Ein Fall von hypnotischer Heilung nebst Bemerkungen über die Entstehung hysterischer Symptome durch den „Gegenwillen" 1893-005/1925
  • S.

    EIN FALL VON HYPNOTISCHER HEILUNG

    NEBST BEMERKUNGEN ÜBER DIE ENTSTEHUNG HYSTE-
    RISCH'ER SYMPTOME DURCH DEN „GEGENWILLEN“

    Zum; (N:)n'mm im 1. Jahrgang (1892J1893) n'rr
    „Zauclux ; fiir H„mrhmur‚ Suggutl'um'theruptl,
    Sugguu'avukhn und verwandt: pxydmlngiichc Fr,.
    :chungm“, Huhu.

    Ich entschließe mich hier, einen einzelnen Fall von Heilung
    durch hypuofische Suggestiun zu verül'feullichen, wei] derselbe
    durch eine Reihe von Nebenumständen beweiskräftiger und
    durchsichtiger gewnrden ist, als die Mehrzahl unserer Heilerfoige
    zu sein pflegt.

    Die Frau, welcher ich in einem für sie bedeulsumen Moment
    ihrer Existenz Hilfe leisten konnte, war mir seit Jahren bekannt
    und blieb mehrere Jahre syäter unter meiner Beobachtung; die
    Störung, von welcher sie die hypuukische Suggestiou befreite, war
    einige Zeit vorher zum erstenmal aufgetreten, erfolglos bekämpft
    worden und hatte der Kranken einen Verzicht abgenötigt, dessen
    sie das zweitemal durch meine. Hilfe enthohen war, während ein
    Jahr später dieselbe Störung sich neuerdings einnelhe, und auf
    dieselbe Weise neuerdings überwunden wurde. Der Erfolg der
    Therapie wer ein für die Kranke wertvoller, der auch so lange
    anhielt, als die Kranke die der Störung unterworfene Funktion
    ausüben wa1ite; und endlich dürfte es für diesen Fall gelungen

  • S.

    259

    sein, den einfachen psychischen Mechanismus der Störung nach-
    zuweisen und ihn mit ähnlichen Vorgängen auf dem Gebiete
    der Nervenpachologie in Beziehung zu setzen,

    Es handelt sich, um nicht länger in Rätseln sprechen zu
    müssen, um einen Fall, in dem eine Mutter ihr Neugeborenes
    nicht zu nähren vermochte, ehe sich die hypnotische Suggestion
    eingemengt hatte, und in dem die Vorgänge bei einem früheren
    und einem späteren Kinde eine nur selten mögliche Kontrolle
    des therapeutischen Erfolges gestatteten.

    Das Objekt der nachstehenden Krankengesehichte ist eine junge
    Frau zwischen zwanzig und dreißig Jahren, mit der ich zufällig
    seit den Kinderjahrcn in Verkehr gestanden hatte, und die ich
    folge ihrer Tüchtigkeit, ruhigen Besonnenheit und Natürlichkeit
    bei niemandem, auch nicht bei ihrem Hausarzte, irn Rufe einer
    Nervösen stand. Mit Rücksicht auf die hier erzählten Begeben-
    heiten muß ich sie als eine hystérique d'occasion nach Charcots
    glücklichem Ausdruck bezeichnen. Man weiß, daß diese Kategnrie
    der vortrefflichsten Mischung von Eigenschaften und einer sonst
    ungestörten nervösen Gesundheit nicht widerspricht. Von ihrer
    Familie kenne ich die in keiner Weise nervöse Mutter und eine
    ähnlich gearete, gesunde, jüngere schwester. Ein Bruder hat eine
    typische Jugendneurasthenie durchgernacht, die ihn auch zum
    Scheitern in seinen Lehensplänen gebracht hat. Ich kenne die
    Ätiologie und den Verlauf dieser Erkrankung, die sich in meiner
    ärztlichen Erfahrung alljährlich mehrmals in der nämlichcn Weise
    wiederholt. Bei ursprünglich guter Anlage die gewöhnliche sexuelle
    Verirrung der Pubertätszeit, dann die Überarbeitung der Studenten-
    jahre, das Prüfungssturlium, eine Gonorrhoe und im Anschluß an
    diese der plötzliche Ausbruch einer Dyspepsie in Begleitung jener
    hartnäckigen, fest unbegreiflichen Stuhlverstopfung. Nach Monaten
    Ablösung dieser Verstopfung durch Kopfdruck, Verstimmung,
    Arbeitsunfähigkeit, und von da an entwickelt sich jene Charakter-
    einschränkung und egoistische Verkümmerung, welche den Kranken

  • S.

