S.
Gehirn, das (frz. cerveau m; engl. brain; it.
cervello, encefalo m), ἑγκεφαλός, [seil. μύελος das
Mark, welches im Kopfe ist], Cerebrum.
I. Anatomie*) des Gehirns. A. Entwicklung:
Die embryonale Anlage des später so kompliziert
gestalteten Gehirns zeigt drei hintereinander liegende
Anschwellungen des Medullarrohres, welche als die
p r i m i t i v e n G e h i r n b l ä s c h e n bezeichnet werden.
Die d e f i n i t i v e Gehirnform entsteht durch Ungleich-
artigkeit des Wachstums dieser primitiven Bläschen.
Das e r s t e Gehirnbläschen erfährt die bedeut-
samsten Veränderungen. Es wird selbst durch Ver-
dickung seiner Seitenwandungen zum S e i t e n h ü g e l
(Thalamus opticus), sein Lumen zum d r i t t e n V e n-
t r i k e l. Vorn und seitlich wächst an ihm jederseits
ein neues Bläschen – das V o r d e r h i r n b l ä s c h e n –
aus, das in seiner Wand die Anlage der Grosshirn-
hemisphäre, in seinem Lumen die Anlage der S e i t e n-
v e n t r i k e l darstellt. Das Vorderhirnbläschen schnürt
sich von der primären Blase (Z w i s c h e n h i r n) ab,
sein Lumen wird spaltförmig und steht nur durch
eine kleine Oeffnung, das spätere Foramen Monroi,
mit dem dritten Ventrikel in Zusammenhang. Am
Boden der Vorderhirnblase entsteht als Verdickung
der Wand das V o r d e r h i r n g a n g l i o n, Schwanz-
und Linsenkern, zusammen als Streifenhügel,
Corpus striatum, bekannt. Nur das erstere Ganglion
ragt dauernd in den Ventrikelraum hinein, der Linsen-
kern legt sich späterhin der Hemisphärenwand innig
an, ohne eine Verbindung mit derselben einzugehen.
Der übrige Teil der Vorderhirnblase überflügelt im
Wachstum die Region der Ganglien und gewinnt
eine übermächtige Entfaltung nach vorn, rückwärts
und schliesslich auch nach unten. Der so im Bogen
den „G e h i r n s t a m m” umwachsende Teil der Vorder-
h i r n b l a s e wird zum „G e h i r n m a n t e l”, dessen Ober-*) Aeusserse Verhältnisse haben es nicht gestattet, diese
Darstellung durch die dafür unentbehrlichen Abbildungen zu
unterstützen. Die Darstellung selbst musste auf diesen Aus-
fall Rücksicht nehmen.S.
fläche zum Zwecke der Entfaltung in einem
grenzten Raum sich in typischer Weise faltet, Win-
dungen und Furchen entstehen lässt. Eine Stelle
der äusseren Oberfläche, welche der im Inneren des
Gehirnstammes entstehende und das Zentrum zur
Hemisphäre darstellt, bleibt im Wachstum zurück,
sie ist am lateralen Gehirn zuerst als offene, auf drei
Seiten von Hemisphärenmasse umwallte Grube sichtbar,
Pars Sylviana; später schliessen sich die um-
wallenden Ränder über ihr zusammen; so dass nur
ein schräg nach hinten und oben aufsteigender
Spalt, die Fissura Sylviana, entsteht. Das z w e i t e
p r i m ä r e B l ä s c h e n (M i t t e l h i r n) bildet in seiner Decke
die V i e r h ü g e l, deren Lumen bildet als A q u a e-
d u c t u s S y l v i i bezeichnet werden. Das d r i t t e B l ä s c h e n
(H i n t e r h i r n) wird zur M e d u l l a o b l o n g a t a, seine
Decke wandelt sich aber in Bindegewebe um; so
dass der Zentralkanal der Anlage in diesen Stellen
geöffnet wird (v i e r t e r V e n t r i k e l). Aus einer leisten-
förmigen Verdickung ihrer Decke vom dem geöffneten
Zentralkanal entsteht ein mächtig wachsendes H i r n-
t e i l, das K l e i n h i r n, welches den vierten Ventrikel
von oben überdeckt und ihn durch seinen Zusammen-
hang mit den Vierhügeln vorn abschliesst. Nach
unten bleibt derselbe offen und zugänglich (Q u e r-
s c h l i t z d. G e h i r n s).B. Allgemeine Topographie: Für die folgende
Beschreibung des ausgebildeten Gehirns wird voraus-
gesetzt, dass der Leser ein frisches Gehirn vor sich
hat. Die nachstehenden Bemerkungen werden ihn
dann in den Stand setzen, die verschiedenen Gebilde,
welche mit besonderer Namen belegt worden sind,
zu erkennen, und etwa den Sitz einer Erkrankung
im Gehirn auffälliger anzugen. Zunächst fällt bei
Betrachtung eines frischen Gehirnes auf, dass ge-
wisse Teile desselben eine rein weisse, andere eine
richtige graue bis braunrote Färbung haben. Diese
Farbenunterschied hängt mit einem höchstbedeutungs-
vollen Strukturunterschied der verschiedenen Gehirn-
teile zusammen. Die w e i s s e S u b s t a n z besteht
nämlich nur aus markhaltigen Fasern mit wenig
zwischenliegender Neuroglia (Neurit) und spärlichen
Gefässen, während die g r a u e S u b s t a n z ausser
solchen Fasern eine Reihe von anderen Elementen, ins-
besondere Nervenzellen und reichlich Gefässe führt.
Die Anordnung beider Substanzen gegeneinander ist
zumeist eine ganz regelmässige. – Ferner ist un-
verkennbar, dass die äussere Gestaltung des Gehirns
ungefähr einem ausgesägt Schädelhöhle entspricht;
das Gehirn zeigt eine obere Konvexität, die der
Schädeldecke anliegt, und eine flache Basis, welche
an der Schädelbasis ruht. Die Konvexität des Ge-
hirnes wird nur von den Hemisphären des Grosshirns
gebildet, deren Oberfläche grau und mit Windungen
besetzt ist. Eine tiefe mediane Einsenkung, welche
den Sichelfortsatz der Dura mater enthält, teilt das
Grosshirn in die paarigen Hemisphären und
auf der Grosshirnhemisphäre eine ebene mediane Grenz-
fläche. Es ist nicht möglich, vom Medianalschnitt
ins Innere auf die Stammteile und die Ventrikel
zu blicken, denn in der Tiefe des Spaltes liegt eine
querfaserige weisse Masse, welche die Hemisphären
miteinander verbindet und die Ganglien bedeckt
(der Balken). Durchschneidet man eine Hemisphäre
im Niveau des weissen, streifenförmigen Balkens, so
sieht man, dass nur ein schmaler Randsaum derselben
aus grauer Substanz besteht (die Grosshirnrinde),
während der Kern der Hemisphäre weiss ist (Mark-
lager der Hemisphäre).a) Gehirnbasis. Die Plastik der G.-basis hängt
mit der Gestaltung der Schädelbasis zusammen. Die
vordere Schädelgrube wird ausgefüllt durch die beiden
in der Medianen zusammenstossenden Orbitaallappen
des Grosshirns; der Grenze zwischen vorderer und
mittlerer Schädelgrube (den grossen Keilbeinflügeln
entspricht, die bereits bekannte Sylv’sche Fissur den
Hemisphären in den seitlichen Teilen der mittleren
Schädelgrube ruhen die Unter- oder Schläfenlappen
des grossen Gehirns, die jederseits mit einer stumpfen
Spitze aufhören und zwischen sich Raum lassen für
mediane Gebilde des Hirnstammes, welche an der
Schädelgrube und dem Clivus ruhen. Die hintere
Schädelgrube endlich wird ausgefüllt von dem eben-
falls paarigen K l e i n h i r n, dessen Hemisphären
aufeinander zusammenfliessen; über demselben, durch ein
dueres Diaphragma, liegt die hinterhauptslappen
der Grosshirns. Durch das grosse Hinterhauptsloch steigt
das Rückenmark in die Schädelhöhle hinein, dessen
Fortsetzung als M e d u l l a o b l o n g a t a in den me-
dianen Hirnstamm übergeht. – Die Schneiden zeigt
demnach sowohl Teile des Hirnstammes, nämlich die
unteren (basalen) Teile der Stirn- und Schläfenlappen,
als auch Teile des Hirnstammes. Feine Verzweigung
der letzteren vom Rückenmark nach aufwärts lässt
folgende Formverhältnisse erkennen: Das Rücken-
mark nimmt beim Uebergange in den
B. Das verlängerte Mark im Dicken- und Breiten-
durchmesser zu, seine Vorderseite (s. Anatomie
durchmesser zu, seine Vorderseite (s. Anatomie
des Rückenmarks) erscheint an einer Stelle, an
etwa dem Uebergange entspricht, verwischt; im
günstigen Falle kann man hier den sich kreuzenden,
weisse Bündel direkt wahrnehmen; es ist die Stelle
der P y r a m i d e n k r e u z u n g. Oberhalb derselben
schwellen die Vorderstränge zu zwei keulenförmigen
weissen Erhabenheiten an, welche den Namen P y r a-
m i d e n führen und die aus der Anatomie des Rücken-
marks bekannten Pyramidenstränge enthalten. Seit-
lich von den Pyramiden finden sich zwei mehr graue
Erhabenheiten, die O l i v e n; ein Durchschnitt durch
dieselben zeigt, dass sie einen sehr gezackten
grauen Kern einschliessen. Die weitere Fortsetzung
der Oblongata verschwindet unter einer breiten, auf-
gerundet vierseitigen Masse, die aus weissem Quer-
fasern besteht und als B r ü c k e, P o n s, bekannt ist.
Um das Studium der Oblongata fortzusetzen, legt
man das ganze Gehirn um, so dass es jetzt auf der
Basis ruht, schlägt das Kleinhirn nach vorn zurück
und überblickt auf die Bodem flache der Oblongata.
An dieser ist auffällig, dass die hintere Median-
spalte sich durch eine vom vorderen
der des Marks öffnet und endlich den Boden des
Z e n t r a l k a n a l s freilegt. Der so gebildete Raum heisst
C. Der vierte Ventrikel unter seinem Boden liegen-
von oben teilweise sichtbar; die Ursprungsstätten
mehrerer wichtiger Hirnnerven. Er hat eine rauten-
förmige Begrenzung mit vorderer und hinterer Spitze.
Die hintere Spitze heisst C a l a m u s s c r i p t o r i u s.
Nach oben wird der vierte Ventrikel durch das
K l e i n h i r n geschlossen, nach vorn findet sich als
neuerliche Decke des Zentralkanals die Ganglien-
masse der Vierhügel, welche durch ein dünnes Mark-
blatt das Velum m e d u l l a r e a n t e r i u s mit dem
Kleinhirn zusammenhängt. Der Boden des vierten
Ventrikels der Oblongata setzt sich erheblich ver-
breitert als Grundlage des Hirnstammes nach vorn
fort. Ein Querdurchschnitt durch den vierten Ven-
trikel in seiner grössten Breite zeigt eine deutliche
Abgrenzung einer oberen Etage des Hirnstammes,
welche Fortsetzung der Oblongata ist, von einer
unteren; welche dem queren Bande des Pons ent-
spricht. – Auf dieser Stelle besichtigt mana) Das Kleinhirn, Cerebellum. Es besteht aus einem
mittleren Anteil, dem W u r m, und zwei seitlichen,
den H e m i s p h ä r e n, seine Oberfläche ist grau und
tief gefurcht. Indem quere rinnförmige parallele Leisten
von einer Hemisphäre zur anderen über den Wurm
hinweg laufen. Die untere Fläche des Wurms ist
S.
ausgehöhlt zur Einlagerung der verlängerten Markes.
Ein Durchschnitt des Kleinhirnstamms senkrecht
auf die Windungsleisten zeigt – wie beim Grosshirn –
einen schmalen Saum von grauer Rindensubstanz
und als Kern einen jeden markförmigen Windung
einen weissen Strang. Der ganze Durchschnitt erin-
nert daher an ein Blatt mit verzweigtem Geäder.
Ein Durchschnitt durch die grössere Dicke des Klein-
hirns zeigt, dass die Hauptmasse des Organes aus
weissen Fasern besteht, doch enthält jede Hemisphäre
überdies einen gezackten grauen Kern, C o r p u s
d e n t a t u m, sehr ähnlich der beschriebenen Olive
des Rückenmarkes, und der Wurm mehrere klumpige
graue Kerne (Dachkern, Kugelkern, Keilkern) in seinem
Inneren. Das Kleinhirn hängt an drei weissen Faser-
massen, nach deren Durchtrennung die Hemisphären
frei übersehen werden kann. Der anschliessende dieser
drei weissen „Arme” des Kleinhirns ist der mitt-
lere, welcher die Oblongata umgreifend, in den Pons
übergeht und Brückenarm genannt wird. In der
That gehen Kleinhirn und Pons wesentlich zu-
sammen und stellen einen Ring dar, welcher die
Oblongata umschliesst, den anderen Arm des Klein-
hirns strebt nach dem gegen die Vierhügel hin, er
führt den Namen „Bindearm” und gibt dem vierten
Ventrikel seine vordere Begrenzung. Der Bindearm
stellt keine Verbindung des Kleinhirns mit den Vier-
hügeln dar, sondern senkt sich unterhalb der Vier-
hügel in die Tiefe des Hirnstammes. Ein d r i t t e r
Arm des Kleinhirns setzt sich ins Rückenmark fort;
er führt den Namen S t r i c h k e r n e und erscheint
(fälschlich) als direkte Fortsetzung der Hinterstränge
des Rückenmarkes, durch deren seitliches Ansein-
andergehen der Zentralkanal eröffnet wurde.– Kehren wir nun zur Basis zurück! Vor der breiten
weissen Platte der Brücke zeigen sich zwei weisse
förmige weisse Körper, welche stark divergieren
und unter der Spitze des Schläfenlappen verschwinden.
