Facialiskrampf [unsigniert] 1888-025/1888
S.

Facialiskrampf, der (frz. tic facial ou doulou-
reux, tic convulsif; engl. facial neuralgia; it. tic spas-
motico della faccia, tic facciale). Klonische Krämpfe
in den vom Facialis versorgten Muskeln kommen
neben Parese oder Lähmung dieser Muskeln vor: 1. bei
Krankheitsherden der Hirnrinde, welche die Facialis-
zentren betreffen (kortikale Epilepsie); 2. bei gleich-
zeitig destruierenden und irritierenden Läsionen des
Nervenstammes (Pachymeningitis, Tumoren, Kom-
pression durch ein Aneurysma); 3. bei unvollkom-
mener Heilung einer peripherischen Gesichtslähmung
mit Ausgang in Kontraktur (s. Facialislähmung).
Wichtiger und häufiger sind aber jene Fälle, in denen
der Krampf der Gesichtsmuskulatur ohne organische
Veränderung als selbständige oder reflektorisch verur-
sachte Neurose auftritt, also eine Einzelform der
Maladie des Tics convulsifs darstellt. Solche Krämpfe
zeigen eine grosse Mannigfaltigkeit ihrer Sympto-
matologie. Es hat Wert, einen lokalen, partiellen
und diffusen F. zu unterscheiden. Der totale F.
ist einseitig, er tritt anfallsweise auf; sämtliche
vom Gesichtsnerven innervierten Muskeln geraten
plötzlich in heftige Zusammenziehung, als ob ein
starker faradischer Strom auf den Nervenstamm
eingewirkt hätte, bleiben eine kurze Zeit tonisch
gespannt, erschlaffen dann plötzlich und können in
gleicher Weise mehrere unmittelbar aufeinander
folgende Zuckungen zeigen. Die Anfälle sind ent-
weder spontan oder durch eine Thätigkeit, Erregung,
mimische Bewegung veranlasst, sie sind nicht von
Schmerz begleitet und durch den Willen nicht zu
unterdrücken. Der partielle F. ist auf einzelne
der Gesichtsmuskeln beschränkt, am häufigsten auf
den Kreismuskel der Lider oder den M. fron-
talis, er ist mässig doppelseitig, auch alternierend.
Es tritt dann plötzlich eine grimassenhafte Ver-
ziehung des Gesichtes, etwa ein Hinaufziehen beider
Mundwinkel auf, um nach kurzer tonischer Dauer
zu verschwinden. Der diffuse F. betrifft die ge-
samte Gesichtsmuskulatur beider Seiten, ist aber
dadurch ausgezeichnet, dass der Kontrakturzustand
jedesmal nur wenige Muskeln ergreift. Es laufen
bei ihm häufig in ununterbrochener Folge Wellen
von Kontraktion über die Muskulatur des Gesichtes,
welche entweder einfache Bewegungen oder kom-
pliziertere (Grimassen) erzeugen. Häufig ist neben
dem diffusen F.-Krampf ein Hals- und Nacken-
muskeln zugezogen. Die Aetiologie dieser Krämpfe
ist unvollkommen aufgeklärt. Bei der totalen und
partiellen Form, welche beide eher als eine rein
lokale Affektion aufgefasst werden, können darf
man in der Regel erwarten, Reizzustände im Gebiet
des Trigeminus zu finden, welche sich auch oft durch
Schmerzhaftigkeit gewisser Stellen bei Druck ver-
raten. So schliesst sich der F. gelegentlich an eine
Neuralgie des Trigeminus oder eines seiner Aeste an,
anderemale finden sich schmerzhafte Stellen am
Kieferrand, Caries der Zähne etc. und die Weg-
schaffung dieser Reizquellen ist mitunter der beste
Weg, den F. zur Heilung zu bringen. Chronische
Schwellungen der Nasenmuscheln scheinen in einer
Reihe von Fällen für das Entstehen und Aufhören
des Krampfes von Bedeutung zu sein; bei dem
partiellen, auf den M. orbicularis beschränkten
Krampf ist häufig Ueberanstrengung der Akkommo-
dation, Astigmatismus, unkorrigierte Hypermetropie
nachzuweisen und therapeutisch zu beachten. An-
dere Fälle des F.-es, insbesondere die diffusen
 

Formen sind wesentlich als Ausdruck einer all-
gemeinen neuropathischen Veranlagung aufzufassen.
Sie sind insofern der Therapie wenig zugäng-
lich, wie denn die direkte Behandlung des F-
es überhaupt arm an Erfolgen ist. Die beim lokalen
F. versuchte Dehnung des Gesichtsnerven ist zu
verwerfen. Von Weir-Mitchell ist neuerdings wieder-
holte Refrigeration der Gesichtshaut empfohlen
worden. – Die diffusen Formen des Gesichts-
krampfes stellen im allgemeinen ein lebensläng-
liches Leiden dar, wie der Tic convulsif überhaupt,
welches zu Zeiten bei einem Nachlass des All-
gemeinbefindens sich steigert und zeitweise sich
mildern oder selbst aufhören kann. Der Beginn
der Erkrankung reicht meist ins Kindesalter zurück.