S.
Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus 3
Hans Lobner, Wien
in Zusammenarbeit mit Louis Rose, Princeton"ZUR GENESE DES FETISCHISMUS" -
EIN WIEDERENTDECKTER VORTRAG SIGMUND
FREUDS (1909)...
Nachtrag zu den "Protokollen der Wiener Psychoanalytischen
Vereinigung" (Band II) [70. Protokoll]17. Vortragsabend
am 24. Febr. 1909Zur Genese des Fetischismus.
Prof. Freud.[1] Abgehend von seinem Grundsatz, keine Theorie zu machen, ehe sie nicht durch
Beobachtungen gestützt ist, möchte der Vortragende ausnahmsweise eine Theorie des
Fetischismus mitteilen, die sich nur auf eine geringe Anzahl von Beobachtungen berufen
kann. Diese Lösung sei darum auch so lange nicht zu verwerten, bis andere Analytiker
sie durch ihre Beobachtungen stützen resp. widerlegen. Da nun zunächst an eine
Publikation nicht gedacht sei, so sei auch die einschlägige Literatur (bes. Binet) nicht
ausgiebig gewürdigt. Zur kurzen Orientierung über den Standpunkt in dieser Frage
genügen jedoch 3 Autoren: Krafft-Ebing (1), Forel(2) und Iwan Bloch(3).ad 1 finde man alles Wesentliche, wenigstens mehr als sonst irgendwo, in klarer u.
ehrlicher Darstellung.-2 biete nichts besonderes, 3 wieder etwas mehr aber unklar u. verschwommen. 1
beschreibt als Fetischismus die Verbindung von einzelnen Körperteilen oder Kleidungs-
stücken des Weibes mit Wollust. Der Name F. rührt von Ebing her, der auch ganz richtig
betont, dass gerade hier der Übergang vom Normalen zum Pathologischen sehr fliessend
sei. Das Abnorme findet er darin, dass ein Teileindruck der Person alles sexuelle Interesse
in sich vereinigt, so dass daneben alles andere gleichgiltig wird. Zweckmässing ist die
Unterscheidung Binet[s] in grossen u. kleinen F., je nachdem ob der Fetisch sich ganz
selbständig gemacht hat, oder noch nicht.Zur Erinnerung an die Tatsachen genügen ein paar Beispiele: so spielen Kleider eine
bes. Rolle, das Haar, Wäschestücke, endlich kann alles mögliche zum Fetisch werden,
auch solche Dinge, deren Zusammenhang mit der Person nicht mehr evident ist. Klar u.
ehrlich ist, was 1 [Krafft-Ebing] zur Erklärung des Phänomens vorbringt. Er sagt, diese* Siehe dazu den anschließenden Kommentar von Hans Lobner
S.
4 ‚Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus
Störung unterscheide sich dadurch von anderen, dass der erworbene Charakter deutlich
hervortrete; dass der F. auf[2] ein Erlebnis zurückgehe. Er meint, dass alle diese fetischistischen Vorlieben auf
Kindheitseindrücke zurückgingen, die meist vergessen (!) seien, während ihre Wirkung
geblieben sei. Es wird aber nicht behauptet, dass mit dem Klarmachen dieser Erinnerung
der Fetisch seine Rolle ausgespielt habe. Selbst wo man das aber tat, änderte sich bei
dem Betreffenden gar nichts.Wir finden also beim Fetischismus 2 Mechanismen erwähnt: 1. das infantile Moment,
u. 2. das Moment der Reminiszenz. Was den Mech[anismus] dieser Entstehung betrifft,
meint Ebing, es wäre anzunehmen, dass der Fetisch durch eine gleichzeitige Assoziation,
indem er mit der ersten sexuellen Erregung zusammenträfe, zu seiner grossen Bedeutung
gelangt wäre. Er nimmt also keine inhaltliche Verknüpfung sondern bloss eine zeitliche,
zufällige an. Man musste das annehmen, weil man sich gewisse Arten von F. nicht erklären
konnte. Aber es blieb rätselhaft, dass diese zufällige Gleichzeitigkeit eine solche Macht
über eine Person gewinnen konnte. Man musste also weiter annehmen, dass diese Person
von einer pathologischen Disposition sei. Damit aber stossen wir auf den Felsen, auf den
die ganze psychopathia sexualis aufgebaut ist: auf die rätselhafte sexuelle Konstitution,
also auf das Rätsel der Nervosität überhaupt.Interessant ist die Bemerkung Ebings, dass die psychische Impotenz häufig auf sochen
F. zurückgehe, indem der Betreffende seinen Fetisch nicht zu kennen brauche, aber in
allen Fällen, wo er nicht vorhanden ist, seine Potenz versagt. Kommt er einmal auf die
Bedingung seiner Potenz, dann ist er Fetischist.Zu erwähnen ist, dass E. [Krafft-Ebing], auch von "negativem F.” spricht, einem etwas
künstlichen Begriff, der z.B. dort angewendet wird, wo ein Mann nur imstande ist für ein
Mädchen das nur ein Bein haben darf oder schielen muss etz. sexuell zu empfinden.a Das komme daher, dass seine erste Liebe einem Mädchen mit derartigen Defekten
It.
Besonders interessant ist dem Vortragenden von jeher der Fuss- oder Schuh-F.
erschienen, für den er nie eine Erklärung habe finden können. Ebing meint, dass dieser
F. masochistischer Natur sei, indem der Betr. dem Fuss od. Schuh des Weibes, unter
dessen Herrschaft er sich zu stellen bereit ist, diese symbolische Bedeutung beilegt.-
Bloch (3) bietet wie gesagt nur Verschwommenes. Er bezeichnet alle Reize des Weibes,
Busen, Augen, Haare etz., also gerade die eigentlichen weiblichen Reize, als F., was
Wie dieser Überblick zeige, stecken in der Sache Unklarheiten, die wir hervorziehen
müssen. Es ist vor allem unter dem Begriff des F. sowohl bei [Krafft-]Ebing wie bei den
andern, verschiedenes gemeint. 1. Dinge die wir scharf erfassen u. begrenzen können u.
2. etwas Rätselhaftes, u. eswäre vorzuschlagen, für dieses Letzte, Rätselhafte den Namen
des F. zu reservieren u. das andere so zu heissen, wie es verdient benannt zu werden. Eine
große Zahl von Fällen sind Reminiszenzen nach dem Muster des hysterischen Mecha-
nismus. Remliniszenzen] von ehemals vielleicht normalen Liebesaffekten. Der Unter-
schied vom Hysterischen ist nur, dass es ihm hier nicht unbekannt zu sein braucht, dass
es so ist, u. dass es ihm auch nichts nützt, wenn er aufmerksam gemacht wird, wie es ist.
‚Für diese Reize müsse man eine andere Bezeichnung vorschlagen, die eine grosse Zahl
von Fällen decken wird. Es hat auch bei andern Leuten einen guten Sinn, von ihren
Liebesbedingungen zu sprechen. Esgibt ganz harmlose Leute, die sich plötzlich verlie!
weil eine der Ihnen unbekannten Liebesbedingun Sei gen erfüllt wurde P ven
Die Liebesbedingungen könnenS.
‚Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus I
Mlpehann mann serien Farindsaf, Lane Kane 8 anna, ae m
a 2 ah ee den Brhgpame
lade eee sun Kariindee Polen cdarmene ur haha, Ar u
sr anfleriıe Ferage Huch? Heben Aue
an Irse Kai race at an een er
nr if hier ne an h Sendan een a Gm
adardlpun. An gemietet DRULEE erdependeng
a Llaslan (a Aa) ms
Der A a de
Vauhpznhl al Air Gog) pencigun fl Sehen: Bl
a 705
ale Yazıda mn ne Mana dbede, ver ghan mahe abe man pn
yon Aa dh Lehen Satz u
SL ne A Mena, I traclan Aa much ae hen nenn.
Ale in bh Helen chim be Andenken mager Aa m
Alan cn Marder en a Var nn H MUT — Der Lam
Verne a a, a nl gung mr Geha din zarte
de I Ahnen SanrlH m ben, Ar un Inne Ahr
Aare all mente Jehrnnen uni ch aureie lan Ara,
el ame gar eg er - farkemannz hole Gina,
Pink um fresaan nd Meinen ep mnekean Ah se
A I
mrgpeihen Maar au Aane At, Ar aan, Vonehandees, uk
lan a mp jem Ferkel sun , Lea Agı 1%,
5 ll Asa neh nee nen |
NA I, rar VE Ga, 9470005 mebanigt
Arragh Are A dan cherat mil Gceuel ra an leni, Ar
Ha inmdhane FR rd rote, san An NaS.