Es sind die Hirnschenkel, C r u r a c e r e b r i, die uns
Längsfasern bestehen und sich in die Tiefe des Hirn-
stammes zwischen die Ganglien einsenken. Ueber
dem Hirnschenkel läuft jederseits ein glatter weisser
Streifen, der T r a c t u s o p t i c u s, welcher mit dem
unterseitigen Thalamus zu einer Kommissur zusam-
tritt und sich nach vorn als drehrender Nervus
opticus fortsetzt. Die beiden Tractus und Nervi
optici bilden zusammen ein X, das Chiasma ner-
vorum opticorum. Zwischen dem Chiasma und den
divergierenden Hirnschenkeln bleibt eine dreieckige
graue Stelle, das T r i g o n u m i n t e r c r u r a l e, welche
das Ende des Zentralkanals der grauen Substanz als
Teile des I n f u n d i b u l u m einschliesst. Von Letz-
terem hängt an einem Stiel ein drüsiges Organ
herab, welches in einer Grube des Keilbeins ein-
gebettet liegt, die Hypophysis oder der Hirn-
anhang. Zwei glänzend weisse kagelige Erhabenheiten
im Trigonum führen den Namen C o r p o r a m a n-
d i c a n t i a (mamillaria). Eine Stelle der Hirnbasis
vor dem Chiasma, die L o c u s p e r f o r a t u s
a n t e r i o r, ist als Eintrittsort der Blutgefässe für die
Ganglien des Hirnstammes wichtig. An der Gehirn-
basis findet man ferner die Austrittsstellen der z w ö l f
H i r n n e r v e n: I. Der N. o l f a c t o r i u s ist eine s a g i t-
t a l e F u r c h e, der Orbitaalläppchen des Stirnlappens (sul-
cus rectus) eingebettet; er scheint aus einer Stelle der
Basis vor der Substantia perf anterior zu entspringen
und trägt den Namen Bulb us und eine Verdickung,
den Bulb u s o l f a c t o r i u s, aus, welchem die Riech-
nerven durch das Siebbein in die Nasenhöhle treten.
II. Der N. o p t i c u s (s. oben). Er verschwindet mit
dem Hirnschenkel unter der Spitze des Schläfenlappens
und ist bis zu den Ganglien der Vierhügelregion
(s. unten) makroskopisch zu verfolgen. III. Der N.
o c u l o m o t o r i u s tritt im Trigonum intercrurale
nahe dem vorderen Rande der Brücke aus. IV. Der
N. t r o c h l e a r i s (s. unten e). V. Der N. t r i g e m i n u s
tritt aus der seitlichen Fläche aus, wo dieselbe in
den Brückenarm übergeht. VI. Der N. a b d u c e n s am
hinteren Rande der Brücke. VII. Der N. f a c i a l i s mit
VIII. dem N. a c u s t i c u s in einer Grube zwischen dem
hinteren Rande der Brücke, der Olive und dem Klein-
hirn. IX. Der N. g l o s s o p h a r y n g e u s wird an den
Seitenflächen des verlängerten Markes oberhalb des
nächsten X. N. v a g u s sichtbar. X. Der N. a c c e s-
s o r i u s entsteht mit einer langen Reihe von Fäden
von der Seitenfläche des verlängerten Markes im An-
schluss an die beiden vorigen (s. Accessorius).
XI. Der N. h y p o g l o s s u s tritt in der Furche zwischen
Olive und Pyramiden aus; er setzt die Reihe der
austretenden vorderen Spinalwurzeln nach oben fort.
e) W e i s s e G e b i l d e des Hirnstammes. Beggi man
das Grosshirn mit der vorderen Spitze um die trans-
versale Achse nach abwärts, so liegt man dadurch
die V i e r h ü g e l (s. a. Corpus Quadrigeminum)
frei, deren Be-
ziehung zum vierten Ventrikel, zum Kleinhirn und zur
Oblongata oben erwähnt ist. Die Vierhügel gehören
der Decke des Mittelhirnbläschens an, dessen Lumen
als Aquaeductus Sylvii unter ihnen hinzieht, sie werden
durch eine mediane und eine daran senkrechte
Furche in die paarigen vorderen und hinteren Vier-
hügel geteilt. Zwischen ihnen und dem Kleinhirn
entspringt aus dem Velum medullare anterius der
N. G e m i n o r u m, N. trochlearis. Die Seitenfläche der
Vierhügel wies zwei kleine, daselbe befölschdliche Gang-
lien, der äussere und innere, K n i e h ö c h e r (Cor-
pus geniculatum externum et internum), welche von
einem Teil der nächsten Ganglien des Sehhügels,
bedeckt. Um diesen zu übersehen, muss man die
Ventrikel durch Wegnahme des Balkens eröffnen.
Man sieht dannDie sogenannten g r o s s e n G a n g l i e n bezw. ihre
freien Oberflächen und zwar zumeist die Sehhügel
und nach vorn von ihnen die Streifenhügel oder
besser Schwanzkerne (Nucleus caudatus), beide
durch einen weissen Streifen, die Stria c o r n e a, von-
einander getrennt. Zwischen den beiden Sehhügeln
liegt der d r i t t e V e n t r i k e l nur an einer Stelle,
von der sogenannten mittleren Kommissur überbrückt.
Die hintere Grenze dieses Ventrikels bildet die hin-
tere Kommissur, vor der Vierhügel, zwischen beiden
Sehhügeln ausgespannt. In der Nähe, meist der
vorderen Vierhügeln aufliegend, findet sich die
Z i e r b e r d r ü s e, Glandula pinealis, ein zum Teil in
zweifelhaftes nervöses Organ. Gestalt und Bau der
grossen Ganglien können nur an Durchschnitten
mannigfacher Richtungen erkannt werden. Es ge-
näge zu sagen, dass der Sehhügel mehrere graue
Massen und verschiedenartige gut gesonderte Faser-
bündel in seinem Innern enthält. Der Streifenhügel
zeigt im Ventrikel sein dickes vorderes Ende, dieses
G a n g l i o n setzt sich aber im Hirnstamm nicht
nach rückwärts fort, wo es angesetzt aufhört (Schweif
und Kopf des Nucleus caudatus). Ein querer Durch-
schnitt des Gehirns durch die Mitte des Schweifkerns
zeigt, dass im Innern des Hirnstamms noch ein anderes
grosses Ganglion eingeschlossen ist, der L i n s e n-
k e r n, welches, von keilförmiger Gestalt, die Spitze
nach innen und die konvexe Basis nach aussen kehrt.
Es zerfällt durch konzentrisch laufende weisse Faser-
streifen in drei Glieder, von denen die beiden inneren
G l o b u s p a l l i d u s, das äussere, dunklere P u t a m e n
heisst. Linsenkern und Schweifkern bilden eigent-
lich zusammen eine einzige Masse, das V o r d e r-
h i r n g a n g l i o n, und sind auch stellenweise durch
graue Brücken verbunden. Was sie voneinander
trennt, ist eine breite weisse Fasermasse, welche
i n n e r e K a p s e l heisst und sich als Fortsetzung einer
Seite der Hirnschenkelfasern, andererseits des Mark-
S.
lagers der Hemisphären erkennen lässt. An den
selben Querschnitt erkennt man, dass unmittelbar
nach aussen vom Linsenkern nur durch einen schmalen
Markstreif (äussere Kapsel) getrennt das Grau der
Sylv’schen Grube liegt, dessen Windungen den Namen
der R i e c h s t r e i f e n führen. Eine vom Riechen grau
(hier aber reine graue Masse, Vena e r m i n a t i v e
(Claustrum) bezeichnet. – Um die Beziehungen der
inneren Kapsel zu den Ganglien besser zu übersehen,
ist es ratsam einen Horizontalschnitt durch eine
Hemisphäre (Schnitt p a r a l l e l der Basis) anzulegen,
welcher durch die Fissura Sylvii geht. Man sieht
die d r e i g r o s s e n G a n g l i e n, und zwar den Linsenkern
lateral, den Schweifkern und den hinteren liegenden
Sehhügel medial und bemerkt, dass der weisse Streif
der i n n e r e n K a p s e l sich aus zwei Abschnitten zu-
sammen setzt, von denen der vordere zwischen Linsen-
kern und Schweifkern, der hintere zwischen Linsen-
kern und Sehhügel verläuft. Beide Schenkel der
inneren Kapsel stossen in einem nach aussen offenen
Winkel zusammen, welcher „das Knie” der inneren
Kapsel heisst. Diese Angaben beziehen sich männ-
lich auf die Lage der g r a u e n F a s e r m a s s e, als welche
die i n n e r e K a p s e l zu gelten hat, und nicht auf die
Richtung der einzelnen darin enthaltenen Fasern.C. G r u p p i e r u n g der beschildernten Teile des Ge-
hirnes um den Zentralkanal und dessen Fort-
setzungen (betrachtet an einem Medianalschnitt
des ganzen Gehirnes). Der Zentralkanal des Rücken-
markes ist zu unterst von den Hintersträngen be-
deckt, nach deren Aufbrechen läuft er als vierter
Ventrikel unterhalb des Kleinhirns, dann als Aquae-
ductus Sylvii unter dem Velum medullare und den
Vierhügeln, endlich öffnet er sich in den dritten
Ventrikel. Man sieht, dass aus dem dritten Ven-
trikel ein h o h l e r r o h r f ö r m i g e r A n h a n g zur Basis
herabragt, das Infundibulum, dessen Lumen das
Ende der primären zentralen Höhlung des Nerven-
systems enthält. Die vordere Wand des Infundi-
bulum ist mit dem C h i a s m a N e r v o r u m opticorum
verwachsen. Wo das Infundibulum von der Sub-
stantia perf. zwischen den Hirnschenkeln
schrittenes aus querfaserndem bestehenden Stränge,
die vordere K o m m i s s u r. Vordere (ventrale) Hälft
des Rückenmarkes Oblongata und deren Fortsetzung
hemmt den Pons gehören alle dem Boden des pri-
mären Zentralkanals, hintere Hälfte der Rücken-
markes, Kleinhirn, Markkegel und Vierhügel der
Decke desselben an. – Am Medianabschnitt übersieht
man auch die F o r m des B a l k e n s; welcher dick-
massten, breiten Hemisphären miteinander verknüpft.
Derselbe beginnt an der Basis von der Riech-
region mit einem scharfen Rande (Schnabel) steigt
rasch an Mächtigkeit zunehmend, auf biegt dann
und in den Querverlauf um, (Knie des Balkens) und
endet hinten mit einer verdickten Wulst (Splenium),
unter dem freien Ende des Balkens gelangt man
ungehindert zu den Vierhügeln. Um den Balken
herum greift eine breite Windung der medianen
Hemisphärenfläche, der G y r u s F o r n i c a t u s, die
vollständig selbst auch, nachdem sie die Enden des
Balkens, das Splenium, bedeckt hat, auf den nach
vorn und unten abgebogenen Schläfenlappen der
Hemisphäre fort und trägt an der Spitze desselben
das durch Einrollung von Rindenresten gebildete
A m m o n s h o r n, dieser Einrollungsrest liegt auf einer
unteren, welche dem queren Bande des Pons ent-
spricht. – Am Medianabschnitt muss noch nicht
möglich, die Wölbung zwischen Knie und Horizon-
talen Körper des Balkens wird nämlich durch eine
dünne Lamelle, das S e p t u m p e l l u c i d u m, aus-
gefüllt, welche einen rudimentären Rest der vom
Balken durchbrochenen medialen Hemisphärenwdarstellt. Das Septum endet nach hinten mit einem
schaffen freien Rand, zwischen welchem und dem
Thalamus der Zugang in den Seitenventrikel als
Foramen Monroi liegt. Lässt man das Septum nun
vom Balken ab, so sieht man die in den Seiten-
ventrikel vorspringenden Ganglien des Vorderhirns.
Man bemerkt jetzt aber auch einen medial ge-
legenen paarigen weisslichen Strang, welcher von der
Gehirnbasis aus der Gegend des Trigonum inter-
crurale aufsteigt, im Bogen über dem Sehhügel
verläuft, sich dann dem Balken anlegt und unter
dem Endwulst desselben sich wieder von ihm ab-
läuft, um ins Ammonshorn an der Spitze des Schläfen-
lappens zu gelangen. Dieser Bogenbündel heisst
Fornix oder Gewölbe, es deckt den dritten Ven-
trikel und stellt den eigentlichen Abschussrand der
Hemisphärenflächen dar.D. Die Windungen und Furchen an der Oberfläche
der Hemisphären haben eine grosse Bedeutung für die
Klinik erlangt, seitdem die Erkenntnis der Un-
gleichwertigkeit verschiedener Rindenregionen eine
möglichst genaue Ortsbestimmung auf innere Organ
bedingt (s. Lokalisation). Die nachstehende Be-
schreibung bezieht sich auf das Extern'sche Schema.
Abweichungen von dem ändern man bei den einzel-
zelnen Gehirnen zustande, doch fragt es sich, ob man
sie nicht morphologischen Abänderungen nur zu viel
Bedeutung beilegt. Jede Hemisphäre hat eine konvexe
äussere, eine plane innere (mediane) und plane basale
Fläche, ferner eine Stirn-, Hinterhaupt- und Schläfen-
spitze. Man unterscheidet an ihr einen Stirn-, Scheitel-,
Hinterhaupt- und Schläfenlappen, ohne die einzelnen
immer scharf voneinander abgrenzen zu können.
Zur ersten Orientierung an der konvexen Aussen-
fläche einer Hemisphäre sucht man zunächst die
Sylv’sche Spalte auf, welche von vorn unten nach
hinten oben aufsteigt und den Schläfenlappen vom
oberen Gehirns abgrenzt. Direkt in der Tiefe
dieser Spalte so findet man die verborgene Win-
dungen, die Riechstreif, der St a m m-
lappen, welche durch die der Sylv’schen Spalte
anliegenden Windungszüge verdeckt waren. Man
sucht dann zunächst eine Furche auf, welche fast immer
unverzüglich vom oberen Rand der Hemisphäre gegen
die Sylv’sche Grube hinabzieht. Sie heisst Z e n t r a l-
f u r c h e oder R o l a n d i trennt den
Stirn- vom Scheitellappen ab. Vor der Zentral-
furche liegt die Stirnregion, liegt eine senkrecht
herabziehenden Windungszug, die vordere Z e n t r a l-
w i n d u n g. Dieselbe ist gegen den Stirnende nicht
abgegrenzt, sondern lässt die drei queren Windungen
des Stirnhirns aus sich hervorgehen, welche durch
zwei quere Furchen mehr oder weniger scharf von
einander geschieden werden. Hinter der Zentral-
furche zieht eine zweite vertikale Windung, die
hintere Z e n t r a l w i n d u n g, die bereits dem Scheitel-
lappen angehört. Nach hinten abgegrenzt wird
diese Windung durch eine lange, übrigens ziemlich
veränderliche Furche, welche zuerst der Zentral-
furche parallel aufsteigt, dann aber sich im Bogen
nach hinten wendet und zu den Scheitellappen
in zwei Teile teilt. Der Teil oberhalb der letzter
beschriebenen I n t e r p a r i e t a l f u r c h e heisst
o b e r e r S c h e i t e l l ä p p c h e n; was vom Parietal-
lappen unterhalb der Furche liegt, heisst u n t e r e s
S c h e i t e l l ä p p c h e n. Aus dem unteren Scheitel-
läppchen entspringen nach unten hin zwei der drei
Windungszüge des Schläfenlappens. Dieselben sind
im Schläfenlappen durch eine konvexe Furche ge-
trennt, welche der Sylv’schen Spalte parallel läuft
und daher P a r a l l e l f u r c h e heisst. Der dritte
Windungszug des Schläfenlappens fliesst mit dem
Hinterhauptslappen zusammen, welcher gegen den
Parietallappen nicht scharf abgegrenzt werden kann
S.
und am häufigsten konstante Furchen zeigt.
