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Mehrere der Mitarbeiter an dieser Sammlung von „Selbstdar-
stellungen“ leiten ihren Beitrag mit einigen nachdenklichen Be-
merkungen über die Besonderheit und Schwere der übernommenen
Aufgabe ein. Ich meine, ich darf sagen, daß meine Aufgabe noch
um ein Stück mehr erschwert ist, denn ich habe Bearbeitungen,
wie die hier erforderte, schon wiederholt veröffentlicht und aus
der Natur des Gegenstandes ergah sich, daß in ihnen von meiner
persönlichen Rolle mehr die Rede war, als sonst üblich ist oder
notwendig erscheintDie erste Darstellung der Entwicklung und des Inhalts der Psycho-
analyse gab ich igog in füanorlesungen an der Clark University
in VVorcester, Mass„ wohin ich zur zwanzigjährigen Gründungs-
feier der Institution berufen worden war.‘ Vor kurzem erst gab
ich der Versuchung nach, einem amerikanischen Sammelwerk einen
Beitrag ähnlichen Inhalts zu leisten7 weil diese Publikation „Über
die Anfänge des zwanzigsten Jahrhunderts“ die Bedeutung der
Psychoanalyse durch das Zugeständnis eines besenderen Kapitels
anerkannt hatte.“ Zwischen beiden liegt eine Schrift „Zur Geschichte‚) Englisch erschienen im Am:zicnn Jenmnl uf Psychology. igiu. denne}. unter
dem Titel „Ulm Piycholrlalyse“ bei F. Deutlcke, Wien, ‚. Aufl. 1924. [Enthalten in
Bd, IV diewr Gesnmtnntgnbe.]:) These eventfu.l years. The twenrieth Century in the making .. „ln hy min)
uf it. mim. Two vnlnmze Lnndnn nnd New Ynxk‚ Th: Encyclop-edin Eritmnin
Gampnny Mall Aufsntz‚überseut von Dr. A. A. ErilL bildet Cup. 1.xxm den „weiten
Bundes. [Dcuuch in diesem Bmtie s. in; e.]S.
1110 Schner eur dzn thren Iy2}——Iy26
der psychoanalytischen Bewegung“, igr4,1 welehe eigentlich alles
Wesentliche bringt, das ich an gegenwärtiger Stelle mitzuteilen
hätte. Da ich mir nicht widersprechen Chu-f und mich nicht ohne Altl-
änderung wiederholen möchte, muß ich versuchen, nun ein neues
Mengungsverhälmis zwischen subjekfiver und objektiver Darstellung,
mischen biographischem und historischem Interesse zu finden.Ich bin uni 5. Mai ua:-‚6 zu Freiberg in Mähren geburen, einem kleinen
Stidtehen der heutigen Treheehurluwaltei. Meine Eltern waren Juden, auch ich
bin Jude geblieben. Von meiner väterlichen Familie glaube ieh zu winen‚ daß
sie lange Zeiten am Rhein (in Köln) gelebt hat, am Anlaß einer Juden—
verfulgung im vierzehnten oder Iiinfwhnten Jahrhundefl nach dem Osten floh
und int Laufe dea neunzehnten Jahrhunderts die Bückwanrlernng von Litauen
über Galizien nach dern deunehen Ost:-„eich entm. Als Kind von vier Julnen
hm ich nach Wien. wo ich alle Schulen durebrnachte. Auf dem Crymnarium
war ieh dureh rieben Juhre Primur, hatte eine bevurzugte Stellung, wurde
kann. je geprüft. Obwohl wir in sehr beengten Verhältninen lebten, ver
lmgte mein Vater, daß ich in der Berufrvvehl nur meinen Neigungen
folgen rollen Eine berundere Vorliebe fiir die Stellung und Tätigkeit der
Amer habe ich in jenen lugendiahren nicht vnspün. übrigens uueh :päwr
nieht. Eher bewegte mich eine Art von Wißbegierde‚ die sich aber mehr
auf menschliche Verhältnine als auf nuriirliche Objekte bezug und auch
den Wert der Beubaehrnng air einer Haupnninelr zu ihrer Be£riedigung
nicht nkannl harte. Inder. die damals alrruelie Lehre Bernina zug mich
mächtig an. weil sie eine außerurdentliche Förderung der Weltverruindniaaee
venprach. und ich weiß. daß der Vortrag von Goethe: xchönem Auhutz
„Die Naiur“ in einer populären Verlerung kurz vor der Reifeprüfung die
Entscheidung geb, daß ieh Medizin inskribierte.Die Universität, die ich 1875 bezog, brachte mir zunäehrt ei ige fiihb
bare Eutiiiurehungen. Vor allem tini mich die 2umnmng. deli ich mich
als minderwerfig und nich vullrrzugehörig fiith rullte. weil ich Jude
war. Das errrere lehnte ich mit uller Entschiedenheil ab. Ich habe nie
begriffen, wnrum ieh mich meiner Abkunft, oder wie nun zu sagen begann:
Rar.e‚ rehiirneu rullte. Auf die mir verweigerte Vollrrgerneiurehrft verzichtete
ich ohne viel Beduuern. Ich meinte. daß rich fiir einen eihigen Mitarbeiterr) Errehienen im Juhrbueh der I>ryebuenelyre lid. vi. neuerdingl ‚sie nie Sander
.bdruclt veröfi'enllichl. [Enihnlten in lad. IV dlerer Ges.miuurguhe.]
-S.
ein Plätzchen innerheib der Rahmen. du Mewelmmm auch nhne eu1ehe
Einreihung finden nuiun. Aber eine für .pixerwiehiige Folgp die-er euren
Eindrücke vun der Univenität wer. daß ich en &ülnniaig mit dem IM
vertraut wurde, in der Opporitian zu nahm und vun der ‚komplhtn
Mnjon (" in Bann gem: zu wm!en Eine gewinne Umbhineiekziv des _
Uneih wurde ru vorbereitetAußerdem mußte ich in den mm Univerrivinjahren die Erhhmng
machen. aus Eigenheit und Enge meiner Begabungen mir in mehreren
winemchafvliehen Fächern. auf die ieh mich in jugendlichen Uherei£er
genrüm hatte, jeden Erfolg vemgven. Ich len-me in die Wahrheit der Mnhnung
Mephimn erkennen:Vergehen], den ihr ringinm viuenmhlhlich echweifi.
Ein jeder Im! nur, wu er lernen kann,Im phyuinlngimhm Labmlnrium von Ernlt Brücke fund ieh endlich
Ruhe und volle Befriedigung, auch die Petmnen, die ieh relpekünren und
zu Vorbildern nehmen kunuve. Brücke nellre mir eine Aufgnhe nur der
Hiuolngie de. vaenl'ysheml. die ich zu seiner Zufriedenheit löml und selb-
nändig weiterführen hnnnve. Ich arbeitete in dierem Inrciruz von rß7fi—rdde
mit knnen Umerhreehnngen und geil Allgemein e1r del'ig'nien fiir die nänhme
sich dan ergebende Aneinenvenneile, Die eigendiah mzdiziniwhen Fächer
zogai minh — mit Au.nnhme der Pnychinlxie — nicht un. Ich ben-ieh
du medizininche Studium recht nenhliuig, wurde euch am um, mit
ziemlicher Ver-pinmg film, zum [lohnt der geermeu Heilkunde promovim.Die W-dung knur lese, ih mein über elle. verehn=r Lehrer den
grnßmün‘gen ieinhninn meines Vntm korrigierte. indem er mich mit Rück-
sicht auf meine .ehleehve mia-19119 Lege dring‘end mhnre, die eheure1irehe
laufhnhn aufzugeli. Ich fu1gvn |aiimm Rum, verließ der phyuiulugjlnhe
Labnmmrium und nm el. Alpth in du Allgemeine Krmk=nhnul ein.
Don wurde ich nach einiger zn: zum Sekunan (Interne) hdöxdm
und dienre ln vdnv:lüedenen Abteilungen, uunh 1inger nl. ein hll'bel Jehr
bei Meynnrv, deinen Werk und Perliinlichkeit mich lahm ul: Studenten
geienelv innen.In gewiuem Sinne blieb ich doch der zum eingerehlngenen Arbeivr—
richtung rreu‚ Brücke heme mich in da! Rück-_u-k eine. den niedrigrlen
Fiiche (AmmonuemrPeuomywn) dh Unten-mchnngxnbiekv. gewißen, ieh ging
nun zum menrehliehen Znnualnmenlystem iiber, auf denen verwickelte
Fileng die Fleeh.igrehen Funds der nngleiclnuiügm Merkinhaiden-
bildnng dem-h gernde ein hellen Licht werfen, Auch daß ich mir mich“S.
san n ‚m. lim Jahren 1923—1925
einzig und allein die Medulla ublongata zum Objekt wählte, war eine
Fortw'irkung meiner Anfänge. Recht im Gegenrntz zur diffinen Naun' meiner
Studien in den ersten Universitäuinhren entwickelte ich nun eine Neigung
zur aueechlicßentlen Konzentration tler Arbeit auf einen Siafi' oder ein
Problem. Diese Neigung ist mir verblieben und hat mir .päter den Vorwurf
der Einreitigkeit eingetragenIch wu nun ein ebenso eifriger Arbeiter im gehirnnnatonaischen Inn-hm
wie friiher im physiologischen. Kleine Arbeiten über Faserverlnuf und Kern»
nre„riinge in der 0blongata sind in diesen Spi'allilhren entstande‚u und
immerhin von Edinger vennerktworrlen. Einee'l'ager machte mir Meynert.
der mir das Laboratorium eröfi'net hatte. auch als ich nicht bei ihm silente,
den Vorschlag, ich solle mich undgihig tler Gehirnanatoniie zuwenslen,
er verepreche, mir seine Vorlesung abzutrelen, denn er fühle sich zu alt,
um die neueren Methoden zu handhaben. Ich lehnte, erschreckt durch die
Größe der Aufgabe, eb; auch mochte ich damals schon erraren haben, daß
der geniale Mann mir keineswegs wohlwollencl geeinnt sei.Die Gehirnanatornie wer in praktiacher Hinsicht gewiß kein Fflnlchrit!
gegen die Physiologie. Den materiellen Anforderungen trug ich Rechnung,
indem ich da: Studium der Nervenlrrnnkheiten hegann. Dieses Spezialfnch
wurde damals in Wien wenig gepflegt, rlar Material war auf verschiedenen
internen Abteilungen ventreut, er gab keine gute Gelegenheit rieh nur
zubilden, man mußte rein eigener Lehrer sein. Aueh Nothnngel, den
man kurz vorher auf Grund seines Buches iiber die Gehirnlokalisaeion
berufen hatte, zeichnete die Neuropathnlogie nicht vor anderen Tcilgebieten
tler internen Medjlin ein. In tler Ferne lenchtete der große Name Charcots
und so machte ich mir den Plen, hier .iie Dozentur fiir Nervenkrankheinen
zu erwerben und dann zur weiteren Ausbildung nach Paris zu gehen.In den nun folgenden Jahren qekundaxäntlichen Diemte; Vuöflendichle
ich mehrere kaluiliische Beobachtungen über organische Krankheiten des
Nervenlystemm Ich wurde ullmählich mit dem Gebiet vertraut; ich ventaud
es. einen Herd in der 0blongata so genau zu lokalisieren, rlnß der pathologische
Anetorn nicht. hinzuzusetzen hatte ieh wer rien- erste in Wien, der einen
Fall mit der Diagnose Polyneur rs aeutn zur Sektion schickte. Der Ruf
meiner durch die Autopsic bestätigten Diagnnsen trug mir den Zulqu
amerikanischer Ärzte ein, denen ich in einer Art von Pidgin-Ezlglish Kurse in
den Kranken meiner Abteilung las. Von den Nenrnsnn verrinnrl ich nichts.
Als ich einmal meinen Hörern einen Nemotiker mit fixiertem Kopfschmerz
als Fall von chronischer zirkumskripter Meningiiis vorstellte, fielen sie alleS.
„SW:ulbmg‘ 155
in berechfig\er lnici.eher Auflehnnng von min ““und meine vafleiüge
Lehrtätigkeit hme ein Ende. Zu meiner Eumhuldigung .ei hemerkt. &
wer die nie in Buch größere Auturilimn in Wien die Neurenhenie ele
Hirnmmor rn iiegnnnirieren pfleguen.lrn Frühjahr 1855 erhielt ich die Domntur lin- Neurupnhelegie euf
Grund meiner histnlugilchen und klinirnhen Arbeiten. Beli dmuf wurde
mir infolge del warmen Fünpxuchl Brücken ein größerer Reinnipenflium
zugeteilt. Im Herlm &“ Jahre- reine ich neeh Pax-ir.Ich trat elr Eleve m die Selpecriere ein, fund eher enfengr ein einer
der vielen Mid'äufer In! der Fremde wenig Beachtung, Einer Teges höm
ich Char-eur rein Beieuern derliher äußern. deli der demth Ühmewn
reiner Vurluungm reii dm Kfiege niehn van rieh hehe hören innen. El
wäre ihm lieh, wenn jemand die dennehe Übenenung reiner „Neuen
Vorlesungen“ übernehmen wiirde. Ich bat mich ederifilieh dem an; ich
weiß noch, deli der Brief die Wendung mlhiell, ich .ei bloß mit der
Aphaiie meniee, eher nicht mir der Apheeie eenmrielle du fiunqaix he-
hefier. Churcot akzepn'ene mich. eng mich in willen Priververlrehr und
vun da m hat!: ieh meinen vollen Anteil in ellem. wu en! der Klinik
vurging.Während ich die. eehreihe, erhelea ieh eeh1reiehe Aufihz: nnd Zeimnge-
artikel aus Frenlneieh. die von dem hefiigen Sträuben gegen die Anfnehme
der Peychoenelyee tungen und oft die nnruneiiendeien Beheupnmgen iiber
mein Verhi'lmi. rer franzöriwheu Schule außtellen. So lern. ich :. B.. 615
ieh meinen Anfendmh in Peri- dazu \mm'üzt, mieh mit den Lehren von
P, Janet wem-ut rn rennhen, nn.i denn mit meinem Beuhe die Fleehi
ergriffen hehe. [eh will thrum amdriickl.ich erwähnen. deß dee Nemn
Jane" wihrumi meinei verweilen. en der Selpeuiere iib‘erhnuyt nicht
genannt wurde.Von allem. wu ieh hei Chlrcol .eh, muchwn mir (im größ‘nn Ehi-
druck sein: lemen Unimuehnngen über die Hyltaie‚ die zum Teil nach
111119! meinen Augen emgefiihri wurden. Alm der Nm;hw:il der Echtheit
und Gesetzmäßigkeit der hyumritchen Phänomene („Intml'ta er hi: dä
rnut"}‚ den häufigen Vm-lrnmmen. der Hynne-ie hei Männern, die Emu-
gung hynerischer l.ihmung- und Kunmktnten durch hypnotixdm Sug-
geseinn‚ dal Ergebnil, daß iin-e Kunarpmduhe dieeelhen Cherehere bis
im eineelnne zeigen wie die lpontlmzn‚ nfi durch Trenme hervor enen
Zuhille‚ Menche vun Chlrcnh Demannnüonan herren hei mit wie hei
anderen einen euniehn Befiemden und Neigung zum VViden-pmd-n mengt.S.