    260

    zur Geißel seiner Familie machen. Es ist mir nicht sicher, ob
    diese Form von Neurasthenie nicht in allen Stücken erworben
    werden kann, und ich lasse daher, zumal da ich die anderen
    Verwandten meiner Patientin nicht kenne, die Frage offen,
    ob in ihrer Familie eine hereditäre Disposition für Neurosen an-
    zunehmen ist.

    Die Patientin hatte, als die Geburt des ersten Kindes aus ihrer
    glücklichen Ehe herannahte, die, Absicht, dasselbe selbst zu nähren.
    Der Geburtsakt verlief nicht schwieriger, als es bei älteren Erst-
    gebärenden zu sein pflegt, wurde durch Forceps beendigt. Der
    Wöchnerin gelang es aber nicht, trotz ihres günstigen Körper-
    baues, dem Kinde eine gute Nährrnutter zu sein. Die Milch kam
    nicht reichlich, das Anlegen verursachte Schmerzen, der Appetit
    mangelte, ein bedenklicher Widerwille gegen die Nahrungsauf-
    nahme stellte sich ein, die Nächte waren erregt und schlaflos,
    und um Mutter und Kind nicht weiter zu gefährden, wurde der
    Versuch nach vierzehn Tagen als mißglückt abgebrochen und das
    Kind einer Amme übergeben, wonach alle Beschwerden der Mutter
    rasch verschwanden. Ich bemerke, daß ich von diesem ersten
    Laktationsversuch nicht als Arzt und Augenzeuge berichten kann.

    Drei Jahre später erfolgte die Geburt eines zweiten Kindes und
    diesmal ließen auch äußere Umstände es wünschenswert erscheinen,
    eine Amine zu umgehen. Die Bemühungen der Mutter, selbst
    zu nähren, schienen aber weniger Erfolg zu haben und peinlichere
    Erscheinungen hervorzurufen als das erstemal. Die junge Mutter
    erbrach alle Nahrung, geriet in Aufregung, wenn sie dieselbe an
    ihr Bett bringen sah, war absulut schlaflos und so verstimmt über
    ihre Unfähigkeit, daß die beiden Ärzte der Familie, die in dieser
    Stadt so allgemein bekannten Äzte Dr. Breuer und Dr. Lott,
    diesmal von einer längeren Fortsetzung des Versuches nichts wissen
    wollten. Sie rieten nur noch zu einem Versuch mit hypnotischer
    Suggestion und setzten durch, daß ich am Abend des vierten Tages
    als Arzt zu der mir befreundeten Frau geholt wurde.

  • S.

    261

    Ich fand sie mit hochgeröteten Wangen zu Bette liegend,
    wütend über ihre Unfähigkeit, das Kind zu nähren, die sich bei
    jedem Versuch steigerte und der sie doch mit allen Kräften wider-
    strebte. Um das Erbrechen zu vermeiden, hatte sie diesen Tag
    über nichts zu sich genommen. Das Epigastrium war vorgewölbt,
    auf Druck empfindlich, die aufgelegte Hand fühlte den Magen
    unruhig, von Zeit zu Zeit erfolgte geruchloses Aufstoßen, die
    Kranke klagte über beständigen üblen Geschmack im Munde.
    Die Ära des hochtympanitischen Magenschalles war erheblich
    vergrößert. Ich wurde nicht als willkommeuer Retter aus der
    Not begrüßt, sondern offenhar nur widerwillig angenommen und
    durfte auf nicht viel Zutrauen rechnen.

    Ich versuchte sofort die Hypnose durch Fixierenlassen bei be-
    ständigem Einreden der Symptome des Schlafes herbeizufrühren.
    Nach drei Minuten lag die Kranke mit dem ruhigen Gesichls-
    ausdruck einer tief Schlafenden da. Ich weiß mich nicht zu er-
    innern, ob ich auf Katalepsie und andere Erscheinungen von
    Folgsamkeit geprüft habe, Ich bediente mich der Suggestion, um
    allen ihren Befürchtungen und den Empfindungen, auf welche
    sich die Befürchtungen stürzten, zu widersprechen. „Haben Sie
    keine Angst, Sie werden eine ausgezeichnete Amme sein, bei der
    das Kind prächtig gedeihen wird. Ihr Magen in ganz ruhig, Ihr
    Appetit aurgezeichner, Sie sehnen sich nach einer Mahlzeit u. dgl.“
    Die Kranke schlief weiter, als ich sie für einige Minuten verließ,
    und zeigte sich amnestisch, nachdem ich sie erweckt hatte. Ehe
    ich fanging, mußte ich noch einer besorgten Bemerkung des
    Mannes widersprechen, daß die Hypnose wohl die Nerven einer
    Frau gründlich ruiniereu könne.