Am Extern’schen Schema sind zwei quere Okzipital-
furchen und demnach drei übereinanderliegende Okzi-
pitalwindungen angenommen. Im untersten Schläfen-
läppchen verdienen noch zwei Benennungen Er-
wähnung. Jene Partie desselben, welche als Win-
dungsbogen die hintere Ende der Sylv’schen Spalte
umkreist, heisst G y r u s s u p r a m a r g i n a l i s; ein
ähnlicher Bogen, ins hintere Ende der Parallel-
furche gelegen, heisst G y r u s a n g u l a r i s. Die
Windungen an der Basalfläche verdienen keine
besondere Würdigung. Dagegen ist die Gestaltung
der medialen Hemisphärenfläche interessant. Der
Balken wird, wie beschrieben, von einer Windung
umzogen, welche ununterbrochen vom basalen Stirn-
ende bis zur Spitze des Schläfenlappens reicht. Die
diese Windungszug vom begrenzende Furche
folgt dem Gyrus f o r n i c a t u s aber nicht auf seinem
ganzen Verlaufe sondern wendet sich noch von dem
Balkenwulst nach oben und erreicht den Hemis-
phärenrand gerade hinter der hinteren Zentral-
windung der äusseren Hemisphärenfläche. Den eigen-
tümlichen Verlauf der Furche bezeichnet ihr Name:
S u l c u s c a l l o s o-m a r g i n a l i s. Zwischen dieser
Furche und dem oberen Hemisphärenrand liegt
eine ebenfalls den Balken umkreisende Windung;
die als mediale Stirnwindung geführt wird;
ihr hinteres, den Gyrus fornicatus ent-
sprechendes Stück heisst P a r a z e n t r a l l ä p p c h e n.
Nach der Abweichung des Sulcus calloso-marginalis
verbreitert sich der Gyrus fornicatus bis zum oberen
Hemisphärenrand; das mit ihm zusammenfliessende
Stück der medianen Fläche zwischen Sulcus calloso-
marginalis und einer nächsten tiefen Furche, welche
etwa eine zwischen Scheitel- und Hinter-
hauptlappen abgibt, ist quadratisch berandt und
heisst V o r z w i c k e l, P r a e c u n e u s. Der nächstfolgende
Abschnitt der Rinde ist hämmerförmig, C u n e u s,
zwischen zwei queren, von der äusseren zerrübsten
Parieto-O k z i p i t a l f u r c h e und einer tiefen, in
den Gyrus fornicatus einschneidenden Furche ge-
legen. Letztere Furche entspricht einer Vorwölbung
der Hemisphärenmasse in den Ventrikel, dem C a l c a r
a v i s und führt den Namen F i s s u r a c a l c a r i n a.
An der medialen Fläche des Schläfenlappens findet
man endlich die Fortsetzung des Gyrus f o r n i c a t u s,
hier G y r u s h i p p o c a m p i genannt, durch eine
Längsfurche, den S u l c u s o c c i p i t o-t e m p o r a l i s,
von den anderen medianen Rindengebilde abgesetzt.E. Das Studium des Gehirnbaus strebt, beson-
ders auch bezüglich der physiologischen Deutung
der einzelnen Organe und Regionen der Gehirn-
masse nach, eine erschöpfende Beschreibung von dem Ver-
lauf der weissen Fasern, ihrer Mischung mit der grauen
Substanz in Verbindung tritt; denn die Erfüllung
gibt mit ganz Substanzen kleinen Teile gelöst, sie
scheitert gegenwärtig noch an verschiedenen tech-
nischen Schwierigkeiten, welche man vermittelst
mannichfacher Methoden zu überwinden strebt.
Allen diesen Methoden liegen zwei V o r a u s s e t z u n g e n
zu Grunde, welche eine ausdrückliche Hervorhebung
verdienen. Die erste Voraussetzung kann man das
P r i n z i p der „K o n t i n u i t ä t d e s N e r v e n g e w e b e s”
nennen; sie sagt aus, dass die funktionierenden
Elemente des Nervensystems ein nirgends unter-
brochenes Netz bilden, so dass die Erregungen wäh-
rend ihres Ablaufes durch das Zentralnervensystem
stets entlang einer Nervenfaser oder Zelle wän-
dern. Die zweite Voraussetzung ist das P r i n z i p d e r
n e i t e n L e i t u n g, demzufolge die Erregungen von
dem einen Nervenelement auf das andere über-
gehen können, wenn die beiden Nervenelemente in
anatomischer Kontinuität stehen. Wären diese bei-
den physiologischen Voraussetzungen unrichtig, so
fielen alle Schlüsse auf denen der F.-forschung jetzt
haut, in sich zusammen. Die Leistungsfähigkeit und die
Beschränkungen der einzelnen Methoden der G.-Ana-
tomie werden aus folgender Uebersicht erhellen:
- L. Methode der Hirnfärbung. Das älteste
Verfahren zur G.-forschung besteht darin, die er-
härtete weisse Substanz als Objekt grober Präpara-
tion nach ihren Spaltrichtungen zu erfassen. Dieses
Verfahren ist noch heute unentbehrlich und gewisse
Bündel von bogenförmigem Verlauf darzustellen,
sonst aber nur für Zwecke der Demonstration brauch-
bar, da sie den erwünschten Eigentümlichkeiten des
G.-Baus nicht Rechnung tragen kann. - 2. Methode der Zerschneidung in Schnitt-
serien nach verschiedenen besten Rich-
tungen (Stirling). Dieses Verfahren ist dem
G.-Anatom unentbehrlich geworden. Es ermög-
licht eine topographische Kenntnis der einzelnen
weissen und grauen Massen, des Verlaufes der Ge-
fässe und eine Verfolgung solcher Fasern, welche mit ihrer
Verlaufrichtung in die Schnittrichtung fallen. Es
hat den Nachteil, andere Fasermassen in kleine Ab-
schnitte zu zerteilen, deren Aufeinanderbeziehung
in verschiedenen Schnitten sehr schwierig ist, und
erweist sich als ungeeignet, um die verschiedenen
Bestandteile eines Faserbündels zu sondern. -
3. Methode des Studiums der sekundären
Degeneration. Diese Methode beruht auf der
Thatsache, dass die einzelnen Teile des Nervensystems
in trophischer Abhängigkeit voneinander stehen.
Wird ein Faserbündel von der grauen Substanz, in
welcher seine Fasern endigen, abgetrennt, so ist
nicht nur die Funktion dieser Fasern aufgehoben,
auch die Struktur derselben erleidet eine Verände-
rung, welche unter dem Mikroskop (nach entsprech-
der Färbung) direkt sichtbar ist und dieser Faserbündel
unter allen anderen intakt gebliebenen auffällig her-
vorhebt. So degeneriert z. B. nach Unterbrechung
unterhalb der Rinde der Zentralwindungen ein be-
stimmter Faserzug der inneren Kapsel und lässt
sich als erkrankt durch eine bestimmte Region des
Hirnschenkels, durch die Brücke bis in die Pyramide
des verlängerten Marks verfolgen. Aus der Bilder,
welche man nach dem Stirling’schen Verfahren erhält,
wird nun geschlossen, dass die betreffenden Fasern
der Region der Zentralwindungen entspringen und an
dem angegebenen Wege in die Pyramide verlaufen.
Wird der Gehirnschnitt in eine der Degenerations-
regeln des Querschnitts einsinmt, dient die Degene-
rationsregeln als Kennzeichen, um dieses Feld zu analy-
sieren, in seine verschiedenen Faserbündel zu zer-
legen. Es wäre aber unberechtigt, zu schliessen,
dass im Zusammenhang degenerierter Faserbündel
auf ihrem ganzen Verlaufe mit keiner anderen grauen
Substanz in Verbindung tritt; denn die Erfahrung
hat gelehrt, dass solche Degenerationsprozesse häu-
fig auch bei graue Substanz nicht halt machen,
sondern die Elemente derselben befallen und sich
auf die Fortsetzung des degenerierten Bündels jen-
seits der grauen Substanz weiter erstrecken. Die
s e k u n d ä r e D e g e n e r a t i o n darf also nicht auf direkten,
sondern auf mittelbaren Zusammenhang von
Fasermassen gedeutet werden, sie lehrt nicht nur
Fasermassen, sondern Verkettungen von solchen
Leitungsbahnen kennen, ist aber für letztere un-
schätzbar. Man kann das Studium der sekundären
Degeneration an Tieren unter Bedingungen, die
füllen des Nervensystems studiert (Türck), oder man
kann die Bedingungen für ein sekundäre Degenera-
tion experimentell an Tieren, denen Verletzungen
dem Nervensystem zufügt, hervorrufen. Wählt
man hierzu junge Tiere (Gudden), so sind die Effekte
häufig auffälliger: die Degeneration erstreckt sich
oftmals über graue Substanzen hinaus, welche
- L. Methode der Hirnfärbung. Das älteste
S.
beim erwachsenen Tier dem Erkrankungsprozesse
eine Schranke setzen; und die grauen Substanzen,
deren zuströmende Fasern abgetrennt sind, unter-
liegen einer Wachstumshemmung, die als sekundäre
A t r o p h i e bekannt ist. Man muss jedoch Bedenken
tragen, die Schlussfolgerung, aus welche die Ver-
teilung der sekundären Degeneration beruht, um-
zukehren und zu behaupten, dass ein Faserbündel
mit einer grauen Substanz nicht zusammenhängt,
wenn es nach Abtrennung von derselben nicht dege-
neriert. Die meisten zentralen Faserbündel stehen
nämlich mit zwei grauen Substanzen in Verbindung,
sind als Kommissuren zwischen diesen zu betrachten,
und erst jedesmal empirisch festzustellen, welcher
der beiden grauen Substanzen der trophische Ein-
fluss auf die Intaktheit des Faserbündels zukommt.
Es gibt Faserbündel, welche Degeneration
gefunden werden, dieselben bestehen entweder aus
Fasern von sehr kurzem Verlauf, oder sie sind von
beiden Polen her trophisch geschützt. Wichtiger
erscheintlich, kommt auch eine Degenerationsrichtung
in Betracht, da dieselbe mit der Richtung der
physiologischen Leitung des Faserbündels zusammen-
fällt, lässt sich aber nicht anweisen.4. Methode des Studiums der p a r a l l e l e n
M a s s e n e n t w i c k e l u n g. Was unter dieser Methode
verstanden wird, lässt sich am besten an Bei-
spielen erläutern. Die relative Entwicklung des
Grosshirns im Vergleich zur Masse der anderen
Hirnteile variiert bekanntlich in der Tierreihe. Die
vergleichende Beobachtung lehrt nun, dass G. e
mit ausgebildeten Hemisphären auch einen grösse-
ren Pons und stärkere Pyramiden besitzen. Aus
diesem Schritt halten der Entwicklung in der Tier-
reihe wird geschlossen, dass Grosshirnhemisphären,
Pons und Pyramiden in enger anatomischer Ver-
bindung stehen. Oder: Es ist bekannt, dass bei
hohen Säugetieren der Lobus und Gyrus olfacto-
rius relativ verkümmert sind; bei denselben Tieren
zeigt sich ebenfalls eine Verkümmerung von Win-
dungszügen der medialen Hemisphärenfläche und
des Ammonshorns. Also liegt es nahe anzunehmen,
dass die gleichzeitige verkümmerten Teile in
engerem anatomischen Zusammenhang mit einander
stehen. Derartige Vergleichungen geben genaue
Anhaltspunkte zur Beurteilung der gegenseitigen
Beziehungen zwischen grauen Substanzen, aber auch
weiser Massen als Anhaltpunkte, die durch weitere
Untersuchungen ihre Brauchbarkeit zu prüfen sind.5. Methode der V e r w e r t u n g der u n g l e i c h
z e i t i g e n M a r k s c h e i d e n b i l d u n g. Die jüngste
und nahezu fruchtbarste Methode der Gehirnana-
tomie wurde 1878 von F l e c h s i g aufgestellt; diese
beruht auf der Thatsache, dass die Fasern des
Zentralnervensystems nicht gleichzeitig ihre Mark-
scheiden bilden, sondern nur einander während
eines langen Zeitraums des Fötal- und Extrauterin-
lebens. Die zum bestimmten Termin sind immer
nur gewisse Fasermassen markhaltig, welche aus
Fasern derselben Herkunft und des gleichen Ver-
laufes bestehen, und diese Faserstränge heben sich
bei geeigneter Behandlung der Präparate (Färbung
nach W e i g e r t mit Hämatoxylin oder mit Rohr-
chlorid nach Freud) von allen anderen noch mark-
losen Fasern ab. Diese Methode hat vor der Ver-
wertung der sekundären Degeneration den Vor-
zug, dass sie weit reicheres Material liefert, da
sie über alle Faserbündel Aufschluss bringt, und
die verschiedenen Stadien der Entwicklung ebenso
viele verschiedene Bilder ergeben. Sie lehrt auch
direkter als die vorige Methode den Zusammenhang
von Faserbündeln mit grauen Substanzen, da die
Markscheidenbildung regelmässig an den grauen Sub-
stanzen halt macht. Leider zeigt diese Methode
ihren vollen Wert nur an den frühen Entwickelungs-
stadien; je mehr das Bild der Markentwickelung
sich dem Definitiven nähert, desto geringer ist der
Nutzen, welchen das Studium der nicht markigen
Präparate gewährt. Die Methode der Verwertung
der ungleichzeitigen Markscheidenbildung ist nur
durchaus nicht erschöpfend angewandt worden; ihre
bisherigen Ergebnisse haben aber hinwieder solche
Beweiskraft in der Gehirnforschung zu begründen.