194 Schriften nur den Jahrm ryr;—rge‘s
den wir durch Berufung auf eine der hemchenden Theorien zu ettitzen
vernichten. Er erledigte mlche Bedenken immer freundlich und geduldig.
aber auch sehr bestimmt; in einer dieser Diskussiunen fiel das Wort: 91
n’cmpéche pn: d'zristzr, dar rich ruir unvergelilich aingepriigt hat,Bekanntlich iat heute nicht mehr alles aufrecht geblieben. was uns
Charcnt damalr lehrte. Einigea ist unsichsr geworden, anderer hat die
Probe der Zeit offenbar nicht bcttanden‚ Aber er irt genug davon übrig
geblieben, war ah dauernder Besitz der Wittenrehnft gewertet wird. Ehe
ich Pan's verließ, verabredete ich mit dem Meiner den plan einer Arbeit
zur Vergleichung der hyrterirchen mit den organischen Lähmnngen ich
wollte den Satz duchführen, daB bei der Hyrteria Liihnrungen und Anär
thesien einzelner Körperteile rich ro nbgrenren, wie er der gemeinen (nicht
anntotniachen) Vurdtellung de. Menrchen enupricht. Er war damit einm—
standen, aber er war leicht zu sehen, daß er irn Grunde keine besondere
Vorliebe fiir ein tieferes Eingehen in die prychologie der Neurnee hatte.
Er war doch von der pathologischen Anatomie her gekommen,Ehe ich nach Wien zurückkehrte, hielt ich mich einige Wochen in
Berlin auf, um cnir einige Kenntnisse iiber die illgerneinen Erkrankungen
det Kinderolters zu holen Kunowitz in Wien, der ein öffentliches Kinder
krankeninetitnt leitete, hatte verspmchen‚ mir dort eine Abteilung fiir
Nervenkrnnkhcitcn der Kinder einzurichten. ich fand in Berlin bei At1.
Baginrky freundliche Aufnahme und Förderung, Ani dern Kaaacwitzrchen
Inititut habe ich irn Laufe der nächsten Jahre mehrere größere Arbeiten
iiber die einteitigen und doppeldeiügen Gehirnliihrnungen der Kinder ver
öffentlicht. Demzufolge übertrug rnir uuch lpäter 1897 Nothnagel die
Bearbeitung der enuprenhenden Studer in reinen. großen „Handbuch der
allgemeinen und spe1.ii=llen Therapie“.im Herbrt isss ließ ich mich in Wien nl: Am nieder und heiratete
dan Mädchen, der teir länger ah vier Jahren in einer fernen Stadt auf
mich gewartet hatte. Ich kann hier riiekgreifend erzählen, daß es die Schuld
meiner Braut war, wenn ich nicht schon in jenen jungen Jahren berühmt
geworden bin. Ein abseitigee, aber tiefgehcnder Interesse hatte mich isdn
veranlnlit, ruir der damals wenig bekannte Alkaloid Kokain von Merck
kommen zu lassen und dessen phyriolngirche Wirkungen zu ttudieren,
Mitten in dieser Arbeit eriiflnete eich rnir die Ansicht einer Reise. urn
meine Verlobte wicde„nrehen‚ vun der ich zwei Jahre getrennt gewesen
war. Ich mhloß die Untersuchung iiber dar Kokain nach ob und nahm in
meine Publikation die Vorhenage ruf. daß sich bald weitere VerwendungenS.
„Selbst/iarstzllwtg' ; 55
des Mitteln ergehen würden. Meinem Freunde, dem Augenarzt L. König
"ein, ll:g\e ieh aber nahe. zu prüfen, inwieweii sieh die anänhmierenden
Eigenrehairen des Kokaim am kranken Auge verwerren ließen. Als ich vom
Urlauh nnüukkam fand ieh, daß nicht er, sondern ein anderer Freund,
Carl Koller Gem in New York), dem ich auch vum Kokain enählt, die
entscheidenden Versuche am Tierauge angestellt und sie auf dem Ophthdlrno—
logenknngreß zu Heidelberg demonstriert hatte, Koller gilr darum mil
Recht als der Enrdeelrer der Inkalanäinhesie durch Kokain, die für die
kleine Chirurgie in wichüg geworden ist; ich eher hehe mein damalige.
Venäumnis meiner Bram niehr nachgeirugen.ieh wende mich nun wieder zu meiner Niederlassung als Nervenarn in
Wien isse. Er lag mir die Verpfliehrung oh, in der „Gesellsehafl der
Arne“ Bericht iiber das zu ernanen, war ich hei Charcut gesehen und
gelernt hatte. Allein ich fand eine uhle Aufnahme. Maßgehende Personen
wie der Vorsitzende, der Lnrernisr Bamberger. erklärten da:. war ich er-
zählte, fiir unglauhwiirdig. Meynen forderte mich auf, Falle. wie die von
mir geschildertgn, doch in Wien aufeusunhen und der Gerellsehafi vorzu-
stellen. Dies versuehre ieh auch, eher die Primariime, auf deren Ahmilung
ich sclche Fälle fand, verweigenen es mir, sie zu beobachten oder zu he
arbeiten, Einc1 von ihnen, ein eher Chirurg, hraeh direln in den Ausruf
am: „Aber Herr Kollege, wie können Sie lolchen Unsinn redenl Hysreron
(rien heißt doeh der Ueerus. Wie kann denn ein Mann hysteriinh rein?“
Ich wendete vergehen: ein, daß ich nur die Verfügung iiher den Krankheire-
fall brauchte und nicht die Genehmigung meiner Diagnose, Endlich Lrieh
ich außerhalh des Spirale einen Fall von klasr'llcher hyneriaeher Hemi-
anänhesie bei einem Manne auf, den ich in der „Gesellschaft der Änte“
den.anandefle‚ Diesmal hlarsehle man mir Beilall, nahm aber weiter kein
Interesse an mir, Der Eindruck. daß die großen Auwriiäten meine Neuig»
keiten ahgelehnr hätten. hlieh unenchünen; ich fand mich mir der mänrr
lichen Hysterie und der suggeniven Erseugung hynerieeher Lähmungen
in die Opposition gedxängt. Ali mir bald darauf du hinianatomische Lahm-
turiu_m veraperrt wurde und ieh durch Semesrer kein Lokal hane, in dem
ich meine Vorleanng ahhahen lsnnme, zog ich mich aus dem akademisnhen
und Vereinsleben zurück. Ich hehe die „Gemlhdnf: der Äme“
Menschenalter nicht mehr bemüht.Wenn man von der Behandlung Nervenknnker leben wullle, mußte
man oFfenl-mr ihnen eiwae lehren können. Mein zherapeuiieche. Arsenal
umfaßse nur zwei Waffen, die Elelnrueherapie und die Hypnose, denn dieum ein-
S.
.a5 Schrzfun aus den Jahren 1923—1925
Versendung in die Warserheilanstalt nach einmaliger Konmltatinn war keine
zureichende Erwerbxquelle. ln der Elekrmthexapie vertraute ich mich dem
Handbuch von W, Erle an, welche! detaillierte Vorschriften für die Behand-
lung aller Sy'rnptume der Nemenleiden zur Verfiigung ltellte. Leider mußte
ich bald erfahren, daß die hefnlgung die1er Vorschriften niemals half, daß,
wu! ieh für den Niederaehlag exakter Beobachtung gehalten hatte. eine
phantastische Konstnl.ktinn war. Die Eimicht, daß das Werk des ersten
Namen: der deußchen Neuropathologie nicht mehr Beziehung zur Reul.ität
hahe ala etwa ein „ägyptiiche!“ Traumbneli, wie ea in unseren Volks-
buclihandlungen Verl-lauft wird, wa: schmenljch, aber die verhalf dazu,
wieder ein Stück des naiven Autoritätsglanbem abzumgen, von dem ieh
nach nicht frei war, So ll:th ich denn den elektriiclien Apparat beiseite,
noch ehe Möbiua des erlölende Wort geiprochen hatte, die Erfolge der
elektritchen Behandlung bei Nervenknnlten seien — wo sie nich überhaupt
ergeben ‚ eine Wirkung der ärztlichen Suggestion.Mit der Hy1innie "und ei heuer. Noch all Student hatte ich einer
öffendinhan Vorrtellu_ng den „Magnetiaeun“ Hanaen beigewohm und he-
merkt. daB eine der Venuchsperstmeu totenbleich wurde, al. in in katalep-
tiwhe Starre geriet und während der ganzen Dann des Zurtande: so ver—
hame. Damit war meine Ubenengnng von der Echtheit der hy'pnotieche'n
Phänummc [est begründet. Bald nachher fand diese Aufteilung in Heiden*
hain ihren willenichaftlinhen Vertreter, wu aber die Professoren der
Peychiat'rie nicht abhiek. noch auf lange hinaus die Hypnule fiir etms
thwindelhai'teu und überdiei Gefährliche! zu erklären und auf die Hypnuti-
leute geringschätzig henb1ulchauen. In Paril hatte ich gesehen. daß man
ich der Hypnose unbedenklich all Methode bediente. um bei den Kranken
Sympmme zu schießen und Wieder eufzuhehen. Dann drang die Kunde zu
uns, daß in Nancy eine Schule enmenden war, welehe die Suggestion
mit oder ohne Hypnole im großen Auemhße und mit belonderem Erfolg
zu therapeutischen Zwecken verwenden. Es machte sich an ganz natürlich.
daß in den unten Jahren meiner ärztlichen Tätigkeit, von den mehr
zufälligen und nicht systematischen prychothenpeutiiclien Methoden ab-
geaehen. die hypnat'irche Suggestion mein hangndehhehe: Arbeiumittelwurde.
Damit war zwar der Venicht auf die Behandlung der organimlzen
Nervenkra‘nkheiten gegeben, aber da. verachlug wenig. Denn einerseits gab
die Therapie diem 7nmände überhaupt keine erfreuliche Aussicht und
mdeneitl verschwand in der Stadtpraxix des Privatanles die geringe AnzahlS.
„Sehhmiarstcllung“ „7
der in ihnen Leidenden gegen die Menge von Nervtieen, die rich überdier
dndurch vervielfiiltigien, daß sie nneflöst von einem Arzt zum anderen
liefen. Samt aber war die Arbeit mit der Hypnnre wirklich verführeriech.
Man hatte zum entenmal clar Gefühl seiner Ohnmaeht überwunden. der
Ruf der Wundeniiterr war rehr mhmeichelhafi. Welcher die Mängel der
Verfahrenr waren, rollte ich später entdecken. Vuxläufig konnte ich mich
nur iiber zwei Punkte beklagen, erstem, daß er nicht gelang. alle Kmnken
zu hypnol'idieren; zweitem, daß man er nicht in der Hand halte, den
einzelnen in so tiefe Hypnme Zu verretzen, alt men gewünrcht hätte. In
der Absicht, meine hypnorhche Technik zu vervchcmmnen. reine ich im
Summer ißdg nach Nancy, wo ieh mehrere Wuchen ruhmchte. Ich sah
der. rtihrenden alten Liebuult bei reiner Arbeit an den armen Freuen und
Kindern der Arbeiterbevhlkenmg, wurde Zeuge der entnunlichen Experi-
mente Bernheims an reinen Spitnlrnatienten und hohe mir die närkslen
Eindrücke von der Möglichkeit mächtiger reelircher Vorgänge, die duch
dem Bewußtrein dee Menrchen verhiillt bleiben. Zum Zwecke der Belehrung
hatte ich eine meiner Patientinnen bewegen, nach Nancy nachrukcmmen.
Es war eine var-nehme. genial begabte Hyeter-ika, die mir iiberlnren werden
war, weil man nichts mit ihr anzufangen wußte. Ich hutte ihr durch
hypnnrische Beeinflussung eine menrehenwiirdige Exiitenz ermöglicht und
konnte eie immer wieder am dem Elend ihrer Zustände hnaulheblzn.
Daß rie iedermal nach einiger Zeit rückfa'flig wurde, rchcb ich in meiner
damaligen Unkennnrir darauf, daß ihre Hypnme niemals den Grad vun
Scmnemhulirmur mit Amnesie erreicht hatte. Bernheim verrucbte er nun
mit ihr wiederhelte Male, brachte es aber aueh nicht weiter. Er gertnnd
mir freim g, daß er die grußen therapeutischen Erfolge durch die Sug—
gesünn nur in reiner Spitalsprdxis. nicht auch an reinen Privatnatienten
ereiele. Ich hatte viele anregende Unterhaltungen mit ihm und übernahm
er, reine beiden Werke iiber die Suggestiun und ihre Heilwirkungen ins
Deutsche zu iibeneteen.lm Zeitmum von rtin—rdgi habe ich wenig winenschnftlich gearbeitet
und kaum etwnr publiziert. Ich war davon in Anrgruch genommen, mieh
in den neuen Beruf zu finden und meine materielle Ereirtene mwie die
meiner rasch anwachsentien Burnilie zu richern r89r erschien die erste
der Arbeilen über die Gehimlähmungeu der Kinder, in Gemeinrchaft mit
meinem Freunde und Arrirtenten Dr. 0rknr Ria abgefadt. ln demselhrn
Jahre vemnlafite mich ein Auftrng der Mitarbeitenchaft an einem Hand—
wörterbuch der Medizin, die Lehre vun der Aphuie ru erörtern. die damalrS.
„8 Schriften am den Jahren 1921—1yz6
van den rein lnknlimtorim'hen Gefinhupunkmn Wernicke-Lichtheims
beherncht war, Ein kleine; krifisch»:p=kuhfim Buch „Zur Auffammg der
Aphalie“ wmv die Frucht dieser Bemühung. Ich hm um ihn zu verfnlgm,
wie es kam. daß (lie winenmhnffliche chhmg wieder zum H.upümw
„„ meine. Lebeni wuxd‚e.S.
II
Meine frühere Darstellung ergänzend, muß ich angeben, daß
ich von Anfang an außer der hypnntischen Suggestion eine
andere Verwendung der Hypnose übte‚ Ich bediente mich ihrer
mr Ausforschung des Kranken über die Entstehungsgeschicl’nte
seines Symptoms, die er im Wuchzusmnd nfi gar nicht oder
nur sehr unvollkommen mitteilen konnte. Dies Verfahren schien
nicht nur wirksamer als das bloß suggmtive Gebot oder Ver-
bot, es befriedig‘be auch die Wißbegierde des Arztes, der doch
ein Recht hama, etwas von der Herkunft des Phänomens zu er»
fahren, das er durch die monotone suggestive' Prozedur aufzu«
heben slrebte.Zu diesem anderen Verfahren war ich aber auf folgende Weise
gekommen. Noch im Brückeschen Laboratorium wurde ich mit
Dr. Josef Breuer bekannt, einem der angesehensten Fenfi1ieniinue
Wiens, der aber auch eine wisenschnftliche Vergangenheit hatte,
da mehrere Arbeiten von bleibenden Werne über die Physiologie
der Atmung und über das Gleichgewichtsurgan von ihm henührten.
Er war ein Mann von überragender Intelligenz, vierzehn Jahre
älter als ich; unsere Beziehungen wurden bald intimer, er wurde
mein Freund und Helfer in schwierigen Lebenslagen. Wir hatten
uns daran gewöhnt‚ alle wissenschaflflicben Interessen mireinander
zu teilen Natürlich war ich der gewinnende Teil in diesem Ver-
hälmis. Die Entwicklung der Psychoanalyse hat mich dann seineFund xx. g
S.