6 Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus
[4] bloss eine Relation sein (hierher gehört z.B. die der "Mutterätiologie” zuzuzählende
Bedingung, ob eine Frau frei ist oder einem andern angehört etz.), es können aber auch
bestimmte Eigenschaften sein. Diese Liebesbedingungen gehen dann ganz ins Normale
über. Als "F." sind es entweder direkte Reminiszenzen an geliebte Personen oder, wenn
die Verdrängung dazu kommt, das Gegenteil.Anders steht es mit den Fällen, die den Namen F. eigentlich verdienen. Wir können
uns nicht vorstellen, dass das Remin. sein sollen, können sie aber auch nicht als
Liebesbedingungen erklären. Für diese Rätselhaften Fälle möchte nun der Vortragende
einen Erklärungsversuch geben.Die schwache Seite dieses Versuches sei, dass sie im ganzen auf der Beobachtung von
3 Fällen verteilt auf 2 Personen fusse.Anderseits sei aber diese Aufklärung von so prinzipieller Natur, dass man annehmen
könne, es werde sich in andern Fällen ähnlich verhalten.Die erste Aufklärung betraf den Kleiderf. u. ergab etwas, was wir längst hätten wissen
können. Pat. stellte sich schon im ersten Moment als Kleiderfetischist dar, indem er sich
auffalig seine Hosenfalte richtete, was er später jedesmal regelmässig wiederholte. Er
war psychisch impotent u. hatte trotz seiner zahlreichen Verhältnisse nie einen Koitus
zustande gebracht. Alles Interesse am Weib ist bei ihm auf die Kleider verschoben. Er
erwartete z.B. einmal eine geliebte Dame bei einem Rendez-vous; aber seine Liebe war
im Nu wegg, als sie in schlechter hastig übergeworfener Kleidung erschien. Es stellte sich
auch heraus, dass seine plötzlichen Verfeindungen bei späteren Liebesverhältnissen
immer darauf zurückgingen, dass ihm ein Stück ihrer Kleidung missfiel. -In seinem
sonstigen Wesen finden sich einige Parallelen zu diesem Kleider[-]Interesse. Pat. ist spe-[SIkulativer Philosoph geworden u. die Namen spielen bei ihm eine ganz besonders grosse
Rolle. Es hat sich also auf intellektuellem Gebiet etwas ähnliches beim Pat. vollzogen
wie auf erotischem Gebiet: er hat sein Interesse von den Dingen weg auf die Worte
‚gewendet, die ja gewissermassen die Kleider der Begriffe sind u. das erklärt sein Interesse
für die Philosophie. Aber auch die Kleider sind für ihn zum Fetisch geworden von etwas
‚ganz anderm her. Er war regelmässig Zuschauer bei der Entkleidung einer ihm nahe
stehenden geliebten Person: seiner Mutter. Diese war von anfang an in den Sohn verliebt
u. lebte in einer körperlichen Intimität mit ihm ohne dass aber je etwas vorgefallen wäre,
was man ihr zum Vorwurf machen könnte. Sie duldete weder von seiner noch vor ihrer
Seite ein "genieren” beim Entkleiden u. so zogen sie sich skrupellos vor einander komplett
aus. Dadurch wurde erzum Voyeur. Dann kam die Zeit der Verdrängung dieser Neigung
sowie der Neigung zur Mutter, u. als er aus der Verdrängung auftauchte war er zum
Kleiderfetischisten geworden. Die Kleiderlosigkeit aber war es, die ihn interessierte. Der
interessanteste Moment war ihm immer, wenn die Hose fiel u. sie ist ihm das bedeutsam-
ste Kleidungsstück geworden.Der Mechanismus des Falles ist folgender: es handelt sich um den Sehtrieb, der schauen
will u. der durch Entkleidung zu befriedigen ist. Kommt dann die Verdrängung zu diesem
Trieb, so taucht auf der andern Seite plötzlich die Hochschätzung dessen auf, was in einer
bestimmten Weise mit diesen Entkleidungsszenen zu tun hat. Er will jetzt nicht mehr
sehen u. auch nicht mehr daran erinnert werden, aber er verehrt jetzt die Kleider. Er
verehrt jetzt das, was ihn damals am sehen gehindert hat: er wird Kleiderfetischist nachVerdrängung der Schaulust, Theoretisch bedeutsam an dieser Aufklärung ist, dass sie uns
zeigt, dieser Fall von F. rühre[6] nicht von einer Reminiszenz her, sondern dass eine Triebverdrängung stattgefunden
hat. Und man kommt darauf, dass hier eine auch sonst bekannte Triebverdrängung vorS.
Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus 7
sich gegangen ist. Ein Typus der Verdrängung, der mit der Spaltung des Komplexes
eingeleitet wird. Ein Teil wird nun wirklich verdrängt, während der andere Teil idealisiert
wird, der eben in unserm Fall zum Fetisch erhoben wird. Diese Art der Verdrängung war
schon aus andern Beispielen bekannt, bevor sie zur Aufklärung für den F. wurde. Es sei
nur an ein welthistorisches Beispiel einer solchen Verdrängung erinnert. Als das Mittel-
alter begann, die Sinnlichkeit zu verdrängen u. das Weib herabzusetzen, ging das nur mit
gleichzeitiger Idcalisierung der Mutter als Jungfrau Maria.Diese Aufklärung des Kleiderfetischismus ist eigentlich keine Neuigkeit. In der Welt
der Tatsachen können wir beobachten, dass die Hälfte der Menschheit zu den Kleiderfet.
gerechnet werden muss. Alle Frauen sind nämlich Kleiderfetischisten. Das Kleid spielt
bei ihnen eine unerklärliche Rolle. Es handelt sich wieder um Verdrängung desselben,
diesmal nur passiven Triebs des Sich-sehen-lassens, der mit der Kleidung verdrängt wurde
u. deswegen werden die Kleider zum Fetisch erhoben. Erst jetzt verstehen wir, wieso
selbst die intelligentesten Frauen sich gegen die Anforderungen der Mode wehrlos
verhalten. Die Kleider ersetzen für sie die Körperformen u. dieselben Kleider zu tragen
heisst nur dasselbe zeigen können, was die andern zeigen können, heisst nur, dass man
alles, was man vom Weibe erwarten kann auch bei ihr finde, eine Versicherung, welche
die Frau eben nur in dieser Form geben kann. Denn sonst wäre es nicht verständlich,
wieso viele Frauen den Anforderungen der Mode folgend auch Kleidungsstücke, die sie
nicht vorteifl]haft kleiden, die ihnen nicht stehen, tragen wollen u. auch tragen.[7] Derselbe Pat. zeigte noch eine zweite Perversion u. nach Aufklärung des Kleiderfe-
tischismus wurde es plötzlich klar, warum der Mann auch Stiefelfetischist geworden war.Versuchen wir dasselbe Schema, das der Verdrängung, welche die Mitte hält zwischen
völliger Verdrängung u. Sublimierung, auf diesen zweiten F. anzuwenden u. fragen wir
uns, welchen Trieb das wohl hier betreffen könnte. Da ergab sich folgendes: Pat. hatte
als Kind die Gewohnheit gehabt zwischen den Zehen herumzuarbeiten, wo sie stark
riechende Sekrete abzusondern pflegen, die offenbar Gegestand der Lust für den
Menschen sein müssen; u. zw. der Riechlust, die solange dauert, bis der Ekel hinzu kommt
u. ihr ein Ende macht. Ein Teil der Analerotik besteht ja auch darin u. zw. in der Weise,
dass das Individuum sich den Finger in den Anus steckt u. dann an demselben riecht. In
ähnlicher Weise verschaffen sich viele den Genuß des anderen ["Junerträglichen["]
Vaginalgeruches (oder des Sekrets der Achselhöhle etz.). Diese "perversen" Regungen
spielen beim Kind eine grosse Rolle u. sind bedeutende Lustquellen. Diese Riechlust nun
gehört zu den am meisten verdrängten Regungen. Personen die zuerst an den übelrie-
chenden Fussekreten Genuss gehabt haben, u. bei denen dann diese partielle Verdrän-
gung der Regung eingetreten ist, werden Fussfetischisten, indem die Lust am Geruch
unterdrückt wird, während der nun geruchlose Fuss idealisiert wird. Bei dem Ideal ist
vom Geruch nicht mehr die Rede, er wird nicht einmal negativ betont. Wir finden also
hier denselben Mechanismus, nur in viel überraschenderer u.klarerer Weise zur Geltung
kommen. Wir finden hier wieder eine untergegangene Trieblust aber hier das direkte
Objekt ihres Komplexes vom Trieb losgelöst zum F. erhoben.Das wäre im Wesentlichen die Neuigkeit.
[8] Es ist noch aufmerksam zu machen, dass verschiedene Eigentümlichkeiten unseres
Liebeslebens zu der Fähigkeit dieser Unterdrückung in Beziehung zu bringen sind. Man
könnte esjazur Analerotik stellen, aber es wäre besser zur Nasenerotik zu stellen. Freilich
ist auch das keine Neuigkeit. So bemerkt Bloch, dass dem Haarfetischism. ursprünglich
die Geruchsanziehung zugrunde liege.-Als Analogon für einen unauffge]klärten Fall könne man eine Beobachtung Krafft-
Ebings [heranzichen], welche diese Erklärung des F. enthält. -Es handelte sich um einen
damals 30 jährig. jungen Mann, einen Handfetischisten (Frauenhand), von dem wir nachS.
