Rezension [unsigniert] von: Biedert und Sigel ›Chronische Lungenentzündung, Phthise und miliare Tuberkulose‹ 1885-210/1885
S.

Journal - Revue

Medizin.    

6. Chronische Lungenentzündung, Phthise und miliare Tuberkulose.

Von B i e d e r t und S i g e l (V i r c h o w ’s Archiv 98. Band).
Auf Grund von Färbungsstudien und klinischen Untersuchungen sagen die
Autoren aus, dass die Tuberkelbacillen formell nichts Spezifisches sind, und
dass es auch zweifelhaft bleibt, ob deren eigenthümliche Färbungsreaktion
sie als spezifische Art von Organismen in allen Entwicklungszuständen von
anderen absondert. Ueber die Rolle des Bacillus in der als Lungenphthise bekannten
Affektion behaupten sie, dass der Tuberkelbacillus für die klassische
Phthise charakteristisch sei und niemals in derselben fehle. Es gibt aber eine
grosse Reihe von schleichend verlaufenden Lungenaffektionen, die einer wenig
entwickelten Phthise in allen Stücken bis auf die Gegenwart des Bacillus
gleichen. Infiltrationen dieser Art gehen wahrscheinlich jeder echten Phthise
voraus, welche dann entsteht, wenn sich in jenen Bacillen ansiedeln. Der
nichtbacilläre Infiltrationsprozess dauere stets neben der Bacillenaffektion
fort und schaffe durch sein Weitergreifen neuen Nährboden für den Bacillus,
schliesse denselben aber auch gewissermassen vom übrigen Organismus ab.
Die Miliartuberkulose entsteht entweder durch massenhafte Inhalation
des K o c h ’schen Bacillus oder durch Uebergang desselben in die Säfte-
masse, wenn der ihn einschliessende Infiltrationswall durchbrochen wird. Der
Infektionsstoff ist also doch nicht das Massgebende bei der Entstehung der
Phthise, sondern alle jene den Aerzten bekannten disponirenden Momente,
welche den Boden für die Entwicklung des Bacillus vorbereiten.