Accessorius 1888-022/1888
  • S.

    Accessorius, der [accedere von ad-cedere]; (frz. nerf
    accessoire, ou de Willis, nerf spinal; engl. the recurrent
    Nerve; it. accessorio di Willis; Nervus recurrens
    Willisii), Beinenerv. Als N. accessorius wird von
    den Anatomen ein Nervenstamm bezeichnet, welcher
    als elfter in der Reihe der Hirnnerven mit dem
    Vagus durch das Foramen jugulare austritt, aber
    eigentlich nur eine kurze Strecke lang als solcher
    existiert, vielmehr sowohl zentral- als peripherie
    wärts in zwei durchaus verschiedene Portionen zer
    fällt. Die obere dieser Portionen entspringt aus
    der Oblongata unmittelbar hinter dem Vagus mit
    einer Reihe von Wurzelfäden, und trennt sich ausser-
     

  • S.

    halb der Schädelhöhle wieder ab, um sich dem N.
    vagus anzuschliessen (Accessorius vagi s. Vagus).
    Die untere Portion stammt aus dem Halsmark und
    bildet einen vertikal aufsteigenden Ast, der vom
    5. oder 6. Cervikalnerven an obere Wurzeln in
    sich aufnimmt, und durch das Hinterhauptsloch in
    die Schädelhöhle gelangt, um sich dann mit der
    untern Portion zum gemeinsamen Accessorius-Stamm zu ver
    einigen (Accessorius spinalis). Der N. spinalis geht
    sowohl in seinem Wurzelverlauf als auch in seiner
    peripheren Ausbreitung mehrfache Verbindungen mit
    den oberen Cervicalnerven ein. Er ist ein reiner
    oder vorwiegend motorischer Nerv und versorgt mit
    Bandästen den M. sternocleidomastoideus und M.
    trapezius (cucullaris). Der Accessorius vagi findet an
    allen seinen besten Stelle bei der Beschreibung des N. vagus
    auf dessen Bestandtheil er aufzufassen ist. Allein
    denoch, der N. accessorius spinalis äussert sich durch
    Mitbeteiligung im sternocleidomastoideus und
    Cucullaris. Der M. sternocleidomastoideus dreht den
    Kopf nach der entgegengesetzten Seite und neigt
    dabei den Kopf, so dass das Kinn gehoben, das Ohr
    dem gleichseitigen Schlüsselbein genähert wird. Bei
    klonischem Krampf des Muskels wird der Kopf mit
    einer ruckartigen Bewegung in die beschriebene
    Stellung gebracht; solche Zuckungen wiederholen
    sich etwa 20–30 mal in der Minute. Bei tonischem
    Krampf des Muskels steht der Kopf in derselben
    Stellung fest; der Muskel springt überdies als harter
    Strang vor. Versuche, die Stellung zu verändern,
    sind schmerzhaft (Caput obstipum spasticum). Bei
    Lähmung eines Sternocleidomastoideus steht der
    Kopf in derselben Stellung wie bei Kontraktur des
    gegenseitigen Muskels, also nach der kranken Seite
    gedreht, nach der gesunden geneigt; doch ist die
    Abnormität in der Regel weniger ausgeprägt. Krampf
    wird die Lähmung eines Stelm. daran, dass die will
    kürliche Kopfbewegung nach der gesunden Seite er
    schwert oder aufgehoben ist, während sie passiv leicht
    bewirkt werden kann (Caput obstipum paralyticum).
    Auch können sich Lähmung des einen und Kontraktur
    des andern Muskels miteinander kombinieren. Agiren
    beide Muskeln gleichzeitig, so ziehen sie das Kinn
    herab; diese Bewegung (Kopfnicken) kommt auch
    zustande, wenn beide Muskeln von syphilitischem
    Krampf befallen sind; bei ungleichzeitigem beider
    seitigem Krampf wird die Kopfbewegung abwechselnd
    nach beiden Seiten ausgeführt. Lähmung beider
    Stelm. verhindert die Hebung des Kopfes nicht, macht
    aber die seitliche Rotation desselben unmöglich oder
    beschränkt dieselbe. Insbesondere kann der Kopfnicker
    nicht auf der liegenden Stellung aufgerichtet werden, bei
    welcher Bewegung sowohl beide Muskeln als vorwie
    gende Wülste zu fühlen sind. Der M. cucullaris
    zieht sich mit seinen clavicularen Portionen den Kopf nach
    hinten und nach der gleichnamigen Seite, mit den
    andern Portionen hebt er die Schulter und zieht das
    Schulterblatt nach der Mittellinie. Denselben Be
    wegungen werden auch beim Krampf des Sternocleidomastoideus
    kombiniert. Ist die mittleren und
    unteren Portionen des Muskels werden übrigens von
    den Cervicalnerven versorgt, so dass die Symptomatologie
    der Cucullarislähmung besser bei den
    Spinalnerven verhandelt wird. Entdeckung des N.
    accessorius kann herbeigeführt werden a) in der
    Oblongata: durch Kernaffection (Bulbärparalyse),
    Läsirung, Erweichung u. dgl. b) im Rückenmark: durch
    Affection der Accessoriuskerne des Halsmarks (Kom
    bination mit Bulbärparalyse, amyotrophische laterale
    Rückenmarks sclerose, spinale Formen der Muskelatrophie)
    oder durch Processe, die den gemeinsamen Nervenstamm
    in der Schädelhöhle und in der Dura mater ergreifen.
    Die Symptome sind dann die der Vaguslähmung
     

