28) Sitzung am 16. Juni 1920. Diskussion über das Kausalitätsproblem (Referat Dr. P. Schilder) 1920-512/1995
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    28) Sitzung am 16. Juni 1920:47
     

    Diskussion über das Kausalitätsproblem (Referat Dr. P. Schilder)
    (IZP 1920, S. 295)
     

    Anwesend: Prof. Freud, Dr. Demole48, Dr. v. Wyss49, Frl. Grete Lehner50,
    med. Schürmann51, Kohn, Herz, Dr. Schilder, Dr. Deutsch, Dr. Jokl, Dr. Fok-
    schaner, Dr. Rank, Dr. Reik, Dr. Hitschmann, Dr. Varga, med. Reich, Dr. Fe-
    dern, Dr. Friedjung, Dr. Storfer, Dr. Schmideberg, Dr. Nepallek, Dr. Hug, Dr.
    Kempner52, Fenichel, Dr. Sadger, Schmiedel53, Dr. Kerber54 (Winterstein).
    Cand. med. Fenichel als Mitglied gewählt.
     

    Dr. Rank stellt Anfrage wegen Kongresses. Es melden sich Dr. Federn, Dr.
    Hitschmann, Dr. Rank, Dr. Reik, Dr. Storfer, Dr. Fokschaner, Dr. Hug, Dr.
    Friedjung.
     

    Berliner Gruppe plant Vortragsgruppe.
     

    Zentralstelle in London urgiert Mitgliedsgruppe.
     

    Doz. Schilder hält Vortrag über die kausale Wichtigkeit der psychoanaly-
    tischen Resultate. Die kausalen Quellen der Motive, die angegeben und wirk-
    lich wirksam sind. Das Triebmoment in der Assoziation, die meisten Psy-
    chologen glauben in Assoziationen ein kausales Moment liegt. Über den Ein-
    bruch des Somatischen in das Psychische. Beispiel: A vergiftet B durch
    Haschisch. Die Gegner der Psychoanalyse sagen, die Psychoanalyse zeige
    keine kausalen Zusammenhänge. Der Begriff der Niveauveränderung: Die
    Ziele des Individuums bleiben auch bei Intoxikation, erleiden aber eine
    Niveauveränderung. Z.B. libidinöse. Libido aber würde als Indikator für tie-
    fer liegende somatische Vorgänge. Prinzip des doppelten Weges: Niveauver-
    schiebung kann durch körperlichen Einbruch, aber auch durch psychische
    Momente geschehen. Tatsachenfrage, ob erster oder zweiter Weg vorhanden
    war. Der psychische Zusammenhang kann deshalb kausale Bedeutung bean-
    spruchen, weil sich in späteren Erlebnissen frühere spiegeln. Auch für Schi-
    zophrenie: dort bleibt verständlicher Zusammenhang, trotz somatischen
    Einbruch, der auszunehmen. Der Niveausprung der Schizophrenie kann
    nicht durch Libidoverteilung verständlich werden; ebensowenig Epilepsie.
    Ist es zweckmäßig, wissenschaftlichen Kausalbegriff festzuhalten: Ist es nicht
    besser, dafür Funktionsbegriff zu setzen?
     

    Diskussion:
     

    Prof. Varga: Prinzipielle Frage für die Psychoanalyse für die Theorie. In
    der Psychoanalyse wird oft in der Art von Wundt aufgefaßt. Das Zeitmoment
    in der Funktion Grund Folge fehlt. Ursache Wirkung bestehen in der
    Zeitfolge, entsprechen realen Gegenständen. Ursachen im psychischen
    Leben können nur reale, nicht ideelle Gegenstände sein. Der Libidobegriff
     

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    hat idealen Gegenstand, real gibt es keine Libido im allgemeinen, nur einzelne
    psychische Vorgänge, die unter diesem Namen zusammengefaßt werden.
    Begriffe der Libido, der Libidostauung etc. sind Hypothesen, aber sind nicht
    Causa, ändert nichts an praktischer Arbeit der Psychoanalyse.
     

    Dr. Winterstein: Bei Kausalität muß von Urerlebnis des Willens ausgehen,
    von anderen Kausalitäten wissen wir nichts.
     

    Dr. Schilder: Nicht die Kausalität steht zur Diskussion.
     

    Varga meint, Libidobegriff sei z.B. dasselbe wie in Physik Kraftbegriff.
    Sachliche Übereinstimmung sehr weitgehend.
     

    Dr. Federn: Der Begiff der „Rationalisation" und der Kausalbegriff. Der
    Name „Einbruch des Somatischen paßt nicht. Die Psychoanalyse kümmert
    sich nicht um das Physische. Die Affektivität hängt von toxischen Einwir-
    kungen ab. Gegenseitige Beeinflussung des Psychischen und Physischen.
     