F. Inwieweit ist es nun gelungen, mit Hilfe der ge-
kennzeichneten Methoden eine Vorstellung vom Auf-
bau und von der Leistung des Gehirns zu erzeugen?
Man kann hier die M e y n e r t’sche A u f f a s s u n g d e s
G e h i r n b a u s nicht übergehen, eine grossartige Kom-
position, von deren Inhalt einzelne Gedanken, wie
eine Reihe von Thatsachen, gewiss als endgültig
richtig übrig bleiben werden. Für M e y n e r t ist
die graue Rinde der Hemisphären der Zielpunkt aller
Fasersysteme des Nervensystems; die graue Rinde
ist die Zentralschalte, welche einerseits alle Erregungen
in sich aufnimmt, andererseits alle motorischen Im-
pulse entsendet. Die Fasersysteme zerfallen mit
Bezug auf ihre Verbindung zur Gehirnrinde in zwei
Gruppen, solche welche Teile der Grosshirnrinde
untereinander verbinden, A s s o z i a t i o n s s y s t e m e,
und solche, welche die Rinde mit der tiefer gelegenen
grauen Massen und durch diese mit dem Rücken-
mark und der Peripherie verbinden, P r o j e k t i o n s-
s y s t e m e. Von den Assoziationssystemen kennen man
solche abtrennen, welche symmetrische Teile der
Rinde in Verbindung setzen, K o m m i s s u r e n
z. B. der Balken. Die Projektionssysteme strömen
der Rinde auf zwei Wegen zu. Die eine Haupt-
bahn des Projektionssystems enthält die Fasern für
willkürliche Bewegung und bewusste Empfindung,
die andere die Fasern für reflektorische (unbewusste)
Uebertragung von Reizen. Beide Bahnen werden
in ihrem Lagerverhältnis zu einander am besten über-
sehen, wenn man in der Region der vorderen Vier-
hügel einen Querschnitt durch den Hirnstamm an-
legt. Derselbe zeigt drei Etagen, die oberste ist
das Grau der Vierhügel, die mittlere die Fortsetzung
der Oblongata, von M e y n e r t die Haube der Hirn-
schenkel genannt; die unterste Etage ist der sog.
F u s s e n k r a n z, durch eine gut pigmentierte graue
Substanz, S u b s t a n t i a n i g r a S o m m e r i n g i i, von der
Haube getrennt. Die Haube enthält hier die Reflex-
bahn, während in den Hirnschenkeln die Willkür-
bahn darstellt. Die Willkürbahn ist zwischen diesen
Querschnitt und dem Rindengrau durch das vorder-
hirnganglion unterbrochen, welches (Linsenkern und
Schwanzkern) von der einen Seite her die Hirn-
schenkelfasern in sich aufnimmt, von der anderen
Seite her Fasern des „Markkranzes” zur Hemisphäre
entsendet. In ähnlicher Weise sind die Sehhügeln
an den Verlauf der Reflexbahn eingeschaltet. In
der grossen Markstrasse, welche als innere Kapsel
die Ganglien durchbricht, sind sowohl die zu den Gang-
lien führenden, als auch die von den Ganglien kommen-
den Fasern enthalten. Verfolgt man die Willkürbahn
von jenem Querschnitt nach hinten (spinalwärts),
so findet man, dass sie in den Pons eintritt, durch
dessen graue Substanz sie in Verbindung mit dem
Kleinhirn gelangt. Aus dem Pons tritt die Willkür-
bahn stark reduziert wieder aus und gelangt in den
Pyramiden zum grauen Substanz des Rückenmarkes.
Die Willkürbahn ist nach M e y n e r t also zweimal
von grauen Massen unterbrochen und dadurch in
drei Abschnitte zerlegt. Das Stück zwischen
zwischen Rinde und grossen Ganglien heisst erstes
Glied des Projektionssystemes, das mittlere Stück
zwischen Ganglien und Rückenmarkgrau zweites
Glied, und als drittes Glied des Projektionssystemes
sind die peripheren Nerven selbst mit dem vom
S.
Rückenmark ausgehenden Wurzcln aufzufassen. (Die
Unterbrechung der Willkürbahn im Pons ist bei
dieser Darstellung versachlässigt, das Kleinhirn fällt
gewissermassen aus dem Projektionssystem heraus.)
Beachtenswert ist ferner die beständige Reduktion,
welche das Projektionssystem von der Rinde zur
Peripherie erfährt.
Diese Auffassung des Gehirnbaues ist in wesent-
lichen Teilen erschüttert worden, seitdem das Studium
der Markentwickelung (Flechsig) nachgewiesen hat,
dass die Willkürbahn nur in die innere Kapsel
hinabzieht; ob sie mit den Vorderhirnganglien
in Verbindung zu treten, und in gleicher Weise den
Pons passiert, ohne durch dessen graue Substanz
mit dem Kleinhirn verbunden zu sein. Die Willkür-
bahn ist auch weit kleiner, als sie M e y n e r t be-
stimmte, sie nimmt im Hirnschenkel nur ein Drittel
des Querschnittes ein, erweist sich so als unredu-
zierte Fortsetzung des Pyramidenbündels zur Gross-
hirnrinde und als ausserdem noch motorisch. Mit
diesen Auffassungen entfällt die Berechtigung der
Hirnschenkel als Willkürbahn zur reflektorischen
Bahn der Haube in Gegensatz zu bringen, und ent-
fällt die Unterordnung des Kleinhirns und der
grossen Ganglien unter die funktionellen Zwecke der
Grosshirnhemisphären. Die Willkür- oder Pyramiden-
bahn ist einfach ein Faserbündel zwischen Rücken-
markgrau und dem in ganz gewissen Regionen des
Grosshirns. Die sensible Bahn ist sehr wahrschein-
lich in den von Meynert als reflektorisch bezeich-
neten Haube des Hirnschenkels enthalten.
Das Meynert’sche System des Hirnbaues ist derzeit
noch durch kein anderes zu ersetzen. Folgende
Benennungen sollen das heute bestehende an-
deuten: Das Z e n t r a l n e r v e n s y s t e m ist zu betrachten
als eine Vereinigung von grauen Massen, welche
durch Faserbündel in direkter oder indirekter Ver-
bindung miteinander stehen. Unter diesen nimmt
das Grau des Rückenmarkes mit seiner Fortsetzung
in der Oblongata eine besondere Stellung ein; es
ist die einzige graue Masse, welche ohne direkte
Beziehung zur Peripherie hat und diese entsprechend
segmentär gebaut ist. Es gibt also keine Faser-
systeme, welche das Rückenmark umgehen, direkt
zu höher gelegenen grauen Substanzen aufsteigen.
Aus der Anatomie des Rückenmarkes erhellt ferner,
dass die Rindenregion grösseren Teil jener
Markfasern zur Verbindung schon eigenen grauen
Substanzen verbraucht und nur einen kleineren Teil
zur Weiterleitung der Impulse an die anderen
grauen Massen abgibt. Dasselbe gilt für letztere
und auch für das Grosshirn. Die grössere Zahl der
Faserbündel im Grosshirn sind eigene Assoziations-
fasern, nur ein kleiner Teil dient der Assoziation
mit anderen grauen Massen. Behält man den Namen
„Projektionssysteme” für die Verbindungen des Gross-
hirns mit dem Rückenmarke bei, so verschwindet
deren Faseranzahl gegen die Menge der übrigen
Systeme. Die Mehrzahl der Fasersysteme im Hirn-
stamm dient der Verbindung der grauen Massen
untereinander. Alle Fasersysteme können beschrieben
werden als: 1. K o m m i s s u r e n, welche symmetrische
graue Substanzen verbinden und dabei die Mittel-
linie überschreiten; 2. A s s o z i a t i o n s b a h n e n,
welche die einzelnen Regionen derselben grauen
Substanz miteinander verbinden; und 3. L e i t u n g s-
s y s t e m e, welche verschiedene graue Substanzen
verknüpfen. Die G e h i r n a n a t o m i e hat zunächst die
von den einzelnen grauen Substanzen ausgehenden
Bündel zu sondern und deren Verlauf und Endziel
aufzufinden. Fortsetzung eines Bündels im physio-
logischen Sinne kann jedes ausserdem weiss
von derselben grauen Substanz ausgeht; jedes Bündel
kann also eine grössere Anzahl von „Fortsetzungen”
haben, welche die auf jenem ankommenden Impulse
weiterleiten. Im engeren Sinne belehrt über die Fort-
setzung eines Bündels die Verbrähung der sekundären
Degeneration und das physiologische Experiment.G. Von den Fasersystemen des Gehirns sind nur
wenige ihrem Verlauf nach bekannt und gleichzeitig
physiologisch gedeutet, nämlich diejenigen, welche
sich als Stücke des zentralen Verlaufs von Gehirnnerven
oder als Leitungsbahn zum Grosshirn für willkür-
liche Bewegung und bewusste Empfindung erkennen
lassen. Alle übrigen Fasermassen und mit den-
selben verknüpften grauen Substanzen, als grosse
Teile der Hemisphären, das gesamte Kleinhirn, die
beiden Ganglien des Vorderhirns und der Sehhügel
sind in ihrer Funktion unbekannt und in ihren ana-
tomischen Beziehungen ungenügend erforscht. Die
Klinik der Läsionen des Gehirns hat es versagt, über
die Funktion der zuletzt aufgezählten Gehirnteile
Auskunft zu lehren, während sie einer auch nur ent-
fernten Beeinträchtigung der Sinnes- und Gehirn-
nerven, sowie der motorischen und sensiblen Bahn
Auskunft gelehrt.
Zum Verlauf der m o t o r i s c h e n L e i t u n g v o n
Rinde oder motorische Bahn entspringt aus der
Grau der beiden Zentralwindungen und des Para-
zentralläppchen und tritt, wie beschrieben, durch
innere Kapsel, Hirnschenkel und Brücke als Pyramiden-
strang ins Rückenmark ein. In der inneren Kapsel
findet man das Bündel zwischen T r a c t u s o p t i c u s
und Linsenkern, im sogenannten hinteren Schenkel
und zwar gleichzeitig dem Knie der inneren Kapsel. Im
Hirnschenkel nimmt es das mittlere Drittel des Fusses
ein. Am hinteren Rand des Pons tritt es als ver-
tikaler Bündel der Oblongata als Pyramide häuser-
lich hervor und etwas an der Grenze der Oblongata
gegen das Rückenmark (Stelle der Pyramidenkreuzung)
zerlegt es sich in zwei Bündel, von deren das eine
als Pyramidenvorderstrang seine relative Lage zum
Markmantel beibehält, das andere aber durch die
zuerst gekreuzten Pyramidenkreuzung in den Seitenstrang
der gekreuzten Rückenmarkshälfte tritt. Es ist ein
Grund anzunehmen, dass die Pyramidenbahn nicht
der einzige Weg darstellt, auf dem motorische
Impulse vom Grosshirn zum Rückenmark gelangen
können. Die Bedeutung der Teilung der Pyramiden-
bahn ist unbekannt. Sie entwickelt ihr Mark und
degeneriert in absteigender Richtung, sie ist also
trophisch von der Rinde abhängig.Der Verlauf der s e n s i b l e n B a h n. Die Faser-
bündel des Gehirns, welche man für die sensible
Leitungsbahn in Anspruch nehmen darf, sind ihrer
Lage nach so ziemlich bekannt, aber noch wenig
gesondert. Es hat sich herausgestellt, dass es mehrere
sensible Leitungen gibt, und dass dieselben alle viel-
fach geknotet, oft an mehreren Stellen von grauen
Substanzen unterbrochen sind, von denen gleichzeitig
zahlreiche andere Bündel als Fortsetzungen abgehen.
Die sensiblen Bahnen zum Grosshirn sind demnach
keine direkten, sondern nur Stücke einer zu-
sammengesetzten, zum Teil reflektorischer Ver-
bindung dienenden Leitung. Am besten erkannt
ist die Leitung der M u s k e l s e n s i b i l i t ä t. Dieselbe wird
im Rückenmarke durch die Hinterstränge dargestellt,
deren innere Abteilung (Goll’scher Strang) die Fasern
für die untere Extremität, deren äussere Abteilung (Bur-
dach’scher Strang) die Fasern für die obere Extremität enthält.
Beide Stränge enden zunächst an zwei grauen An-
schwellungen der Oblongata, dem G o l l’schen und
B u r d a c h ’ s c h e n K e r n, von denen die G o l l ’ s c h e n
K e r n den grössten Zentralkanal seitlich begrenzen.
Die Verbindungen der beiden Kerne mit höheren
Gehirnteilen sind einander ziemlich analog, doch
kommen den Burdach’schen Kernen als Zentren der
S.
oberen Extremität ausgiebigere Anteile an den wei-
teren Verbindungen zu. An den beiden Kernen der
Hinterstränge entspringt ein Bündel, welche
als K e r n der „S t r i c h k e r n e” dem Kleinhirnblättern
vermittelt. Andere Bündel, welche aus diesen Kernen
entspringen, kreuzen als Bogenfasern die Mittellinie
und lagern sich zum Teil in der dorsal von den
Pyramiden gelegenen Stelle zwischen beiden Oliven
ab. Diese gekreuzte Fortsetzung der Hinterstränge
führt den Namen „O l i v e n z w i s c h e n s c h i c h t”, die
Kreuzung, durch welche die entsteht, heisst obere
P y r a m i d e n k r e u z u n g oder S c h l e i f e n k r e u z u n g.
