Zur psychoanalytischen Bewegung [März 1914] 1914-764/1914
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    Zur psychoanalytischen Bewegung.

    Prof. Jelgersma über das UnbewuBte. Von kompetenter Seite und
    an hervorragender Stelle hat die Psychoanalyse neuerdings eine Beurteilung
    gefunden, die wir als ein besonders erfreuliches Ereignis registrieren miissen.

    Am Jubiläumstage der Universität Leiden hielt als derzeitiger Rektor der
    Psychiater Prof. Jelgersma die Festrede, Als Thema hatte er das Unbe-
    wußte gewählt,

    Nach einem ausführlichen Zeitungsbericht vom 9. Februar besprach
    Jelgersma hauptsächlich Freuds Traumlehre in einer Weise, welche
    volle Beherrschung des Stoffes erkennen läßt. Er akzeptiert die Lehre als
    Ganzes und sieht in ihr eine besonders wichtige Errungenschaft für die Psycho-
    logie.

    Ebenso rückhaltlos äußerte der Redner sich zu Gunsten der Neurosen-
    lehre Freuds; er hält die Betonung der Sexualität in der Ätiologie der
    Neurosen für voll berechtigt. Er erkennt an, daß die verdrängten sexuellen
    Wünsche im Mittelpunkt der Neurose stehen und hebt am Schluß den gewal-
    tigen Eindruck hervor, den die Wiederauffindung des Ödipusmotivs im indi-
    viduellen Seelenleben auf ihn (Redner) gemacht habe. (Abraham.)

    In der am 17. März 1914 erschienenen Nummer der „Daily News“,
    eines der größten englischen Tagesblätter, widmet Dr. William Brown, Reader
    (was etwa dem „Dozent“ der deutschen Universität entspricht) für Psy-
    chologie an der Universitit London der Psychoanalyse und ihrem Begriinder
    Freud einen höchst anerkennenden Aufsatz. Er bezeichnet es im Eingang seiner
    Erörterung als groben Laienirrtum, daß mit der Kenntnis des bewuBten Seelen-
    lebens die psychologische Forschung ihr Ziel erreicht habe. Der größte Teil
    der psychischen Vorgänge wurzle im Unbewußten, und darauf zuerst hin-
    gewiesen zu haben sei eben das Verdienst Freuds, der nach Ansicht vieler
    Gelehrten den Titel eines „Darwin der Seele“ verdiene, Der Aufsatz schildert
    dann in äußerst verkürzter, aber verständnisvoller Weise den Mechanismus
    der Fehlhandlungen und des Traumes und erläutert beide an einer Reihe teils
    eigener, teils aus den Schriften Freuds geschöpfter Beispiele. Dabei kommt
    das Problem der Verdrängung zur Sprache; auch die Bedeutung des Infantilen
    wird gestreift, wogegen die Sexualität vollkommen unerwähnt gelassen wird.

    Der Aufsatz zeigt, obwohl er durchaus gemeinverständlich gehalten ist,
    daß der Verfasser sich mit der Psychoanalyse gründlich und erfolgreich be-
    schäftigt hat. Hoffentlich gelingt es ihm, die Aufmerksamkeit, die sich in
    England in letzter Zeit für die neue Wissenschaft zu regen beginnt, in weitere
    Kreise zu verpflanzen. (Sachs.)

    In „The Daily News“ vom 11, März 1914 findet sich in der Rubrik
    „Bücher“ eine Anzeige der von Dr. Eder veranstalteten Übersetzung der kleinen
    Schrift „Über den Traum“ (On Dreams) von Prof. Freud, zu der Dr. Leslie
    Mackenzie eine Vorrede geschrieben hat. (Verlag W. Heinemann, London.)

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    204 Zur psychoanalytischen Bewegung.

    An die kurze Anzeige knüpft das Blatt — unter Hinweis auf einen
    früheren, von Mr. Acher verfaBten Artikel über die Psychoanalyse — eine
    schmeichelhafte Anerkennung der Verdienste Freuds.

    In einer uns zugegangenen Nummer der „Peking Daily News“ (vom
    4. Februar 1914) schreibt ein in Peking lebender Mann, ,Membre de l’Institut
    Général Psychologique de Paris, Membre Royal Asiatic Society, London etc,“
    anonym über die Sexuallehre des Confucius, die in dem Satz gipfelt, daß die
    moralischen Gesetze ihren Ursprung in der Beziehung der Geschlechter haben,
    wobei unter „moralisch“ auch wohlgeorduet, ausgeglichen, logisch mit einem
    Wort das gesunde Bewußtsein zu verstehen sei. Der Autor verweist nun auf
    die Übereinstimmung dieser Auffassung mit unserer „modernen europäischen“
    Psychoanalyse hin, die uns erst das volle Verständnis dieses Zusammenhanges
    vermittelt habe.

    Seit November vorigen Jahres erscheint in Amerika „The Psychoana-
    lytic Review“. A Journal Devoted to an Unterstandig of Human Conduct.
    Edited und Publ. by W. A. White and 8. E. Jellife. (5 Dollars jährlich,
    64 West 56% St. New York.)