    Am nächsten Abend erfuhr ich, was mir als ein Unterpfand
    des Erfolgen galt, den Angehörigen und der Kranken aber merk-
    würdigerweise keinen Eindruck gemacht hatte. Die Wöchnerin
    hatte ohne Beschwerde zu Abend gegessen, ruhig geschlafen und
    auch am Vormittag sich wie das Kind tadellos ernährt. Die

     

  • S.

    263

    etwas reichliche Mittagsmahlzeit war aber zuviel für sie gewesen.
    Kaum daß dieselbe aufgetragen war, erwachte in ihr der frühere
    Widerwille, es tritt Erbrechen ein, noch ehe sie etwas berührt
    hatte, das Kind anzulegen war unmöglich geworden, und alle
    objektiven Zeichen waren bei meinem Erscheinen wieder wie
    am Vorabend. Mein Argument, daß jetzt alles gewonnen sei,
    nachdem sie sich überzeugt hätte, daß die Störung weichen könne
    und auch für einen halben Tag gewichen sei, blieb wirkungslos.
    Ich war nun bei der zweiten Hypnose, die ebenso rasch zum
    Somnambulismus führte, energischer und zuversichtlicher. Die
    Kranke werde fünf Minuten nach meinem Fortgehen die Ihrigen
    etwas unwillig anfahren: wo denn das Essen bleibe, ob man
    denn die Absicht habe, sie auszuhungern, woher sie denn das
    Kind nähren solle, wenn sie nichts bekäme u. dgl. Als ich am
    dritten Abend wiederkehrve, ließ die Wöchnerin keine weitere Be-
    handlung zu. Es fehle ihr nichts mehr, sie habe ausgezeichneten
    Appetit und reichlich Milch für das Kind, das Anlegen des
    Kindes mache ihr nicht die geringsten Schwierigkeiten u. dgl.
    Dem Manne war es etwas unheimlich erschienen, daß sie gestern
    Abend bald nach meinem Fortgehen so ungestüm nach Nahnmg
    verlangt und der Mutter Vorwürfe gemacht halle, wie es nie-
    mals ihre Art gewesen. Seither gehe aber alles gut.

    Ich hatte nichts mehr dabei zu tun. Die Frau nährte das Kind
    acht Monate lang, und ich hatte häufig Gelegenheit, mich freund-
    schaftlich von dem Wohlbefinden beider Personen zu überzeugen.
    Nur fand ich es unverständlich und verdrießlich‚ daß von jener
    merkwürdigen Leistung niemals zwischen uns die Rede war.

    Indessen kam meine Zeit ein Jahr später, als ein drittes Kind
    dieselben Ansprüche an die Mutter stellte, welche sie ebenso
    wenig wie die vorigen Male zu befriedigen vermochte. Ich traf
    die Frau in demselben Zustande wie voriges Jahr, und geradezu
    erbittert gegen sich, daß sie gegen die Eßabneigung und die
    anderen Symptome mit ihrem Willen nichts vermochte. Die

  • S.

    263

    Hypnose des ersten Abends hatte auch nur den Erfolg, die
    Kranke noch hoffnungsloser zu machen. Nach der zweiten Hyp-
    nose war der Symptumkomplex wiederum so vollständig abge-
    schnitten, daß es einer dritten nicht bedurfte. Die Frau hat auch
    dieses Kind, das heute eineinhalb Jahre alt ist, ohne alle Be-
    schwerde genährt und sich des ungestörtesten Wohlbefindens
    erfreut.

    Angesichts dieser Wiederholung des Erfolges tauten nun auch
    die beiden Eheleute auf und bekannten das Motiv, welches ihr
    Benehmen gegen mich geleitet hatte. Ich habe mich geschärnt,
    sagte mir die Frau, daß so etwas wie die Hypnose nützen soll,
    da, wo ich mit all meiner Willenskraft machtlos war. Ich glaube
    indes nicht, daß sie oder ihr Mann ihre Abneigung gegen die
    Hypnose überwunden haben.

    Ich gehe nun zu der Erörterung über, welches wohl der psy-
    chische Mechanismus jener durch Suggestion behobenen Störung
    bei meiner Patientin war. Ich habe nicht wie in anderen Fällen,
    von denen ein andermal die Rede sein soll, direkte Auskunft
    darüber, sondern hin darauf angewiesen, ihn zu erraten.