150 Schn'ften „in der: Jahrm „z,—1925
Freundschaft gekostet. Es wurde mir nicht leicht, diesen Preis
dafür zu zahlen, aber es war unnusweieblieh.Breuer hatte mir, schon ehe ich nach Paris ging, Mitteilungen
über einen Fall von Hysterie gemacht, den er in den Jahren 1880
bis 1889 auf eine besondere Art behandelg wobei er tiefe Einblicke
in die Verursachung und Bedeutung der hysten'seben Symptome
gewinnen konnte. Das war also zu einer Zeit gesehehen, als die
Arbeiten Janet; noch der Zukunft angehörten. Er las mir wieder-
holt Stücke der Krankengeschichte vor, von denen ich den Eindruck
empfing, hier sei mehr für das Verständnis der Neurose geleistet
werden als je zuvor. Ich beschluß bei mir, Charcot von diesen
Funden Kunde zu geben, wenn ich nach Paris käme, und tat dies
dann auch. Aber der Meister zeigte für meine ersten Andeutungen
kein Interesse, so daß ich nicht mehr auf die Sache zurückkam
und sie auch bei mir fallen ließ.Nach Wien zurückgekehrt, wandte ich mich wieder der Breuer-
schen Beobachtung zu und ließ mir mehr von ihr erzählen. Die
Patientin war ein junges Mädchen von ungewöhnlicher Bildung
und Begabung gewesen, die während der Pflege ihres zärtlich
geliebten Vaters erkrankt war. Als Breuer sie übernahm, hat sie
ein buntes Bild von Lähmungen mit Kontrakturen, Hemmungen
und Zuständen von psychischer Verwnrrenheit. Eine zufällige Be
obechtung ließ den Arzt erkennen, daß sie von einer solchen
Bewußtseinstrübung befreit werden konnte, wenn man sie vee
nnlaßte, in Worten der effektiven Phantasie Ausdruck zu geben,
von der sie eben beherrscht wurde. Breuer gewann eus dieser
Erfahrung eine Methode der Behandlung. Er versetzte sie in tiefe
Hypnose und ließ sie jedesmal von dem erzählen, was im Gemüt
bedruckte. Nachdem die Anfalle von depressiver Verwonenheit auf
diese Weise überwunden waren, verwendete er dasselbe Verfahren
zur Aufhebung ihrer Hemmungen und körperlichen Störungen.
lm wachen Zustande wußte das Mädchen so wenig wie andere
Kranke zu engen, wie ihre Symptome entstanden waren‚ und fandS.
„Seßrtdnrrrraimg“ 151
kein Band zwischen ihnen und irgendwelchen Eindrücken ihres
Lebens. in der Hypnose entdeckte sie sofort den gesuchten zii,
sammenbsng. Es ergab sich, daß elle ihre Sympmme auf eindrucks-
volle Erlebnisse während der Pflege des kranken Vaters zurück—
gingen, also sinnvoll waren, und Resten oder Reminiszenzen dieser
affektiven Situationen entsprnehen. Gewöhnlich war es so zugegan-
gen, daß sie am Krankenbett des Vaters einen Gedenken oder
lmpuls hatte unterdrücken müssen; an dessen Stelle, in seiner
Vertretung, war dann später das Symptom erschienen. In der Regel
war aber des Sympwm nicht der Niederschlag einer einzigen
„Lraumaüschen“ Szene, sondern des Ergebnis der Summetion von
zahlreichen ähnlichen Situationen. Wenn nun die Kranke in der
Hypnose eine solche Situation halluzinamrisch wieder erinnerte
und den damals unterdrückten seelischen Akt nachträglich unter
freier Affektentfaltung zu Ende führte, war das Symptom weg—
gewiseht und trat nicht wieder auf. Durch dies Verfahren gelang
es Breuer in langer und mühevnller Arbeit, seine Kranke vun
all ihren Symptomen zu befreienDie Kranke war genesen und seither gesund geblieben, ja he—
deutsenrer leistungen fähig geworden. Aber über dem Ausgang
der hy'pnotischen Behandlung lestete ein Dunkel, das Breuer mir
niemals anfhellte; auch kannte idi nicht verstehen, warum er
seine, wie mir schien, nnschätzhare Erkenntnis so lange geheim
gehalien hatte, anstatt die Wissenschaft durch sie zu bereichern.
Die nächste Frege aber wer, ob man verellgemeinem dürfe, was
er an einem einzigen Krankheitsfahe gefunden. Die von ihm auf-
gedeckten Verhältnisse erschienen mir so firndarnentaler Natur, daß
ich nicht glauben konnte, sie würden bei irgendeinem Falle von
Hysterie vermißt werden können, wenn sie einmal hei einem
einzigen nachgewiesen waren. Doch konnte nur die Erfahrung
darüber entscheiden Ich begann also die Breuer-schen Unter-
suchungen an meinen Kranken zu wiederhulan und tat, besonders
nachdem mit der Besuch bei Bernheim 1889 die Begrenzungg“
S.
r5a Schriften aus dm Jahr-m 1y23—1326
in der Leistungsi‘a'higkei: der hypnoljschen Suggestiun gezeigt hatte,
überhaupt nichts anderes mehr. Als ich mehrere Jahre hindurch
immer nur Bestätigungen gefunden hatte, bei jedem Fa]le von
Hysterie, der solcher Behandlung zugänglich war, auch bereits
über ein stattliches Material van Beobachtungen verlügie, die der
seinigen analog waren, schlug ich ihm eine gemeinsame Publikation
vor, gegen die er sich anfangs heftig sträubte. Er gah endlich nach,
zumal da unterdes Janets Arbeiten einen Teil seiner Ergebnisse,
die Zurückführung hysterischer Sympbume auf Lebenseindrücke
und deren Aufhebung durch hypnutisehe Repmduklrion in ‚man
„menü verweggenurnnaen hatten. Wir ließen 1893 eine vor»
läufige Mitteilung erscheinen: „Über den psychischen Mechanismus
hysteriseher Phänomene.“ 1895 fulgte unser Buch „Studien über
Hysterie“.Wenn die bisherige Darstellung heim Leser die Erwartung erweckt
hat, die „Studien über Hysterie“ würden in allem Wesentlichen
ihres materiellen 1nhalts Breuers geistiges Eigentum sein, su ist
das genau dasjenige, was ich immer venreten habe und auch diesmal
aussagen wollte. An der Theorie, welehe das Buch versucht habe
ich in heute nicht mehr bestimmbarem Ausmaße mitgearheitet.
Diese ist bescheiden, geht nicht weit über den unmittelbaren Aus-
druck der Beobachtungen hinaus. Sie will nicht die Natur der Hysterie
ergriinclen, sondern hieß die Entstehung ihrer Symptome beleuchten.
Dabei betont sie die Bedeutung des Afl‘ektlebens‚ die Wichtigkeit
der Unterscheidung zwischen unbewußten und bewußten (besser:
bewußtseinsfa'higen) seelischen Akten, führt einen dynamischen Faktor
ein, indem sie das Symptom durch die Aufstauung eines Afl'eh.s
entstehen läßt, und einen ökonomischen, indem sie dasselbe Sym-
pmm als das Ergebnis der Umsetzung einer sonst andersvvie ver—
wendeten Euergiemenge betrachtet (sog. Konversion). Breuer
neunte unser Verfahren das kathartische; als dessen therapeuti-
sche Absicht wurde angegehen, den zur Erhaltung das Symptom
ven_wendeten Afi'ektbetrag, der auf falsche Bahnen geraten und dortS.
„Seüutdarszcllung“ rg‚_1‚
gleichsam eingeklemmt war, auf die normalen Wege zu leiten, wo
er zur Abfuhr gelangen konnte (abreagieren). Der praktische
Erfolg der kathsrtlsehen Prozedur war ausgezeichnet. Die Mängel,
die sich später herausstellten, waren die einer jeden hypnotischen
Behandlung. Noch jetzt gibt es eine Anzahl von Psychotherapeuten,
die bei der Kathursis im Sinne Breuers stehen geblieben sind und
sie zu loben wissen In der Behandlung der Kriegsneurotiker des
deutschen Heeres während des Weltkriegs hat sie sich als abkürzendes
Heilverfahren unter den Händen von E.Simmel von neuem bewährt,
Von der Sexualität ist in der Theorie der Katharsis nicht viel die
Rede. In den Krankengosohiohten, die ich zu den „Studien“ bei
gesteuert spielen Momente aus dem Sexualleben eine gewisse Rolle,
werden aber kaum anders gewertet als sonstige effektive Ewa-gungen.
Von seiner berühmt gewordenen ersten Patientin erzählt Breuer,
das Sexuale sei bei ihr erstaunlich unentwickelt gewesen. Aus den
„Studien über Hysterie“ hätte man nicht leicht ernten können,
welche Bedeutung die Sexualität für die Ätiologie der Neurosen hat,Das nun folgende Stück der Entwicklung, den Übergang von
der Katharsis zur eigentlichen Psychoanalyse, habe ich bereits mehr-
mals so eingehend beschrieben, daß es mir schwer fallen wird, hier
etwas Neues vorzubringen. Das Ereignis, welches diese Zeit eine
leitete, war der Rücktritt Breners von unserer Arbeitsgemeinschaft,
so daß ich sein Erbe allein zu verwalten hatte. Es hatte schon
frühzeitig Meinungsverschiedenheiuen zwischen uns gegeben, die
aber keine Entzweiung begründeten. In der Frage, wann ein seeli-
scher Ablauf pnthogen, d. h. von der normalen Erledigung aus—
geschlossen werde, bevorzugte Breuer eine sozusagen physiologische
Theorie; er meinte, solche Vorgänge entzogen sich dem normalen
Schicksal, die in außergewöhnlichen — hy'pnoiden — Seelenzuständen
entstanden seien, Damit war eine neue Frage, die nach der Herr
kunft solcher Hypnoide, aufgeworfen. Ich hingegen vermutete eher
ein Kräftespiel, die Wirkung von Absichten und Tendenzen, wie
sie im nomalen Leben zu beobachten sind. So stand „Hy-pnoid-S.
i54, Sehnfm. an: dzn. Jahn; 1923—7926
hysterie“ gegen „Abwehrneurose“. Aber dieser und ähnliche Gegen—
sätze hätten ihn wohl der Sache nicht abwendig gemacht, wenn
nicht andere Momente hinzugetretcn wären. Das eine derselben
War gewiß, daß er als Internist und Familienarzt stark in Anspruch
genommen war und nicht wie ich seine ganze Kraft der karharth
sehen Arbeit widmen konnte. Ferner Wurde er durch die Aufnahme
beeinflußt, welche unser Buch in Wien wie im Reiche draußen
gefunden harte Sein Selbstvertrauen und seine \Viderstandsfähigkcit
standen nicht auf der Höhe seiner sonstigen geistigen Organisation.
Als 2. B. die „Studien“ von Strümpell eine harte Ahweisung er-
fuhren, kannLe ich über die ver-ständnislose Kritik lachen, er aber
kränkte sich und wurde entmutig1. Am meisten trug aber zu seinem
Entschluß bei, daß meine eigenen weiteren Arbeiten eine Richtung
einschlugen, mit der er sich vergeblich zu befreunden versuchte.Die Theorie, die wir in den „Studien“ aufzubauen versucht
hatten, war ja nach sehr unvollständig gewesen, insbesondere das
Pruhlern der Änolugie, die Frage, auf welchem Boden der pathcr
gene Vorgang entstehe, hatten wir kaum berührt. Nun zeigte mir
eine rasch sich steigernde Erfahrung, daß nicht beliebige Affekv
erregungen hinter den Erscheinungen der Neurnse wirksam waren,
sondern regelmäßig solche sexueller Natur, entweder aktuelle sexuelle
Konflikte oder Naehvvirkungen früherer sexueller Erlebnisse Ich
war auf dieses Resultat nicht vorbereitet, meine Erwartung harte
keinen Anteil daran, ich war vollkommen arglos an die Unter
suchung der Neurot'lker herangetrreten. Als ich 1914 die „Geschichte
der psyehuanalyu'sehen Bewegung“ schrieb, tauchte in mir die
Erinnerung an einige Aussprüche von Breuer, Charcot und
Chrobak auf, aus denen ich eine solche Erkenntnis hätte früh-
zeitig gewinnen können. Allein ich verstand damals nicht, war
diese Autoritä'oen meinten; sie hatten mit mehr gesagt, als sie
sellasr wußten und zu vertreten bereit waren. Was ich von ihnen
gehört hatte, schlummerte unwirksam in mir, bis es bei Gelegen-
heit der kathmisehen Untersuchungen als anscheinend originelleS.
‚Szßndarsicuung‘ i55
Erkennmis hervorhrach. Auch wußte ich damals nach nicht7 daß
ich mit der Zurückfiihrung der Hysterie auf Sexualität bis auf die
ältesten Zeiten der Medizin zurückgegriffen und an Pluto ange-
knüpft hatte. Ich erfuhr es erst später aus einem Aufsaiz von
Havelock Ellis.Unter dem Einfluß meines überraschenden Fundes machte ich
nun einen fulgenschweren Schritt, Ich ging über die Hysierie hin-
aus und begann, das Sexua]lebeu der sogenanmen Neurastheniker
zu erforschen, die sich zahlreich in meiner Sprechstunde einzu-
finden pflegten Dieses Experiment kostete mich zwar meine Be-
liehtheit als Am, aber es trug mir Überzeugungen ein, die sich
heute, fast dreißig Jahre späuer, noch nicht abgeschwächl. haben. Man
hatte viel Verlugenheit und Geheimtuerei zu überwinden, aber
wenn das gelungen war, fand man‚ daß bei all diesen Kranken
schwere Mißbräuube der Sexualfunkijon bestanden. Bei der großen
Häufigkeit solcher Mißbräucbe einerseits, der Nemasthenie ander-
seiis, hatte ein häufiges Zusammenu-efifen beider natürlich nicht
viel Beweiskraft, aber es blieb auch nicht bei dieser einen groben
Tatsache. Schärfere Beobachtung legte mir nahe, aus dem bunten
Gewirre vun Krankheitsbildern, die man mit dem Namen Neur-
asthenie deckte, zwei grundverschiedei'ie Typen herauszugreifen,
die in beliebiger Vermengun.g vorkommen kommen, aber doch in
reiner Ausprägung zu beobachten waren. Bei dem einen Typus
war der Angstanfall das zentrale Phänomen mit seinen Äquivalenten,
rudimenbäreri Formen und chronischen Ersausymymmen; ieh hieß
ihn darum auch Angstrieurose. Auf den anderen Typus be
snhriiukte ich die Bezeichnung Neurastheuie Nun war es leicht
festzustellen, daß jedem dieser Typen eine andere Ahnmmin'ii des
Sexuallebens als ätiologisches Moment entsprach (Coitue intermptus‚
Erusinne Erregung, sexuelle Enthaltung hier, exzeseive Mastu1»
bation, gehäufi‚e Pollutiorien den). Für einige besonders insmxktjve
Fälle, in denen eine überraschende Wendung des Krankheitsbildes
von dem einen Typus zum anderen stattgefunden hehe, gelangS.
’l(;‘
156 Schnftzn am den Jahrzn 1y23—1926
es auch, nachzuweisen, daß ein ensprechender Wechsel des sexuellen
Regimes zugrunde lag. Konnte man den Mißbrauch abstellen und
durch nnrmale Sexualtiitigkeit ersetzen, su lehnte sich dies durch
eine nuffn'llige Besserung des Zustandes,So wurde ich dazu geführt, die Neuresen ganz allgemein als
Störungen der Sexunlfunkrion zu erkennen, und zwar die sage»
nannten Aktualneurusen als direkten toxischen Ausdruck, die Psychn»
neurosen nis psychischen Ausdruck dieser Störungen. Mein ärzt-
liches Gewissen fühlte sich durch diese Aufstellung befriedigL Ich
hoffte, eine Lücke in der Medizin ausgefüllt zu haben7 die bei
einer biologisch so wichtigen Funktion keine anderen Schädigungen
als durch Infektion oder grobe anatomische Läsion in Betracht
ziehen wollte. Außerdem ken. der ärztlichen Auffassung zugute,
daß die Sexualität in keine bloß psychische Sache war. Sie hatte
auch ihre semantische Seite, man durfte ihr einen besonderen Che—
mismus zuschreiben und die Sexunlerregung von der Anwesenheit
bestimmter, wenn auch noch unbekme Stoffe ableiten. Es mußte
auch seinen guten Grund haben, daß die echten, spontanen Neu»
rosen mit keiner anderen Krankheitsgruppe so viel Ähnlichkeit
zeigen wie mit den Intmcikat'ions— und Abstinenzerscheinungen,
hervorgerufen durch die Einführung und die Enthehrung gewisser
toxisch wirkender Stoffe oder mit dem M. Basedowii, dessen Ab—
hängigkeit vom Produkt der Schilddrüse bekannt ist.Ich habe später keine Gelegenheit mehr gehabt, auf die Unter-
suchungen über die Aktunlneuresen zurückzukommen Auch vor]
anderen ist dieses Stück meiner Arbeit nicht fortgesem. werden.
