Rezension von: Donath, Julius ›Ueber die Grenzen des Temperatursinnes im gesunden und kranken Zustande‹ 1885-205/1885
S.

Journal - Revue.    

Medizin.    

I. Ueber die Grenzen des Temperatursinnes
im gesunden und kranken Zustande.

Von Jul. D o n a t h (Archiv für Psych. XV).

Unter „Grenzen der Temperaturempfindung“ werden jene höchsten und
tiefsten Temperaturen verstanden, welche nicht mehr als solche, sondern
bereits als Schmerz empfunden werden. Zur Untersuchung dieser Grenzen
der Temperaturempfindung konstruirte D. zwei Instrumente, von ihm K r y -
a l g i m e t e r und T h e r m a l g i m e t e r genannt, beide Quecksilberthermometer,
durch besondere Vorrichtungen ihrem Zwecke angepasst.
Das Kryalgimeter besteht aus einer flachen Spirale, die als Quecksilberbehälter
dient, und einer Skala, die bis −18° C. graduirt ist. Es wird mit
seiner Spirale auf die Haut aufgesetzt, die Abkühlung durch einen auf das
Gefäss gerichteten Aetherspray erzeugt, vor dessen direkter Einwirkung auf
die Haut dieselbe durch ein passendes, für die Aufnahme des Thermometers
ausgeschnittenes Stück Flanell geschützt ist. Das Quecksilbergefäss des
Thermalgimeter hat die Gestalt eines halbirten Ellipsoids, um genau auf die
Haut aufgedrückt zu werden. Die Erwärmung geschieht durch einen dünnen
Platindraht, der um das Gefäss gewunden ist und dessen Enden mit den
Polen zweier Bunsen’schen Elemente verbunden werden können.

Aus den Ergebnissen der mit diesen Instrumenten angestellten, mühsamen
Untersuchungen ist hervorzuheben, dass der Kälteschmerz erst nach
längerer Unsicherheit der Empfindung sicher empfunden, dann aber von
verschiedenen Individuen verschieden bezeichnet wird, während der Wärmeschmerz
mit einer gewissen Temperatur plötzlich auftritt und jedesmal mit
der Qualität des Brennenden behaftet ist. Der Kälteschmerz variirt bei Gesunden
je nach den verschiedenen Hautstellen zwischen –11.4° und +2.80
C. Besonders empfindlich erscheinen die Bauchhaut, die Dorsalfläche des
Ellbogengelenkes, besonders unempfindlich die Pulpa der Finger. Die Vorderfläche
des Körpers ist schmerzempfindlicher als die Hinterfläche, ebenso
die linke Seite mehr die rechte. Die absolute Differenz, welche bei verschiedenen
Individuen beobachtet werden kann, ist eine sehr bedeutende.

Der Wärmeschmerz schwankt an verschiedenen Hautstellen derselben
Person zwischen 36.3° und 52.6° C., auch hier sind die Fingerspitzen
besonders unempfindlich, die absolute Differenz der bei verschiedenen Individuen
als Grenze der Temperaturempfindung gefundenen Zahlen sehr
bedeutend.

Der Abstand der beiden Grenzen des Temperatursinnes (was man die
Ausdehnung dieses Sinnes nennen könnte) beträgt für die verschiedenen
Punkte der Haut 35.1°–64° C.

Bei Tabischen zeigte sich eine grössere Ausdehnung des Temperatursinnes,
entsprechend der Abnahme der Schärfe desselben. Der Wärmeschmerz
trat erst bei höheren Temperaturen ein, der Kälteschmerz war oft gar nicht zu
erzielen. Dies betraf zumeist die unteren Extremitäten, weniger den Rumpf
und nur selten die Arme. Starke Herabsetzungen der Schmerzempfindlichkeit
finden sich an vereinzelten, umschriebenen Stellen selbst bei Gesunden.