8 ‚Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus
unserem Schema den Hergang schon wüssten. Und tatsächlich treffen unsere theoreti-
schen Voraussetzungen zu. Das Jugendleben dieses Menschen ist ausgefüllt von masslo-
ser mutueller Onanie. Mit 21 1/2 Jahren bekommt er einen Abscheu vor der Onanie u.
von da an wird er Fetischist f. weibliche Hände (Verdrängung partiell u. Verschiebung
vom Mann aufs Weib). Schon bei der mutuellen Onanie war wahrscheinlich der Wunsch
vorhanden, von einem Weib onaniert zu werden. Dieser Fall enthält eigentlich die
Auflösung des Handfetischismus.Es ist nach dem Gesagten wahrscheinlich, dass es wirklich die Auflösung des F. sein
dürfte, so weit er sich in der hervorgehobenen pathologischen Form äussert: Triebunter-
drückung, partielle Verdrängung u. Erhebung des einen Stücks des verdrängten Kom-
plexes zum Ideal. Natürlich müsse man dann verschieden Typen dieser
Verdrängungsform unterscheiden, je nachdem ob das zum Ideal Erhobene direkt ein
Bestandteil des Komplexes oder etwas Gegensätzliches ist oder ob es in indifferenter
Beziehung zum Trieb stand.Die Hauptbestätigung für die gegebene Darstellung liegt im Positiv des F., in den
Perversionen. So [ist] z.B. von den per-[9]versen Fussfetischisten längst bekannt, dass sie sich am liebsten ein Mädel von der
Strasse, mit recht schmutzigen Füssen aussuchen, die sie dann ablecken. Hier ist der
unterdrückte Ekeltrieb eklatant.Wenn noch 5-6 derartige Beobachtungen von F. mit der angedeuteten Zurückführung
auf kindliche Regungen beigebracht würden, dann hätten wir das Rätsel des F. gelöst.-Diskussion:
Hollerung kann mangels eigener Erfahrung nichts darüber sagen. Er erinnert sich nur
einer Kranken, die lange Zeit mutuelle Onanie getrieben hatte u. dann grosses Interesse
für die Hand eines Bekannten bekam, sie streichelte u. an ihre Brust drückte wie ein Kind
etz.-Stekel berichtet, nachdem er den Dank für die reichen Anregungen ausgesprochen hat,
von einem bei ihn in Behandlung stehenden Fussfetischisten (7.Monat der Analyse), der
Männerfüsse (Matrosen, Kanoniere) bes. wenn sie sich nackt auf der Strasse zeigen u.
also unrein sind sehr bevorzugt. -Vor Schweissfüssen ekelt er sich. Sein erstes Kinder-
mädchen hatte Schweissfüsse u. ihr Geliebter, ein Kanonier, pflegte in der Küche seine
übelriechenden Stiefelfetzen abzulegen. Seiner Gouvernante, die ein Ausbund von
Schlechtigkeit war, stecke er den Fuss in die Vagina u. leckte ihre Füsse. Seine Haupt-
phantasie als Kind war, barfuss auf der Ringstrasse spazieren zu gehen mit einer
Riesenzehe u. einem langen Nagel daran. Er hat auch die Vorstellung einen fremden
Penis zwischen seine beiden Zehen zu stecken, wie er es mit dem Finger ja wirklich tat.
Die Fussgeschichte hat sich im Laufe der Analyse total verloren u. ist durch die gehörtenAusführungen des Herm Prof. [Freud] ganz klar geworden. Anders sicht es mit einer
zweit[10] Bigentümlichkeit des Pat., mit seinem Urinfetischismus, der ihn, da er diesem
Gelüste in abgelegenen Stadtteilen, aber immerhin öffentlich nachgibt, fast mit dem
Strafgesetz in Konflikt brachte u. sich auch bis jetzt jeder Aufklärung widersetzte. Neben
dem Lecken des Urins von Frauen macht ihm auch das Zusehen, wie eine uriniert,
Vergnügen. In der Analyse sagt er darüber: inter urinas et faeces nascimur [dt: zwischen
Urin und Kot werden wir geboren], was sich natürlich auf seinen Mutterkomplex bezieht
u. es ist naheliegend anzunehmen, dass er die Mutter urinieren gesehen hatte. Damit ist
aber seine Vorliebe für das Urintrinken nicht erklärt. Seine Hauptphantasie besteht daranS.
Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus 9
[sie], sich für den Abort zu halten, der den Urin "trinkt", was sich darauf reduziert, dass
die Mutter der Abort ist u. er ist in der Mutter drin (inter urinas etz.). Daran hängen
Inzestgedanken auf die Schwester etz. -Pat. hat an schweren Anfällen gelitten, die von
Autoritäten als epileptische behandelt wurden; sie bestanden in Schwindel, Umfallen,
Schreien; Erwachen mit Zungenbiss u. aufgetriebenem Leib. Dann lag er eine Weile fast
flach auf dem Boden u. esgingen eine Menge Winde von ihm ab. Dieses Liegen (Hocken)
auf dem Boden entspricht die Stellung, in welcher er die Miktio beobachtet u. in welcher
er schleckt. Er fürchtete den Anfall immer, wenn die Inzestgedanken ins Bewusstsien
durchbrachen. -Der therap. Erfolg in Bezug auf die Anfälle war ein großartiger. Es ergab
sich als inf. Erlebnis eine Szene, wo er mit seinem Bruder die kleine Schwester festhielten
[sic] u. ihr Sodawasser in den Anus spritzten, bis es nicht mehr weiter ging, worauf dann
von dem Kind die Winde abginge[n], woraus sich beim Pat. der aufgetriebene Leib u. die
Flatulenz erklären. Der Urin ist weiter determiniert als eine Art masochistischer Bestra-
fung. Es ist der Ersatz der für den Pat. überaus ekelhaften Vorstellung, dass ein anderer
Mann sich mit seiner Schwester einlasse.[11] Hitschmann stellt sich als "Schuhfetischist" vor mit dem Bemerken, dass sein "Fall"
ausgezeichnet zu der vorgebrachten Theorie stimme. Seine ersten Kindheitserinnerungen
betreffen seine mit ihm verwandte Bonne. Eine dieser Kindheitsvisionen, dass er sieht
wie die Bonne ihn wäscht u. er dabei eine Erektion bekommt. Daneben stehen seine
neue[n] Stiefel, deren Juchtengeruch ebenfalls Erektion erzeugt. Die zweite Vision
bezieht sich auf eine Kousine, deren Halbschuhe er allein stehend findet u. an die er sein
erigiertes Glied anlegt, wobei er einen Urinausbruch (infant. Ejakulation) bekommt.
-Auch erinnere er sich dieser Kousine unter die Röcke gekrochen zu sein u. das erigierte
Glied an ihre Schuhe gedrückt zu haben. Diese Kousine wurde von ihm u. seinen
Geschwistern verspottet u. ihr immer die "stinkende[n] Galüsch" (Gummischuhe) vorge-
worfen. Auch im Gymnasium, wo er ein bischen [sic] homosexuell gewesen sei, hätten
ihn jene Kollegen angezogen, welche schöne Schuhe oder wohlgeformte Füsse hatten u.
auch jetzt noch spiele das eine gewisse, wenn auch bei weitem nicht mehr die ausschliess-
liche oder Hauptrolle. -Auch die übelriechenden Dinge spielen bei ihm eine gewisse
Rolle; so habe er grosse Abneigung vor Schweissfüssen u. ist im Geruch überhaupt sehr
penibel.Auffallend sei ihm häufig gewesen, dass neurotische Frauen oft sehr defekte u.
schmutzige Schuhe tragen (Frauen, die verliebt sind u. es verdrängen).In letzter Zeit habe er von einem 2-3 jährig. Knaben erfahren, der ein auffallendes
Interesse für Schuhe zeigte. Die Schuhe liegen dem Kind auch räumlich näher als andere
Dinge.-Aufgefallen sei ihm nur an den Ausführungen des Herrn Prof. warum die Frau
exhibitionistischer sein sollte als der Mann. Beim Tier sei es ja das Männchen, das sich
zeige etz.-[12] Steiner kann aus eigenem Ähnliches bestätigen wie Hitschmann; den empfindlichen
Geruch, die Vorliebe in der Jugend, die Abneigung heute etz.Er kennt eine Dame mit einer fetischistischen Vorliebe für Halskrausen. Sie riecht zu
[sic] Dingen, die für andere Menschen eine ausgesprochene Geruchlosigkeit besitzen etz.
Deutsch berichtet über eine Mitteilung, die ihm vor Jahren von einem Freunde gemacht
wurde, bei der er aber versäumte der Sache tiefer nachzugehen. Es handelte sich um
einen zurückgezogenen jungen Mann, der nie mit einem Mädchen beisammen gewesen
war. Seine Mutter war gestorben alser 21/2 Jahre alt war, worauf eine ca. 2jährig. Tante
ins Haus kam. Diese setzte sich immer so, dass sie mit ihrer Fussspitze sein Glied berührte.
Dieser schüchterne junge Mann verliebte sich plötzlich in die Braut eines Korpsbruders,S.
10 ‚Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus
bei der er dann einmal den Koitus ausführte. Es ist wahrscheinlich, dass bei der Liebe zu
diesem Mädchen die Erfüllung einer gewissen fetischistischen Bedingung (Fuss) wirksam
war.