Blicke ich heute auf meine damaligen Ergebnisse zurück, so kann
ich sie als ersteY rohe Schematisierungen erkennen an einem wahr-
scheinlich weit komplizierteren Sachverhalt. Aber sie scheinen mir
im ganzen heute noch richtig zu sein. Gern hätte ich später noch
Fälle von reiner juveniler Nenrssthenie dem psychonne1ytischen
Examen unterzogen; es hat sich leider nicht gefligt. Um nrißven
ständlichen Auffassungen zu begegnen, will ich betonen, daß esS.
. „s.m„nam° ? \ '« 157
mir fiarne liegt, die Existenz dm psychischen Knufl.ikls untl der
neurou'schen Kamplaxe bei der Nenranhenie zu laugnem Din Be-
haupmng geht nur dahin, dnß die Sympwme dieser Kranken nicht
psychisch determinien und analytisch auflusbur sind, sondern als
direkte toxische Folgen des genauen Sexualchemismns nufgeinßt
werden müssen.Als ich in den nächsten Jahren nach den „Studien“ diese An-
sichten über die itiologische Rolle der Sexualität bei den Navman
gewonnen hatte, hielt ich über sie einige Vorträge in ärztlichen
Vereinen, fand aber nur Unglauben und Widerspruch. Breuer ver-
suchte nach einige Mule, das große Gewicht seinen persönlichen
Ansehens zu meinen Gunsten in die Wagscllale zu werfen, aber
er erreichte nichts, und eg war leicht zu sehen, daß die Aner-
kennung der sexuellen Äfiologie auch gegen seine Neigungen ging.
Er hätte mid: durch den Hinweis auf seine eigene erste Patientin
schlagen oder irre machen können, bei der sexuelle Momente iin-
geblich gar keine Rolle gespielt hatten. FI an es aber nie; ich
verstand es lange nicht‚ hi; ich gelernt imma, mir diesen Fall
richtig zu deuten und nach einigen friiheren Beinahmgen von
ihm den Ausgang seiner Behandlung an minusmnenen Nachdem
die kathartische Arbeit erledigt schien, hatte sich bei dem Mädchen
plöv1.lich ein 'bmnnd von „Übemgungsliebe“ eingstalli‚ den er
nicht mehr mit ihrem Kranhein in Bedehung brachte, so daß er
sich bestürn von ihr zurückmg. Es war ihmofleubarpeinlich,mi
dieses anscheinende Mißgeschick erinnert zu wa-de1n Im Benehmen
gegen mich schwankbe er eine Weile zwischen Anerkennung und
herbst Krin'k, dmn treten ann‘lligkeilen hinzu, wie nie in ge-
spenmen Situationen niemals ausbleilmn, und wir trennten um
voneinander.Nun hatte meine Beschfifiigung mit den Formen allgemeiner
Nervosität die weitere Folge, daß ich die Tedmil: der Kerlhnrsis
abändene. Ich gab die Hypnose auf und suchte sie dumh eine
andere Methode zu ersetzen, weil ich die Einschränkimg der Be-S.
155 Schriften nur den Jahrm 1523—1926
handlung auf hysteriforme Zustände überwinden wollte. Auch
hatten sich mir mit zunehmender Erfahrung zwei schwere Bee
denken gegen die Anwendung der Hypnose selbst im Dienste der
Knthersis ergeben. Das erste war, daß selbst die schönsten Resultate
plötzlich wie weggewischt waren, wenn sich das persönliche Ver-
hältnis zum Patienten gen-übt hatte. Sie stellten sich zwar wieder
her, wenn man den Weg zur Versöhnung fand, aber man wurde
belehrt„ daß die persönliche affektive Beziehung doch mächtiger
war als alle katharu'sche Arbeit, und gerade dieses Moment entzog
sich der Beherrschung. Sodann machte ich eines Tages eine Er-
fahrung, die mir in grellem Lichte zeigte, was ich längst vermutet
hatte. Als ich einmal eine meiner gefügigsten Patientinnen, bei
der die Hypnose die merkwürdigsben Kunststücke ermöglicht hatte,
durch die Zurückfühnmg ihres Schmerzanfalls auf seine Vera}
lasslmg von ihrem Leiden befreite, schlug sie beim Erwachen ihre
Arme um meinen Halsi Der unverrnutete Eintritt einer dienenden
Person enthob uns einer peinlichen Auseinundersetzung, aber wir
verzichteten von da an in stillschweigender Übereinkunft auf die
Fortsetzung der hypnutischen Behandlung. Ich war nüchtern genug,
diesen Zufall nicht auf die Rechnung meiner persönlichen Unwider
stehlichkeit zu setzen und meinte, jetzt die Natur des mystischen
Elements, welches hinter der Hypnose wirkte, erfaßt zu haben
Um es auszuschalten oder wenigstens zu isolieren, mußte ich die
Hypnose aufgeben.Die Hypnose hatte aber der kathax'tischen Behandlung außer-
ordentliche Dienste geleistet, indem sie das Bewußtseinsfeld der
Patienten erweiterte und ihnen ein Wissen zur Verfügung stellte,
über das sie im Wachen nicht verfügten, Es schien nicht leicht,
sie darin zu ersetzen. In dieser Verlogenheit kam mir die. Erinne—
rung an ein Experiment zu Hilfe, das ich oft bei Bernheim rnit
angesehen hatte Wenn die Versuchspersnn aus dem Somnambulis
mus erwachte, schien sie jede Erinnenmg an die Vorfälle während
dieses Zustands verloren zu haben, Aber Bernheim behauptete,S.
sie wisse es doch, und wenn er sie auffordefla, sich zu erinnern,
wennerbewwrle‚ siewisse alles, sie solle Esdnß‘lnursagen,
und ihr dabei noch die Hand auf die Sch-ne legte, so kamen die
vergessenen Erinnerungen wirklich wieder, zuerst nur mgernd, und
dann im Stroms und in voller Klarheit. Ich beschloß, es ebenen
zu machen. Meine Patienten mußten ja auch 111 das „wissen“,
was ihnen sonst mit die Hypnose zugänglich machte, und mein
Versichern und Antreiben, etwa unterstützt durch Handuuflegen,
snllte die Macht haben, die vergessenen Tatsachen und Zusammen-
hänge ins Bewußtsein zu drängen. Das schien freilich mühseh'ger
zu sein als die Versetzung in die Hypnose, aber es war vielleicht
sehr lehrreich. Ich gab also die Hypnose auf und behielt von ihr
nur die Lagerung des Peeimten Auf einem Buhebett bei, hinter
dem ich saß, so daß ich ihn sub, aber nicht selbst gmehen wurde.S.
111
Meine Erwartung erfüllte sich, ich wurde von der Hypnose frei,
aber mit dem Wechsel der Technik änderte auch die kathart'ische
Arbeit ihr Gesicht. Die Hypnose hatte ein Kräftespiel verdeckt,
welches sich nun enthüllte, diesen Erfassung der Theorie eine
sichere Begründung gab.Woher kann es nur, daß die Kranken so viel Tatsachen des
äußeren und inneren Eriehens vergessen hatten, und diese doch
erinnern konnten, wenn man die beschriebene Technik auf sie
anwendete? Auf diese Fragen erteilte die Beobachtung erschöpfende
Antwort. All das Vergessene war irgendwie peinlich gewesen, enn
weder schmackhaft oder schmerzlich oder heschämend fiir die An-
sprüche der Persönlichkeit. Es drängte sich von selbst der Ge»
danke auf: gerade darum sei es vergessen werden, d, h. nicht
bewußt geblieben. Um es doch wieder bewußt zu machen, mußte
man etwas in dem Kranken überwinden, was sich sträubte, mußte
man eigene Anstrengung aufwendcn, um ihn zu diängen und
zu nötigen. Die vom Arzt erforderte Anstrengung war verschieden
groß für verschiedene Fälle, sie wuchs im geraden Verhältnis
zur Schwere des zu Erinnernden, Der Kraftaufvvand des Arztes
war ufferihar das Maß für einen Widerstand des KrankmL
Man brauchte jetzt nur in Worte zu übersetzen, was man selbst
verspürt hatte, und man war im Besitz der Theorie der Ver
drängung.S.
„Sclbmiarrbflung“ ‘ “ ’ 141
Der pathogene Vorgang ließ sich iem*leidn rekonstruieren. Um
beim einfachsten Beispiel zu bleiben, es war‘ im Sealanleben eine
einzelne Suebung aufgetreten, der aber mich!.ige andere wider»
mehren. Der nun enistehende seelische Konflikt teilte nach unserer
Erwartung so verlaufen, daß die beiden dynamischen Größen *
heißen wir sie fiir unsere Zwecke: Trieb und Widerstand — eine
Weile unter stärkste)“ Anteilnahme des Bewußtseins mineinnnder
rungen, bis der Trieb abgewiesen, seiner Strebung die Energie-
besetzung entzogen war. Das wäre die normale Erledigung. Bei
der Neutose hama aber — aus noch unbekannten Gründen — der
Konflikt einen anderen Ausgang gefunden. Das Ich hatte n'ch se—
zusngen beim ersten Zusammensmß von der anstößigen Triebregung
zurückgezogen, ihr den Zugang zum Bewußtsein und zur direkten
motorischen Abfuhr versperrr, dabei hatte sie aber ihre volle Energie-
beseizung behallen. Diesen Vorgang nannte ich Verdrängung; er
war eine Neuheit, nichts ihm Ähnliches war je im Seelenlehen
erkannt werden. Er war ofl'enhar ein primärer Abwehrmechanis—
mus, einem Fluchtveisuch vergleichbar, erst ein Vorläufer der
späteren normalen Uneilserledigrmg. An den ersten Akt der Ver-
drängung knüpfieu weitere Folgen an. Erstens mußte sich das Ich
gegen den immer bereiten Andrang der verdrängten Regung durch
einen permanenten Aufwand, eine Gegenbesetzung, schützen
und verarmte dabei, anderseie konnte sich das Verdi-Engine, das nun
unbewußt war, Abfuhr und Ersavzbefliedigung auf Umwegen
schaffen und solcherart die Abwicht der Verdrängung zum Scheitern
bringen. Bei der Konversionshysterie führte dieeer Umweg in Afie
Körper-innervaiion, die verdrängte Regung brach an irgendeiner
Stelle durch und schuf sich die Symptome, die als: Kumprumiß-
ergebnisse waren, zwar Ersetzbefr'iedigungen, aber doch entstellt
und von ihrem Ziele nhgelenkt durch den Widerstand des ‘Ichs.Die Lehre von der Verdrängung wurde zum Grundpfeiler des
Verständnisses der Neurosen. Die therapeutische Aufgabe mußte
nun anders gefaßt werden, ihr Ziel war nicht mehr das „Ahren-S.
149 Sehr! „. am den Jahren 1921—1926
gieren“ des auf falsche Bahnen geratenen Ai}ekrs, sondern die
Aufdeekung der Verdrängungen und deren Ablösung durch Urreile
leistungen, die in Annahme oder Verwerfung des damals Abge-
wiesenen ausgehen knunLen. Ich Lrug der neuen Sachlage Rech-
nung, indem ich das Verfahren zur Untersuchung und Heilung
nicht mehr Katharsis, anndern Psychoanalyse benannte.Man kann von der Verdrängung wie von einem Zenrrurn auagehen und
alle Stücke der psychuanalytiicheu Lehre mit i_hr in Verbindung bringen.
Vorher will ich aber nach eine Bemerkung palernischen Inhalts machen.
Nach der Meinung Janet; war rlie Hyilerika eine arme Person. rlie infolge
einer knnm'mtiunellen Schwäche ihre seelischen Ahe nicht zulammenhalten
kunnte. Darum verfiel rie der reelirehen Spalrung und dee- Einengung dee
Bewußtseini. Nach den Ergebniraen der puychoanulyt'lschen Untersuchungen
waren diene Phänomene aber Erfolg dynamixcher Faktoren. des seelischen
Konflikts und der vollzogenen Verdrängung. Ich meine, dierer Unienchied
in weitmigend genug und sollte dem immer wiederholten Gerede ein Ende
machen, was an der Pkyehoanulyie wertqu sei, dchränke sich Auf eine
Entlehnung Inneucher Gedanken ein. Meine Darstellung muß dem Leser
gezeigt haben. daß die Psychoanalyse von den Janetichen Funden in hinari-
scher Hinsicht völlig unabhängig in1 wie lie auch inhaltlich von ihnen
ahweir.ht und Weit über sie hinausgreift. Niemali wären auch von den
Arbeiten lanerr die Folgerungen amgegangen, welche die Pryehnnnnlyae
so wichiig fiir die Geislerwiesenanhnfien gemacht und ihr fllu nllgerneenere
Interesue zugewendet haben. June! iellru hehe ich immer nu};eluvnll be-
handelt, weil ieine Entdeckungen ein ganzen Stück weit rnit Amen Breuer;
zueamrnenlralen, die [rüber gemehi und rp'arer veriitfcndicht worden waren.
Aber ala die Prychoanalyae Gegennand der Diskussiun auch in Frankreich
wurde, har Inner sich wlflecln bennrnmen‚ geringe Suchkenntnii gezeigt
und unaehöne Argument! gebraucht. Endlich hat er rich in meinen Augen
blußgertellr und rein Werk selbst entwenet, indem er verkündere, wenn
er von „unhewuiiien“ seelimhen Akflen gesprnchene so habe er nicht: dnmir
gemeine es sei bloß „une Mniére de pay-kr“ geweren.Die Psychoanalyse wurde aber durch das Studium der pathogenen
Verdrängungen und anderer noch zu erwähnender Phänomene
gezwungen, den Begriff des „Unbewußten“ ernst zu nehmen. Für
sie war alles Peych'nehe zunächst unbewußt, die Bewußi.seinsqualitätS.
„Szßmiarmalbmg“ „5
Ronnie dann dazukommen oder auch weghleihen. Dabei stieß man
freilich mit dem Widerspruch der Philosophen zusammen, für die
„bewußt“ und „psychisch“ identisch war, und die bewuex‘len, sie
könnten sich so ein Unding wie das „unbewußte Seelische“ nicht
vorstellen. Es half aber nichts, man mußte sich achselzuckeml über
diese Idiosy-nkrasie der Philosophen hinausseizen Die Erfahrungen
am pathologischen Material, das die Philnmphen nicht kannten,
über die Häufigkeit und Mächtigkeit solcher Regungen, von denen
man nichts wußte und die man wie irgendeine Tatsache der
Außenwelt erschließen mußte, ließen keine Wahl. Man konnte
dann gehend machen, daß man nur am eigenen Seelen1ehen tet,
was man immer schon für das anderer getan hatte. Man schrieb
doch auch der anderen Person psychische Akte zu, ehwehl man
kein unmittelbares Bewußisein von diesen hatte und sie aus Äuß&
rungen und Handlungen ernten mußte. Was aber beim anderen
recht ist, das muß auch für die eigene Person billig sein. Will
man dies Argument weiter treiben und daraus ableiten, daß die
eigenen verborgenen Akte eben einem zweiten Bewußtsein angehören,
so sieht man vor der Konzeption eines Bewußtseins, von dem man
nichis weiß, eines unhewußten Bewußtseins, Was doch kaum ein
Vorteil gegen die Annahme eines unhewuiiten Psychischen ist.