    Die erste Nummer (Nov. 1913) dieser neuen Zeitschrift hat folgenden
    Inhalt: Vier Originalarbeiten, u. zw. den Beginn von Jungs New Yorker
    Vorlesungen, die bereits im Jahrbuch (Bd. V, 1) veröffentlicht und in der
    vorigen Nummer dieser Zeitschrift besprochen sind ; ferner den ersten Artikel
    einer Serie von Jelliffe über „Die Technik der Psychoanalyse“, und Abhand-
    lungen vou Emerson und Ames über „Psychoanalyse von Selbstverstüm-
    melung“ beziehungsweise „Blindheit als Wunsch“. (Diese Originalartikel sollen in
    unserer nächsten Nummer referiert werden.) Es folgt der erste Teil eines außer-
    gewöhnlich gutgeschriebenen Sammelreferats von Payne über „Einige Freudsche
    Beiträge zum Paranoia-Problem“ und der Anfang der White’schen Übersetzung
    von Riklins „Wunscherfüllung und Symbolik im Märchen“, endlich eine
    Anzahl vou Referaten, Buchbesprechungen und ein Beglückwünschungsschreiben
    von Dr. Jung. — Die erste Nummer umfaßt 120 Seiten großen Formats
    und ist schön ausgestattet.

    Man hätte daran zweifeln können, ob die Zeit für eine psychoaualytische
    Zeitschrift in englischer Sprache schon gekommen sei, aber die beiden Heraus-
    geber, welche schon an die fünf aus dem Deutschen übersetzte psychoanalytische
    Werke englisch veröffentlicht” haben und über eine außergewöhnliche Erfahrung
    in der Publikation auf neurologischem und psychiatrischem Gebiet verfügen,
    bieten die beste Gewähr für das Unternehmen. Daß sie sich so zuversichtlich
    daran wagen — und wir haben das beste Zutrauen in ihren Glauben — mag
    als ein guter Beweis dafür gelten, daß die psychoanalytische Theorie unter dem
    englisch sprechenden Publikum bereits festen Fuß gefaßt hat. Es ist kaum
    nötig zu bemerken, daß dies für uns höchst erfreulich ist und daß wir dem
    nenen Unternehmen ein fruchtbares und erfolgreiches Gelingen wünschen,

    (Ernest Jones.)

    *
    + ж

    In der soeben zur Ausgabe gelangten 2. Hälfto des У. Bandes vom
    „Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen“
    sind folgende Änderungen in der Herausgeberschaft und Schriftleitung ange-
    kündigt :

    - Herr Professor Bleuler tritt als Herausgeber des „Jahrbuches“ zurück,
    mit dem ausdrücklichen Bemerken, daß er dieser Zeitschrift auch fernerhin
    sein Interesse bewahren werde.

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    Zur psychoanalytischen Bewegung. 205

    Herr Dozent Dr. C. G. Jung legt die Redaktion des Jahrbuches nieder.

    Nach Mitteilung des Verlages wird Herr Professor Freud des Periodikum
    mit dem Titel ,Jahrbuch der Psychoanalyse“ und unter Redaktion von
    Dr. K. Abraham (Berlin) und Dr. E. Hitschmann (Wien) weiterführen.
    — Der nächte Band wird Mitte 1914 erscheinen,

    Der jetzt erschienene Halbband enthält Folgendes :

    Mensendieck: Zur Technik des Unterrichts und der Erziehung während
    der psychoanalytischen Behandlung.

    Sadger: Die Psychoanalyse eines Autoerotikers.

    Marcinowski: Die Heilung eines schweren Falles von Asthma durch
    Psychoanalyse.

    WeiBfeld: Freuds Psychologie als eine Transformationstheorie.

    Maeder: Uber das Traumproblem.

    Bjerre: Bewußtsein kontra Unbewuftsein.

    Lang: Uber Assoziationsversuche bei Schizophrenen und den Mitgliedern
    ihrer Familien,

    Stärcke: Berichtigung,

    Erklärung der Redaktion und Mitteilung des Verlages.

    Das infolge des Setzerstreiks verspätet erschienene Dezemberheft von
    „Imago“ enthält außer einer Anzahl von Buchbesprechungen und der Bi-
    bliographie für das Jahr 1913 folgende Arbeiten :

    Dr. Adalbert Berny: Zur Hypothese des sexuellen Ursprungs der
    Sprache.

    Dr. Karl Weiß: Von Reim und Refrain.

    Dr, Theodor Reik: Psychoanalytische Bemerkungen über den
    zynischen Witz.

    Dr. 8. Spielrein: Die Schwiegermutter.

    Das eben zur Ausgabe gelangte 1. (Februar-) Heft des IIL. Jahrgangs
    enthält neben der von Dr. H. v. Hug-Hellmu th redigierten Rubrik , Kinderseele* :

    Lou Andreas-Solomé: Zum Typus Weib.

    * + *: Der Moses des Michelangelo.

    Herbert Silberer: Der Homunculus.

    Hans Sachs: Homers jüngster Enkel,