    Es gibt Vorstellungen, mit denen ein Erwartungsaffekt ver-
    bunden ist, und zwar sind dieselben von zweierlei Art, Vor-
    stellungen, daß ich dies oder jenes tun werde, sogenannte Vor-
    sätze und Vorstellungen‚ daß dies oder jenes mit mir geschehen
    wird, eigentlich Erwartungen. Der daran geknüpfte Affekt
    hängt von zwei Faktoren ab, erstens von der Bedeutung, den
    der Ausfall für mich hat, zweitens von dem Grade von Un-
    sicherheit, mit welchem die Erwartung desselben behaftet ist.
    Die subjektive Unsicherheit, die Gegenerwartung, wird selbst
    durch eine Summe von Vorstellungen dargestellt, welche wir als
    „peinliche Kontrastvorstellungen“ bezeichnen wollen. Für
    den Fall des Vorsatzes lauten diese Kuntrastvorstellungen so: Es

  • S.

    264 Frühe Arbziten zur Nmrosenlehre

    wird mir nicht gelingen, meinen Vorsatz auszuführen, weil dies
    oder jenes für mich zu schwer ist, ich dafür ungeeignet bin;
    auch weiß ich, daß es bestimmten anderen Peisuneu in ähnlicher
    Lage gleichfalls mißlungen ist, Der andere Fall, der der Er-
    wartung, ist ohneweiters klar; die Gegenerwartung beruht auf
    der Erwägung aller anderen Möglichkeiten, die nnir zustoßeu
    können, bis auf die eine, die ich wünsche. Die weitere Erörterung
    dieses Falles führt zu den Phobien, Alle in der Symptomatolngie
    der Neurosen eine so große Rolle spielen. Wir verbleiben bei
    der ersten Kamgurie, bei den Vorsätzen Was tut nun ein gesundes
    Vorstellungsleben mit den Kontmstvorstelluugen gegen den Vor-
    satz? Es unterdrückt und hemmt dieselben nach Möglichkeit, wie
    es dem kräftigen Selbsthewußtsein der Gesundheit entspricht,
    schließt sie von der Assoziation aus, und dies gelingt häufig in
    so hohem Grade, daß die Existenz der Kontrastvorstellung gegen
    den Vorsatz meist nicht evideut. ist1 Sundern erst durch die Be-
    trachtung der Neumseu wahrscheinlich gemacht wird. Bei den

    Neumen hingegen, ‚ und ich beziehe mich durchaus nicht
    allein auf die Hysterie, sondern auf den Status nervosus im all-
    gemeinen, — in als primär vorhanden eine Tendenz zur ver-

    stimmuug, zur Herabsetzung des Selbstbcwußtseins anzunehmen,
    wie wir sie als höchstentwickeltes und vereinzeltes Sympwm bei
    der Melancholie kennen. Bei den Neumsen fällt nun auch den
    Kann-astvorstellungen gegen den Vorsatz eine große Beachtung
    zu, vielleicht weil deren Inhalt zu der Stimmungsl‘ärlmng der
    New-use paßt, oder vielleicht in der Weise, daß auf dem Baden
    der Neurose Kontrastvorstellungeu entstehen, die sonst unterblieben
    waren.

    Diese Kräftigung der Kontrastvorstellungen zeigt sich nun beim
    einfachen iStatus newesu.s auf die Erwartung bezogen als all-
    gemein pessimistische Neigung, bei der Neurastheuie gibt sie durch
    Assoziation mit den zufälljgsten Empfindungen Anlaß zu den
    mannigfachen Phobien der Nenrastheniker. Auf die Vorsätze über»

  • S.