Sagt man aber mit anderen Philosophen, man würdige die patho-
lngischen Vorkommnisse, nur sollten die diesen zugrunde liegenden
Akte nicht psychisch, sondern psychoid geheißen werden, so läuft
die Difl'erenz auf einen unfruchtbaren Wunsu-eit hinaus, in dem
man sich doch am zweckmäßigsten für die Beibehaltung des Aus-
drucks „unhewußt psychisch“ eancheidet Die Frege, was dies
Unbewußte an sich sei, ist denn nicht klüger und aussiehmreicher
als die andere, huhere, was das Bewußte sei.Schwieriger wäre es, in kurzem darzustellen, wie die Psychce
analyse dazu gekommen ist, das von ihr anerkannie Unbewußte
noch zu gliedern, es in ein Vorbewußtes und in ein eigentlich
Unhewußtes zu zerlegen. Es mag die Bemerkung genügen, deliS.
l44 Schnflzn aus den Jahren 1923«1y26
es legit:im erschien, die Theorien, welche direkter Ausdruck der
Erfahrung sind, durch Hypothesen zu ergänzen, welche zur Be
wältigung des Stuffes zweckdienlich sind und sich auf Verhältnisse
beziehen, die nicht Gegenstand unmittelbarer Beobachtung werden
können. Man pflegt auch in älteren Wissenschaften nicht. anders
zu verfahren. Die Gliederung des Unbewußten hängt mit dem
Versuch zusammen, sich den seelischen Apparat aus einer Anzahl
von Instanzen oder Systemen aufgebaut. zu denken, von deren
Beziehung zueinander man in räumlicher Ausdrucksweise spricht,
wobei aber ein Anschluß an die reale Himanammie nicht. gesucht
wird. (Der sngenannte tupische Gesichtspunkt.) Solche und ähnliche
Vorstellungen gehören zu einem spekulativen Uherbau der Psycho-
analyse, van dem jedes Stück ohne Schaden und Bedauern geopfert
oder ausgetauscht werden kann, sobald eine Unzulänglichkeit er-
wiesen ist, Es bleibt genug zu berichten übrig, was der Beobachtung
näher steht,Ich habe schon erwähnt., daß die Forschung nach den Veran-
lassungen und Begründungen der Neurow mit immer steigender
Häufigkeit auf Konflikte zwischen den sexuellen Regungen der
Person und den Widerständen gegen die Sexualität führte. Bei der
Suche nneh den pathogenen Situationen, in denen die Verdrängungen
der Sexualität eingetreten waren, und aus denen die Symptome als
Ersetzbildungen des Verdrängt.en stammten, wurde man in immer
frühere Lebenszeiten des Kranken zurückgeleitet und langt.e endlich
in dessen ersten Kindheitsjallren an. Es ergab sich, was Dichter
und Menschenkenner immer behauptet hatten, daß die Eindrücke
dieser frühen Lebensperiode, obwohl sie meist der Amnesie verfallen,
unvenilgbare Spuren in der Entwicklung des Individuums zurück-
lassen, insbesondere daß sie die Disposition fiir spätere neurotische
Erkrankungen festlegen. Da es sich aber in diesen Kindererlebnissen
immer um sexuelle Erregungen und um Reaktion gegen dieselben
handelte, stand man vor der Tatsache der infantilen Sexualität,
die wiederum eine Neuheit und einen Widerspruch gegen eine:S.
S.
S.
,.Seßvvdenudiung“
der su'irksten Vorurteile der Menschen bedeuten. Die Kindheit sollte
ja „unschuldig“ sein, frei von geechlechtlinhen Gellln.en‚ und der
Kampf mit dem Dämon „Sinnlichkeit“ erst mit dem Sturm und
Drang der Pubertät einsetzen. Was nun vun sexuellen Befitigungen
gelegentlich an Kindern heine wahrnehmen müsen, fußte man als
Zeichen von Degeneralion, voneifiger Verderhtheit oder als kun-im .
Laune der Nann- auf. Wenige der Ermittlungen der Psychnmelyre
haben eine so allgemeine Ablehnung gefunden, einen solchen Aus-
bruch von Entristung hervorgerufen wie die Behmptung, daß die
Semmlfiinktienvanfmg des leben; an beginne und schon in
der Kindheit. sich in wichtigen Erscheinungen äußere. Und dndr
ist kein anderer analytischer Fund so leicht und so vnllslindig zu
erweisen.Ehe ich weiler in die Würdigung der infnnu'len Sexualität ein-
gehe, muß ich eines Irrvums gedenken, dem ich eine Weile ver-
fallen war untl der bald fiir meine ganze Arbeit verhflngnismll
geworden wäre. Unter den Bringen meines dumeligen wchnischen
Verfahrens reprodun'erten die meisten meiner Patienten Seenen uns
ihrerKindheigderenlnhnltdiemelleVerfllhrungdurcheinen
Erwachsenen war. Bei den weihliehen Personen war die Rolle des
Verführers fast immer dem VIVAI zugeteilt.. Ich eehenhe dienen Mit>
teilungen Glauben und nahm eine an, ließ ich in diesen Erleb-
nissen sexuellerVerfflhrung in der Kindheit die Quellen der spiueren
Neurose aufgefunden hmm. Einige Pille, in denen rich solcheBe—
ziehungen zum Vater, Oheiln oder Klteren Bruder hie in die Jahre
sicherer Erinnerung fortgesetzt hmm, benirhen mich in meinem
Zmrauen. Wenn jemand über meine Leichtgläubigkeit miBn-auisch
den Kopf schütteln wollte, so kann ieh ihm nicht gun: unrechz
gehen, will aber Vorbringen, daß es die Zeit war, Wo ich meiner
Kritik absichtlich Zwang must, um \mparheiiach und Aufnahme-_fa‘hig für die vielen Neuheiten zu bleiben, die mir täglich eno-
gegentraten. Als ich denn doch erkennen mußte, diese lfm-führung—
szenen seien niemals vurgefiullen, seien nur Phermsien, die meinerung im ..
S.
146 Schriften aus den Jahren ua)—1ng
Patienmn erdichtet, die ich ihnen vielleicht selbst anfgediängt hatte,
war ich eine Zeitlang ratlos. Mein Vertrauen in meine Technik
wie in ihre Ergebnisse erlitt einen harten Stoß; ich hatte doch
diese Szenen auf einem wchnischen Wege, den ich für korrekt
hielt, gewonnen und ihr Inhalt smnd in unverkennbarer Beziehung
zu den Sympwmen, von denen meine Untersuchung ausgegangen
war. Als ich mich gefaßt hatte, zog ich aus meiner Erfahrung die
richtigen Schlüsse, daß die neurotischen Symptome nicht direkt an
wirkliche Erlebnisse auknüpflen, sondern an Wunsdxphanmsien, und
daß für die Neurose die psychische Realität mehr bedeute als die
materielle. Ich glaube auch heute nicht, daß ich meinen Patienten
jene Verführungsphanmm'en aufgedrängt, „suggerien“ habe. Ich war
da zum erstenmal mit dem Ödipus-Komplex zusammengetmffen,
der späterhin eine so überragende Bedeutung gewinnen sollte, den
ich aber in solch phantastischer Verkleidung nach nicht erkannte.
Auch blieb der Verführung im Kindesalter ihr Anteil an der Ätiologie,
wenngleich in bescheidenerem Ausmaß, gewahrt, Die Verfiihrer Waren
aber zumeist ältere Kinder gewesen,Mein 1mum war also der nämliche gewesen, wie wenn jemand
die Sagengeschichte der römischen Königszeit nach der Erzählung
des Livius fur hiswrische Wahrheit nehmen würde, anstatt für
das, was sie ist, eine Beahionshildung gegen die Erinnerung arm-
seliger, wahrscheinlich nicht immer rflhmlicher Zeiten und Ver-
hältnisse. Nach der Aufliellung des Irrtums war der Weg zum
Studium des infuntilen Sexuallebens frei. Man kam da in die Lage,
die Psychoanalyse auf ein anderes Wissensgebiet anzuwenden, aus
ihren Daten ein bisher unbekanntes Stück des biologischen Ge-
schehens zu ernten,Die Sexunlfunktion war von Anfang an vorhanden, lehnte sich
zunächst an die anderen lebenswichtigen Funktionen an und machte
sich dann von ihnen unabhängig; sie halle eine lange und kam-
pliziene Entwicklung durchzumachen‚ bis aus ihr das wurde, was
als das normale Sexualieben des Erwachsenen bekannt war. SieS.
„Selbstdarstellung“ „„
äußerte sich zuerst als Tätigkeit einer ganzen Reihe von Trieb-
komponenten, welche von erogenen Körper-Amen abhängig
waren, zum Teil in Gegensatzpaaren auftreten (Sedismus — Maso-
chismus, Schautr‘leb — Exhibitionslust), unabhängig voneinander auf
Lustgewinn ausgingen und ihr Objekt zumeist am eigenen Körper
fanden. Sie wer also zuerst nicht zentriert und vorwiegend auto-
erotisch. Später traten Zusammenfassungen in ihr auf; eine erste
Organisationstuie stand unter der Vorherrschaft der oralen Kom-
ponenten, denn folgte eine sadistisch-anale Phase und em die
spät erreichte dritte Phase brachte den Primat der Genitalien,
womit die Sexualfunktion in den Dienst der Fortpflanzung trat.
Während dieser Entwicklung wurden manche Triebanteilo als für
diesen Endzweck unbrauchbar beiseite gelassen oder anderen Ver-
wendungen zugeführt7 andere von ihren Zielen abgelenkl: und. in
die geniale Organisation übergeleitet. Ich nannte die Energie der
Sexualtn'ebe — und nur diese — Libido. Ich mußte nun an-
nehmen, daß die Libido die beschriebene Entwicklung nicht immer
tadellos durchmacht. Infolge der Überstärke einzelner Komponenten
oder frühzeitiger Befriedigungserlebnisse kommt es zu Fixierungen
der Libido an gewissen Stellen des Entwicklungsweges. Zu diesen
Stellen strebt dann die Libido im Falle einer späteren Verdrängung
zurück (Regression) und von ihnen aus wird auch der Durch-
bruch zum Symptom erfolgen. Eine spätere Einsicht fügte hinzu,
daß die I.nkalisetion der leierungsstelle auch entscheidend ist für
die Neurosenwt-ihl, für die Form, in der die spätere Erkrankung
auftritt.Neben der Organisxm'on der Libido geht der Prozeß der Objekt»
findung einher, dem eine große Rolle im Seelenlehen vorbehalten
ist. Das erste Liebesobjekt nach dem Stadium des Autoerotismus
wird für beide Geschlechter die Mutter, deren nährendes Organ wahr-
scheinlich anfänglich vom eigenen Körper nicht unterschieden wurde.
Später, aber noch in den ersten Kinderjahren. stellt sich die Relation
dee Ödipus—Komplexü her, in welcher der Knabe seine sexuellenxo"
S.
„8 Schriften am den Jahren „:)—1sz
Wünsche auf die Person der Mutter konzentriert und ieindselige
Regungen gegen den Vater als Rivalen entwickelt. In ana1oger
Weise stellt sich das kleine Mädchen ein, alle Variationen und Ab-
folgen des Ödipus»Komplexä werden bedeutnngsvoll, die angeborene
hisexuelle Konsm'tution macht sich geltend und vermehrt die An
zahl der gleichzeitig vorhandenen Screhungen. Es dauert eine ganze
Weile, bis das Kind über die Unterschiede der Geschlechter Klarheit
gewinnt; in dieser Zeit der Sexualfnrsehung schafft es sich typische
Sexualtheorien, die, abhängig von der Unvollkommenheit der
eigenen körperlichen Organisation, Richtiges und Falsches vermengen
und die Probleme des Gewhlechülehens (das Rätsel der Sphinx:
woher die Kinder kommen) nicht lösen können. Die erste Objekt
wahl des Kindes ist. also eine inzestuöse. Die ganze hier be
schriebene Entvvieklung wird rasch durchlaufen. Der merkwürdigste
Charakter des menschlichen Sexuallelzens ist sein zweizeitiger Anv
satz rnit dazwischenliegender Pause, Im vierten und fünften Lebens-
jahr erreicht es einen ersten Höhepunkt, dann aber vergeht diese Früh
hlßte der Sexualität, die bisher lebhaften Strehungen verfallen der
Verdrängung und es tritt die bis zur Puheru'it dauernde Latenz—
zeit ein, während welcher die Reaktionsbildungen der Moral, der
Scham, des Ekels aufgerichtet werden, Die Zweizeitigkeit der SexuaL
entwicklung scheint von allen Lebewesen allein dem Menschen zue
zukommen, sie ist vielleicht die biologische Bedingung seiner Dis-
position zur Neurose. Mit der Pubertät werden die Strebungen und
0hjekt'besetzungen der Frühzeit wieder belebt, auch die Gefühls-
hindungen des Öd.ipusKomplexes. Im Sexualleben der Pubertät
ringen miteinander die Anregungen der Frühzeit und die Hem—
mungen der Latenzperiode Noch auf der Höhe der infantileu
Sexualemwicklnng hatte sich eine Art von genitaler Organisation
hergestellt, in der aber nur das männliche Genitale eine Rolle
spielte, das weibliche unentdeekt geblieben war (der sogenannte
phallische Primat). Der Gegensatz der Geschlechber hieß damals
noch nicht männlich oder weiblich, sondern: im Besitze einesS.
„Seibfldarxtellung“ 149
Penis oder kastriert. Der hier anschließende Kustrationekom-
plex wird überaus bedeutsam für die Bildung von Charakmr und
NeuroseIn dieser verkürzten Darstellung meiner Befunde über das mensch—-
liche Sexualieben hahe ich dem Verständnis zuhebe vielfach zu?
sammengetragen, was zu verschiedenen Zeiten entstand und als
Ergänzung oder Berichtigung in die aufeinanderfolgenclen Auflagen
meiner „Drei Abhandlungen zur Sexualtllßfll'ie“ Aufnahme fand.
Ich hoffe, es läßt sich aus ihr leicht entnehmen, worin die oft betonte
und heanstandete Erweiterung da Begr‘lfiee Sexualität besteht Diese
Erweiterung ist eine zweifache. Erstens wird die Sexualität aus
ihren allzu engen Buiehungen zu den Genitalien gelöst und als
eine umfassendere, nach Lust strebende Kür-perfunktion hingestellt,
welche erst sekundär in den Dienst der Fortpflanzung tritt; zweitens
werden zu den sexuellen Regungen alle die bloß zärtlichen und
freundschaftlichen gerechnet, für welche unser Sprachgebrauch das
vleldeutige Wort „Liebe“ verwendet. Allein ich meine, diese Er-
weiterungen sind nicht Neuerungen, sondern Wiederherstellungen,
sie bedeuten die, Aufhebung von unzweckmäliigen Einengungen
des Begrifies, zu denen wir uns haben bewegen lassen. Die Dus-
lösung der Sexualität von den Genitalien hat den Vorteil, daß sie
uns gestattet, die Sexualhetätiglmg der Kinder und der Perversen
unter dieselben Gesichtspunkte zu bringen wie die der normalen
Erwachsenen, während die erstere bisher völlig vernachlässigt, die
andere zwar mit moralischer Entrüstung, aber ohne Verständnis
aufgenommen wurde. Der psychoanalydschen Au£fassung erklären
sich auch die absonderlinhsten und ubswßendsven Perversionen als
Äußerung von sexuellen Partiahrieben‚ die sich dem Genimlprimat
entzogen haben und wie in den Uneiten der Libidoentwicklnug
selbständig dem Lusterwerb nachgehen. Die wichtigste dieser Per-
Versionen, dje Homosexualität‚ verdient kaum diesen Namen Sie
führt sich auf die konstitutionelle Bisexualität und auf die Nach—
wirkung des phallischen Primus zurück; durch Psychoanalyse kannS.
150 Srhrifien alu dal Jahrzn 1y23A1y26
man bei jedermann ein Stück humosexueller 0hjektwahl nachweisen,
Wenn man die Kinder „pulymorph pervers" genannt hat, so war
das nur eine Beschreibung in allgemein gebräuchlichen Aiudrücken;
eine mera].ische Wertung sullte damit nicht flißgäproc'hen werden.
