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S.
PROF. DR. FREUD
WIEN, IX., BERGGASSE 19.
Tegel21. 6. 30
Liebe Ruth
Also ich habe heute David entlassen. Es geschah
in Frieden u Freundschaft u wird hoffent-
lich zum Guten führen. Hier der nähere
Bericht:Berlin brachte insofern eine Änderung, als
er sich entschloß, seiner paranoischen Re-
aktion näher zu treten u sie gewisser-
maßen zu studiren. Dh wol, daß er
sie jetzt wirklich anerkannte, nachdem
er vorher nur nicht widersprochen hatte.
Und nun war folgendes zu merken. Es
stellte sich ein neuer Typus her; immer
ein Stückchen analytischer Arbeit an
der Paranoia und sofort darauf eine
Erholung bei einer Prostituirten
in irgenedwie passiver Rolle. Darauf ein
kurzes Reuestadium, dann wieder
Arbeit usw. Über dem Ganzen eine
gradezu erschöpfende Ausführlichkeit
und Gründlichkeit in allem Unwichtigen
u Unwesentlichen. Auf diesen Sachver-
halt baute ich den Plan, der Erfolg
hatte.Ich sagte ihm, die Erfahrungen in Berlin
hätten mir gezeigt, daß er wirklich
nicht arbeitsfähig sei ohne die
passive Befriedigung. Damit entfiele
das Motiv die Kur im Sommer
fortzusetzen, wo er in dem kleinen
Ort genötigt sein werde, von der
Realität der Prostitution zur
Onanie zu regrediren, was nicht
in seinem Interesse sein kann. -
S.
Dagegen stelle ich ihm frei, im Herbst mit einem
neuen Program̄ wiederzukom̄en, das von
mehrfacher Art sein könne. Entweder er
nehme das neue Regime, Arbeit mit passiver
Perversion, an u lasse sich durch die
Analyse von seinen Einwendungen dagegen
befreien, oder er denke sich einen
anderen Ausweg aus, der eine Analyse
berechtige, oder er kom̄e vielleicht zur Einsicht,
daß er keine Analyse mehr brauche
In jedem Falle müße er sich eine ernst-
hafte Arbeit mitbringen, sonst bleibe
die Analyse Spielerei. Ernsthaft heiße,
aber, worauf sich eine selbständige Exist-
enz begründen lasse. Er dürfe nicht über-
sehen, daß, während er sich so heftig gegen
die Abhängigkeit vom Vater sträube,
seine Arbeitsunfähigkeit den Sinn habe,
daß er diese Passivität in der Realität
nicht aufgeben wolle.Die letzte Bemerkung muß getroffen haben,
denn im Laufe weniger Tage brachte
er seinen Entschluß, den er immer
mehr befriedigend fand. Er wolle
sich nicht mit der Perversion bescheiden,
sondern bei seiner Frau bleiben,
aber ohne Aufschub eine Lebensthätig-
keit beginnen, die ihm materiell
Selbständigkeit verspreche, zB. nach
Kalifornien gehen u an dem Geschäft
eines dortigen Freundes theilnehmen.
Er erkenne die Gefahr der Paranoia
u freue sich, den Vater in beiden
Formen loszuwerden, indem er
die Analyse aufgebe u sich im Erwerb
selbständig mache.Wenn er es durchführt
meine ich, wird es eine gute Lösung seines
Lebensproblems sein. Ob er es trifft?
Herzlich Ihr
Freud
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