Noch andere Fasern aus den Hinterstrangskernen
verlaufen zum Mittelteile der Oblongata, welches
wegen seiner innigen Vermischung von grauer Sub-
stanz und Faserbündeln als S u b s t a n t i a r e t i c u l a r i s
bezeichnet wird und wahrscheinlich die hochwichtige
R e f l e x o r g a n der Oblongata darstellt (M e y n e r t ’ s
m o t o r i s c h e s d). Die Fasern der Muskelsensibilität
zum Grosshirn behält von hier aus ihre Lage neben der
Mittellinie unmittelbar dorsal von den Pyramiden bei, so
dass im ganzen Hirnstamm die Fasern der Muskelsensibi-
lität in zwei Regionen gesondert, beisammen anzutreffen
sind. Die Strecke des sensiblen Bahn durch Pons
und Vierhügelregion führt den Namen zweidritte
S c h l e i f e. Von hier ab fehlt aber eine sichere
Sonderung von anderen Bündeln. Man weiss nur,
dass die sensible Muskelbahn aus der Thalamus-
region, also aus der oberen Etage des Hirnschenkel-
fusses in die innere Kapsel gelangt, dort den hinteren
Drittel des hinteren Schenkel desselben einnimmt und
sodann direkt zu denselben Rindenregionen gelangt,
aus denen die motorische Pyramidenbahn ihren Ur-
sprung nimmt. Die sensible Muskelbahn degeneriert
nach potagium dieser Rindenteile nach abwärts bis
zu den Kernen der Hinterstränge, welche dabei
atrophieren; sie degeneriert in einzelnen Abschnitten
aber auch aufsteigend von letzteren Kernen aus. Ihre
Markscheidenentwickelung zieht in Absätzen ihrer
vielfachen Gliederung entsprechend. Für die Bahn
der H a u t s e n s i b i l i t ä t steht fest, dass sie in der inneren
Kapsel dem vorderen Schenkel sehr nahe liegt, deren
Verletzungen des hinteren Drittels des hinteren
Schenkels rufen eine vollständig halbseitige Ge-
fühlssstörung hervor, die sich auf Haut, Muskel und
Sinnesorgane erstreckt. Der Verlauf der sensiblen
Hautbahn durch den Hirnstamm ist unbekannt,
dürfte aber gleichfalls in die Schleifenregion zu
verlegen sein. Bekanntlich ist auch die Stelle dieser
Bahn im Markmantel des Rückenmarkes noch aufzu-
finden, die Analogie mit dem Verhalten des N. tri-
geminus deutet darauf hin, dass die sensible Leitung
von der Haut zunächst in Fasern zu suchen ist,
welche dem Hinterhorn anliegen, und dass das
physiologische Experiment verlangt, ferner, dass die
Bahn alsbald durch die graue Substanz in die Gegen-
seite des Markmantels tritt.
II. P h y s i o l o g i e d e s G e h i r n s. Das G. ist dasjenige
Organ, in welchem die durch die sensiblen Bahnen des
Rückenmarkes und durch die Pforten der höheren
Sinne zugeleiteten zentripetalen Erregungen in zweck-
mässige und koordinierte zentrifugal. Bewegungs-
impulse umgesetzt werden. Dieser Teil der Hirn-
funktionen ist nach dem allgemeinen Schema der
Reflexe auf der einfachen Hemikreuzung des mecha-
nischen Geschehens zurückzuführen. Ausserdem be-
steht die dem mechanischen Verständnis nicht zu-
gängliche Thatsache, dass gleichzeitig mit dem
mechanisch definierbaren Erregungszustande be-
stimmte H i r n e l e m e n t e, bestimmte, nur der inneren
Selbstbeobachtung zugängliche Zustände des Bewusst-
seins eintreten können. Diese, thatsächlich Vor-
handene, wenn auch mechanisch unfassbare Ver-
knüpfung materieller Zustandsänderungen im Hirn
mit Z u s t a n d s ä n d e r u n g e n d e s B e w u s s t s e i n s macht das
G. zum O r g a n d e r S e e l e n t h ä t i g k e i t. Wenn das
Organ der Verknüpfung für auch unfassbar ist, so
ist sie selbst doch nicht gesetzlos und wir können
nur auf Grund von Kombinationen zwischen Erfahrungen
der äusseren Sinne einerseits und der inneren Selbst-
beobachtung andererseits einiges über diese Gesetze
aussagen. Wenn sich mit einer bestimmten mate-
riellen Zustandsänderung eines bestimmten Hirn-
elemente eine Aenderung des Zustandes unseres Be-
wusstseins verknüpft, so ist letztere ebenfalls eine
ganz bestimmte, doch ist es nicht von der materiellen
Zustandsänderung allein abhängig; ob diese Ver-
knüpfung eintritt oder nicht. Wenn dieselbe Hirn-
element zu verschiedenen Zeiten dieselbe Zustands-
änderung erfährt, so kann der entsprechende im-
materielle Vorgang einmal damit verbunden sein
(er kann die Schwelle des Bewusstseins überschreiten),
ein anderesmal nicht. Die die Entscheidung herüber
beherrschenden Gesetze können wir fürs jetzt nicht
näher formulieren, wir wissen nicht, ob die Ent-
scheidung ausser von den Zustandsänderung der be-
trachteten Elementes nur noch von den gleichzeitigen
Zuständen und Zustandsänderungen der übrigen Hirn-
elemente oder anserdem auch noch von sonst etwas
abhängt, wir umschreiben nur den Vorgang, indem
wir von w i l l k ü r l i c h e r L e n k u n g der Aufmerk-
s a m k e i t und von w i l l k ü r l i c h e n T r e i b e n über die Schwelle
des Bewusstseins reden. Wenn die in Frage stehende
V e r k n ü p f u n g eintritt, so können es Empfindungen
bestehender Bedürfnisse oder ihrer Befriedigung sein,
welche in das Bewusstsein treten, oder Sinneswahr-
nehmungen oder Vorstellungen von äusseren Ob-
jekten, deren jede aus einer Summe von Attributen
besteht, die durch Betätigung des vielleicht gleich-
zeitig mittels verschiedener Sinne Wahrgenommenen
auf denselben Gegenstand gebildet wurden, oder
Vorstellungen von Bewegungen des eigenen Körpers
und von den durch letztere zu erreichenden Zwecken.
Die einfachste Z w e c k v o r s t e l l u n g ist die Vorstellung
von der durch eine vorgestellte Bewegung zu er-
reichenden Empfindung der Befriedigung eines Be-
dürfnisses. Dies sind die Elemente des psychischen
Geschehens, welche allein hier in Betracht kommen
können. Wenn ein Mensch eine Traube ergreift,
nachdem er sie erblickt hat, so steht der materielle
Erregungsvorgang in den motorischen Nerven des
Armes und der Hand sicher in einem mechanischen
Zusammenhange mit dem materiellen Erregungsvorgange
im N e r v u s o p t i c u s, welcher vorherging, und mehrere
Glieder der grauen Kette des materiellen Geschehens
trennen gewiss im G. mit den Reihenweisen Kreuze
der letzteren kann sich nun folgenden psychischer
Vorgang verbinden: Die optische Sinneswahrnehmung
des Blauen in einer bestimmten Form erregt die Vor-
stellung auch der übrigen Attribute der Traube (und
damit diese selbst). Zu diesen durch früher wieder-
holte gleichzeitige Sinneswahrnehmungen und Em-
pfindungen kombinierten Attributen gehört auch die
hautstillende Fühligkeit. Die Vorstellung der Dust-
stillung ruft die Vorstellung von Bewegungen hervor,
durch welche diese selbst als vorgestellter Zweck er-
erreicht werden kann. So gestaltet sich der psychische
Vorgang in seiner einfachsten Form mit zahlreichen
Gliedern der Kette des Bewusstseins überschritten.
Glieder der Kette des Bewusstseins überschritten
kann er aber einerseits durch Ueber-
legungen ethischer und anderer Natur kompliziert
werden, andererseits können mehrere oder auch alle
Glieder des Vorganges unter der Schwelle des Be-
wusstseins bleiben, wodurch in der Form des äusseren
Effektes nichts geändert zu werden braucht. Wir
haben überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass
irgend ein Glied der materiellen Vorgangskette
anders zu gestalten braucht, je nachdem die ihm
S.
entsprechende Empfindung, Wahrnehmung oder Vor-
stellung in das Bewusstsein tritt, oder nicht. Die
Ueberzeugung, eine Bewegung willkürlich ausgeführt
zu haben, kann entstehen, wenn nur allein die Vor-
stellung des Zweckes in das Bewusstsein getreten
war (im deutlichen Gesichtskreis), wenn mehrere
zwecklose Bewegungen gleichzeitig gegeben sein.
Es ist das Wesentliche Kriterium der willkürlichen
Bewegung ganz immateriell und nur der inneren
Selbstbeobachtung zugänglich; der materielle Vor-
gang bei willkürlichen Bewegungen ist wesentlich
kein anderer als bei Reflexbewegungen; ersterer
unterscheidet sich also dadurch von letzteren, dass
bei ihm solche materielle Glieder in den Erregungs-
vorgang hineingezogen werden, mit deren Erregung
auch Bewusstseinsänderungen verknüpft sind,
und dass gewisse dieser Bewusstseinsänderungen auch
willkürlich eingetreten sind. Derartige Hirnelemente
haben wir Grund nur in der Hirnrinde anzunehmen.
In diesem Sinne nennen wir die Hirnrinde das Organ
der willkürlichen Bewegungen und in analogem
Sinne nennen wir sie das Organ der Empfindungen,
Wahrnehmungen und Vorstellungen.
Die einzelnen, nicht einfach Erregungsleitenden
Rindenelemente unterscheiden sich ausser durch
mannigfache histologische Besonderheiten, über deren
Bedeutung noch wenig bekannt ist, wesentlich
durch ihre Verknüpfung mit den verschiedenen zen-
tripetalen und zentrifugalen Erregungsbahnen.
Mit letzteren sind direkt nur die Zellelemente der
sogenannten motorischen Sphäre der Hirnrinde
verbunden (den motorischen Gyrus centralis anterior
und posterior, Gyrus frontalis inferior sinister, Gyrus
supramarginalis und angularis mit ersterem sowohl
die sogenannte motorische Sphäre als auch die sen-
soriellen (Okzipitallappen für das Gesicht, Temporal-
lappen für das Gehör, Lobi olfactorii und Gyrus
fornicatus mit Cornu Ammonis für den Geruch, die
sogenannte motorische Sphäre für das Tast und
die Bewegungsgefühle) am übersichtlichsten
lässt sich die Bedeutung dieser Verbindungen auf
Grund der vorliegenden Experimente und patho-
logischen Erfahrungen bezüglich der sensoriellen
Sphären des Gesichts und des Gehörs, welche schlecht
weg die Sehsphäre und die Hörsphäre genannt wer-
den, darstellen. Die Erregungsleitenden Bahnen des
N. opticus setzen sich nach einigen subkortikalen
Zentralorganen fort, welche dem Bewusstsein
koordinierte Reflexe vermitteln – zunächst zu zelligen
Elementen der Rinde des Okzipitalhirns fort. Mit
der Thatsache, dass sich von einem bestimmten Punkt
der Retina aus auf dem Wege einer bestimmten
Nervenfasen, eine Erregung in ein bestimmtes
zelliges Element der Rinde des Okzipitalhirns fort-
pflanzt, kann sich in oben besprochenen Weise die
Thatsache verbinden, dass eine Wahrnehmung von
bestimmtem optischem Charakter in das Bewusst-
sein tritt. Die Lehre von den spezifischen Energien
der Sinnesnerven nennt diese Wahrnehmung die spe-
zifische Energie der betreffenden Nervenfaser, und
sie gewinnt sowohl für den materiellen Erregungs-
vorgang in den Nervenfasern mit deren peripherischem
und zentralem Endapparat, als auch für die zu-
gehörigen Bewusstseinsänderung nur quantitative und
keine qualitativen Abstufungen an. Dennoch müssen
wir in der Sehsphäre mindestens so viele gesonderte
sensible Elemente annehmen, als es qualitative
(dem Ort und der Farbe nach) unterscheidbare Ele-
mente der Gesichtswahrnehmung gibt. Ganz
Analoges gilt für das Gehör. Wenn nun wiederholt
verschiedene kortikale sensorielle Elemente gleich-
zeitig von den ihnen zugehörigen peripherischen
Sinneselementen aus erregt werden, was geschieht,
Wenn wiederholt derselbe Gegenstand mit seinen
Eigenschaften auf unsere Sinne wirkt, so scheinen
sich erregungsleitende Bahnen zwischen diesen korti-
kalen Elementen auszubilden, deren physiologische
Bedeutung mit der Erregung der einen auch eine
Erregung der andern verbindet, selbst wenn nur die
von den zugehörigen peripherischen Sinnesnervendienenden,
genauer von ihrem adäquaten Reiz getroffen werden,
und dass, wenn dieser derselbe Gegenstand nur mit
einem Teil seiner Eigenschaften, etwa mit den dem
sensoriellen qualitativen Gebiete (Gesichtssphäre zuge-
hörigen) der Wahrnehmung sich darbietet, und auch
mit diesem nur unvollkommen, sofort die Vorstellung
nicht nur aller optischen Attribute (optisches Erinne-
rungsbild des Gegenstandes) im Bewusstsein er-
scheinen kann, sondern auch sein akustisches und
die der übrigen Sinnen zugehörigen Erinnerungs-
bilder, sowie bei entsprechendem Umfange der Er-
füllung der durch den Gegenstand zu befriedigenden
Bedürfnisse und der zur Herbeiführung der Befriedigung
erforderlichen Bewegungen. Somit besteht ein wesentlicher Teil
des materiellen Substrates für das Wiedererkennen und
für den zweckmässigen Gebrauch eines Gegenstandes
in erregungsleitenden Bahnen, die sich durch Er-
fahrung zwischen kortikalen Elementen eines und
desselben sowie verschiedener Rindengebiete aus-
bilden, und welche man, da sie der Assoziation
von Vorstellungen dienen, Assoziations-
fasern nennt. Das System der Assoziationsfasern
macht einen wesentlichen Teil des weissen Mark-
lagers der Grosshirnhemisphären aus, welches zu-
sammen mit der Hirnrinde den Hirnmantel, im
physiologischen, anatomischen und entwickelungs-
geschichtlichen Gegensatze zu dem Hirnstamm
bildet. Ausser aus den Assoziationsfasern setzt
sich das weisse Marklager des Hirnmantels zusam-
men aus den Stabkranzfasern welche die kor-
tiko p e t a l e n und die k o r t i k o f u g a l e n Er-
regungsleitungen darstellen, und deren all-
gemeine physiologische Bedeutung somit auf der
Hand liegt, sowie aus den Kommissurfasern,
namentlich den Balkenbahnen, welche gleichzeitig-
artige Rindenelemente beider Hemisphären mit
einander verbinden und welche die von den Sinnen
der beiden bilateral symmetrischen Körperhälften
gelieferten Erregungen miteinander in derartige
Beziehungen setzen, dass sie unter dem Gesichtspunkt
des einheitlichen Ich-Bewusstseins erscheinen können.