Solche Wertuneile liegen der Psychoanalyse überhaupt fern.Die andere der angeblichen Erweiterungen rechtfertigt sich durch
den Hinweis auf die psychoanalyfische Untersuchung, welche zeigt,
daß an diese zärtlichen Gefühlsregungen ursprünglich vn]]sexuelle
Strebungen waren, die dann „zielgeliemmt“ oder „sublimiert“ werden
sind. Auf dieser Beeinflußbarkeit und Ahlenkharkeit der Sexual-
triebe beruht auch ihre Verwendbarkeit fur mannigfache kulturelle
Leistungen, zu denen sie die bedeutsflmsten Beiträge stellen.Die überraschenden Ermittlungen über die Sexualität des Kindes
wurden zunächst durch die Analyse Erwachsener gewonnen, konnten
aber später, etwa von ign8 an, durch direkte Beobachtungen an
Kindern bis in alle Einzelheiten und in beliebigem Ausmaße bestätigt
werden. Es ist wirklich so leicht, sich von den regulären sexuellen
Betätigungen der Kinder zu überzeugen, daß man sich verwundert
fragen muß, wie es die Menschen zustande gebracht haben, diese
Tatsachen zu übersehen und die Wunscblegende von der asexuellen
Kindheit mlange aufrecht zu halten, Dies muß mit der Amnesie der
meisten Erwachsenen für ihre eigene Kindheit zusammenhängen.S.
IV
Die Lehren vom Widerstand und wm der Verdrängung, vum Un-
bewußten, von der ütiologischen Bedeutung des Sexuellebens und
der Wichtigkeit der Kindheitserlebnise sind die Hanptbesmndteiie
des psychoenelyüschen Lehrgebiudes. Ich bedeuere, daß ich hier
nur die einzelnen Stünke beinhreiben konnte und nicht auch, wie
sie sich zusammensetzen und ineinander greifen. Es ist jelzt an der
hit, sich zu den Veränderungen zu wenden, die sich ullmählich
an der Technik des enalyu'schen Verfahrens vollzogenDie zuerst geübte Überwindung des Widerstandes durch Drängen
und Versichern war unentbehrlich gewesen, um dem Am: die ersten
Orientierungen in dem, was er zu erwnnen hatte, zu verscheßen,
Auf die Dauer war sie aber für beide Teile zu anstrengend und
schien nicht frei von gewissen naheliegenden Bedenken. Sie wurde
else von einer anderen Methode abgelöst, welche in gewissem Sinne
ihr Gegensatz war. Anmut den Patienten mutteiben, etwas zu
einem bestimmten Theme zu sagen, fun—dene man ihn jetzt auf, sich
der freien „Amz'mn'on“ zu überlassen, d.h. zu sagen, was immer
ihm in den Sinn kam, wenn er sich jeder bewußmn Ziglvorste'llung
enthieli. Nur mußte er sich dazu verpflichten, auch wirklich alles
mitzuteilen, was ihm seine Selbstwahrnehmung ergab, und den
kritischen Einwendungen nicht nachzugeben‚ die einzelne Einfille
mit den Mozivierungen bmitigen wollten, sie seien nirht wichtig
genug, gehörten nicht dazu oder seien überhaupt ganz unsinnig.S.
152 Schriften mu dm Jahren 1923—1926
Die Forderung nach Aufi'ichtigkeit in der Mitteilung brauchte man
nicht ausdrücklich zu wiederholen, sie war ja die Voraussetzung
der analytischen Kur.Daß dies Verfahren der freien Assoziation unter Einhaltung der
psychoanalytischen Grundregel leisten sollte, was man von
ihm erwartete, nämlich das verer und durch Widerstände ferne
gehaltene Material dem Bewußtsein zuzufi'rhren, mag befremdencl
erscheinen. Allein man muß bedenken, daß die freie Assoziation
nicht wirklich frei isL Der Patient bleibt unter dem Einfluß der
analytischen Situatiun, auch wenn er seine Denktätigkeit nicht auf
ein bestimmtes Thema richtet. Man hat das Recht anzunehmen,
daß ihm nichts anderes einfallen wird, als was zu dieser Situation
in Beziehung steht, Sein Widerstand gegen die Reproduktion des
Verdrängten wird sich jetzt auf zweierlei Weise äußern. Erstens durch
jene kritischen Einwendungen, auf welche die psychoanalytische
Grundregel gemünzt ist. Überwindet er aber in Befolgung der Regel
diese Abhaltungen, so findet der Widerstand einen anderen Au5v
druck. Er wird es durchsetzen, daß dem Analysierten niemals das
Verdräng‘te selbst einfällt, sondern nur etwas, was diesem nach Art
einer Anspielung nahe kommt, und je größer der Widerstand ist,
desto weiter wird sich der mitzuteilenrle E.rsutzeinfall von dem Eigenb
lieben, das man sucht, entfernen. Der Analytiker, der in Sammlung,
aber ohne Anstrengung zuhört und der durch seine Erfahrung im
allgemeinen auf das Kommende vorbereitet ist, kann nun das
Material, das der Patient zutage förder1, nach zwei Möglichkeiten
verwerten. Entweder gelingt es ihm, bei geringem Widerstand, aus
den Andeutungen das Verdrängte selbst zu erraten, oder er kann,
bei stärkerem Widerstand, an den Einfa'llen, die sich vom Thema
zu entfernen scheinen, die Beschaffenheit dieses Widerstandes er-
kennen, den er dann dem Patienten mitteilt. Die Aufdeulmng des
Widerstandes ist aber der erste Schritt zu seiner Überwindung. Su
ergibt sich im Rahmen der analytischen Arbeit eine Deutungs-
kunse deren erfolgreiche Handhabung zwar Takt und Übung er-S.
„Selbsniantellung“ 155
fordert, die aber unschwer zu erlernen ist. Die Methode der freien
Assoziation hat große Vorzüge vor der früheren, nicht nur den der
Ersparung an Mühe. Sie setzt den Analysierten dem geringsten Maß
von Zwang aus, verliert nie den Kontakt mit der realen Gegen-
wart, gewährt weitgehende Garantien dafiir, daß man kein Moment
in der Struktur der Neume übersieht und nichts aus eigener Er?
wartung in sie ein!.l'ägt. Man überläßt es bei ihr wesentlich dem
Patienten, den Gang der Analyse und die Anordnung dä Stoffes
zu bestimmen, daher wird die systematische Bearbeitung der ein»
zelnen Symptome und Komplexe unmöglich. Recht im Gegensatz
zum Hergarlg heim hypnotjschen oder antreibenden Verfahren erfährt
man das Zusammengeliörige zu verschiedenen Zeiten und an ver-
schiedenen Stellen der Behandlung. Für einen Zuhörer —- den es
in Wirklichkeit nicht: geben darf ? wurde die analytische Kur
daher ganz undurchsicht'ig sein.Ein anderer Vorteil der Methode ist, daß sie eigentlich nie zu
Versagen braucht. Es muß theoretisch immer möglich sein, einen
Einfall zu haben, wenn man seine Ansprüche an die Art desselben
fallen läßt. Dach tritt. solches Versagen ganz regelmäßig in einem
Falle auf, aber gerade durch seine Vereinzelung wird auch dieser
Fall deutlzar.ich nähere mich nun der Beschreibung eines Moments, welchs
einen wesentlichen Zug zum Bilde der Analyse hinzufügt und tech-
nisch wie theoretisch die größte Bedeutung beanspruchen darf. In jeder
analytischen Behandlung stellt sich ohne Dazumn des Arztes eine
intensive Gefühlslleziehung des Patienten zur Person des Analytikers
her, die in den realen Verhältnisse—‚11 keine Erklärung finden kann.
Sie ist positiver oder negativer Natur, variiert von leidenschafilieher,
vollsinnlicher Verliebtheit bis zum extremen Ausdruck von Auf-
lehnung, Erbitterung und Hall. Diese ahki'uzend sogenannte „Über-
tragung“ setzt sich beim Patienten bald an die Stelle des Wunsches
nach Genereng und wird, solange sie zärtlich und gemäßigt ist,
zum Träger des ärztlichen Einflusses untl zur eigentlichen Trieb-S.
r5l, Sdln_'fißn aux den Jahren 1923—1y26
feder der gemeinsamen analytischen Arbeit. Später, wenn sie leiden-
schaftlich geworden ist oder ins Feindselige angeschlagen hat, wird
sie das Hauptwerkzeug dei Widerstandes. Dann geschieht es auch,
daß sie die Einfallstäljgkeit des Patienten lahm legt und den Erfolg
der Behandlung gefährdet. Es wäre aber uns'umig, ihr ausweichen
zu wollen; eine Analyse ohne Übertragung ist eine Unmöglichkeit
Man darf nicht glauben, daß die Analyse die übertragung schafft
und daß diese nur bei ihr vorkommt. Die Übertragung wird von
der Analyse nur aufgedeckt und isoliert. Sie ist ein allgemein mensch
liches Phänomen, entscheidet über den Erfolg bei jeder ärztlichen
Beeinflussung, ja sie beherrscht überhaupt die Beziehungen einer
Person zu ihrer menschlichen Umwelt. Unschwer erkennt man in
ihr denselben dynamischen Faktor, den die llypnutiker Suggeriee
barkeit genannt haben, der der Träger des hypnotischen happan
ist, über dessen Unberecheubnrkeit auch die kathanieche Methode
zu klagen hatte. Wo diese Neigung zur Gefühbübertragnng fehlt
oder durchaus negativ geworden ist, wie bei der Demenlia praecox
und der Paranoia, da entfallt auch die Möglichkeit einer psychischen
Beeinflussung des Kranken.& ist ganz richtig, daß auch die Psychoanalyse rnit dem Mittel
der Suggestion arbeitet wie andere psychotherapeut'ische Methoden.
Der Unterschied ist aber, daß ihr — der Suggeslinn oder der
Übertragung? hier nicht die Entscheidung über den therapeutischen
Erfolg überlassen wird Sie wird vielmehr dazu verwendet den
Kranken zur Leistung einer psychischen Arbeit zu bewegen, —
zur Überwindung seiner Übemagungswiderstände, ‚ die eine
dauernde Veränderung seiner seelischen Ökonomie bedeutet. Die
Übertragtmg wird vom Analytiker dem Kranken bewußt gemacht,
sie wird aufgeliist‚ indem man ihn davon überzeugt, daß er in
seinem Übertragungsverhalten Gefühlsrelatjonen wiedererlebt, die
vnn seinen frühesten Objektbesetzungeu‚ aus der verdrängten Periode
seiner Kindheit, herstammen, Durch sulche Wendung wird die
Übertragung aus der slärksteu Waffe des Widerstandes zum bestenS.
„s„zmi„mw" 155
Instrument der analytischen Kur. Immerhin bleibt ihre Handhabung
das schwierigste wie das wichtigste Stmk der analytischen Technik.Mit Hilfe des Verfahrens der freien Asozintion und der an sie an‘
schließendeu Deutungskunst. gelang der Psychoanalyse eine Lm'stung‚
die anscheinend nicht praktisch bedeutsam war, aber in Wirklichkeit
zu einer völlig neuen Stellung und Geltung im wissenschaftliehen
Betrieb fiihren mußte. Es wurde möglich nachmweisen, daB Träume
sinnvoll sind, und den Sinn derselben zu ernten. Träume waren
noch im Hessischen Altertum Als Verknndigungen der Zuknnfl.
hochgeschi-itzt wurden; die moderne Wissenschaft wollm vom Traum
nichts wissen., überließ ihn dem Aberglanben, erkli.rte ihn für einen
bloß „körperlichen“ Ah, für eine Art. Zuckung des sonst schlufenden
Seelenlehens. Daß jemand, der ernste wissenschafthnhe Arbeit geleistet
hatte, ak „Traumrleuter“ anfimten künute, schien doch ausgeschlossen.
Wenn man sich aber um eine solche Verdammung des Traumes
nicht kummene„ ihn behandelte wie ein unvernandenes neurntlsches
Symptom, eine Wahn» oder Zwangsidee, von seinem scheinbaren
Inhalt absah und seine einzelnen Bilder zu Objekten der freien
Assoziation maßhle, so kam man zu. einem anderen Ergebnis. Man
gewann durch die uhlreinhen Einfile ds Träumers Kenntnis von
einem Gedankengebrld.e, du nicht mehr nbcurd oder verwo'rren
genannt werden kannte, das einer woflwertigen psychischen Leistung
entsprach und von dem der manifeste Traum nur eine entstellte,
verkürzte und mißverstandene Übenetzung war, zumeist eine Über
setzung in visuelle Bilder. Diese latenten Traumgedenken ent-
hielten den Sinn des Trnumes, der manifeste Trauminhalt war
nur eine Täuschung, eine Fassade, an welche zwar die Assoziatinn
anknüpfen konnte, aber nieht die Deutung.Man stand nun vor der Bemtwommg einer ganzen Reihe von
Fragen, die wichtigsten darunter, ob er denn ein Motiv fiir die
Traumhildung gebe, unter welchen Bedingungen sie sich vollzieth
könne, auf welchen Wegen die Überführung der immer sinnreichm
Traumgedanken in den oft sinnlnsen Traum var sich geht u, ;..‘.„‚
S.
i56 s;h„fr;„ am den Jahren 1923—1925
In meiner 1900 veröffentlichten „Traumdeutung“ habe ich versucht,
alle diese Probleme zu erledigen. Nur der kürzeste Auszug aus
dieser Untersuchung kann hier Raum finden: Wenn man die
latenten Traumgednnken‚ die man aus der Analyse des Traumes
erfahren hat, untersucht, findet man einen unter ihnen, der sich
von den anderen, verständigen und dem Träumer wuhlbekannten,
scharf abhebt. Diese anderen sind Re5le des Wachlebens (Tages-
refle); in dem vereinzelten aber erkennt man eine oft sehr an-
stößige Wunscirregung‚ die dem Wachlehen des Träumers fremd
ist, die er dementsprechend auch verwundert oder entrüstet ver-
leugnet. Diese Regung ist der eigentliche Traumbildner, sie hat
die Energie für die Produktion des Traumes aufgebracht und sich
der Tagesresle als Material bedient; der so entstandene Traum
stellt eine Befriedigungssituat'ion für sie vor, ist ihre Wunsch
erfüllung Dieser Vorgang wäre nicht möglich geworden, wenn
nicht etwas in der Natur des Schlafzustandes ihn begünstigt hätte.
Die psychische Voraussetzung des Schlafens ist die Einstellung des
Ichs auf den Schlafwunsch und die Abziehung der Besetzungen
von alien Interessen des Lebens; da gleichzeitig die Zugänge zur
Mutilität gesperrt werden, kann das Ich auch den Aufwand herab-
setzen, mit dem es sonst die Verdrängungen aufrecht hält. Diesen
nächtlichen Nachlaß der Verdrängung macht sich die unbewußte
Regung zunut.ze‚ um mit dem Traum zum Bewußtsein vorzudringen,
Der Verdrängungsw'iiierstand des 10135 ist aber auch im Schlafe nicht
aufgehnhen‚ sondern bloß herabgesetzt werden Ein Rest von ihm
ist als Traumzensur verblieben und verbietet nun der unhewul3ten
Wunsehregung, sich in den Formen zu äußern, die ihr eigemiich
angemessen wären. Infolge der Strenge der Traumzensur müssen
sich die Iatenten 'I‘raumgedanken Abänderungen undAbschwE—ichungen
gefallen lassen, die den verpönten Sinn des Traumes unkenntiich
machen Dies ist die Erklärung der Traumentstellung‚ welcher
der manifeste Traum seine auß'a'lligsben Charaktere verdankt. Daher
die Berechtigung des Satzes: der Traum sei die (verkappte)S.
„SrßrninrrreMg“ 1 57
Erfüllung eines (ver-drängten) Wunsches. Wir erkennen schnn
jetzt, daß der Traum gebaut ist wie ein neurotisches Sympimn, er ist
eine Kompromißbildung zwischen dem Anspruch einer verdrängten
Triebregung und dem Widersi.and einer zensurierendeu Macht im Ich
Infolge der gleichen Genese ist er auch ebenso unverständlich wie
das Sympmm und in gleicher Weise der Deutung bedürftigDie allgemeine Funktion des Träumens ist. leicht auhuiinden.
