervenstamm bezeichnet, welcher
als elfter in der Reihe der Hirnnerven mit dem
Vagus durch das Foramen jugulare austritt, aber
eigentlich nur eine kurze Strecke lang als solcher
existiert, vielmehr sowohl zentral- als peripherie
wärts in zwei durchaus verschiedene Portionen zer
fällt. Die obere dieser Portionen entspringt aus
der Oblongata unmittelbar hinter dem Vagus mit
einer Reihe von Wurzelfäden, und trennt sich ausser-
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halb der Schädelhöhle wieder ab, um sich dem N.
vagus anzuschliessen (Accessorius vagi s. Vagus).
Die untere Portion stammt aus dem Halsmark und
bildet einen vertikal aufsteigenden Ast, der vom
5. oder 6. Cervikalnerven an obere Wurzeln in
sich aufnimmt, und durch das Hinterhauptsloch in
die Schädelhöhle gelangt, um sich dann mit der
untern Portion zum gemeinsamen Accessorius-Stamm zu ver
einigen (Accessorius spinalis). Der N. spinalis geht
sowohl in seinem Wurzelverlauf als auch in seiner
peripheren Ausbreitung mehrfache Verbindungen mit
den oberen Cervicalnerven ein. Er ist ein reiner
oder vorwiegend motorischer Nerv und versorgt mit
Bandästen den M. sternocleidomastoideus und M.
trapezius (cucullaris). Der Accessorius vagi findet an
allen seinen besten Stelle bei der Beschreibung des N. vagus
auf dessen Bestandtheil er aufzufassen ist. Allein
denoch, der N. accessorius spinalis äussert sich durch
Mitbeteiligung im sternocleidomastoideus und
Cucullaris. Der M. sternocleidomastoideus dreht den
Kopf nach der entgegengesetzten Seite und neigt
dabei den Kopf, so dass das Kinn gehoben, das Ohr
dem gleichseitigen Schlüsselbein genähert wird. Bei
klonischem Krampf des Muskels wird der Kopf mit
einer ruckartigen Bewegung in die beschriebene
Stellung gebracht; solche Zuckungen wiederholen
sich etwa 20–30 mal in der Minute. Bei tonischem
Krampf des Muskels steht der Kopf in derselben
Stellung fest; der Muskel springt überdies als harter
Strang vor. Versuche, die Stellung zu verändern,
sind schmerzhaft (Caput obstipum spasticum). Bei
Lähmung eines Sternocleidomastoideus steht der
Kopf in derselben Stellung wie bei Kontraktur des
gegenseitigen Muskels, also nach der kranken Seite
gedreht, nach der gesunden geneigt; doch ist die
Abnormität in der Regel weniger ausgeprägt. Krampf
wird die Lähmung eines Stelm. daran, dass die will
kürliche Kopfbewegung nach der gesunden Seite er
schwert oder aufgehoben ist, während sie passiv leicht
bewirkt werden kann (Caput obstipum paralyticum).
Auch können sich Lähmung des einen und Kontraktur
des andern Muskels miteinander kombinieren. Agiren
beide Muskeln gleichzeitig, so ziehen sie das Kinn
herab; diese Bewegung (Kopfnicken) kommt auch
zustande, wenn beide Muskeln von syphilitischem
Krampf befallen sind; bei ungleichzeitigem beider
seitigem Krampf wird die Kopfbewegung abwechselnd
nach beiden Seiten ausgeführt. Lähmung beider
Stelm. verhindert die Hebung des Kopfes nicht, macht
aber die seitliche Rotation desselben unmöglich oder
beschränkt dieselbe. Insbesondere kann der Kopfnicker
nicht auf der liegenden Stellung aufgerichtet werden, bei
welcher Bewegung sowohl beide Muskeln als vorwie
gende Wülste zu fühlen sind. Der M. cucullaris
zieht sich mit seinen clavicularen Portionen den Kopf nach
hinten und nach der gleichnamigen Seite, mit den
andern Portionen hebt er die Schulter und zieht das
Schulterblatt nach der Mittellinie. Denselben Be
wegungen werden auch beim Krampf des Sternocleidomastoideus
kombiniert. Ist die mittleren und
unteren Portionen des Muskels werden übrigens von
den Cervicalnerven versorgt, so dass die Symptomatologie
der Cucullarislähmung besser bei den
Spinalnerven verhandelt wird. Entdeckung des N.