Der Hirnstamm, welchen die noch leicht über-
sehbarem Plan gebauten Teile des Zentralnerven-
systems, des Hirnmantel und das Rückenmark ana-
tomisch verbindet, liegt nur auf einem Raum aus
neben teils durcheinander verteilt, Apparate, die
sowohl der Funktion nach, wie wenn sie dienen,
als auch dem Verhältniss von Subordination Koordi-
nation und Präordination nach in dem sie zu ein-
ander und zu anderen Apparaten stehen sehr ver-
schiedenartig sind. Dies erklärt, die Unsicherheit
genügend, welche zur Zeit wenigstens unserer Vor-
stellungen von den Funktionen des Hirnstammes im
allgemeinen, als vielmehr die spezielle Kenntnis von
den Beziehungen der einzelnen Funktionen zu den
einzelnen anatomisch unterscheidbaren Gebilden des-
selben beherrscht. Wenn man als funktionell
wesentlich für den Hirnmantel die Assoziation
für das Rückenmark den Reflex bezeichnen
kann, so ist die charakteristische Funktion des
Hirnstammes die Koordination. Als Reflexapparat
erscheint das Rückenmark namentlich insofern, als
in ihm die grösste Summe derjenigen Verrichtungen
enthalten ist, durch welche zentripetal und intra-
zentral fortgeleitete Erregungen auf die peripheri-
schen Bewegungsapparate, d. h. nach aussen zurück-
S.
gelenkt (reflektiert) werden; es geschieht dies durch
die grossen Ganglienzellen seinen grauen Vorder-
säulen, ferner vermittelnd es eine grosse Anzahl der
zentripetalen Leitungsbahnen seine intrazentralen
Verbindungen zwischen letzteren und den zentri-
fugalen sind verhältnissmässig einfach. Als Sin-
nesapparat für zentripetale Erregungen schliesst
sich nun der Hirnstamm dem Rückenmark an, in-
dem er den sensoriellen Leitungsbahnen für Gesicht,
Gehör, Geschmack, sowie der grossen Summe
der Sinnesnerven zum Gebiete dient, und auch die
in Rückenmark fortgeleiteten sensiblen Eindrücke
aufnimmt. Ebenso setzen sich die motorischen End-
stationen intrazentraler Leitungen als Verlängerung
der grauen Ordersäulen, aus dem Rückenmark in
den Hirnstamm fort, wo sie sich in der verein-
fachten Form des Kerns der motorischen Hirn-
nerven des Oculomotorius, Trochlearis, des Pars
motrix Trigernini, des Abducens, Facialis und Hypo-
glossus erscheinen. Auch in der Einfachheit einiger
reflektorischer Verknüpfungen ahmt der Hirnstamm
noch das Rückenmark nach, im allgemeinen zeigen
sich aber die durch ersten vermittelten Bewe-
gungen grössere dadurch aus, dass ihm komplizierte
Muskelkombinationen im Interesse einheit-
licher Zweckstellungen geordnet zusammenwirken.
Wohl entspringt auch das Rückenmark nicht koordi-
natorischer Verknüpfungen, doch treten dieselben
hier nicht so in den Vordergrund wie im Hirn-
stamm. Von der bewussten Zweckstellung aber,
welche durch den Hirnmantel vermittelt wird, unter-
scheidet sich die durch den Hirnstamm zweckmässig
geordnete Bewegung dadurch, dass sie nicht wie
jene an die Assoziation von einfachen Erinnerungs-
bildern oder von Vorstellungen, die aus solchen ab-
strahiert sind, mit Bewegungsvorstellungen gebunden
sind. Die Koordination durch den Hirnstamm voll-
zieht sich stets und ganz unterhalb der Schwelle
des Bewusstseins. Der ganz einfachen intrazentralen
Erregungsleitung dienen die rein weissen Partien
des Hirnstammes, namentlich also innere Kapsel,
Hirnschenkelkreuz und Pyramiden, sowie Schenkel
und Marklager des Kleinhirns. Die untereinander
durch einfache Erregungsleitung zu verbindenden
miteinander verbunden und welche die von den Sinnen
der beiden bilateral symmetrischen Körperhälften
gelieferten Erregungen miteinander in derartige
Beziehungen setzen, dass sie unter dem Gesichtspunkt
des einheitlichen Ich-Bewusstseins erscheinen können.
Dem Hirnstamm, welchen die noch leichter über-
sehbarem Plan gebauten Teile des Zentralnerven-
systems, den Hirnmantel und das Rückenmark ana-
tomisch verbindet, liegt nur auf einem Raum teils
neben teils durcheinander verteilt, Apparate, die
sowohl der Funktion nach, wie wenn sie dienen,
als auch dem Verhältniss von Subordination Koordi-
nation und Präordination nach in dem sie zu ein-
ander und zu anderen Apparaten stehen sehr ver-
schiedenartig sind. Dies erklärt, die Unsicherheit
genügend, welche zur Zeit wenigstens unserer Vor-
stellungen von den Funktionen des Hirnstammes im
allgemeinen, als vielmehr die spezielle Kenntnis von
den Beziehungen der einzelnen Funktionen zu den
einzelnen anatomisch unterscheidbaren Gebilden des-
selben beherrscht. Wenn man als funktionell
wesentlich für den Hirnmantel die Assoziation
für das Rückenmark den Reflex bezeichnen
kann, so ist die charakteristische Funktion des
Hirnstammes die Koordination. Als Reflexapparat
erscheint das Rückenmark namentlich insofern, als
in ihm die grösste Summe derjenigen Verrichtungen
enthalten ist, durch welche zentripetal und intra-
zentral fortgeleitete Erregungen auf die peripheri-
schen Bewegungsapparate, d. h. nach aussen zurück-
gestellt werden, welche während wir keine Neigung
empfinden, uns Bahnen, die willkürliche Bewegungen dienen
sowie letztere koordinieren sind, einfach vorzu-
stellen, im Gegentheil müssen wir wohl annehmen,
dass es eine Ausnahme sein wird, wenn eine Will-
kürbewegung des Rumpfes und der Extremitäten
ohne die Beteiligung unbewusst, im Interesse der
Erhaltung des Körpergleichgewichtes, koordinierten
der Apparate zustandekommt. Eine sehr wichtige
Leitungseigentümlichkeit wird im Hirnstamm auf
denjenigen Bahnen aufgedrückt, welche diesen Hirn-
stamm durchsetzen; sie werden, wenn auch
nicht in ihrer Totalität, so doch meist ihrer grössen
Masse nach, es herrschen hier individuelle Ver-
schiedenheiten in gekreuzt, d. h. von der einen
Körperseite in die andere übergeleitet. Der Ort
dieser Ueberlagerung ist für die motorischen Anteile
des Hirnschenkelfuss auf die der makroskopischen
Anatomie bekannte Decussatio Pyramidum, für den
sensiblen Anteil die obere Pyramidenkreuzung
Meynerts. Von sonstigen Kreuzungen ist nur noch
die Halbscheidung des N. opticus im Chiasma Nerv.
opt.,
die zweithälsige Kreuzung im Tuberculum, die teil-
weise Abhängigkeit des M. rectus internus vom Ab-
ducenskern der anderen Seite, die in der Schleife
der (Hirnschenkelhaube) gekreuzte Beziehung der N.
acusticus zu dem Schläfenlappen (und zum Corpus
geniculatum internum, sowie zum hinteren Vierhügel)
der anderen Seite, die Zusammenhänge der
Hirnhemisphäre durch ihren Balkenarm mit
dem roten Haubenkern und den Haubenganglien
und Vierhügelregion führt, den Kernen des Hirn-
stammes und dem Marklager des Kleinhirnschenkel-
strangs, namentlich der entgegenge-setzten Rückenmarks-
hälfte. Physiologische Deutung sind im Hirn-
stamm nur solche koordinierten Bewegungen
zulässig, insofern sie partiell
sind, denn nur solche können ein wirksames Mittel
für die funktionelle Koordination beider Körper-
hälften und für die Verschmelzung der bilateral-
symmetrischen Doppelwesens zu einem Individuum
mit einheitlichem Ich-Bewusstsein bieten.
Bis jetzt hat es sich auch gezeigt, dass je geringer die
einzelnen Kreuzungen erforscht worden sind, sie
sich um so sicherer als partiell beim Menschen
und den höheren Säugetieren erwiesen haben.
Als charakteristische Funktion des Hirnstammes
ist die Koordination bezeichnet worden. Ofenbar
sind die Grundzüge des anatomischen Aufbaues
beherrscht, durch die Koordination, welche der
Bewegungs-Koordination zwischen sich herstellt,
zur Erhaltung des Körpergleichgewichtes und der Lokomotion
dienen. Die Bedeutung der Aenderung derjenigen
Bewegungen, denen das Gleichgewicht des Körpers
bei willkürlichen Bewegungen mehr zu erwarten
ist, ist so
wesentlich, dass sie die Willkürimpulse der Willkür-
bewegung selbst zu fördern und zu verstärken scheinen
-(und der ihnen antagonische) Bewegungs-
impulse der des Ortes zur Hemmung bedienten
Sinnesorgane und zwar in der Raum-
vorstellung. Durch jede Aenderung der Lage oder
Haltung unseres Körpers wird eine Anzahl sinn-
licher Eindrücke erzeugt, die, ohne dass sie zu be-
wussten Sinneswahrnehmungen führen, einen
direkten Einfluss auf die Innervation der Körper-
muskulatur ausüben. Die peripherischen Sinnes-
fühler, welche hierbei in Betracht kommen, sind
die Retina, die äussere Haut, die Nervenausbreitungen
in den Sehnen, Muskeln und Gelenken, sowie wahr-
scheinlich auch die Bogengänge und die Ampullen des
Ohrlabyrinths; die adäquaten Reize beziehen sich
namentlich auf den Druck der unterstützenden
Körperteile, die Spannung der Haut über
den Gelenken, den Zug, der an den Muskeln durch
ihre Antagonisten, an den Sehnen durch die eigenen
und antagonistischen Muskeln, ausgeübt wird, der
Druck der Gelenkenden gegeneinander und wahr-
scheinlich der Druck und die Bewegung der Lymphe
in den häutigen Bogengängen. Solange der Körper
vollständig unterstützt ist, werden die Reflex-
bewegungen das Gleichgewicht halten, so dass es
S.
entweder überhaupt zu keiner Innervation kommt,
oder, wenn dies doch geschieht, zu jedem Bewegungs-
moment ein antagonistisches vom Gleichgewicht unter-
stützendes wird. Jede Abweichung von der Vollkommen-
heit der Unterstützung, mag diese Abweichung durch
innere oder äussere Ursachen hervorgerufen sein,
wird zu einer Summe entsprechender, sensibler Rei-
zungen führen, deren Erregungen, vermittels eines
Gleichgewicht-Apparates, welcher dem Bewusstsein
koordinierte Reflexe vermittelt, wieder auf die
Peripherie zurückgestellt werden. Solche
Apparate müssen sensible Erregungen im Hirnstamm an den
motorischen Endstationen des Rückenmarks
in leitender Beziehung stehen, ihre intrazentralen
Verknüpfungen zwischen den ein- und austretenden
Bahnen werden sehr komplizierte sein und einen
grossen Aufwand von Schaltstücken in der starken
Entwickelung grauer Substanz seinen Ausdruck finden,
erfordern. Zwei anatomische Systeme des Hirn-
stammes scheinen nun allerdings mit Rücksicht auf
diese Anforderungen angelegt zu sein. Da eine
dieser Systeme ist das Kleinhirn mit seinen Schenkeln
und mit der Brücke, das die Haube des Hirn-
schenkelfusses den Vier- und Sehhügeln. In
der physiologischen Bedeutung der ersten dieser
Systeme scheint ganz in der Koordination der die
Erhaltung des Körpergleichgewichtes vermittelnden
Muskelinnervationen aufzugehen und doch nicht die
einzige koordinatorische Verrichtung zu sein, durch welche diese
Koordination erhalten werden kann. Letzteres geht
daraus hervor, dass, wenn es gelingt, Hunde nach
vollständiger Extirpation des Kleinhirns längere
Zeit am Leben zu erhalten, diese die Beherrschung
des Gleichgewichts beim Stehen und Laufen einiger-
massen wieder erringen, womit auch einige wenige
pathologische Erfahrungen am Menschen überein-
stimmen. Ob der Hirnmantel oder ob die Hauben-
ganglien vikariirend für das Kleinhirn eintreten,
oder ob der Ausfall der Funktionen des Kleinhirns
darum einigermassen getragen werden kann, weil wir
Willkür
und Koordination der Extremitätenmuskulatur
vom Kleinhirn abhängen, soll ich leider unbekannt sein.
Die Hunde, denen das Kleinhirn fehlt, können, selbst
wenn sie sehr zum Schwimmen und Klettern fähig
sind, einen geringeren
Ausfall an Geschicklichkeit und Kraft zeigen, als
bei den Bewegungen auf dem Lande, können
doch
wenigstens im letzten Sinn, d. h. die zum
Ausfall der Funktion der Extremitätenmuskulatur
koordinierende, nur
insofern für die Erhaltung des Gleich-
gewichtes beim Stehen und Gehen und nicht inso-
fern für die Lokomotion selbst in Anspruch ge-
nommen wird.
Sehr bezeichnend für die Art, in welcher das
Kleinhirn koordinierend thätig ist, ist die Erfahrung,
dass nicht der Umfang von Zerstörungen im Gebiete
seiner Hemisphären oder Schenkel für die Grösse
der zu koordinierenden Bewegungsstörungen mass-
gebend ist, sondern die Asymmetrie derselben.