In letzter Zeit wurde ihm von einem 4jährig. Knaben berichtet, der die Gouvernante
unter dem Zopf krauen musste, worauf sie in grosse Erregung gerate u. den Knaben
stürmisch an sich presse. Vielleicht könnte hier der Beginn eines Haarfetischismus liegen.
Federn möchte darauf hinweisen, dass in allen Fällen der Fetischismus nicht das einzige
Symptom sei, sondern dass die Betreffenden nebstdem immer komplizierte psychoneu-
rotische Verdrängungssymptome aufweisen.Da bei den gehörten Fällen immer schwere Potenzstörungen da wären, sei die Frage
am Platze ob es solche Leute [sind], die vollkommen koitieren können? (Prof. Freud:
‚natürlich, wenn der Fetisch da ist). Ob nicht die Verdrängung zur Impotenz[13] gehört u. es auch F. ohne Verdrängung gibt? Oder ob, wenn sich der Riechtrieb
nicht auf ein später zu verdrängendes Ziel geworfen hätte, keine Bedingung für einen F.
gegeben wäre.-
Er habe einen Fall von Kleiderf. mit Impotenz behandelt jedoch nicht geheilt. Die‚Aetiologie lag hier in einem exhibitionistischen Verhältnis z. Schwester.
loachim erinnert bei der Spaltung des Komplexes an zwei Krankengeschichten bei
Krafft-Ebing, wo es sich um Perverse handelt, die ausserordentliches Gefallen an
Nasenlöchern u. Ohren hatten u. auch hinein koitierten oder wenigstens den Versuch
machten. Vielleicht sei in diesen Fällen eine Zurückführung möglich auf den bei Kindern
‚häufigen libidinösen Vorgang, der das Ablecken u. Verzehren von Sekreten der Nase u.
der Ohren betrifft. Er erinnere sich einer Frau, die dem Mann das Ohr immer ausleckte.
Häufig sei das Küssen der Ohren u. auch auf die Nase pflegt es vorzukomen. Häufig sei
das Saugen an den Ohrläppchen u. auch Napoleon soll diese Gewohnheit gehabt haben.
Sadger führt einen Fall von Handschuhfetischismus an, den er schon auf dem Salzburger
Vortrag [1908] erwähnte. Pat. trug nur Glacehandschuhe von brauner, gelber oder roter
Farbe, die ihn exquisist an Kot erinnerten. Es war offenbar dieser Handschuhf. Ersatz
der Analerotik.(Federn meint, das dürfte ein Kotschmierer gewesen sein, den die Handschuhe dann
am Schmieren hindern sollten, wie sie ihn anderseits daran erinnerten).-Beim Zopf könnte es sich vielleicht um ein Penissymbol handeln, wie bei den Fingern
des Handschuhs.
‚Asller findet die Ausführungen des Herrn Professors weniger so bemerkenswert wegen
der Aufklärungen über den F., obwohl sie ja darauf hinweisen, dass dieser ebenfalls in
den Kreis unserer Betrachtungen gehört, als wegen der tiefen Zu-[14]sammenhänge mit allen Problemen der Neurose, die uns beschäftigen u. die zum
Tel so sicher stehen wie die Verdrängung, zum Teil so kontrovers sind, wie die erogenen
nen.
Das wichtigste dieser Probleme ist wohl das der Annäherung an die Analerotik u. es
ee riehecke rea dass es eine Neurose ohne die Nachweise der Analerotik
iberhaupt nie sei diesen schon seit Zeit u. habe
auch schon wiederholt a een. Junger Zeit nachgegangen
‚Auch lässt sich bei jeder Analyse irgendwo F. nachweisen (bes. häufig ist der Schuhf.).
Er habe noch keine Hysterie gesehen, die ihn nicht gezeigt hätte, ohne natürlich gerade
daran gelitten zu haben .
Er habe auch in seiner Arbeit über den Aggressionstrieb darauf verwiesen, dass der
prägnante Charakterzug der Triebverwandlung für jede Neurose festzuhalten sei; man
finde immer die verschiedensten Phasen des Triebs nebeneinander (roh u. nackt,S.
Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus 11
gehemmt, sublimiert etz.). Er habe auch kürzlich erst aufmerksam gemacht auf den für
die Neurosen wichtigsten Punkt, auf den akuten Anlass zum Ausbruch der Neurose.
Einen solchen müsse man beim F. nicht voraussetzen, sondern dieser sei eine Erschei-
nung, die schon aus der infantilen Geneigheit zur Neurose hervorgeht u. diese andeutet.
Der Ursprung dieser Neigung dürfte nicht einheitlich sein. Bei Schuhf. handelt es sich
auch nach seiner Erfahrung regelmässig um Reminiszenzen an Schweissfüsse (nicht nur
des eigenen sondern auch der des Vaters, Bruders etz.). Bei allen diesen Pat. sei das
Geruchsorgan merkwürdig entwickelt, was wahrscheinlich auf die intensive Beschäfti-
gung mit allerlei Gerüchen zurückzuführen ist. Die Zusammenfassung aller dieser Züge,
die das neurotische Bild ergeben, lässt sich einheitlich ausdrücken. Was den Verdrän-gungserscheinungen zugrunde liegt ist in allen Fällen die Furcht vor Degradierung, die
ursprünglich hervorgegangen ist aus der Furcht vor[15] Beschmutzung. Dies erzeugt beim Pat. eine Stimmungslage, die als Empfindlichkeit
bezeichnet werden muss. Diese Empfindlichkeit, aus der der akute Anfall, das Symptom
etz. entsteht, bildet den Kern der Einheit der Neurosen. Die Schmutzneigung ist
manchmal so stark ausgeprägt, dass man sie für eine ursprüngliche halten könnte; sie ist
aber doch schon eine Reaktion, die dadurch charakterisiert ist, dass sie immer mit
Aggression gegen die Eltern verbunden ist, so dass man aus ihr schon den starken
Aggr[essions-] Trieb herausspüren kann, der dann bei der Neurose einer teilweisen
Hemmung Platz macht, die auf alle andern Lebensäusserungen übergreifen kann.Diese seine Stellung glaube er zu dem Vortrag, der uns so tief in das Gefüge der
Neurosen hineingeführt hat, präzisieren zu dürfen u. hoffe gelegentlich zu weiteren
Ausführungen derselben zu kommen.
Bass bestätigt, dass sein leichter Haarfet. mit starken Geruchsempfindungen vergesell-
schaftet sei. In seiner väterlichen Familie habe sich eine feine Nase fortgeerbt. -Dann
habe er auch Wohlgefallen an schönen Füssen; seine Kindheitserinnerungen sei[en] aber
diesbezüglich wie überhaupt yisueller Natur (ein bischen [sic] Voyeur) u. es spiele bei
seiner Form des Fussf. das Gesicht viel mehr mit als der Geruch: bes. die Weiterkon-
struktion des ganzen Körpers von dem wohlgeformten Fuss nach aufwärts.Die Vorliebe für Ohren gehe wahrscheinlich auf die Gewohnheit des gleichzeitigen
Zupfens am Ohrläppchen während des Lutschens zurück.
Prof. Freud dankt im Schlusswort zunächst für die anregenden und vervollständigenden
Bemerkungen u. gibt hierauf einige Nachträge, Auskünfte u. Antworten.Er habe die Beziehung des Fussf. zum Masochismus, wie ihn Krafft-Ebing u. mit ihm
viele andere vertreten, zu wenig hervorgehoben. Er meint, diese Verbindung sei sekun-
därer Natur.[16] Stekels Fall bringe für diese Frage unleugbar gewisse Schwierigkeiten mit sich, dürfte
aber [als] Komplikation von Neurose u. Perversion weniger ins Gewicht fallen. Die
Urinperversion sei aber nicht so rätselhaft (auch hier Geruch Hauptrolle), jedenfalls aber
nicht als F. zu bezeichnen, da von einer Idealisierung nicht die Rede sei.Die interessanteste Bestätigung habe Hitschmann gebracht.
Zu Joachims Vermutung über Vorliebe f. Nasen u. Ohren sei zu bemerken dass man
hier weniger Spekulation u. mehr Analyse brauche. Spekulativ könnte man ja auch einen
Zusammenhang des Taschentuchfet. mit dem ungern vermissten Schneuzen mit der Hand
herstellen. -Wichtig wäre jedenfalls die Unterscheidung des Geruchsinnes all dieser
Leute.Interessant u. natürlich nicht zu übersehen sei die Bemerkung Adlers, dass es sich auch
um Gerüche anderer für ihn bedeutsamer Personen handeln könne. -Die übrigenS.
