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23. Einige seltene Komplikationen der Dysenterie.
Von P. L a v e r a n (Archives de Méd. et de Pharmacie militaires, T. V,
1885).
L., welcher in Algier und Tunis Gelegenheit hatte, die schweren Formen der
Dysenterie zu beobachten, macht darauf aufmerksam, dass als seltene Komplikationen
dieser Erkrankung Phlebitis, Venenthrombosen und Lähmungen
auftreten können, wofür er vier Krankenbeobachtungen als Belege erbringt.
Im ersten Falle handelte es sich um einen Soldaten, der an Dysenterie und
einem typhösen Fieber gelitten hatte, und während einer Rezidive der Dysenterie
eine Phlegmasia alba dolens zuerst am linken, dann am rechten Beine
bekam. Vor dem Tode traten noch Parese und Sensibilitätsstörung beider
Beine auf. Die Sektion zeigte Thrombose der Venae iliacae communes und
der V. cava inferior und eine weisse Erweichung des Lendenmarks;
trotz des Venenverschlusses hatte sich in den letzten Tagen des Kranken die
Zirkulation in den Beinen hergestellt und waren die Oedeme geschwunden.
Im zweiten Falle trat bei einem Rekonvaleszenten von Dysenterie Phlegmasia
alba dolens am linken Beine auf, nachdem er eine ganze Nacht in
unbequemer Stellung in einem Postwagen geschlafen hatte, dieselbe endete
in Lösung.
Im dritten Falle zeigte sich die Venenthrombose ebenfalls am linken
Beine bei einem Kranken, der in Paris eine schwere Dysenterie von kurzer
Dauer eben überstanden hatte, die Zirkulation stellte sich aber nicht mehr
ordentlich her und Oedem trat jedesmal wieder auf, wenn der Kranke einige
Stunden gestanden oder gegangen war.
Die vierte Beobachtung ist besonders interessant: Ein Kranker mit chronischer
Dysenterie wurde plötzlich von rechtsseitiger Hemiplegie und Aphasie
befallen und starb unter Hirnerscheinungen; die Sektion ergab ausgedehnte
Thrombosirung der Hirnsinus und einen Erweichungsherd in der
Broca’schen Windung.
Die Venenthrombosen können nicht durchwegs als kachektische aufgefasst
werden, da sie auch bei Kranken nach akuter Dysenterie, welche nicht
kachektisch sind, auftreten; sie betreffen dann immer die unteren Extremitäten,
und es wäre möglich, dass ihnen jedesmal die Thrombosirung von
Hämorrhoidalvenen zu Grunde liegt.
Die im Verlaufe der Dysenterie erscheinenden Lähmungen sind auf
verschiedene Prozesse zurückgeführt worden, so fassen sie G r a v e s und
B r o w n - S e q u a r d als Reflexlähmungen, L e y d e n als Folgen aszendirender
Neuritis auf, R o m b e r g stellte sie den diphtheritischen Lähmungen
an die Seite. Es liegt nahe, die Affektion der Venen in Beziehung zu
den Erweichungsherden des Gehirns und Rückenmarks (erster und vierter
Fall) zu bringen.
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