Es
tritt dies besonders hervor und ist auch am besten
verständlich bei den Verbindungen der sensiblen
und motorischen Verbindungen im Bereich der Klein-
hirnhemisphären mögen diese die Hirnschenkel-
kabel oder deren zerebrale Beziehungen mehrfache
Fortsetzungen treffen. Es muss offenbar weit stören-
der der Sinn, wenn die Bahn nur auf einer der
beiden symmetrischen Körperhälften einseitig
zerstört ist, wo dann die auf der anderen
Seite die zutägigen Erregungen zur Koordination
der Bewegungen beider Körperhälften
mitwirken, ohne den Einfluss der zum
Kompensation des Ausfalles notwendigen
zentralen Vorgänge. In welcher Beziehung
das Kleinhirn zu der Koordination der
Willkürbewegungen, welche durch den
Hirnmantel vermittelt wird, steht, ist noch
nicht ganz klar, dass aber eine solche Be-
ziehung besteht, liegt auf der Hand, da die
Koordination der bei willkürlichen Bewe-
gungen auftretenden Gleichgewichtsbewe-
gungen ohne die Beteiligung desselben nicht
denkbar ist. Doch dürfen wir wohl an-
nehmen, dass sich die Bedeutung des Klein-
hirns für die Koordination des Körpergleich-
gewichtes nicht allein auf willkürliche
Bewegungen erstreckt. So hat Lussana
gezeigt, dass der Blutdruck bei Hunden,
denen das Kleinhirn exstirpiert war, nach
der Extirpation wieder normal wurde und
dass sich die bei der Bewegung der Glieder
fortwirken, ohne den bisher thätigen kompensirenden
den Einfluss zu erfahren, als wenn ein oder mehrereGehirn.
Gehirn.
694
orientierende Sinnesgebiete für das Kleinhirn ganz
ausgefallen sind. Unter diesem Gesichtspunkt sind
die mannigfachen Zwangshaltungen und Zwangs-
lagen zu betrachten, welche bei Tieren nach ein-
seitigen Zerstörungen in den angedeuteten Gebieten
auftreten und welche nach Anbahnung des vom
Kleinhirn unabhängigen, motorischen Systems ver-
schwunden zu wirken, dass die Zwangsbewegungen,
z. B. zu schwimmen, bei denen nicht
nur die Richtung und Form der Bewegung, sondern
auch der Antrieb zu derselben in Zwang steht, wird
eine infolge Zerstörung sensibler Bahnen eine Koor-
dinatiosapparates kaum kommen können. Eine
wahre Zwangsbewegung wird aber durch einseitige
Zerstörung im Bereiche der motorischen Verbindungen
des Kleinhirns, die in seinem mittleren Schenkel
enthalten sind, hervorgerufen. Deren einseitige
Störung motorische Orientierungsinnervationen, eine
Zwangs haltung realisiren muss, erscheint als selbst-
verständlich, ist aber dem zentripetal und zentrale
Orientierungsapparat vollständig erhalten, so muss
die Zwangshaltung zur Aussonderung von an sie
normalen Regulirungsinnervationen führen, die
jedoch nur, da sie wegen mangelhafter zentrifugaler
Leitung unsymmetrisch wirken, die Haltung oder
Lage weiter verschlechtern können und so fort. In
solchem Falle werden also die Zwangsinnervationen
als Befreiungssymptome von dem Koordinationsapparate
selbst ausgehen. Die in ihrer Heftigkeit und Aus-
dauer an das Wunderbare grenzenden Rollbewegungen
um die Längsachse des Körpers, welche
Magendie zuerst als Folge der Durchschneidung eines
Kleinhirnschenkels zur Brücke beschrieben hat, sind
von Schiff auf ähnliche Weise gedeutet worden. Auch
diese Zwangsbewegungen hören auf, werden an der
einseitigen Verletzung die symmetrische hinzugefügt wird.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, wie es
unwahrscheinlich ist, dass durch Pyramidenbahnen
Willkürbewegungen vermittelt werden, ohne dass
gleichzeitig die die Erhaltung des Körpergleichgewich-
tes kontrollirenden Apparate in der Thätigkeit mit
hineinbezogen würde. Diese Ansicht findet eine
Stütze in der Beobachtung anatomischer Beziehungen,
in welche die Pyramidenfasern in der Brücke zu
deren Querfasern und zu den Brückenknochenkeln des
Kleinhirns treten. Die durch Selbstbeobachtung
zu konstatirende Thatsache, dass die durch ein-
malige Willensanstrengung eingeleitete Lokomotionsbe-
wegung in regelmässiger Weise fortgesetzt, ja, zweck-
mässig kleinen Änderungen der äusseren Bedingun-
gen angepasst wird, selbst wenn die Aufmerksamkeit
vollkommen durch anderweitiges Bewusstseinsmate-
rial in Anspruch genommen ist, sowie die Erfahrung,
dass Kaninchen nach der Entfernung des Hirnman-
tels noch regelmässig hüpfen können, legt die An-
nahme nahe, dass im Hirnstamm ein Apparat vor-
handen ist, der, einmal zur Thätigkeit angeregt,
immer neue, dem zeitlichen und intensiven Verhält-
nisse nach geregelte Impulse an den Lokomotion
dienenden Muskeln zusendet, und dass die Regelung
dieser Impulse dem Einfluss der eben besproche-
nen zentripetalen Orientierungserregungen zu-
gänglich ist. Die Existenz eines solchen Apparates
vermuten wir in dem System der Haube des Hirn-
schenkelfusses mit den Vierhügeln und Sehhügeln.
Diese Lokalisation des postulirten Apparates wird
einigermassen wahrscheinlich gemacht durch die
Erfahrung, dass Kaninchen nach Entfernung des
Grosshirns, inklusive Streifenhügel und Linsenkerne
noch regelmässig hüpfen können, und dass Hunde,
denen das Kleinhirn exstirpiert war, noch liefen.
Zudem wissen wir sicher, dass die Koordination
eines Bewegungskomplexes, der zur Regulierung der
Lokomotions- (und Aequilibrirungs-) Innervationen
in naher Beziehung steht, durch jenes System ver-
>
S.
mittel wird; es ist dies die Koordination der Augen-
muskelbewegungen, ohne welche Gesichtsabdrucke
nicht. Verwertung zur Raumorientierung finden können.
Wegen Verbindungen des genannten Systems
mit dem des orientierenden Sinnesbildes und mit den
peripherischen Organen der Bewegung lässt uns die
Anatomie hiebei in der äußersten V o r s i c h t zur Vor-
stellung davon, wie sich die einzelnen anatomisch
unterscheidbaren Gebilde jenes Systems an der Lo-
komotionstätigkeit des Tieres, wie es scheint, nur bis
zu einem Anhaltspunkt. Hervorzuheben ist in dieser
Beziehung nur, dass Zerreißung der Schläfelappen
motorischen Erfolg hat und dass weder partielle
noch totale Zerstörung eines oder beider Schläfelappen
ausführlichen Lähmungen zur Folge hat.
Jedoch ein Kaninchen, dem ein Schläfelappen total zer-
stört ist, das Bewegungen auszuführen im Stande
solcher, bei dem diese Verletzung doppelseitig erfolgt
ist, also Extremitäten in Stellungen bringen lässt,
welche vom normalen zwei merklich abweichen
den müssen, ehe es einen Sprung ausführen kann.
Man kann also sagen, dass die Schläfelappen des Ka-
ninchen, zur reflektorischen Erhaltung der Sprung-
bereitschaft während der Ruhe in näher Beziehung
stehen, wo er Illusionen in die Sprungbewegung
selbst koordiniert, und wo infolge der Sinneserre-
gungen, die ein Sprung gesetzt hat, der Antrieb zu
der koordinierenden Reflexbewegung des nächsten Sprun-
ges entsteht, wovon wir nicht. Dass aber ein Appa-
rat, der dies leistet, im Hirnstamme vorhanden ist,
und dass das Corpus striatum zu diesem Apparat
in auffallender, aber nur unaufgefällterem Bu-
singen steht, geht daraus hervor, dass Kaninchen nach
Abtragung des Hirnmantels mit den Streifenhügeln,
oder nach Verstärkung eines der letzteren an einer
(noch umschriebenen Stelle) reflektorische Paroxys-
men unregelmäßiger Sprungbewegungen zeigen, denen
nur durch starke Widerstände, oder wenn diese
freilich durch die Ermattung des Tieres eine Grenze
gesetzt wird.Durch Vermittelung welcher Bahnen dem postu-
lierten Apparat der Äste imparteil ertielt wird, sobald
die Willensintention sich auf die Lokomotionsbewe-
gung richtet, wissen wir nicht. Wir wissen, auf
welchem Wege und durch welche Mittel die Auf-
merksamkeit sich aus der Lokomotionsbewegung
zugewandt bleibt, vom Hirnmantel aus speziell regu-
lierend in die maschinenmäßige Tätigkeit jenes
Apparates eingreift. So viel steht jedenfalls schon
fest, dass die Stabkranzfasern des Sehhügels hier-
für nicht in Betracht gezogen werden dürfen, denn
scheint vielmehr Erregungen vom Hirnmantel hin-
zuleiten, und man hat vermutet, dass sie die Bahnen
enthält, auf welchen der Hirnmantel das Material
zur Bildung der Bewegungsvorstellungen geliefert
jedoch kommt dies rare mit eines lateralen, viel eher
einen dorsaler bestimmten Koordination von Muskel-
erregungen entspäche, und zwar derjenigen, deren
folgt die Hierarchie der aufbauenden, auf das orien-
tierenden Empfindungskomplex erzeugt.Das System der Haube steht zu dem optischen
Apparat in mehrfacher wichtiger Beziehung. Die
schon erwähnte Koordination der Bewegungen die
Augäpfel erfolgt, durch Vermittelung des T E C T U M O P T I C U S,
opticus, der Viertelthügel und der Augenmuskelkerne.
Diese Koordination wappnet während ausführender
Bewegungen auch noch von anderen Orientierungs-
sinnen als vom Auge zugeführt, vielleicht durch7) Nothnagels Noduz ensuricus, ganz nahe dem freien, dem
Vertikal zugehörigen Kern des Nuzens caud., etwa in der
Mitte der Lüge, Tiefe unbeannt.Vermittelung eines die gesamte Körperhaltung regu-
lierenden Apparates. Genaueres ist hierüber zur
Zeit nicht bekannt und ist auch noch nie durch eine
Zusammenstellung der Angaben über die abnormen
Augenstellungen und -Bewegungen (Nystagmus) nach
verschiedenen Verletzungen im Hirnstamme zu er-
schließen. In betreff des für unsere Vorstellungen
von dem Koordinationsmechanismus überhaupt so
wichtigen Koordinationssystem der M. rectus
internus auf der einen und dem M. abducens der
andern Seite ist bekannt, dass das Zentrum der
einzelnen Muskeln zwar derselbe mit dem speziellen
synergisch ist, also bei der gleichsinnigen Seitwärts-
bewegung beider Augen vom gemeinsamen Kern der
kerne des anderen Seite ausgeht. Bei der Konver-
genzbewegung der Augen dagegen werden beide
Reeti des Kerne von den Oculomotoriuskerne aus inner-
viert. Derselbe Apparat, welcher die Bewegungen der
Augäpfel koordiniert, setzt auch mit diesen die
Akkommodation des dioptrischen Apparates des Auges
für das Sehen in die Nähe, und in die Ferne in
Kombination von den Augenmuskelkernen, ist hierbei
aber nur derjenige des N. oculomotorius beteiligt.
Die Anpassung der Pupillenweite an den Lichteinfall
und an die Erregbarkeit der Retina findet ebenfalls
im Haubensystem statt. An der reflektorischen Pu-
pillenbewegung sind das Tectum opticum, mit den
Nerven und Zentren des Hirnstammes beteiligt. An
der Vermittelung der Pupillenweiterten aber neh-
men noch anderweitige Gebilde teil, und es ist sehr
wahrscheinlich, dass ausser dem Pupillenweiternden
Zentrum, welches sich im Hirnstamme nachweisen
müssen, auf dem Wege von hier bis zu den War-
zen des Halssympathicus noch andere, Pupillen-
erweiterung bedingende Zentripetalreize eingearbei-
tet sind (Zentrum c i l i o - s p i n a l e i n f e r i u s). Die Wechsel-
seitig Ansprüche der Pupillenweiten beider Augen
bei verschiedenen Stellen hell und schicht in Hin-
ziehung durch Vermittelung der Commissura po-
sterior und des Oculomotoriuskerne. Der derselbe
aller Reflexe, an dem Descartes diesen Begriff ent-
wickelt hat, der reflektorische Lidschlag, beim Er-
blicken eines das Auge verschönernden Augenblicks
und bei Reizung der Cornea, vollzieht sich eben-
falls ohne oder mit Beteiligung des N. facialis, im
Haubensystem.
Die für die Physiologie des Gehirns sehr wichtige
Frage, ob im Haubensystem überhaupt von der Ver-
teilungen des Einflusses optischer Sinneseindrücke auf
die Regulierung der Lokomotionsbewegungen aus-
geübt unter oder bei dem Sensoren diese Vermitte-
lung erst unter Beteiligung der Grosshirnrinde zu-
stande kommen kann, ist wohl noch nicht endgültig
beantwortet worden.
Von den im Hirnstamm zusätzlich gelagerten
Gebilden des Hirnstammes, dem Streifenhügel mit
Geschwulsten und Lähmungen und der inneren Kapsel,
ist die Bedeutung der letzteren am wenigsten im
Dunkel gehüllt. Sie enthüllt nur Leitungsbahnen,
ohne sich an systematisch Gliederung der oben ge-
Andeutungen gemacht worden sind. Auch ist die
innere Kapsel elektrisch reizbar, und man erzielt
unverkennbar motorische Erfolge, wenn umschriebene
Punkte dieses Gebildes lokalisiert gereizt werden.