Es dient dazu, um äußere oder innere Reize, welche zum Erwachen
auffordern würden, durch eine Art. von Beschw'ichizigung abzuwehreu
und so den Schlaf gegen swrung zu versichern. Der äußere Reiz
wird abgewehrt, indem er umgecleutel. und in irgendeine harmlose
Siiuuu'on verwohen wird; den inneren Reiz des Triebnnspruchs
läßt der Schläfer gewähren und gestattet ihm die Befriedigung
durch die Traumbildung, solange sich die latenten Tmumgedanken
der Bänd.igung durch die Zensur nicht entziehen. Draht aber
diese Gefahr und wird der Traum allzu deutlich, so bricht der
Schläfer den Traum ab und wacht erschrecla. auf (Angsttruum).
Dmlhe Versagen der Traumfunklinn hin. ein, wenn der äußere
Reiz so smrk wird, daß er sich nicht mehr abweisen läßt (Weck-
traum), Den Prozeß, welcher unter Mitwirkung der Traumzensur
die latenten Gedanken in den manime Trauminhalt überführt,
habe ich die Traumarbeii. gennnnt. Er besteht in einer eigenuru'gen
Behandlung des vorbewußien Gedankenmaterials, bei welcher dessen
Bestandteile verdichtet, seine psychischen Akzente verschoben,
das Ganze denn in visuelle Bilder umgesetzt, drumatisiert, und
durch eine mißvelständliche sekundäre Bearbeitung ergänzt
wird. Die Traumarbeit ist. ein ourgezeiclmeies Muster der Vorgänge
in den tieferen, unhewußten Schichten des Seelenlebens, welche
sich von den uns bekannten normalen Deukvorgängen erheblich
unterscheiden. Sie bring? auch eine Anzahl mhuischer Züge zum
Vorschein, z. B. die Verwendung einor hier vorwiegend sexuellen
Symbolik, die man dann auf anderen Gebieten geistiger Tätigkeit
wiedergefunden hat.S.
158 Sehrifrrn zur den Jahren 1923—1925
Indem sich die unbewußte Triebregung des Traumes mit einem
Tagesresr, einem unerledigten Interesse des Wachlebeus, in Ver-
bindung sem, verschalft. sie dem von ihr gebildeten Traun-19 einen
zweifachen Wert für die analytische Arbeit, Der gedeutete Traum
erweist. sich ja einerseits als die Erfüllung eines verdrängten Wunsches,
anderseits kann er die vnrbewußte Denktätigkeit des Tages fort-
gesetzt und sich mit hellehigem Inhalt erfüllt haben, einem Vor
satz, einer Warnung, Überlegung und wiederum einer Wunsch—
erfüllung Ausdruck gehen. Die Analyse verwertet ihn nach beiden
Richtungen, sowohl für die Kenntnis der bewußten wie der un-
bewußten Vorgänge heim Analysierten. Auch zieht sie aus dem
Umstande Vorteil, daß dem Tlaume der vergessene Stoff des
Kindheitslehens zugänglich ist, so daß die infantile Amnesie zumeist
im Anschluß an die Deutung von Träumen überwunden wird.
Der Traum leistet hier ein Stuck von dem, was früher der Hypnose
auferlegt war. Dagegen habe ich nie die mir oh zugeschriebene
Behauptung aufgestellt, die Traumdeutung ergebe, daß alle Träume
sexuellen Inhalt haben ride!" auf sexuelle Triebkräfte zurückgehen).
Es ist leicht zu sehen, den Hunger, Durst und Exkrev.ionsdxang
ebensugut Befriedigungsträume erzeugen wie irgendeine verdrängte
sexuelle oder egoistische Regung. Bei kleinen Kindern stellt sich
eine bequeme Probe auf die Richtigkeit unserer Tmumthearie zur
Verfügung. Hier, wo die verschiedenen psychisrheu Systeme noch
nicht scharf gesondert, die Verdrängungen noch nicht. tiefer aus
gebildet sind, erfährt man häufig von Träumen, die nichts anderes
sind als unverhüllte Erfüllungen irgendwelcher vom Tage erübrigten
Wunschregungen. Unter dem Einfluß imperatlver Bedürfnisse
können auch Erwachsene solche Träume vom infantilen Typus
produzieren.In ähnlicher Weise wie der Traumdeutung bedient sich die
Analyse das Studiums der so häufigen kleinen Fehlleistungen und
Sympmmhanrllungen der Menschen, denen ich eine i904 zuerst
als Buch veröffentlichte Untersuchung „zur Psychopathulngie desS.
v.rqr 'z'W"
„sw:„.z„„zw“ 159
Alltagslebens" gewidmet habe. Den Inhalt dieses vielgelesenen
Werkes bildet der Nachweis, daß diene Phänomßne nicht Zufällige:
sind, daß sie über physiologische Erklärungen hinsungehen, dun-
vull und deutbar sind und zum Schluß auf zurückgehnlme oder
verdrängte Regungén und lment'mnen berechtigen. Der iiber-
ragende Werl: der Traumdeutung wie dieser Studie liegt aber nicht
in der Unmstiiizung, die sie der analytischen Arbeit leihen7 sondern
in einer anderen Eigenschaft derselben. Bisher hatte die Psythxr
analyse sich nur mit der Auflösung pathologischer Phänmnene
beschäftigt und zu deren Erklärung oh Annahmen machen müssen,
deren Tragweite außer Verhältnis zur Wichtigkeit des behmdelwn
Smfles stand. Der Truum aber, den sie dann in Angriff nahm, war
kein krankhnfies Sympmm, er war ein Phänomen des normalen
Seelenlebens, konnte sich bei jedem gesunden Menschen ereign-.
Wenn der Traum so gebaut ist wie ein Symptom, wenn seine Er-
klärung die nämlichen Annahmen erfordert, die der Verdrängung
von Triehxegungvn, der Ersatz— und Kompromißhildung, der ver-
schiedenen psychischen Systeme zur Unterbringung des Bewußmn
und Unbewußuan, dann ist die Psychoanalyse nicht mehr eine
Hilfswissenschaft der Prychupethologie, dann ist m vielmehr der
Ansammeinerneuenundgrhndlißheren8ulmxkunde‚dieuuchfm
das Verständnis den Normnlm unentbehrlich wird. Mm darf ihre
Voraussetzungen und Ergebniss nuf andere Gebiete des seelischen
und geistigen Gescheth übertragen, der Weg ins Weite, tun:
Weltinteresse, ist ihr erüflnet.S.
V
Ich nuterbreche die Darstellung vom inneren Wachstum der
Psychoanalyse und wende mich ihren äußeren Schicksalen zu.
Was ich von ihrem Erwerb bisher mitgeteilt habe, war in großen
Zügen der Erfolg meiner Arbeit, ich habe aber in den Zusammenhang
auch spätere Ergebnisse eingetragen und die Beiträge meiner
Schüler und Anhänger nicht von den eigenen gmndertDurch mehr als ein Jahrzehnt nach der Trennung von Breuer
hatte ich keine Anhänger. Ich stand völlig isolien In Wien wurde
ich gemieden, das Amland nahm von mir keine Kenntnis. Die
„Traumdeutung“‚ 1900, wurde in den Fanhzeitsehriften kaum
referiert. lm Auism „Zur Geschichte der psychoanalyüschen
Bewegung“ habe ich als Beispiel für die Einstellung der psychie
irischen Kreise in Wien ein Gäpräch mit einem Assistenten mit?
geteilt, der ein Buch gegen meine Lehren geschrieben, nher die
„Traumdeutung“ nicht gelesen hatte. Man hntte ihm auf der
Klinik gesagt, es lohne nicht der Mühe, Der Betreifende‚ seither
Extrnnrdinerius geworden, het sich gesuattet, den lnhnlt jener
Unterredung zu verleugnen und überhaupt die Treue meiner Er-
inuerung anzuzweifeln. Ich halte jedes Wert meines damaligen
Belicth aufrecht.Als ich versumden hatte, mit welchen Notwendigkeiten ich
zusammengesmßen war, ließ meine Empfindlichkeit sehr nach.
Allmählich fand auch die Isolierung ein Ende. Zuerst sammelteS.
„wmm‘ ‘ in
sich in Wien ein kleiner Kreis von Schülernx'um mid»; nach 1906
erfuhr man, Cllß sich die Prychinmer in Zuricli,E.ßléulery sem
Assistent C. G. lung und andere lehhafi: für die Psynlmnnnlyee
interessierten. Persönliche Beziehungen knüpfien sich an, m Damm
1 9u8 tmfen sich die Freunde der lungen Wissenschaft" in Salzburg,
verabredewn die regelmäßige Wiederholung solcher Privntkongn‘une
und die Herausgabe einer Zeitschrift, die unter dem ’l'ilel „lehr—
buch für psychopetllolngische und psychoanalyfieche Forschungen“
von Jung ndigiert wurde. Herausgeber waren Bleuler und ich;
sie wurde dann mit Beginn des Weltkrieges eingeslellt. Gleichzeiu'g
mit dem Anschluß der Schweizer war auch üben“ in Dmnchland
das Interesse für die Psychoennlyee erwacht, sie wurde der Gegen-
stand zahlreicher literarischer Äußerungen und lebhnfi‚er Diskussion
auf wissenschaftlichen Kongeuen Die Aufnahme war nirgends eine
freundliche oder wohlwollend zuwunende. Nach kürzester Bekennt—
schaft mit der Psychoanalyee wer die deutsche Wimenschah in ihrer
Verwerfung einig.Ich kann neulrlich auch heute nicht wissen, welches des und—
gültige Urteil der Nachwelt über den Wert der Psycheanalyse für
Psychiatrie, Psyclwlogie und die Geismvimmediafiun überhaupt
sein wird. Aber ich meine, wenn die Phaeg die _wir durchleln.
haben, einmal ihren Gewächeschreiher findet, wird dieser zu
gestehen miiuen, daß das Verhalten ihm- damaligen Veruener nicht
rühmlich fur die denwhe Winenscheft war. Ich heu'ehe mich dabei
nicht auf die Tnturhe der Ablehnung oder auf die Ennehiedenheit.
mit der ‚sie gmchnli; beides vur leicht zu verstehen, entsprach nur
der Erwartung und Rennes wenigmns keinen Schauen auf den
Charakter der Gegner werfien. Aber in: das Ausmaß von Hachmut
und gewissenlnser Vmchmihung der Legik, für die Koheit. und
Geschmacklodgkeit der Angriffe gibt es keine Enmzhulcligung. Man
kann mit verhalten, es sei kindiseh, noch nach fünfzehn Jahren
solcher Empfindlichkeit freien Lauf zu gehen, ich würde es‘auch nicht
um, wenn ich auch noch etwas anderes hinzuzufügen käme JahreFreud xl. “
S.
i5n Schn_'/ten aus den Jahren 1923—ry25
später, als während des Welthieges ein Chor von Feinden gegen
die deutsche Nation den Vorwurf der Barbarei erhob, in dem all
das Erwähnte zuenmmenniiit, sohnnerrte es doch tief, daß man aus
eigener Erfahrung dem nicht widersprechen konnte.Eine: der Gegner rühmte sich laut, daß er seinen Patienten den Mund
verhiete, wenn rie von aeruellen Dingen zu sprechen beginnen und leitete
um dieser Technik oflenhnr ein Recht ab, über die äu'olngische Rolle tler
Sexualität bei den Newman zu urteilen, Ahgerehen von den afiektiven
Widenländen. die sich nach der psychnunhlytixchen Theorie in leicht er—
klärten, daß Sie um nieht irre nrnohen konnten, schien mir das Haupt-
hinderni; der Vernändjgung in dem Umstand zu liegen. daß die Gegner
in der nychoanalyse ein Produkt meiner :pekulariveu Phantasie nahen und
nicht an die lange, geduldige, vorinuetrungiluie Arbeit glruhen wollten,
die zu ihrem Aufbau aufgewentiet wurden war. Du nanh ihrer Meinung
die Analyse nichu mit Beobachtung und. Erfahrung zu tun hatte, hielten
iie nich auch fiir berechtigt, ‚lie ohne eigene Erfahrung zu verwnfen.
Andere, die sich mlcher Überzeugung nicht an rinher fühlten, wiederholten
rin; klarriache Widernnnd.mnniiver‚ nicht im Mjh'nlknp zu gucken, um
ihn nicht zu neben, war nie hetnritten humn. Es irt überhnupt merkwürdig.
wie inkorrekt rich die meinen Menrehen henehnren, wenn rie in einer
neuen Sache auf ihr eigene. Urteil geheilt rind. Durch viele Jnhre und
auch heule noch bekam ich von „wohlwollenden“ Kritikern zu hören, so
und so weit habe die Psychoanalyse Recht, aber an dem punkte beginne
ihr Übermaß, ihre unberechtigle Veraligeureinerung. Dabei weiß ich. daß
nicht; echwieriger in als über eine aulehe Abgrenzung zu entscheiden, unti
daß die Kritiker reihet hir vor wenigen Tagen oder Wochen in voller Un—
knnntnit tler Suche geweien waren.Das offizielle Anatherua gegen die Psychoanalyse hatte zur Folge,
daß sich die Analy-liker enger zusammensehlossen. Auf dem zweiten
Kongreß zu Nürnberg 1910 organisierten sie sich auf Vorschlag
von s. Ferenczi zu einer „internationalen Psyehunnn1ytisnhen Ver—
einigung“, die in Ortsgruppen zerliel und unter der Leitung eines
Präsidenten stand. Diese Vereinigung hat den Weltkrieg überstanden,
sie besteht heute noch und umfaßt die 0rlsgruppen Wien, Berlin,
Budapest, aninh, London, Holland, New York, Pan-Amerika1 Moskau
und Kalkuua. Zum ersten Präsidenten ließ ich C. G. Jung wählen,S.
ein recht unglücklicher Schritt, wie sich splbét lm'x'uusslellte. Die
Psychoanalyse erwarb damals ein zweites lmn'nal,:'tlafi „Zentmlblltt
fiir Psychonnnlyse", redigien von Adler und. Stékel und bald damit
ein drittes‚die „Imagn“, von den Nichtärzten H.Sachll und O.Rimk
für die Anwendungen der Analyse auf“ die Geislesvvimeusclmflen
b5timmt. Bild darauf vefifl'enflidzte Bleuler seine Snlu'ifl. zur
Verleidignmg tler Psychoannlyse („Die Psychoanalyse Freuds“ 19m).
50 e!freulich es war, daß in dem Streit einmal auch Gerechtigkeit.
und ehrliche Logik zu Worte kamen, so konnte mich die Arbeit
Bleulers doch nicht völlig befriedigen. Sie slrebhe zu sehr nach
dem Anschein der Unpu'beilichkeit; es war kein Zufall, daß zum
gerade ihrem Auwr die Einführung dis wertvollen Benges der
Ambivalenz in unsere Wissenschaft zu dank- hatte. In späteren
Aufsätzen im Bleuler sich so ablehnend gegen das anslyu'scha
Lehrgebäude verden‚ so wesentliche Stücke desselben bezweifelt
oder verworfen, dnß ich mid! verwundert fragen kaum was für
seine Anerkennung davon erübrige. Und doch hat, er auch späwr
nicht nur die hathafbesten Äußerungm zugunsten der „Tiefen—
psychologie“ gehn, andern auch seine gmßungelegm Darstellung
der Schichhnnien auf sie begründet. Bleuler verblieb übrigens
nicht lange in der „Inmrnafionnlgn Psychoanalyn'schan Vereinigung",
er verließ sie infolge vun Mißth nn't Jung und das „Bag—
hölzli“ ging der Analy.e verloren.Der olfizielle Widerspruch kannte die Ausbreitung der Psyche-
analyse weder in Deutschland noch in den anderen [Ändern auf-
halten. Ich habe an anderer Stelle („Zur Geschichte der psycho-
analytischen Bewegung“) die Etappen ihres Fortsch1'tms verfolgt
und don auch die Männer genannt‚ die sich lls ihre Verneter
hervorwben. Im Jahre 1909 waren Jung und ich von G. Stanley
Hall nach Amerika berufen worden, um (lan an der Clark Uni-
versity, Womeswr, Muss., deren Präsident er war, zur zwanzigjährigen
Gründungsfeier des Instituts eine Woche lang Vln'lesungvn (in
deutscher Sprache) zu halten. Hall war ein mit: Recht angesehener„-
S.