12 ‚Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus
Bemerkungen Adlers seien suggestiv, wenn er auch seinen Formulierungen nicht zustim-
mend entgegenkommen könne.‚Anschliessend daran bemerkt Prof. Freud, es dämmere ihm eine Erkenntnis, von der
er glaube, dass sie sich in vielem mit Adlers Anschauungen decke, wenn auch dessen
Termini (Degradierung, Empfindlichkeit etz) mehr der Philosophie u. Schulpsychol.
angehören. In unserer Sprache würden wir, was er vermutet, etwa so aussprechen: die
Verdrängung der libidinösen Triebe gehe vom Ich-Trieb, vom Erhaltungstrieb aus. Es
handle sich dabei um den Kampf zweier Triebe: dessen, der das Individuum zu erhalten
sucht u. dessen, der es den Zwecken der Gattung zu opfern sucht. Die Richtigkeit dieser
‚Annahme vorausgesetzt, würde sie die Formulierungen Adlers ersetzen u. in einer
allgemeineren Formel zusammenfassen.-Frappiert hätte ihn, dass Adler die Einheit der Neurosen erst suchen müsse u. dort finde.
Wir finden sie darin, dass es sich um die Schicksale der Libido handelt, dass sie samt u.
sonders Ersatzformen für die normalen Äusserungen der Erotik sind."Zur Genese des Fetischismus" - .
Ein wiederentdeckter Vortrag Sigmund Freuds (1909)Das siebzigste Protokoll (24.2.1909)
Vor einiger Zeit wurde Louis Rose, ein mit mir befreundeter Historiker in Princeton -
auf der Suche nach Material über die Mitglieder der Psychoanalytischen Mittwoch-Ge-
sellschaft bei Prof. Freud - von E.James Lieberman auf den Nachlaß von Otto Rank
aufmerksam gemacht. In Box 8 der Otto Rank Collection (Rare Book and Manuscript
Library) an der New Yorker Columbia University fanden sich zu unterst eine Abschrift
des Protokolls vom 11.3.1914 sowie das Originalprotokoll vom 24.2.1909, welches hier
legt wird. Wir danken Kenneth Lohf von der Columbia University und Ernst Federn
als Protokolle-Herausgeber für die Zustimmung zur Veröffentlichung. Beide Protokolle
- die Abschrift wie das Original - betreffen Fälle von Fetischismus, woraus sich vermuten
1äßt, warum Otto Rank, der Protokoll- und Schriftführer der Vereinigung, sie gemeinsam
beiseite gelegt haben könnte.
Dieser zweite Nachtrag zu den "Protokollen" (Federn und Nunberg; vgl.Lobner, 1978)
schließt nicht nur eine kleine Dokumentationslücke, sondern verdichtet auch unsere
Kenntnisse über die Entwicklung der psychoanalytischen Theorie. Zwischen dem Vortrag
"Zur Genese des Fetischismus" und Freuds Aufsatz "Fetischismus" (1927e, Almanach für
das Jahr 1928) liegen fast zwei Jahrzehnte; der nicht zur Publikation bestimmte Vortrag
folgt auf die Drei Abhandlungen, die Gradiva-Studie, die Geschichte des Kleinen Hans
(1905, 1907a, 1909b) und geht den Arbeiten über den Rattenmann, Leonardo da Vinci
und Schreber (1909d, 1910c, 1911c) unmittelbar voran. Die anschließende Diskussion -
in der sich Hitschmann und Bass als leichte Fälle von Schuh- bzw. Haarfetischismus
präsentieren - fügt sich in die Themenkreise Sexualreform, Sexualaufklärung, Frauenbe-
wegung und Damenmode, die in der Vereinigung öfters zu Sprache kamen (vlg. zB. die
Protokolle 24, 29, 36,44, 58, 59, 62, 63, 69, 74, 80, 109, 124, 135, 163, 167, 188, 197, 200,* Vorgelegt bei der 2. Internationalen Zusammenkunft der AIHP und der Sigmund Freud-Gesell-
schaft, Juli 1988 in Wien;ergänzt zum Vortrag in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, Dezember 1989.
S.
Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus 13
225). Der brisante Konflikt mit Alfred Adler provoziert Freud zuletzt zu einem Schluß-
wort, welches der Weiterentwicklung der Triebtheorie um Jahre vorgreift (s. unten).Freuds Interesse am Fetischismus
Freud beginnt seinen Vortrag (im folgenden als "1909" ohne Zusatz, mit der Seitenzahl
des Manuskripts, zitiert) mit einer knappen Orientierung über die Literatur, die seit Binet
(1887, 1888) und Krafft-Ebing (1893) den Fetischismus als Vorliebe für weibliche
Körperteile und Gegenstände beschreibt und auf vergessene Kindheitseindrücke zurück-
führt. Die Fixierung an ein infantiles Sexualziel bestimmte auch die Behandlung des
Fetischismus in den Drei Abhandlungen (1905d, 1/2), auch wenn Freud es mißlich und
unfruchtbar findet, etwa den Helden seiner Gradiva-Studie als erotomanen Fußfetischi-
sten abzutun (1907a, 71f.); die übermäßige und vorzeitige Fixierung allein ist für die
weiteren Schicksale der Libido - z.B. Neurose oder Perversion - nicht entscheidend
(Vorlesung XXI, 1916-17).An seinem Fall von Kleiderfetischismus zeigt Freud, daß zwischen der Fixierung der
Schaulust auf Nacktheit und der Verehrung bestimmter Kleidungsstücke "eine Triebver-
drängung vor sich gegangen ist" (1909,5). Analog erklärt sich der Zusammenhang
zwischen Berührungslust am Penis und Frauenhand-Fetischismus in einem Fall Krafft-
Ebings (1909,8). Am Stiefelfetischismus seines Patienten zeigt sich Freud erstmals die
koprophile Riechlust als Fixierungspunkt für den Fuß- und Schuhfetischismus (1909, 7F.).
Dieser wichtige Befund deckt sich mit Einzelheiten der Rattenmann-Geschichte (1909d)
und findet durch eine Fußnote von 1910 Eingang in die Drei Abhandlungen (19054, 65n.).
Über eine briefliche Fallvignette Freuds (24.4.1910) kommt auch Karl Abrahams "Fall
von Fuß- und Korsettfetischismus" von 1912 (1982, 255-265) in den Vorteil dieser
Einsicht. Alfred Adler leitet in der Diskussion (1909, 14f.) daraus ab, daß es nicht nur
keine Neurose ohne Fetischismus gebe, sondern daß die Analerotik jeder Neurose
zugrunde liege, weil sie zur "Degradierung" und "Empfindlichkeit" als dem "Kern der
Einheit der Neurosen" führe. -
Freud hingegen versucht, die rätselhafte Art der Herstellung des Fetisch aus infantilen
Triebzielen zu präzisieren, kommt aber erst 1920 zu seinem Vergleich zwischen Fetisch
und Deckerinnerung (1899a; Zusatz zu den Drei Abhandlungen 1905d, 54n 1). Für die
Frage, wie eng oder wie weit der Begriff gefaßt werden soll, schlägt Freud (1909, 2-4) vor,
daß es ein breites Spektrum zwischen relativen und absoluten Liebesbedingungen bis
zum großen Fetischiemus Binets gibt, wenn der Fetisch sich ganz selbständig gemacht
hat; und aus diesem Spektrum interessieren uns jene Fälle, die weder aus infantil
determinierten Liebesbedingungen noch als "Reminiszenzen nach dem Muster des
hysterischen Mechanismus" -(1909,3) erklärt werden können. Dazu kämen, Krafft-Ebing
folgend, auch jene Fälle von Impotenz, die in Fetischismus übergehen, sobald der
Betreffende die Bedingung seiner Potenz kennt -(1909,2).Zur Unsicherheit im Begriffsumfang trägt der Umstand bei, daß Fetischisten nur dann
zur Analyse kommen, wenn sic an ihrer Liebesbedingung scheitern oder sonst neurotisch
leiden (Greenacre 1955, 189); Fetischismus ist daher ein Nebenbefund (Freud 1909,
1927e, Abraham 1912), dessen Untersuchung durch andere neurotische Strukturen
gestört wird. So nennt Freud 1909 "die schwache Seite dieses Versuches”, daß er "im
ganzen auf der Beobachtung von drei Fällen verteilt auf zwei Personen fuße" (4). 1927
hat er "eine Anzahl von behandelten Fällen", die alle wegen anderer Abnormitäten zur
Analyse kamen (309). Inzwischen ordnete Freud den Fetischismus der Familie der
Perversionen zu (1905e, 1916-17, XX. Vorlesung) und verwies - zuerst 1909 (3) - auf die
Beziehung des Schuhfetischismus zur masochistischen Unterwerfung. Seinem "besonde-S.