    Ein Fall mm hypnotuclizr 1151711115» „55

    tragen, erzeugt dieser Faktor jene Störungen, die als faliz dz
    doutß zusammengefafit werden, und die das Militrauen des Indi-
    viduums in die eigene Leistung zum Inhalt haben. Gerade hier
    verhalten sich die beiden großen Neurosen, Nemastherlie und
    Hysterie, in einer für jede charakteristischen Weise verschieden.
    Bei der Neurusthenie wird die krankheit gesteigerte Kontrast—
    vnrstellung mit der Willensvorstellung zu einem Bewußtseinka
    verknüpft, sie zieht sich von letzterer all und erzeugt die auf—
    fällige Willensschwäche der Neurustheniker, die ihnen selbst be—
    wußt ist. Der Vorgang bei der Hysterie hingegen weicht in zwei
    Punkten ab, oder vielleicht nur in einem einzigen. V\’ie es der
    Neigung der Hysterie zur Dissoziation des Bewußtseins ent-
    spricht, wird die peinliche Kontrastvorstellung, die anscheinend
    gehesnmt ist, außer Assoziation mit dem Voßatz gebracht und be-
    steht, oft dem Kranken selbst unbewußt, als uhgesenderte Vor-
    stellung weiter. Exquisit hysterisch ist es nun, daß sich diese
    gehemmle Kontrastvorstollung, wenn es zur Ausführung des Vor-
    salzes kommen soll, mit derselben Leichtigkeit durch Innervat'iun
    des Körpers objektiviert wie im normalen Zustande die \‘Villens-
    Vorstellung. Die Kontrastvurstcllung etabliert sich sozusagen als
    „Gegenwille“, während sich der Kranke mit Erstaunen eines
    entschiedenen aber machtlosen Willens bewußt ist. Vielleicht sind,
    wie gesagt, die. beiden Momente im Grunde nur eines, etwa so,
    daß die Kuntrilstvmstellung nur darum den Weg zur Objekti-
    viemng findet, weil sie nicht durch die Verknüpfung mit dem
    Vorsatz selbst gehemmt ist, wie sie diesen hemmt.‘

    In unserem Falle einer Mutter, die durch nervöse Schwierig—
    keit am Säuggeschäft verhindert wird, hätte sich eine Neur-
    astheuiea etwa so benommen: Sie hätte sich mit Bewußtsein vor
    der ihr gestellten Aufgabe gefiirehtet, sich viel mit den möglichen

    t) Zwischen Ahfuiung und Karrektm' direer Zeilen in mix eine Sehritt von
    R. Kunz lug=knmmcn (Der neurnstheniseho Angsbnifekt hei Zwm-gsvarsteliungvm utc„
    Wien 1895), welehe sns1ege itusfeihn.ngen enthslt

  • S.

    566 Früh: Arbcitm zur Neurvrznlzhrz

    Zwischenfällen und Gefahren beschäftigt und nach vielem Zaudern
    unter hsngen und Zweifeln doch das saugen ohne Schwierigkeit
    duruhgefiihrt, oder wenn die Kuntrastvur>tellung die Oberhand
    behalten hätte, es unterlassen, weil sie sich dessen nicht getraut.
    Die Hysterica benimmt sich dabei anders, sie ist sich ihrer Furcht
    vielleicht nicht bewußt, hat. (len festen Vorsatz es durchzuführen
    und geht ohne Zögern daran. Dann aber benimmt sie sich so,
    als ob sie den Willen hätte, das Kind auf keinen Fall zu sängen,
    und dieser Wille ruft bei ihr alle jene subjektiven Symptome
    hervor, welche eine Simulnntin angeben würde, um sich dem
    Säuggeschäft zu entziehen: Die Appetitlusigkeit, den Ahscheu vor
    der Speise, die Schmerzen heim Anlegen des Kindes und außer-
    dem, da der Gegenwille der bewußten Simulation in der Be-
    herrschung des Körpers überlegen ist, eine Reihe von objektiven
    Zeichen am Verdauungstrakt, welche die Simulation nicht herr
    zustellen vermag. Im Gegensatz zur Willensschwiiche der Neun
    asthenie besteht hier \Villensperversion, und im Gegensatz
    zur rcsignierten Unentschlnssenheit den, hier Staunen und Er-
    hitterung über den der Kranken unversmi‘udlichen Zwiespalt.

    Ich halte mich also für berechtigt, meine Kranke als eine
    hystz'n'que Jacßasitm zu bezeichnen, dn sie unter dem Einfluß
    einer Gelegenheitsursnehe einen Symptomkumplex von so exquisit
    hysterischem Mechanismus zu produzieren imstande war. Als
    Gelegenheitsurssche mag hier die Erregung ver der ersten Ent-
    bindung oder die Erschöpfilng nach derse1hen angenommen
    werden, wie denn die erste Entbindung der größten Erschütte-
    rung entspricht, welcher der weibliche Organismus ausgesetzt ist,
    in deren Gefnige auch die Frau alle neurmischen Symptome zu
    produzieren pfl%t, zu denen die Anlage in ihr schlummert.

    Wahrscheinlich ist der Fall meiner Patientin vorbildlich und.
    aufl<lärend für eine große Reihe anderer Fälle, in denen das
    Säuggesnhäfl. oder ähnliche Verrichtungen durch nervöse Einflüsse
    verhindert werden. Da ich aber den psychischen Mechanismlß

  • S.