accessorius kann herbeigeführt werden a) in der
Oblongata: durch Kernaffection (Bulbärparalyse),
Läsirung, Erweichung u. dgl. b) im Rückenmark: durch
Affection der Accessoriuskerne des Halsmarks (Kom
bination mit Bulbärparalyse, amyotrophische laterale
Rückenmarks sclerose, spinale Formen der Muskelatrophie)
oder durch Processe, die den gemeinsamen Nervenstamm
in der Schädelhöhle und in der Dura mater ergreifen.
Die Symptome sind dann die der Vaguslähmung
(s. diese), abgesehen von der Atrophie und Lähmung
der beiden Halsmuskeln. Die in Betracht kommenden
Prozesse sind: a) einfache und syphilitische Meningitis,
Tumor, Caries der Schädelbasis etc.; d) durch Pro
zesse, welche die spinalen aufsteigenden Wurzeln des
Accessorius im Wirbelkanal ergreifen: Meningitis,
Caries, Trauma der Halswirbelsäule, extrameningeale
Tumoren; e) im peripheren Verlauf der spinalen
Portion durch Trauma, Abscess, Kompression von
Seiten vergrösserter Lymphdrüsen und besonders
häufig Erkältung (rheumatische Neuritis?). — Nicht
selten sind die ein- oder doppelseitigen klonischen
Krämpfe des Sternocleidomastoideus und Trapezius
(clavicular-portion), die auch oftmals mit Krämpfen
in anderen benachbarten Muskelgebieten kombiniert
sind. Dieselben mögen häufig funktioneller Natur
sein, ihre Ursache bleibt in den meisten Fällen un
bekannt. Die tonischen Krämpfe dieser Muskeln
beruhen in einigen Fällen auf Reizung des N. acces
sorius; sie können dann Vorläufer der Lähmung
sein; andere Male entwickeln sie sich aus klonischen
Krämpfen. Das Caput obstipum spasticum bei
beiden Muskeln werden von Erkrankung des N. acces
sorius hergeleitet werden können. Bei der primären
progressiven Muskelatrophie wird der Cucullaris sehr
häufig befallen. — Bei zentralen Lähmungen soll
die Beteiligung der beiden vom Accessorius ver
sorgten Halsmuskeln an der forcierten Inspirations
bewegung erhalten bleiben, wenn deren willkürliche
Beweglichkeit aufgehoben ist. — Der N. accessorius
ist in der seitlichen Halsgrube sehr leicht elektrisch
zu reizen und auf seine Erregbarkeit zu prüfen.
Bei schweren Affektionen desselben findet man Ent
artungs-Reaktion in beiden von ihm versorgten Hals
muskeln.
Die Therapie und Prognose der Accessorius
Affektionen richtet sich durchaus nach deren Aetio
logie. Wo das ätiologische Moment dunkel ist,
wird man sich auf die Behandlung der Muskel
affektion nach den verschiedenen elektrotherapeuti
schen Methoden beschränken. Beim Accessorius
krampf sind Druckpunkte, deren galvanische Be
handlung Erfolg zu bringen verspricht, selten auf
gefunden worden. Bei frischem rheumatischem Caput
obstipum: Diaphorese, Massage der kontrahierten,
starke Faradisation des antagonistischen Muskels.
Bei veralteten Kontrakturen tritt die chirurgische
Behandlung in ihre Rechte. Funktionelle Krämpfe
sind durch Allgemeinbehandlung, Narcotica etc. zu
bekämpfen. Auch die Anwendung des Glüheisens
längs der Halswirbelsäule wird empfohlen.
Villaret1888Handwoerterbuch
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