Die funktionelle Systematisierung der wissen sich in
vertikaler Trennung scheint sich also bis in die
innere Kapsel fortzusetzen und im allgemeinen
der zu motorischer Tätigkeit der Vorderen und den
zuweisenden funktionellen Gliederung zu entspre-
chen. Bemerkenswert ist jedoch, dass die innere
Kapsel noch reizbar bleiben soll, wenn nach Ab-
tragung der motorischen Rindenregion die entspre-
chenden Züge der Centralmotorischen durch ab-
steigende Degeneration schon unergbar geworden
S.
sind. Es würde dies, wenn es sich bestätigte, darauf
hinweisen, dass noch von anderen Punkten der Hirn-
rinde der motorische Apparat durch die Bahnen der
inneren Kapsel nach abwärts gesandt werden. Um-
gekehrt scheint die innere Kapsel auch nicht alle
Stabkranzfasern aus der motorischen Rindenregion
aufzunehmen, denn nur nach Zerstörung von innerer
Kapsel und Linsenkern tritt vollkommener Ausfall
der Willensbewegungen ein, und eine Zerstörung der
inneren Kapsel sollen keine epileptischen Krampf-
anfälle hervorgerufen werden können. Zu den ver-
tikalen Entsendungsorten des epileptischen Anfalles
scheint also der Linsenkern zu gehören. Ueber die
wahre physiologische Bedeutung ist nichts aus der Ver-
brechung eines grossen Teiles der kortikomotorischen
Leitungen durch Ganglienzellen des Linsenkerns zu
schliessen sind zur Zeit kaum Vermutungen er-
sinnen. Es darf aber auch nicht unerwähnt bleiben,
dass ganz ähnlich dieses auf die eine Gruppe des
geschätzten Anatomen der geschwänzten Kerne und
der Linsenkerne (namentlich dessen drittes Glied) zu
samseln ein grosses Ganglion zusammenstoßen,
welchem die Bedeutung eines selbständigen, der
Rinde analogen Ergänzungsgebietes von abwärtsstre-
genden S t a b k r a n z f a s e r n zukäme.
Eine bisher noch ziemlich unvermittelt dastehende
Thatsache von grosser Wichtigkeit für die Hirnphy-
siologie des Streifenhügels zu betreffen scheint, ist
in neuester Zeit von Aronsohn und Sachs ent-
deckt worden. Bei Kaninchen, Meerschweinchen und
Hunden ruft ein Stich, dessen Einstichspunkt am
Vorderhirn von den Entdecken genau angegeben,
ist, wenn er das Hirn bis zur Basis so durchdringt,
dass er die mediale Seite des Caput Corporis striati
in der Nähe des Nucleus entocur, trifft, eine Steigerung
der Temperatur bis zu der des Fiebers hervor. Rinde
und weiße Substanz des Vorderhirns sind an dem
Stoffe unbeteiligt. Vieles spricht dafür, dass es sich
nicht um eine Reizerscheinung handelt, und durch
Untersuchung der Temperaturtopographie, sowie
durch Kontrolle des Stoffwechsels ist festgestellt,
dass vermehrte Wärmeproduktion den hervorragen-
den Anteil an der Temperatursteigerung
besitzt, ohne dass jedoch die Mitbeteiligung des
Wärmeausgabe regulierenden Apparates mit Sicher-
heit ausgeschlossen wäre. Auch Inoculierung des
Gehirnstammes an der unteren Grenze der Brücke
soll herabgesetzte Temperatursteigerung zur sicheren
Folge haben. Dies sindfalls aber verminderte Wärme-
produktion zurückgeführte Temperatursteigerung
wird nicht als Reizerscheinung betrachtet, sondern
als Folge des Ausfalls moderierender Zentren. Ueber
deren Lage nichts Näheres bekannt ist.
Von den anatomisch unterscheidbaren Gebilden
des Hirnstammes haben wir eins bisher ganz un-
berührt gelassen. Es ist dies das als Bündelgran-
des ü b e r z i e h e n d e s K e r n e s von der Analogen ab-
gegrentzte Gebiet, dem auch physiologisch eine ganz
besondere Bedeutung zukommt. Bei dem bisher be-
handelten Teile des Hirnstammes hatten wir es
wesentlich mit Koordination der dem sogenannten
animalen Leben dienenden Bewegungen zu thun, wo
wir Gründe da, jetzt zu betrachtende Gebiet dazu
in ganzen Gegensatz stellen, d. h. seine Bedeutung
in jener Koordination der dem vegetativen Leben die-
nenden Innervationen aufgehen lassen können, wenn
wir nicht dringender Grund hatten, anzunehmen,
dass die K o o r d i n a t i o n der Artikulations-
bewegungen für Stimme und Sprache sich
wesentlich dort vollzieht. Von den übrigen wirk-
lich vegetativen koordinierenden Bewegungskomplexen,
welche wir zum Härchenstande und hiebei zu-
nächst in nahe Beziehung zu dem Gebiete der
jenige in erster Linie zu nennen, welcher der Atmung
dient.
Was die Beziehungen der Medulla oblon-
gata zur Innervation der Atembewegungen betrifft,
so fasst man eine im Hühlongrate auf einerien ähn-
belagene gewollte Samme von Ganglienzellen.
denen die Einathungsmuskeln tetenisterede. Er-
regungen ausgehen, unter dem Begriff des I n s p i r a-
t i o n s z e n t r u m s der Medulla oblongata zusammen,
und insofern diese Erregungen in das den Zentrum
ausmachenden Zellenverbande durch Reflektion lezterer
gegen ihre unmittelbare Umgebung, entstehen, nennt
man das Zentrum ein automatisches. Die Gang-
lienzellen des Inspirationszentrums der Medulla ob-
longata senden die Erregungen den Inspirations-
muskeln nicht direkt, sondern durch Vermittelung
von motorischen Ganglienzellen des Rückenmarkes
zu. Jedoch nicht in diesen Zellen, der spinalen In-
spirationsmuskelzellen oder in ihrer analogen Ver-
knüpfungen vollzieht sich die Koordination des in-
spiratorischen Bewegungsapparates zu regelmäßiger
Atembewegung, sondern im Inspirationszentrum der
Medulla oblongata. Da es nun auch regelmäßige
aktive Exspirationen gibt, so werden auch noch ein
Exspirationszentrum der Medulla oblongata an-
zunehmen haben, dem die Koordination der ex-
spiratorischen Muskeltätigkeit ebenfalls innewohnt und
welches reflektorisch in Tätigkeit gesetzt werden
kann. Der wichtigste Reflex ist auch hier der durch
die Inspirationsreize unmittelbar dem Inspirationszen-
tere hat also, neben der Hemmung im Inspirations-
zentrum, Anregung der Thätigkeit im Exspirations-
zentrum zur Folge. Wo bei der gewöhnlichen At-
mung aktive Exspiration auftritt, können wir an-
nehmen, dass wir an diesen Orten reflektorisch ent-
ständen ist, und wir brauchen den Zellen des Ex-
spirationszentrums nicht Automatie (d. i. Fähigkeit
zur funktionellen Reaction gegen den Zustand der
unmittelbaren Umgebung) zuzuschreiben, wenigstens
nicht im dem Sinne oder Maße, dass sie sich am
Zustandskommen der gewöhnlichen Atmung be-
teiligen.
Unter Begriff des Atemzentrums in
der Medulla oblongata summieren man also
die die motorischen Innervationen für die Ein-
und Ausathung koordinierenden Zentren der In-
spiration und der Exspiration, von denen ersteres
für gewöhnlich automatisch, das letztere reflektorisch
in Thätigkeit erörtert wird. Diese Thätigkeit kann
bei beiden reflektorisch oder durch den Einfluss des
Willens modifiziert werden. Reflektorisch modi-
fizierte Atembewegungen sind das Husten, das
Niesen, der Schluckreflex, der Singularus. Auch die
K o o r d i n a t i o n anderer Bewegungskomplexe gehört
eine Koordination der Thätigkeit der Atemzentren
so zu denen, welche der Sprache und dem Gesang
dienen und zu denen, welche das Saugen, Schlucken,
Erbrechen, Achseln. Die Defäkation und das
Pressen beim Gebären ausmachen. Wegen der nahen
Beziehung, welche alle diese Akte zur Atmung
haben, ist es wahrscheinlich, dass die Koordination
der zu ihnen gehörigen Bewegungen in der Nähe
des Atemzentrums erfolge, und man spricht in
diesem Sinne in der Brust von einem Zentrum für
das Schlucken, von einem für das Erbrechen u. s. w.
In der Medulla oblongata selbst ist ein Centrum
in der Medulla oblongata ist bilateral symmetrisch an-
gelegt und zwar gehören jede Hälfte die Atem-
muskulatur der zugehörigen Seite. Nach medianer
Spaltung des Calamus scriptorius in der Mittellinie
bleibt die Atmung für gewöhnlich zwar symmetrisch,
Stärke die Symmetrie jedoch sofort, wenn nach
seitig Vagus oder Trigeminus gereizt werden. Den
hieurch hervorgerufenen Reflex zeigt nur die zu-
gehörige Seite, und nachdem die Symmetrie der
Atmung einmal auf diese Weise gestört ist, stellt
sie sich nur allmählich, wenn überhaupt, wieder
S.
her. Durch den Schnitt werden also interzentrale
Verbindungen zwischen den Atemzentren beider
Seiten oder Semidekussationen zentripetaler oder
zentrifugaler Natur zerrissen.
Auch oberhalb der Medulla oblongata sind Stellen
im Hirnstamm aufgefunden worden, durch deren
Reizung Krämpfe der Atmung erworben werden
kann. Eine solche Stelle mit inspiratorischem Reiz-
erfolg liegt höchst im Boden des vierten Ventrikels
(Christiani), eine mit exspiratorischem an der Um-
gebung des vorderen Teiles des Aquäductus Sylvii
(Hering), und eine zweite inspiratorische Stelle
hinten zwischen den beiden Viertelthügeln (Martin und
Booker). Ob man berechtigt ist, diesen Stellen die
Bedeutung von Atemzentren beizulegen, erscheint
noch zweifelhaft. Sie dürften zu den Reflexen in
Beziehung stehen, welche von den Atmungsmecha-
nismen auf die Atmung angestützt werden können.
Unter den zahlreichen Koordinationen, welche
das Hälftesystem des vierten Ventrikels im Dienste
des vegetativen Lebens vollzieht, nehmen diejenigen
eine besondere Kategorie ein, welche den Zirkulations-
apparat betreffen. Es handelt sich bei ihnen um
eine Anpassung der Herzthätigkeit und des Gefäss-
tonus bestimmten und an die jeweiligen Bedürfnisse
des gesamten Organismus und seiner einzelnen Teile.
Die sicherste Kenntnis haben wir von der Existenz
eines Apparates in der Medulla oblongata, dessen
Thätigkeit sich, durch Vermittelung des N. vagus,
in Verlangsamung oder Beschleunigung des Pulses
gibt, und eines solchen, dessen Leistung die Inner-
vation der die Blutgefässe versprengenden Muskeln ist
(Herzhemmender und vasomotorischer Reflexkerne
in der Medulla oblongata). Als wesentlichste Be-
standteile des ersteren dürfen wir wieder die Gang-
lienzellen anzunehmen haben, deren funktionelle
Thätigkeit im Aussenden zentrifugaler Impulse für
Herzhemmung sich zu erkennen gibt, bei der D. B.
Zweckmässigkeit in der Regulierung dieser funktio-
nellen Thätigkeiten wird auf der eigentümlichen
funktionellen Reaktionsfähigkeit der die die Zentren
wesentlichen Ganglienzellen gegen die Beschaffen-
heit der unmittelbaren Umgebung (Automatie) und
auf der anatomischen Disposition der Bahnen be-
beruhen, welche dieselben Ganglienzellen als Schalt-
stücke anspruchsvoller sind (Reflexe). Dem Einfluss
des Willens ist die Thätigkeit dieser Zentren gänz-
lich entzogen, nur aber den des psychischen Affektes,
wie sie diese auch vor dem Erregungszustand ge-
wisser Teile der Hirnrinde in Mitleidenschaft ge-
zogen werden. Dass diese Hemmung von den
A t o n t o c h t h o n e n, an Ort und Stelle entstehender
Erregung fähig sind, geht daraus hervor, dass sie zu
erzielen Erfolg ihre Thätigkeit Pulverlangsämung
resp. Steigerung des Blutdruckes) zu bemerken ist,
wenn die Pulskurve hoch und weit unter der Entde-
kungen druck steigt. Ob diese Automatie sich
auch auf die Anpassung der Kreislaufverhältnisse
an die jeweiligen Bedürfnisse, dass die Veränderungen
der Haut oder nach Wämreretention durch die Haut
entsteht, d. h. die Ganglienzellen, die in in-
stehenden Zentren ebenso wie die Ganglienzellen
des Schluckens von einem für das Erbrechen u. s. w.
gegen die unmittelbare ihrer unmittelbaren Um-
gebung reagieren, oder ob die fragliche Regulierung
rein reflektorisch erfolgt, ist nicht bekannt. Von
der jedenfalls sehr mannigfaltigen regulierenden
Reflexen sind am besten diejenigen durchschaut,
welche durch den N. vagus hervorgerufen werden.
Der Lunge und vom Herzen führt der Vagus zentri-
petale Fasern zum Höhlengrat, deren Reizung den
Herzen, von denen lezterer über ihrer Reizung Ver-
langsämung, erstere Pulsbeschleunigung ergeben.
Die Endigungen der zentripetalen Vagusfasern im
Herzen werden beim Wachsen des intrakardialen
Druckes oder der Spannung der Herzwand erregt,
die Endigungen in der Lunge bei den inspiratorischen
Dehnungen letzterer. Diese vom Herzen stammenden
zentripetalen Vagusfasern sind bei manchen Tieren
(namentlich beim Kaninchen) bis zu einer Stelle
in den Laryngeus superior zu einer gesonderten Bahn
vereinigt (N. depressor). Die Reizung des N. de-
pressor hat ausser einer Verlangsamung des
Pulsverlangsamung Herabsetzung des Blutdruckes
zur Folge. Ob die der letzteren zu Grunde liegende
Erweiterung der Blutgefässe, und ob die inspi-
ratorische Pulsbeschleunigung auf reflektorischer
Hemmung der Thätigkeit im vasomotorischen Zentren,
resp. Herzhemmzentrum oder auf Steigerung der
Thätigkeit in antagonizistischen Zentren beruht, ist
unbekannt. Dass solche antagonizischen Zentren
überhaupt existieren, ist gewiss, ob aber in der
Medulla oblongata ist nicht ermittelt.
Ueber die Funktion der Medulla oblongata be-
treffende Thatsache, deren kausale Beziehungen
sich noch sehr wenig durchschauen, sind jetzt, dass
nach Einstich in eine ziemlich eng begrenzte Stelle
am Boden des vierten Ventrikels Mittellinie, hinter
Beginn des vorderen Teiles, eine Gefässerweiterung
im Harn auftritt. Der Erfolg tritt in voller Stärke ein,
und die Tiere überleben die Operation, besoners wenn der
Stich die Brücke unverletzt lässt. Auch durch prostra-
bierte zentripetale Vagusreizung soll das Auftreten
von Zucker im Harn hervogerufen werden können.
Villaret1888Handwoerterbuch
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