    Ein Fall van. h_777nozixchzr Heilung 267

    des ven mir beschriebenen Falles bloß erschlossen habe, beeile ich
    mich mit. der Versicherung fortzusetzen, daß es mir durch Aus-
    foxsdmng der Kranken in der Hypnose wiederholt gelungen ist,
    einen derartigen psychischen Mechanismus fiir hysterische Synr
    ptome direkt nachzuweisen.1

    Ich führe nur eines der aufi‘a'lligsten Beispiele hier an: Vor
    Jahren behandelte ich eine hysterische Dame, die ebenso Willens-
    mrk in all den Stücken war, in welche sich ihre Krankheit
    nicht eingemengt hatte, wie anderseits schwer belastet mit mannig
    faltigen und drückenden hyderischen Verhinderungen und Uhr
    fähigkeiten. Unter anderem fiel sie durch ein eigeutümliches
    Geräusch auf, welches sie tioartig in ihre Konversatioii einschab,
    und das ich als ein besonderes Zungcusclmalzcn mit plötzlichem
    Durchbruch des krampfhaften Lippenverschlueses beschreiben
    möchte. Nachdem ich es wochenlang mitangehb'rt harte, erkun—
    digte ich mich einmal, wann und bei welcher Gelegenheit es
    entstanden sei. Die Antwort war: „Ich weiß nicht wann, 0 schon
    seit langer Zeit“ Ich hielt es darum auch für einen echten Tin,
    bis es mir einmal einfiel, der Kranken in tiefer Hypnose dieselbe
    Frage zu stellen In der Hypnose verfügte diese Kranke ‚ ohne
    daß man sie dazu suggerieren mußte — sofort über ihr ganzes
    Erinnerungsvermügen; ich möchte sagen über den ganzen, im
    Wachen eingeengten Umfang ihres Eewußtseins. Sie antwortete
    prompt: „Wie mein kleineres Kind so krank war, den ganzen
    Tag Krämpfe gehabt hatte und endlich am Abend eingesehlafen
    war, und wie ich dann am Bene saß und mir dachte: Jetzt
    mußt du aber recht ruhig sein, um sie nicht aufzuvvcckcn,
    da . .. bekam ieh das Schnalzen zum erstenmal. Es verging dann
    wieder; wie wir aber viele Jahre epäter einmal nachts durch den
    Wald bei * * fiihren, und ein großes Gewitter loshrach und der

    r) VgL die gleich-ruhig erscheinende vuzläufige Mitteilung vun J. Breuer und
    s. Freud tiber rien plycln'lchen Mechanismus iiysteriwller Phänomen in Mwnrl:ls
    Zentralblatt Nr. . uni r, „395. [Als ninlen:mler Teil der „starben über Hysterie“
    enthalten in diesem ilnnie der Ges. Sehriit.n.]

  • S.

    268

    Blitz gerade in einen Baumstamm vor uns am Wege einschlug,
    so daß der Kutscher die Pferde zurückreißen mußte, und ich mir
    dachte: Jetzt darfst du nur ja nicht schreien, sonst werden die
    Pferde schen, da – kam es wieder und ist seitdem geblieben.“
    Ich kannte mich überzeugen, daß jenes Schnalzen kein echter
    Tic war, denn es war von dieser Zurückführung auf seinen
    Grund an beseitigt und blieb 50 durch Jahre, so lange ich die
    Kranke verfolgen konnte. Ich hatte aber damals zum erstenmal
    Gelegenheit, die Entstehung hysterischer Symptome durch die
    Objektivierung der peinlichen Kontrastvorstellung, durch den
    Gegenwillen zu erfassen. Die durch Angst und Krankenpflege
    erschöpfte Mutter nimmt sich vor, ja keinen Laut über ihre
    Linpen zu bringen, um das Kind nicht in dem so spät einge-
    tretenen Schlaf zu stören. In ihrer Erschöpfung erweist sich die
    begleitende Kontrastvorstellung‚ sie werde es doch tun, als die
    stärkere, gelangt zur Innervation der Zunge, welche zu hemmen
    der Vorsatz lautlos zu bleiben, vielleicht vergessen hatte, durch-
    bricht den Verschluß der Lippen und erzeugt ein Geräusch,
    welches sich von nun an, zumal seit einer Wiederholung desselben
    Vorganges, für viele Jahre fixiert.