    Dr. Schilder: Es gibt eine psychische Beeinflussung des Kleinhirnappara-
    tes. Psychische Einflüsse auf subkortikale Apparate. Ist mit Federn einver-
    standen, verweist auf doppelten Weg. Funktionsbegriff soll nicht Kausalitäts-
    prinzip ersetzen.
     

    Prof. Freud: Otto Gross Drei Abhandlungen über den inneren Kon-
    flikt".55
     

    Dr. Hitschmann will popularisieren, was Dr. Schilder gesagt hat. Alkohol
    ist ein besseres Beispiel als Haschisch, weil besser gekonnt, eine Kausalreihe
    neben anderer.
     

    Dr. Federn: Physiker auslösende und bewirkende Ursache unterscheiden.
     

    Ein sicheres Beispiel für Sicherheit des Libidinösen gibt es nicht.
     

    Prof. Varga glaubt nicht, daß Libidostauung als solche unmittelbar beob-
    achtet wird. Eine psychische Tatsache der Libido kann er sich nicht vorstel-
    len. Eine Stauung der Libido ist nicht zu beobachten.
     

    Dr. Friedjung: Erkenntniskritische Erwägungen führen abseits von der
    Erfahrung. Psychische Geschehen kann nicht getrennt vom Physischen.
    Dr. Hitschmann: Hunger und Libido. Hunger und Libido sind Tatsachen.
    Dr. Fokschaner: Rausch beseitigt Hemmungen, Symptome. Somatisches
    Entgegenkommen.
     

    Prof. Freud: Jaspers unterscheidet Verursachung (im Physischen) durch
    Psychisches und Verursachung durch Somatisches. Jaspers Polemik 56 gegen
    Psychoanalyse: Tatsachen der Psychoanalyse sind nicht richtig dargestellt,
    glaubt, daß die Psychoanalyse alles auf Sexualität zurückführe, sagt halbe
    Wahrheit. Aber Abwehr geht von Ichtrieben ab als Reaktion gegen Sexual-
    triebe. Nicht jeder Vorgang ist determiniert, wie Jaspers der Psychoanalyse
    zuschreibt, sondern die Psychoanalyse hat nur erweiterte Geltung des Psy-
    chischen. Jaspers Vorwurf, daß die Psychoanalyse verwechsle verstehende
    und kausale Psychologie. Unrichtig, weil z.B. hysterische Symptome. Die
     

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    größere Hälfte der Erklärungen der Psychoanalyse sind physische, also nicht
    verständliche in Jaspers Sinne. Was die Psychoanalyse an Erklärungen gibt,
    sind die Hypothesen, aber das ist allgemeiner Charakter der Wissenschaft.
    Ebenso wie die „exakten" Wissenschaften. Hypothese ist aber nichts Verächt-
    liches. Innere Sicherheiten sind Wahrnehmung und Willen. Das kommt von
    Überschätzung der Tatsache des Bewußtwerdens; das aber liegt der ganzen
    Erkenntnistheorie zugrunde. Wir haben gelernt daß diese Sicherheiten falsch
    sind, z.B. bei Träumen, Halluzinationen, Illusionen und die Tatsachen des
    Hypnotismus und der Neurosensymptomatologie. Die Grundlage des Seeli-
    schen ist das Unbewußte. Wir stehen zu Beginn einer Forschung, nicht zum
    Zeitpunkt der Bilanz. Das Unbewußte: Der menschliche Körper ist Maschine
    mit verschiedenen Bestandteilen. Wir wissen zu wenig, um die ganze Kausal-
    verkettung zu erkennen. Unbestimmtheit der Begriffe ist wertvoll.
    Schlußwort Dr. Schilder
     

    29) Sitzung am 30. Juni 1920:
     

    Geschäftliches (IZP, 1920, S. 295)
     

    30) Sitzung am 7. Juli 1920:
     

    Geschäftliches. (IZP, 1920, S. 295)
     

    31) Sitzung am 13. Oktober 1920:
     

    MUC W. Reich: Der Libidokonflikt in „Peer Gynt". (IZP 1921, S. 134)57
     

    32) Sitzung am 29. Oktober 1920:
     

    (Generalversammlung): Rechenschaftsbericht, Wiederwahl der Funktionäre
    (Erhöhung der Mitgliedsbeiträge auf 300 Kronen).
     

    A. Kolnai58: Zur Psychoanalyse des Anarchokommunismus.59
     

    (IZP 1921, S. 134)
     

    33) Sitzung am 11. November 1920:
     

    Dr. D. Feigenbaum (Lugano)60; Über eine besondere Art von Eknosien.61
    (IZP 1921, S. 134)62
     

    34) Sitzung am 25. November 1920:
     

    Frieda Teller63 (als Gast): Die Wechselbeziehung von psychischem Konflikt
     

    und körperlichen Leiden bei Schiller. (IZP 1921, S. 134)64
     

    35) Sitzung am 8. Dezember 1920:
     

    Dr. R. Jokl (als Gast): Zur Psychogenese des Schreibkrampfes.
    (IZP 1921, S. 134)65/66
     

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