14 ‚Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus
ren Interesse" daran (3) kam ein Fall entgegen, der er 1914 referierte (225. Protokoll)
und in der XXII. Vorlesung nochmals erwähnt (1916-17, 362).Entwicklung der Trieblehre
Knapp zwei Jahre nach dem Fetischismus-Vortrag erfolgte der nächste Schritt in einer
Reihe von Versuchen Freuds, seine Triebtheorie auf die täglichen klinischen Daten
abzustimmen; "Die psychogene Sehstörung in psychoanalytischer Auffassung” (19105) gilt
als Beginn der dualistischen Triebtheorie. Das Studium psychischer Konflikte legt eine
dualistische Auffassung nahe, und der Konflikt zwischen Hunger und Liebe, zwischen
Selbsterhaltung und Fortpflanzung, zwischen Sexualtrieb und Ichtrieben, scheint biolo-
gisch ableitbar zu sein (1910i). Die Zuordnung der zärtlichen präödipalen Tendenzen des
Kindes zur Selbsterhaltung, zu den Ichtrieben (19124), wirkt aus heutiger Sicht etwas
forciert; schon 1914 leitete Freud mit der Einführung des Narzißmus die nächste Phase
der Theorieentwicklung ein. Wie auch sonst in der Theorie des psychischen Apparats
heben spätere Modelle die Brauchbarkeit der früheren nicht auf, noch 1938 schreibt
Freud von seinem Eindruck, im Verhalten des Ichs zur Sexualfunktion "hätte sich der
biologische Gegensatz zwischen Selbsterhaltung und Arterhaltung einen psychologischen
Ausdruck geschaffen" (1940a, 113). Im Vortrag von 1909 repliziert er auf Adler, "es
dämmere ihm eine Erkenntnis"; "die Verdrängung der libidinösen Triebe gehe vom
Ich-Trieb, vom Erhaltungstrieb aus. Es handle sich dabei um den Kampf zweier Triebe:
dessen, der das Individuum zu erhalten sucht und dessen, der es den Zwecken der Gattung
zu opfern sucht. Die Richtigkeit dieser Annahme vorausgesetzt, würde sie die Formulie-
rungen Adlers ersetzen und in einer allgemeineren Formel zusammenfassen” (1909,16).Die Bedeutung des Fetisch
Obschon es unser Thema nur am Rande berührt, möchte ich es mir nicht versagen, auf
die spannende Entdeckungsgeschichte des Fetisch kurz einzugehen. Erst Jahre nach den
Drei Abhandlungen, anläßlich der Analyse des Kleinen Hans, wurde Freud auf die
Bedeutung des Kastrationsthemas aufmerksam, auf die infantile Sexualtheorie, daß "alle
Menschen einen Penis haben" (1908c, 176). In der Falldarstellung (1909) heißt es, der
Kastrationskomplex sei so gut wie unausbleiblich und werde offenbar schon auf Grund
leisester Andeutungen konstituiert, nicht erst als Folge von Drohungen wie im Fall der
Mutter des Kleinen Hans. Von da an drängt sich ein Zusammenhang mit dem Fetischis-
mus immer stärker auf; Abraham schreibt ihm am 14.2.1909 von einem Geschwisterpaar,
das gegenseitige Onanie mit den Füßen betrieben hat, und zehn Tage später, in der
Diskussion unseres Vortrags, vermutet Sadger, die Finger des Handschuhfetischisten und
der Zopf des Zopfabschneiders könnten den Penis symbolisieren (1909, 13). Aber erst
im Herbst des Jahres hat Freud die Gedankenverbindung hergestellt und schreibt an Jung
(21.11.1909, 292): "Ganz zufällig ist mir kürzlich das hoffentlich letzte Geheimnis des
Fußfetischisten aufgegangen. Es ist der so lang und schmerzlich vermißte Penis des
Weibes aus der infantilen Urzeit, den man im Fuß anbeten darf." In der Studie über
Leonardo (1910c, 166) stellt er auch den Bezug zu den Zopfabschneidern her.Der nächste Schritt erfolgt erst im Fetischismus-Aufsatzvon 1927 (1927e, 309-317): Wenn
der vermeintliche Penis der Mutter im Fetisch sowohl bewahrt als auch aufgegeben wird,
braucht dieser darum noch kein Penis-Symbol zu sein. Auch ein bestimmmtes Wäsche-stück kann das Haltmachen der Erinnerung vor dem traumatischen Augenblick darstel-
len, bis zu dem man an den weiblichen Phallus noch glauben konnte.S.
Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus 2»
In der zeitgenössischen Literatur beschränkt sich hauptsächlich Chasseguet-Smirgel
(1981) darauf, diese klassische Theorie weiter zu elaborieren (s.a. Katan 1964). Ihre
Deutung, der Fetisch sei ein analer Phallus, der die Vagina und die reale genitale Welt
des Vaters verleugnen und übertrumpfen hilft, wenn der Knabe eine verführerische
Mutter und einen desinteressierten Vater erlebt, ist durchaus überzeugend und leidet
doch am selben Mangel wie die klassische Freudsche Theorie: sie erklärt nicht, wie es so
vielen Männern überhaupt noch gelingen kann, den Sexualverkehr mit einer Frau zu
genießen. Die genannten Ausgangsbedingungen für den Fetisch gelten immerhin für alle
Knaben; Mütter werden bereits verführerisch, wenn sie ein Kind stillen und baden; auch
das mächtigste väterliche Glied kann sie nicht durch eine Art psychischer Dauererektion
daran hindern; und die Zeit , "als die Frauen noch Schwänze hatten”, wird für den
phallischen Knaben irgendwann imaginär wie der gleichnamige Film.Die weiterführende Forschung der Nachkriegszeit geht von direkten und indirekten
Beobachtungen an Kindern sowie von den Theorien über die Objektbeziehung aus. Wulff
beschrieb 1946 eine "fetischistische” Phase der infantilen Entwicklung, die der phallischen
vorangeht. Aus dem "Übergangsobjekt" (Winnicott 1953) dieser Phase geht (nach
Greenacre 1955, 187-190) dann ein klassischer Fetisch hervor, wenn eine Fixierung an
ein körperliches Trauma der Mutter oder des Kindes in der frühen phallischen Phase
erfolgt. Bak erklärte 1953, daß die entscheidende Fetischbedingung in der gestörten
Mutter-Kind-Beziehung zu suchen ist. Durch sie wird das Festhalten an der primären
und sekundären Idetifizierung so stark und prolongiert, daß das phallische Kind vor der
unmöglichen Wahl steht, entweder die Identität mit der Mutter oder die Besetzung des
Penis aufzugeben; die pathologischen Kompromisse aus dieser traumatischen Alternative
führen je nach dem Kräfteverhältnis zum Fetischismus, zum Transvestitismus oder zur
Homosexualität. Greeenacre (1953, 1955, 1960) beschreibt an ihrem Fallmaterial, wie die
unzulänglichen Objektbeziehungen zum Aufbau eines mangelhaften Körperbildes
führen, besonders beim Penis mit seinen wechselnden Dimensionen, Funktionen und
Organgefühlen. Der Fetisch in seiner dem Übergangsobejkt gleichenden Konstanz und
Mehrdeutigkeit wird dann, nach einem Wort Glovers (1933), zum Flicken, der das
Gewebe der Realwahrnehmung zusammenhält, dh. zur stabilisierenden und angstmin-dernden Potenzbedingung.
Erscheinungsformen des FetischismusNoch ehe wir die Grenzen der Freudschen Definition von 1909 verlassen, finden wir in
der Literatur einzelne Fälle von Fetischismus bei Frauen beschrieben (Hug-Hellmuth
1915 - Greenacre et al.). Auch hier ist die phallische Phase beteiligt, die analogen
Besonderheiten der weiblichen Entwicklung (-z.B. die Akzentverschiebung zur Penis-Il-
lusion am eigenen Körper sowie zur Penetrationsangst) sind jedoch bis heute anscheinend
nie genau mit dem Fetischgebrauch bei Männern verglichen worden. Greenacre (1953,
1955, 1960) beschreibt eine Reihe von strukturell verwandten Erscheinungen, namentlich
Amulettfetischismus, Tablettenfetischismus ohne Dosissteigerung (Pseudotoxikomanie),
Kleptomanie und rituelle Handlungsstereotypien. Auch hier liegen regelmäßig Ein-
schränkungen der Orgasmusfähigkeit vor, sodaß eine Analogie zum latenten Fetischis-
mus (Impotenz, weil der Fetisch noch nicht entdeckt wurde, Freud 1909 unter Berufung
an Krafft-Ebing) denkbar wäre. Damit wird allerdings die manifeste Verknüpfung
zwischen Fetisch und Orgasmusfähigkeit aufgegeben, der Fetischismusbegriff verliert
jede klinische Brauchbarkeit (vlg. Zavitzianos 1982). So erscheint der Fetischismus
plötzlich wieder als "normal" (Freud an Abraham, 18.2.1909): "Der normale Kleiderfeti-
schismus der Frauen..." - Und im Vortrag: "In der Welt der Tatsachen können wirS.
16 Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus
beobachten, daß die Hälfte der Menschheit zu den Kleiderfetischisten gerechnet werden
muß. Alle Frauen sind nämlich Kleiderfetischisten.” (1909, 6). Im Protokoll vom 15.3.1911
gehen Friedrich S.Kraus und Freud denselben Weg: vom Korsettfetischismus beim Mann
über "Das Mieder in Sitte und Brauch der Völker” zur zeitgenössischen Miederbewegung
und zur Amerikanisierung des weiblichen Schönheitsideals (Protokolle III, 188-193).Zur Metapsychologie
Als Ansatzpunkt für das Studium der Metapsychologie hat der Fetischismus eine nicht
nur historische Sonderstellung. Wenige Tage vor dem Vortrag machte Freud Karl
Abraham mit "einigen Ermittlungen der letzten Tage” bekannt: "Der Fetisch (...) resul-
tiert aus einer besonderen Art der Verdrängung, die man als partielle bezeichnen könnte,
bei welcher ein Stück des Komplexes verdrängt, ein anderes, zugehöriges zur Entschädi-
gung idealisiert wird." (1956, 801).Im Vortrag definiert er die Partialverdrängung als einen Typus, "der mit der Spaltung
des Komplexes eingeleitet wird." (1909, 6). In dieser Form findet die Partialverdrängung
1910 als Fußnote zu den Drei Abhandlungen in die weitere Literatur Eingang. Der
Aufsatz über die Verdrängung (1915d) nimmt den fetischistischen Verdrängungstyp als
Beispiel dafür, wie vielgestaltig, individuell und dynamisch der Verdrängungsvorgang sei.
