Aufruf zu Menschlichkeit und Frieden 1931-051/1931
S.

Aufruf zu Menschlichkeit und Frieden

Die Regierungen aller Länder haben endlich offiziell das Recht
der Völker auf Frieden anerkannt und im Kellogg-Pakt den Krieg
als Mittel nationaler Politik verworfen.

Dennoch wird der Krieg weiter vorbereitet. In krassem Gegen-
satz zu den Friedensbeteuerungen der Regierungen steht vor allem
die Aufrechterhaltung, die Erweiterung der militärischen Ausbil-
dung der Jugend.

Zwei Formen dieser militärischen Ausbildung machen sich geltend:
in vielen Ländern besteht sie als gesetzliche **Wehrpflicht**; in ande-
ren ist sie zwar dem Namen nach freiwillig, wird jedoch der
Jugend durch moralischen und wirtschaftlichen Druck aufgenötigt.
Außerdem erachten es alle Regierungen als ihr Recht, von den
männlichen und weiblichen Staatsbürgern Kriegsdienst zu verlangen.
Wir erklären, daß jeder, der aufrichtig den Frieden will, für die
Abschaffung der Militarisierung der Jugend kämpfen und den Re-
gierungen das Recht absprechen muß, den Staatsbürgern die Wehr-
pflicht aufzuerlegen.

Die Wehrpflicht liefert die Einzelpersönlichkeit dem Militarismus
aus. Sie ist eine Form der Knechtschaft. Daß die Völker sie ge-
wohnheitsmäßig dulden, ist nur ein Beweis mehr für ihren ab-
stumpfenden Einfluß.

Militärische Ausbildung ist Schulung von Körper und Geist in
der Kunst des Tötens. Militärische Ausbildung ist Erziehung zum
Kriege. Sie ist die Verewigung des Kriegsgeistes. Sie verhindert
die Entwicklung des Willens zum Frieden. Die ältere Generation
begeht ein schweres Verbrechen an der Zukunft, wenn sie die
Jugend in Schulen und Universitäten, in staatlichen und privaten
Organisationen, oft unter dem Vorwand körperlicher Ertüchtigung,
das Kriegshandwerk lehrt.

Die Friedensverträge haben den besiegten Völkern die Aufhebung
der militärischen Ausbildung der Jugend und die Abschaffung der
Wehrpflicht auferlegt. Mögen die Völker der ganzen Welt durch
eigene Initiative mit ihnen aufräumen.

Wenn die Regierungen die tiefe Empörung und Auflehnung gegen
den Krieg nicht erkennen wollen, so müssen sie mit dem Wider-
stand aller derer rechnen, denen die Hingabe an die Menschheit
und an die Stimme ihres Gewissens höchstes Gesetz ist:

V ö l k e r   d e r   W e l t ,   b e s c h l i e ß t : 

F o r t   m i t   d e r   M i l i t a r i s i e r u n g ! 

F o r t   m i t   d e r   W e h r p f l i c h t ! 

Erzieht die Jugend zur Menschlichkeit und zum Frieden!

Jane Addams (U .   S .   A .); Dr. h. c. H .   P .   B e r l a g e (Niederlande);
Se. Eminenz der Bischof von Birmingham; Paul Birukoff (Schweiz,
früher Rußland); Valentin Bulgakoff (Rußland); Prof. Dr. John
Dewey (U .   S .   A .); Prof. Dr. Albert Einstein (Deutschland); Prof.
Dr. August Forel (Schweiz); Prof. Dr. Sigmund Freud (Österreich);
Arvid Järnefelt (Finnland); Toyohiko Kagawa (Japan); T .   Z .   K o o
(China); Prof. Dr. J .   B .   K o z á k (Tschechoslowakei); Selma Lagerlöf
(Schweden); Dr. J .   L .   M a g n e s (Palästina); Dr. h. c. Thomas Mann
(Deutschland); Viktor Marguerite (Frankreich); H .   W .   N e v i n s o n
(Großbritannien); Rector Ole Olden (Norwegen); Prof. Dr. L .   Q u i d d e
(Deutschland); Prof. Dr. Emanuel Rádl (Tschechoslowakei); Prof.
Dr. Leonhard Ragaz (Schweiz); Ameen Rihani (Arabien); Henriette
Roland Holst (Niederlande); Romain Rolland (Frankreich); Hon
Bertrand Russell, F .   R .   S . (Großbritannien); Général a. D., Dr. h. c.
F .   v o n   S c h o e n a i c h (Deutschland); Upton Sinclair (U .   S .   A .); Rabin-
dranath Tagore (Indien); Elin Wägner (Schweden); H .   G .   W e l l s
(Großbritannien); Stefan Zweig (