    (s. diese), abgesehen von der Atrophie und Lähmung
    der beiden Halsmuskeln. Die in Betracht kommenden
    Prozesse sind: a) einfache und syphilitische Meningitis,
    Tumor, Caries der Schädelbasis etc.; d) durch Pro
    zesse, welche die spinalen aufsteigenden Wurzeln des
    Accessorius im Wirbelkanal ergreifen: Meningitis,
    Caries, Trauma der Halswirbelsäule, extrameningeale
    Tumoren; e) im peripheren Verlauf der spinalen
    Portion durch Trauma, Abscess, Kompression von
    Seiten vergrösserter Lymphdrüsen und besonders
    häufig Erkältung (rheumatische Neuritis?). — Nicht
    selten sind die ein- oder doppelseitigen klonischen
    Krämpfe des Sternocleidomastoideus und Trapezius
    (clavicular-portion), die auch oftmals mit Krämpfen
    in anderen benachbarten Muskelgebieten kombiniert
    sind. Dieselben mögen häufig funktioneller Natur
    sein, ihre Ursache bleibt in den meisten Fällen un
    bekannt. Die tonischen Krämpfe dieser Muskeln
    beruhen in einigen Fällen auf Reizung des N. acces
    sorius; sie können dann Vorläufer der Lähmung
    sein; andere Male entwickeln sie sich aus klonischen
    Krämpfen. Das Caput obstipum spasticum bei
    beiden Muskeln werden von Erkrankung des N. acces
    sorius hergeleitet werden können. Bei der primären
    progressiven Muskelatrophie wird der Cucullaris sehr
    häufig befallen. — Bei zentralen Lähmungen soll
    die Beteiligung der beiden vom Accessorius ver
    sorgten Halsmuskeln an der forcierten Inspirations
    bewegung erhalten bleiben, wenn deren willkürliche
    Beweglichkeit aufgehoben ist. — Der N. accessorius
    ist in der seitlichen Halsgrube sehr leicht elektrisch
    zu reizen und auf seine Erregbarkeit zu prüfen.
    Bei schweren Affektionen desselben findet man Ent
    artungs-Reaktion in beiden von ihm versorgten Hals
    muskeln.
    Die Therapie und Prognose der Accessorius
    Affektionen richtet sich durchaus nach deren Aetio
    logie. Wo das ätiologische Moment dunkel ist,
    wird man sich auf die Behandlung der Muskel
    affektion nach den verschiedenen elektrotherapeuti
    schen Methoden beschränken. Beim Accessorius
    krampf sind Druckpunkte, deren galvanische Be
    handlung Erfolg zu bringen verspricht, selten auf
    gefunden worden. Bei frischem rheumatischem Caput
    obstipum: Diaphorese, Massage der kontrahierten,
    starke Faradisation des antagonistischen Muskels.
    Bei veralteten Kontrakturen tritt die chirurgische
    Behandlung in ihre Rechte. Funktionelle Krämpfe
    sind durch Allgemeinbehandlung, Narcotica etc. zu
    bekämpfen. Auch die Anwendung des Glüheisens
    längs der Halswirbelsäule wird empfohlen.