Erst im Fetischismus-Aufsatz (1927e) werden Verdrängung und Verleugnung präzise
unterschieden (vlg. 1923e). In den beiden Psychose-Artikeln (1924b, 1924e) taucht auch
der Begriff der Spaltung wieder auf: beim Fetischismus liegt nicht eine Skotomisierung
(Laforgue) mit partiellem Relitätsverlust vor, sondern eine Spaltung in zwei Strömungen,
welche die Realität anerkennen bzw. leugnen.Die entscheidenden metapsychologischen Überlegungen stammen aus Freuds letztem
Lebensjahr. Wenn das Kind den weiblichen Penis vermißt und einen Ersatzgegestand
nimmt, kann man nicht von Spaltung sprechen, sondern von Verschiebung und Kompro-
mißbildung wie in einem Traum (1940a, 133). Zum günstigsten Studienobjekt für die
Ichspaltung wird der Fetischismus dadurch, daß vom Auftreten des Symptoms an zwei
gegensätzlichen Einstellungen nebeneinander bestehen bleiben, ohne einander zu beein-
flussen. Bei den Neurosen werden diese auf Ich und Es verteilt, während beim Fetischis-
mus auch die unterliegende zu psychischen Weiterung führt (134f.). Zwar erfolgt dabei
ein Einriß im Ich, eine Spaltung, aber die psychotische Abwendung von der Realität wird
Coaasan) indem die Penisbedeutung auf einen anderen Gegestand übertragen wird
Es sind vor allem die Fallberichtevon Bak (1953), Parkin (1963) und Masud Khan (1972),
die uns anschaulich zeigen, wie das Spaltungsphänomen sich um die gleichzeitige Iden-
tifizierung mit der phallischen und der weiblichen Mutter organisiert, wenn die Grenze
zwischen Selbst und Nicht-Selbst verschieblich bleibt und ein labiles Körperbild beibe-
halten wird. Immerhin muß das kindliche Ich imstande gewesen sein, seine synthetische
Funktion zu betätigen und als Schutz vor Fragmentierung und autistischem Rückzug
einzusetzen. Wenn der Fetisch diese funktion hat und dem Subjekt ein
gewisses Maß an Sicherheit, Selbstachtung und Wohlbefinden garantiert, versteht man
übrigens auch besser, warum der Fetischist ihn nicht durch eine Analyse aufs Spiel setzen
möchte.Smirnoff hat (1972, 111) die Kosequenzen dieser Auffassung für den analytischen Prozeß
beschrieben: der n ist für solche Patienten eine Art von Übergangsob-
jekt, an welchem sich die Autonomie des Analysanden konstituiert. Jede konfrontierende
Intervention macht den Analytiker zum Phallus, zum "perspektivischen Objekt, das sich
entzieht" (Rosolato 1972, 72), so daß er selbst in die Funktion des Fetisch eintritt.S.
Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus 17
Der Fetisch und die Aufklärung
Unsere historische Skizze kann auch nach der Eintragung von Freuds Vortrag 1909 nicht
zu der Annahme führen, das Rätsel, von dem Freud spricht (1909, 4), sei für die
Psychoanalyse gelöst; es ist ja "das Rätsel der Nervosität überhaupt” (2); das "Geheimnis
des Fetisch" (Freud 1927e, 16) enthält geradezu das Geheimnis des Lebens. So wäre es
auch sozusagen zu vernünftig, sich der Ausweitung des Fetischbegriffs zu widersetzen
und die Anspielungen Freuds auf die menschliche Kultur beiseitezulegen. Im Vortrag
von 1909 spricht er von der Universalität des Kleiderfetischismus, welcher selbst die
intelligenteste Frau gegen die Anforderungen der Mode wehrlos macht (6). Für die
partielle Verdrängung nimmt er das Beispiel des Mittelalters: die Verdrängung der
Sinnlichkeit und Herabsetzung des Weibes mußte von der gleichzeitigen Idealisierung
der Mutter als Jungfrau Maria begleitet werden (6). In Analogie zu dieser Denkweise
heißt es im Kleinen Hans (1909b, 271), der Kastrationskomplex sei wegen der Beschnei-
dung auch "die tiefste unbewußte Wurzel des Antisemitismus”, nicht nur der Frauenver-
achtung bei Männern.Der Fetisch, nach dem portuguiesischen Wort für Zauberei benannt, wurde (1720) in
einer ethnographischen Studie von Charles des Brosses beschrieben; der Autor vergleicht
die von Westafrikanern vorgefundenen Gegenstände, deren Besitzern ihre magische
Potenz zu Diensten steht, mit dem Mumienkult der Ägypter. Beide, Fetisch und Mumie,
können nicht nur verehrt und rituell gebraucht, sondern auch zerstört und beseitigt
werden, wenn sie ihren Dienst verweigern, weil die in ihnen gefangene Potenz entwichen
ist.Dieser Fetischbegriff, der Beziehungen zu Amuletten, Reliquien, Mumien und Kultge-
genständeen eröffnet, kurz, zu Übergangsphänomenen, wurde nicht nur von Binet
(1887/88) auf"l’amour” übertragen, sondern auch von Marx auf die ökonomische Theorie
(Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis; Das Kapital I 1/4).Die Ethnologen von heute verbinden den Fetischbegriff mit dem abgelehnten Denken
der Kolonisatoren und Missionare und kommen erst seir kurzem vereinzelt wieder auf
ihn zurück. Auch den Analytikern beginnt erst in der Gegenwart klar zu werden, welchen
nicht nur erotischen Gebrauchswert, sondern Wert als psychische Schutzmacht der
Fetisch für den Fetischisten darstellt. Der Weg, auf dem wir Freud folgen, führt immer
weiter weg vom knabenhaften Schatzsuchen, das eine Mumie ans Licht zerrt, ihr das
Geheimnis entreißt und sie zu Staub zerfallen läßt. Psychoanalytische Naturforschung
und Theoriebildung spielen sich im Übergangsbereich der Symbole ab. An den äußersten
Grenzen dieser vielschichtigen Zone steht einerseits die abstrakte Begrifflichkeit einer
Theorie, am anderen Ende hingegen die konkrete, greifbare Einmaligkeit des Fetisch,
die sich in nichts auflöst, wenn seine Bedeutung auch nur auf der Ebene der Sprache
eingefangen, definiert und zerstört wird. In diesem Sinne kann sogar der Analysand für
den Analytiker eine Fetischfunktion haben: Nur der Mensch auf der Couch in seiner
greifbaren Einmaligkeit, nicht ein mehr oder weniger deskriptives oder abstraktesModell
von ihm, enthält ein mächtiges Rätsel, das auf den Analytiker/die Analytikerin "berei-
chernd und potenzsteigernd" wirkt. Dieses Zusammenwirken mit dem "Fetisch auf der
Couch” gelingt, wenn der Analysand seinerseits ein ausreichendes Maß an diskretem
Beistand, an seelischeer Geburts- und Entwicklungshilfe, erlebt. Sein letztes Geheimnis
behält er bei sich. Setzt man diesen Gedanken weiter fort, so könnte man den Berufsfe-
tischismus der Psychoanalytiker dann als pathologisch bezeichnen, wenn er den Analys-
anden zu fixieren und zu mumifizieren versucht, als könnte nicht auch der nächste
Analysand, der diesen Platz und diese Stunde ausfüllt, beim Analytiker neue Fähigkeiten,
zu verstehen und zu intervenieren, zum Vorschein kommen lassen.S.
18 Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus
Zusammenfassung:
In Freuds Vortrag zu Genese des Fetischismus von 1909 finden sich erstmals die
folgenden Thesen, sieben an der Zahl:1. Fetischismus ist nicht das Resultat einer Fixierung, sondern eines komplizierten
Triebschicksals.2. Fetischismus im klinischen Sinne wäre begrifflich einzuschränken auf jene Fälle, die
sich weder aus Fixierungen noch aus hysterischen Reminiszenzen erklären lassen.3. Fetischismus begegnet uns in der analytischen Praxis als Nebenbefund, nicht als
Hauptmotiv der Analyse.4. Die Triebe sind dualistisch organisiert, können daher in unmittelbaren Gegensatz
zueinander geraten.5. Fließende Übergänge bis zur Universalität legen es nahe, auch den weitest gefaßten
Fetischismus-Begriff beizubehalten, etwa beim universellen Kleiderfetischismus der
Frauen,6. Beim Feitschismus liegt als Abwehr-Sonderform die Partialverdrängung vor, welche
mit einer Spaltung eingeleitet wird.7. Das Rätsel des Fetischismus, das Geheimnis des Fetisch, ist das Rätsel der Nervosität
überhaupt.Literatur
ABRAHAM, K. (1912): Bemerkungen zur Psychoanalyse eines Falles von Fuß -und Korseitfeti-
schismus. GW I, S. 255. Frankfurt a.M.: S.Fischer 1982.