    Das Verständnis dieses Vorganges ist kein vollkommenes, so
    lange nichl ein bestimmter Einwand erledigt werden ist. Man
    wird fragen dürfen, wie es komme, daß bei einer allgemeinen
    Erschöpfung ‚ die doch die Disposition ür jenen Vorgang dar-
    stellt‚ gerade die Kontrastvorstellung die Oberhand gewinnt?
    Ich möchte darauf mit der Annahme erwidern, daß diese Er-
    Schöpfung eine bloß partielle ist. Erschöpft sind diejenigen Ele-
    mente des Nervensystems, welche die materiellen Grundlagen der
    zum primären Bewußtsein assoziierten Vorstellungen sind; die von
    dieser Assoziationskette – des normalen Ichs –‚ ausgeschlossenen,
    die gehemmten und unterdrückten Vorstellungen sind nicht er-
    schöpft und überwiegen daher im Momente der hysterischen Dis-
    position.

  • S.

    Ein Fall von hypmzmclm' Hn1ung „59

    Jeder Kenner der Hysterie wird aber bemerken, daß der hier
    geschilderte psychische Mechanismus nicht bloß vereinzelte hyste
    rieche Zufälle, sondern große Stücke des Symptomhilrlcs der
    Hysterie sowie einen geradezu auffälligen Charakterzug derselben
    aufzukli—iren vermag. Halten wir fest, daß es die peinlichen Kun-
    trastvcrstellungen, welche das normale Bewußtsein hemmt und
    zurückweist, waren, die im Murnente der hysterischen Dispositinn
    hervortraten und den Weg zur Körperinnervatian landen, se
    haben wir den Schlüssel anrh zum VersLi—intlnis der Eigentümlich-
    keit hysterischer Antallsdelin'en in der Hand. Es ist nicht zufällig,
    daß die hysterischen Delirien der Normen in den Epidernien des
    Mittelalters aus schweren Gottesla'stcrurigen untl ungezügelter
    Erotik bestanden, oder daß gerade bei wohlenogenen und artigen
    Knaben, w'ie Charccit (Legons du Max-di, VOL 1.) hervorhebt,
    hygienische Anfdile vorkommen, in denen jeder Gessenbüberei,
    jeder Bubentollheit und Urlari‘. freier Lauf gelassen wird. Die
    \mterdrückten und mühsam unterdriirktcn Vorstellungsmihen sind
    es, die hier infolge einer Art vun Gegenwillen in Aktion urn-
    gesetzt werden, wenn die Person der hysterischen Erschöpfung
    verfallen ist. In der Zusammenhang ist vielleicht mitunter ein
    intimerer, indem gerade durch die müheque Unterdrückung jener
    hysterische Zustand eneugt wird, , auf dessen psychologische
    Kennzeichnung ieh hier übrigens nicht eingegangen bin. Ich habe
    es hier nur mit der Erklärung zu tun, warum ‚ jenen Zustand
    hysterischer Dispositiun vurausgeseth ‚ die Symptome so aus
    fallen, wie wir sie tatsächlich beubachten.

    Im ganzen verdankt die Hysterie diesem Hervnru-eten des
    Gegenwillens jenen dämom'schcn Zug, der ihr so häufig zukommt,
    der sich darin äußert, daß die Kranken gerade dann und dort
    etwas nicht können, wo sie es am sehnlichsten wullen, dnß sie
    das genaue Gegenteil von dem tun, um was man sie gebeten hat,
    und daß sie, was ihnen am teuersten ist, heschimpfen und ver-
    dächtigen müssen. Die Charakterperversiun der Hysterie, tler Kitzcl,

  • S.

    270

    das Schlechte zu tun, sich krank stellen zu müssen, wo sie sehn-
    lichst die Gesundheit wünschen, — wer hysterische Kranke kennt,
    weiß, daß dieser Zwang oft genug die tadellosesten Charaktere
    betrifft, die ihren Kontrastvorstellungen für eine Zeit hilflos preis-
    gegeben sind.

    Die Frage: Was wird aus den gehemmten Vorsälzen? scheint
    für das normale Vorstellungsleben sinnlos zu sein Man möchte
    darauf antworten, sie kommen eben nicht zustande. Das Studium
    der Hysterie zeigt, daß sie dennoch zustandekommen, d. h. daß
    die ihnen enrsprechencle materielle Veränderung erhalten bleibt,
    und daß sie aufbewahrt werden, in einem Art ven Schattenreich
    eine ungeahnte Existenz fristen, bis sie als Spuk hervortreten und
    sich des Körpers bemächtigen, der sonst dem herrschenden lch-
    bewußtsein gedient hat.

    Ich habe vorhin gesagt, daß dieser Mechanismus ein exquisit
    hysterscher ist; ich muß hinzufügen‚ daß er nicht ausschließlich
    der Hysterie zukommt. Er findet sich in auffälliger Weise beim
    tic convulsiv wieder, einer Neurose, die so viel symptomatische
    Ähnlichkeit mit der Hysterie hat, daß ihr ganzes Bild als Teil-
    erscheinung der Hysterie auftreten kann, so daß Charcot, wenn
    ich seine Lehren darüber nicht von Grund aus mißverstanden
    habe, nach längerer Sonderung kein anderes Unterscheidungs-
    merkmal gelten lassen kann, als daß der hysterische Tic sich
    wieder einmal löst, der echte forthestehen bleibt. Das Bild eines
    schweren tic convulsiv setzt sich bekanntlich zusammen aus un-
    willklirlichen Bewegungen, häufig (nach Charcot und Guinon
    immer) vom Charakter der Grimassen oder einmal zweckmäßig
    gewesener Verrichtungen, aus Koprolalie, Echelalie und Zwangs-
    vorstellungen aus der Reihe der follie de doute. Es ist nun über-
    raschend zu hören, daß Guinon, dem das Eingehen in den
    psychischen Mechanismus dieser Sympwme ferne liegt, von einigen
    seiner Kranken berichtet, sie seien zu ihren Zuckungen und Gri-
    massen auf dem Wege der Objektiviemng der Kontrastvorstellung

  • S.

    Ein Fall man hypnanicher Heilung „„

    gekngt. Diese Kranken gehen an, sie hätten bei einer bestimmten
    Gelegenheit einen ähnlichen Tic oder einen Komiker, der seine
    Mienen absichtlich so ven.errte‚ gesehen und dabei die Furcht
    empfunden, diese häßlichcn Bewegungen nachahmeu zu müssen,
    Von da an hätten sie auch wirklich mit der Nachahmung he
    gnn.nen. Gewiß entsteht nur ein kleiner Teil der unwillkürlichen
    Bewegungen bei den tiqueurs auf diese Weise. Dagegen könnte
    man versucht sein, diesen Mechanismus der Entstehung der
    Koprolalie unverzulegen, mit welchem Terminus bekanntlich das
    unwillkürliche, besser widervvillige Hervorstnßen der unflätigsten
    Worte bei den liqueurr bezeichnet wird. Die Wurzel der Kopr(r
    Inlie wäre die Wahrnehmung des Kranken, daß er es nicht unter—
    lassen kann, gewisse Laute, meist ein hm, hm, hervorzusroßen
    Daran würde sich die Furcht schließen, auch die Herrschaft über
    Andere Laute, besonders über jene Worte zu verlieren, die der
    wuhlerwgenc Mensch nuszusprechen sich hmm, und diese Furcht
    wurde zur Verwirklichung des Gefürchteten führen, In}: finde bei
    Guinon keine Anamnese, welche diese Vermutung bestätigt und
    habe selbst nie Gelegenheit gehabt, einen Kranken mit Koprulalie
    nunufingen. Dagegen finde ich bei demselben Autor den Bericht
    über einen anderen Fall von 'l‘ic, bei dem das unwil.lkürlich
    nusgäprochene Wort ausnahmsweise nicht dem Spmchschatz der
    Koprolalie angehörte. Dieser Fall betrifl‘t einen erwachsenen Mann,
    der mit dem Ausrui' „Maria“ behaftet war. Er hatte als Schüler
    eine Schwärmere'i für ein Mädchen dieses Namens gehabt7 die
    ihn damals ganz in Anspruch nahmY wie wir annehmen wollen,
    zur Neumse disponierte. Damals begann er den Namen seiner
    Angebetenen mitten in den Schulstunden laut zu rufen, und
    dieser Name verblieb ihm als Tin, nachdem seine Liebsnhait seit
    einem halben Menschenleben überwunden war, Ich denke, es
    kann kaum anders zugegangen sein, als an] das ernsthafteste Be—
    mühen, den Namen geheim zu halten, in einem Moment beA
    sonderer Erregung in den Gegenwillen umschlng, und daß von

  • S.

    915 Frühe Arbeizen mr Nemsznklwa

    da ab der Tic verblieb, ähnlich wie im Falle meiner zweiten
    Kranken.

    Ist die Erklämng diesß Beispiels richtig, so liegt. die Ver-
    suchung nahe, die eigendich kopmlnlischen Tic auf denselben
    Mechanismus zurückzuführen, denn die unflä'jgen Worte sind
    Geheimnisse, die wir alle kennen, und deren Kenntnis wir sten
    voreinunder zu verbergen streben.‘

    1)1ch am hier nur „., d.a „ 1.‚1...„..; „u. dürfle, der Ohi=küviemng a..
    Gegenvillm ml. nuße-rh-lh der n‚mm und s„ m mcluu.!piixm‚ wo „: im
    hin-nu du Nam „ sms; vnrkommt.