BAK,R.C. (1953): Der Fetischismus. In: Objekte des Fetischismus; hrsg. v.J.-B. Pontalis. Frankfurt
aM.: Suhrkamp 1972, S. 113ff.
BINET, A. (1887/88): Le fetichisme dans l’amour. Revue philosophique 1887, Paris 1888.
BROSSES, Ch. des (1760): Duculte des dicux fEliches ou parallele de ’anciönne religion de l’Egypte
avec la religion de Nigritie. Paris 1760.
CHASSEGUET-SMIRGEL, J. (1981): Loss of Reality in Perversions - with Special Reference to
Fetishism. In: J.A.P.A. 29, 5. 511-5.
FREUD, S.(1899a): Über Deckerinnerungen. GW 1, 5.5291.
(19054): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW V, 5. 271.
(1905e): Bruchstück einer Hysterie-Analyse. GW V, S. 1611f.
(19072): Der Wahn und die Träume in W. Jensens "Gradiva". GW VIII, 5. 29.
(1908c): Über infantile Sexualtheorien. GW VIII, S. 1691.
(1909): Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben. GW VII, S. 2A1ff.
(19098): Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose. GW, 5.379ff.
(1910c): Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci. GW VIII, S. 1271f.
(105: Die peychogene Schstbrung in prychoanaltsche: r Auffassung. GW VIII,(19110): Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschrie-
benen Fall von Paranoia (Dementia paranoides). GW VIII, 5. 239 ff.(1916-17): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI.
(19236): Die infantile Genitalorganisation. GW XIII, S. Sir.(19240): Neurose und Psychose. GW XII, $. 385ff.
(19246): Der Realitätsverlust bei Neurose und Psychose. GW XIII, S. 36111.
(19276): Fetischismus. GW XIV, S. 3091.(19408): Die Ichspaltung im Abwehrvorgang. GW XVII, S. 577.
FREUD, S.- KARL ABRAHAM: Briefe 1907-1926. Hrsg, v. Hilda C.Abr:
AR un rsg.v. Hilda C.Abraham und Ernst L.Freud.S.
Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus 19
FREUD, S./C.G. JUNG: Briefwechsel. Hrsg. v. William McGuire und Wolfgang Sauerländer.
Frankfurt a.M.: S.Fischer 1974.
GLOVER, E.(1933): The Relation of Perversion-Formation to the Development of Reality Sense.
In: Internat. J. Psychoanal. 14.
GREENACERE, Ph.(1953): Certain Relationships between Fetishism and Faulty Development of
the Body Image. In: Psychoanal. Study of the Child 8, S.79-98.
(1955): Further Considerations Regarding Fetishism. In: Psychoanal. Study ofthe
Child 10, $. 187-194.
(1960): Further Notes on Fetishism. In: Psychoanal.Study of the Child 15, S.
191-207.
HUG-HELMUTH, H. v.(1915): Ein Fall von weiblichen Fuß-, richtiger Stiefelfetischismus. In:
Internat.Z.f. Psychoanal. II.
KATAN, M. (1964): Fetishism, Splitting of the Ego, and Denial. In: Internat. J. Psychonanal. 45, $.
237-245.
KHAN, M.R. (1972): Der Fetischismus als Selbstverneinung. In: Objekte des Fetischismus; hrsg. v.
J.-B. Pontalis. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1972, S. 130ff.
KRAFFT-EBING, Rıv. (1893): Psychopathia sexualis. Stuttgart.
LOBNER, H. (1978): Die behandlungstechnischen Diskussionen der Wiener Psychoanalytischen
Vereinigung (1923-1924). In: Jb.d. Psychoanal. 10, 5.164-204.
MARX,K. (1868): Das Kapital I 1/4: Der Fetischismus der Ware und sein Geheimnis. Berlin: Dietz
1953.
PARKIN, A. (1963): On Fetishism. In: Internat. J.Psychaoanal. 44, S.352-361.
PROTOKOLLE DER WIENER PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG (Hrsg. von
Herman Nunberg und Ernst Federn). Frankfurt a.M.: S.Fischer 1976-1981.
ROSOLATO, G. (1972): Der Fetischismus, dessen Objekt sich "entzieht". In: objekte des Fetischis-
mus; hrsg. v. J.-B. Pontalis. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1972, S. 62ff.
SMIRNOFF, V.N. (1972): Die fetischistische Transaktion. In: Objekte des Fetischismus; hrsg. v.
J.-B. Pontalis. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1972, S. 76ff.
WINNICOTT, D.W. (1953): Transitional Objects and Transitional Phenomena. In: Internat. J.Psy-
choanal. 34, S. 89-97.
WULFF, M. (1946): Fetishism and Object Choices in Early Childhood. In: Psychoanal. Qu. 15, 5.
450471.ZAVITZIANOS, G. (1982): The Perversion of Fetishism in Women. In: Psychoanal. Qu. 51. S.
405-425.Zusammenfassung:
Die Verfasser legen das Protokoll vom 24. Februar 1909 vor, das aus den "Protokollen
der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung" verloren ging und in Otto Ranks Sammlung
in der Columbia University wiederentdeckt wurde.Freuds Vortrag "Zur Genese des Fetischismus" wird vorgestellt, diskutiert und mit
anderen früheren und späteren Schriften und Briefen, insbesondere mit Freuds Publika-
tion über Fetischismus, (1927) verglichen.Schaulust, Teilverdrängung/Spaltung, sowie der Gegensatz Ichtrieb versus Sexualtrieb
werden in Freuds Vortrag schon 1909 - viel früher als bisher bekannt - ausgeführt. Die
Konzepte "Kastrationskomplex" und "Glauben an den Penis der Mutter" kommen noch
nicht vor. Außerdem zeigt Freud Beispiele der kulturellen Zusammenhänge des fetischi-
stischen Phänomens, besonders in bezug auf Frauenmode.Die Arbeit wird durch einen kurzen historischen Überblick über Fetischismus im
allgemeinen und das Interesse der Psychoanalyse daran ergänzt.S.
20 ‚Hans Lobner/Zur Genese des Fetischismus
Summary
The authors present the minutes dated 24 february 1909 which had been lost from the
"Minutes of the Vienna Psychoanalytic Society" and have been rediscovered in the Otto
Rank Collection, Columbia University. Freud’s lecture "On the Genesis of Fetishism” is
presented, discussed and compared to earlier and later writings and letters, especially
Freud’s paper on Fetishism (1927).The lecture mentions scoptophilia, partial repression/splitting, and the theory of sexual
versus ego instincts, much earlier than expected; on the ‚other hand, it does not mention
the castration complex and the belief in the maternal penis. Freud also ‚offers examples
of the cultural affiliations of the fetish phenomenon, especially women’s fashion.A brief historical review of fetishism in general and the psychoanalytic interest in it
completes the paper.Resume
Les auteurs prösentent le protocole du 24 fevrier 1909 qui disparut des "Protocoles de
Tassociation psychanalytique de Vienne” et a &t& retrouv& dans la collection de Otto Rank
& l’Universit€ de Columbia.La conference de Freud "De la gendse du fetichisme” est pr&sentee, discut&e et compar&e
avec d’autres &crits de date anterieure ou post£rieure et avec des lettres, en particulier
avec la publication de Freud sur le fetichisme (1927).Dejä en 1909 - beaucoup plus tot qu’on le croyait jusqu’2 present - Freud, dans une
conference, a denonc& voyeurisme, refoulement partiel/clivage ainsi que le contraste
pulsion du moi contre pulsion sexuelle. Les concepts "complexe de castration" et "croire
que la mere poss2de un p£nis" n’y figurent pasencore. Freud donne en autre des exemples
du contexte culturel des ph&nomdnes f£tichistes en particulier au sujet de la mode
feminiLe travail est complete par un bref apergu historique sur le fetichisme en general et
Vint&r&t de la psychanalyse A ce sujet.Resumen
Los autores presentan el protocolo del 24 de febrero de 1909, que habfa desaparecido de
los "Protokollen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung”, volviendose a descubrir
en la colleceiön Otto Rank en la Columbia University.
a an ae Freud "Sobre la genesis del fetichismo" se introduce, discute y se
con os y cartas anteriores erie ii te con la
publicaciön de Freud sobre Tefichism ismo (1927). y posteriores, especiaimen
'Enlla conferencia se exponen, ya en 1909 elvoyerismo, represiön parcial/desdoblamiento,
asi como la contradicciön instinto del yo ante instinto sexual ya mucho antes de lo que se
ha pensado hasta ahora. No existen todavfa las concepciones "complejo de castraciön" y
tampoco la "creencia en el pene de la madre”. Ademäs Freud demustra ejemplos de
relaciones culturales del fenömeno fetichista, sobre todo en relaciön a la moda feminina.
3
–20