154 Schriften m den Jahren 192}—I925
Psycholog und Pädagog, der die Psychoanalyse schon seit Jahren
in seinen Unterricht einbezogen hatte; es war etwas vom „König.
macher“ in ihm, dem es gefiel, Autoritäten ein- und wieder ab-
zusetzen, Wir trafen dort auch James J. Putnam, den Neurologen
von Harvard, der sich trotz seines Alters für die Psychoanalyse
begeisterte und mit dem ganzen Gewicht seiner allgemein respele
Lienen Persönlichkeit für ihren kulturellen Wert und die Reinheit
ihrer Absichten einmat. An dem ausgezeichneten Menue, der in
Reaktion auf eine zwangsnearotisehe Anlage vorwiegend ethisch
orientiert war, störte uns nur die Zumutung, die Psychoanalyse
an ein bestimmtes philosophisches System anzuschließen und in den
Dienst moralischer Bestrebungen zu stellen. Auch eine Zusammen
kunft mit dem Philosophen William James hinterließ mir einen
bleibenden Eindruck. Ich kann nicht die kleine Szene vergessen,
wie er auf einem Spaziergang plötzlich stehen blieb, mit seine
Handtasche übergab und mich hat vorauszngehen, er werde nach-
kommen, sobald er den herannahenden Anfall von Angina pecturis
abgemacht habe. Er starb ein Jahr später am Herzen; ich habe
mir seither immer eine ähnliche Furchtlosigkeit angesicl-ns des
nahen Lebensendes gewünscht.Damals war ich erst 55 Jahre alt, fühlte mich jugendlich und
gesund, der kurze Aufenthalt in der Neuen Welt tat meinem Selbst-
gefühl überhaupt wohl; in Europa fühlte ich mich wie geächtet,
hier sah ich mich von den Besten wie ein Gleichwertiger auf-
genommen. Es war wie die Verwirklichung eines unglauhwürdigen
Tagtraumes‚ als ich in Warcester den Katheder bestieg, um meine
„Fünf Vorlesungen über Psychoanalyse“ ahzahalten. Die Psycho-
analyse war also kein Wahngebilde mehr, sie war zu einem wert-
vollen Stück der Realität geworden Sie hat auch den Boden in
Amerika seit unserem Besuch nicht mehr verloren, sie ist “über den
Laien ungemein populär und wird von vielen offiziellen Psychiater-n
als wichtiger Bestandteil des medizinischen Unterrichts unerkannt.
Leider hat sie dort auch viel Verwässenmg erfahren MancherS.
„Seibndnrrtellung“ i55
Mißbrauch, der nichts mit ihr zu tun hat, deckt. sich mil. ihrem
Namen, es fehlt an Gelegenheilßn zu gründlicher Ausbildung in
Technik und Theorie. Auch stößt sie in Amerika mit dem Beha-
vionrism zueannrnen, der sich in seiner Nüvioät rüth das psycho—
logische Problem überhaupt ausgeschaltet zu haben.in Europa vollzogen sich in den Jahren 1911—19l5 zwei Ab—
la]lsbewegtmgeu von der Peychoannlyee, eingeleitet von Personen,
die bisher eine anselmliche Rolle in der jungen Wissenschah ge-
spielt hatten, die von Alfred Adler und von C. G, Jung. Beide
sahen recht gefährlich aus und gewannen rasch eine große Au-
hängerschafL Ihre Stärke denkten sie aber nicht dem eigenen
Gehalt, sondern der Verlockung, von den anrttiliig empfundenen
Resultaten der Psychoanalyse frei zu kommen, auch wenn man
ihr tatsächlinhm Material nicht mehr verleugzteie Jung velsuchle
eine Umdeunmg der analytischen Tatsachen ins Abslrdkte, Un-
persöuliche und Unhislm'lsche, wodurch er sich die Würdigung der
infamjlen Sexualität und des Ödipus-Kumplexes sowie die Not-
wendigkeit der Kindheitsanalyse zu ersparen holiue. Adler schien
eich noch weiter von der Psychoanalyse zu entfernen, er verwerf
die Bedeutung der Sexualität überhaupt, führte Charakter- wie
Neuroseubildung ausschließlich auf das Machtstrehen der Men—
schen und ihr Bedürfnis nach Kompensation ihrer konstjmlionellen
Miuderwerügkeileh zurück und schlug alle psychologischen Neu»
erwerhungen der Psychoanalyse in den Wind. Doch het des von
ihm Verworl'eue eich unter getindertenr Namen die Aufnahme in
sein geschlossenes System mwungeu; sein „männlicher Protest“
ist nichts anderes als die zu Unrecht sexua1isierte Verdrängung.
Die Kritik begegnete beiden Häretikern mit großer Milde; ich
konnte nur erreichen, daß Adler wie ‚Yung darauf venjchlßteu,
ihre Lehren „Psychoanalyse“ zu heißen. Men kann heute, nach
einem Jahrzehnt, feststellen, daß beide Versuche an der Psychoanalyse
achadlos vorübergegangeu sind.Wenn eine Gemeinschaft auf Übereinstimmung in einigen kardi-
S.
165 Schriften nur den Juhren 1923—1926
nalen Punkten begründet ist, wird es aelbetversfllndlich, daß diejenigen
aus ihr ausscheiden, welche diesen gemeinsamen Boden aufgegeben
haben. Doch hat man häufig den Abfall fi'l1herer Schiller als Zeichen
meiner Intoleranz mir zur Schuld angerechnet oder den Ausdruck
einen besonderen auf mir lnatenden Verhüng-nisaes darin gesehen.
Es genüge dagegen, darauf hinzuweisen, daß denen, die mich ver-
lassen haben, wie lung, Adler, Stekel und wenige andere, eine
große Anzahl von Personen gegenubersteht, die, wie Abraham,
Ehingen, Ferenczi, Rank, Jones, Brill, Sachx, Pfarrer Pfister,
van Emden, Keik u. a. seit etwa fünfzehn Jahren mit in treuer
Mitarbeitaschnfi, meist aueh in ungetrtlbter Freundselufl anhängen.
Ich habe nur die “ältesten meiner Schuler hier genannt, die sich
bereits ein- rnhmlichen Namen in der Literatur der Psychoanalyse
geschafi'en haben, die Übergeth anderer soll keine Zurücksetzung
bedeuten und gerade unter den jungen und spät hinzugekommenen
befinden sich Talente, auf die man große Hoflinungen setzen darf.
Aber ich darf wohl für mich geltend machen, daß ein inmleranner
und vum Unfehlbarheitadilnkel beherruchter Mensch niemals eine
so poBe Schar geistig bedeutender Personen an sich hätte fesel.n
Binnen, zumal wenn er über nicht mehr praktische Verlockungen
verfügte als ich.Der Weltkrieg, der so viel andere Orgerüsatinuen zerstßrt hat,
kannte unserer „Intemationelen“ nichts anhaben. Die erste Zu-
sammenkunft nach dem Kriege fand 1990 im Haag statt, auf neu-
tmlem Boden. Es war rührend, wie holländische Gastfreundschaft
sich der verhuugert.en und verermten Mitteleuroer annahm, es
geschah auch meines Wissens dann]; zum ersten Male in einer zer—
störten Welt, daß Engländer und Deutsche sich wegen wissenschaft-
licher Interessen freundscheftlich an denselben Tisch setzten. Der
Krieg hatte sogar in Deutschland wie in den westlichen Ländern
das Interesse an der Psychoanalyse gesteigert. Die Beobachtung der
Kfiegsneumtiker hatte den Ärzten endlich die Augen über die Be—
deutung der Psychngenese fiir neurotische Störungen geöffnet. einigeS.
„Seßxtdarszeüung“ : 67
unserer psychologischen Konzeptionen, der „Krankheitsgewinn“, die
„Flucht in die Krankheit“ wurden rasch populär. Zum letzten Kon-
greß vor dem Zusammenbruch, Budapest 1918, hatten die Verbün-
deten Regierungen der Mittelmächw offizielle Vertreter geschickt,
welche die Einrichtung psychoanalytischer Stationen zur Behandlung
der Kriegsneurctiker zusagten. Es kam nicht mehr dazu. Auch weit-
ausgreifende Pläne eines unserer beswn Mitglieder, des Dr. Anton
von Freund7 welche in Budapest eine Zentrale für analyüyche
Lehre und Therapie schaffen WDH'BII‚ scheiterten an den bald darauf
erfolgenden pclitischen Umwälzungen und dem frühen Tod des une
ersetzlichen Mannes. Einen Teil seiner Anregungen verwirklichte
später Max Eitingon, indem er ignn in Berlin eine psychnana-
lytische Poliklinik schuf. Während der kurzen Dauer der holschcL
wisti_schen Herrschaft in Ungarn konnte F erenczi noch eine erfulg—
reiche Lehrtätigkeit als oflizieller Vertreter der Psychoanalyse an der
Universitäl. entfallen. Nach dem Kriege gefiel es unseren Gegnern
zu verkünden, daß die Erfahrung ein schlagendes Argument gegen
die Richtigkeit der analytischen Behauptungen ergehen habe. Die.
Kriegsncuroscn hätten den Beweis für die Überflüssigkeit sexueller
Mnmente in tier Ätiologie neurutischer Aßektienen geliefert. Allein
das war ein leichtfertiger und voreiliger Triumph. Denn einerseits
ham: niemand die gründliche Analyse eines Falles vun Kriegsncnruse
durchführen können, man wußte alsu einfach nicth Sicheres über
deren Muüv'ierung und durfte doch am solcher Unwissenheit keinen
Schluß ziehen. Anderseirs aber hatte die Psychoanalyse längst den
Begrifl des Nurzißmus und der nam'ßtischen Neurose gewonnen,
der die Anheftung der Libido an das eigene Ich, an Stelle eines
Objekts, zum inhalt hatte. Das heißt also, man machte sonst der
Psychoanalyse zum Vorwurf, daß sie den Begriff der Sexualität un-
gebührlich erweitert habe; wenn man 5 aber in der Polemik bequem
fand, vergaß man an dieses ihr Vergehen und hielt ihr wiederum
die Sexualität im engsten Sinne vor.Die Geschichte der Psychoanalyse zerfa'llt für mich in zwei Air
S.
i
r165 sm„'fm nur den im may—19:6
Schnitte, von der kathartischen Vorgeschichte abgesehen. Im ersten
stand ich allein und hatte alle Arbeit selbst zu tun, so war es von
1895/96 an bis 1906 oder 1907. Im zweiten Abschnitt, von da
an bis zum heutigen Tage, haben die Beitrlige meiner Schüler und
Mitarbeiter immer mehr an Bedeutung gewonnen, so daß ich jetzt,
durch schwere Erhenkung an das nahe Ende gemeth mit. innerer
Ruhe an das Aufhüren meiner eigenen Igistung denken kann.
Gerade dadurch schließt es sich aber aus, daß ich in dieser „Selbst-
darstellung“ die Fortschritte der Psychoanalyse im zweiten Zeit—
abechnitt rnit solcher Ausflihrlithkeit behmdle wie deren allmäh-
lir.hen Auibuu im ersten, der allein von meiner Tätigkeit ausgefüllt
ist Ich flilzle mich nur berechtigt, hier jene Neuerwerbungen zu
erwähnen, an denen ich noch einen hervorragenden Anteil hatte,
also vor Allem die auf dem Gebiet des Neu-zißmus, der Trieblehre
und der Anwendung auf die Psychosen.Ich habe nachzutragen, daß mit zunehmender Erfahrung der
Ödipus-Komplex sich immer deutlicher als da- Kern der Neurose
hemustellte. Er war sowohl der Höhepunkt du infantilen Sexual—
lehens wie mich der Knotenpunkt, von dem alle späteren Entwick-
lungen ausgingen. Damit schwand aber die Erwartung, durch die
Analyse ein für die Neurose spezifisches Moment au.fzudecken. Man
mußte sich sagen, wie es lung in seiner analytischen Frühzeit
treffend uuszudrncken verstand, daß die Neurose keinen besonderen,
ihr ausfhließlich eigenen Inhalt hehe, und (laß die Neurotiker an
den uämlidlen Dingen scheitern, welche von den Normalen glück-
lich bewältigt werden. Diese Einsicht bedeutete durchaus keine
Enttäuschung. Sie mnd im befien Einklang mit jener anderen,
daß die durch die Psychoanalyse gefundene Tiefenpsyuhologie
eben die Psychologie des normalen Seelenlebens war. Es war uns
ebenso ergangen wie den Chemiker-n; die großen qualitativen Ver-
schiedenheiten der Produkte führten sich auf quantitative Ab-
änderungen in den Kombinationsverhliltuissen der nämlichen El&
mente zurück.S.
‚Selbrndarrzelhuu“ . 169
Im Ödjpus-Kumplex zeigte sich die Lili—iu an die Vorstellung der
elterlichen Personen gebunden. Aba‘ es hatte varha- eine Zeit ohne
alle snluhe Objekte gegeben. Daraus ergab sich die für eine Libido«
theorie grundlegende Konzeption eines Zustandes, in dem die Libido
das eigene Ich erfüllt, dieses selbst zum Objekt genommen hat.
Diesen Zustand konnte man „Narzißmus“ oder Selbstliebe nennen.
Die nächsten Überlegungen sagten, daß er eigentlich nie völlig auf—
gehoben wird; für die ganze Lebenszeit bleibt das Ich das große
Libidoreservair, aus welchem Objektbesetzungen ausgeschickt werden,
in welches die Libido von den Objekten wieder zurückströmen kann.
Narzißvische Libido setzt sich also farmährend in Objektlibido um.
und umgekehrt. Ein ausgaeicbneües Beispiel davon, welches Aus-
maß diese Umsetzung erreichen kann, zeigt uns die bis zur Selbst-
aufopfemug reichende sexuelle oder sublimierte Verliebtheit. Während
man bisher im Verdränglmgsprozeß nur dem Verdrängten Aufmerk-
samkeit geschenkt hatte, ermöglichen diese Voxslellungen, auch das
Verdrängende richtig zu würdigen. Man hatte gesagt, die Verdrän—
gung werde von den im ieh wirksamen Selbsterhaltungstrieben
(„lehnieben“) im Werk gesetzt nnd an den libidinäeen Trieben voll-
zogen. Nun, da man die Selbsterhnltungstriehe auch als libidinöeer
Natur, als umzißtische Libido, erkannte, erschien der Verdi'änglmgs-
vorgang als ein Pmneß innerhalb der Libido selbst; nalzißüsche
Libido stand gegen 0biekfibido, das Interesse der Selbsterhnlmng
wehrte sich gegen den Anspruch der Objektlielm, also auch gegen
den der engeren Sexualität.Kein Bedürfnis wird in der Psychologie dringender empfunden,
als nach einer truglähigen Triehlehre, auf welcher man weiter-
bauen kann. Allein nichts dergleichen ist vorhanden, die Psycho-
analyse muß sich in tustenden Versuchen um eine THeblehrs be-
mühen, Sie stellte zuerst den Gegensatz von Ichtrieben (Selbst-
erhnltung, Hunger) und von libidinllsen Trieben (Liebe) auf, ersenzbe
ihn dann durch den neuen vum narilßh'scher und Dbiektlihidn.
Damit war offenbar das letzte Wort nicht gesprochen; biolqg‘ischeS.
i7e Schriften Liu: den Jahrm Iy2}f1925
Erwägungen schienen zu verbieten, daß man sich mit der Annahme
einer einzigen Art von Trieben hegm'ige,In den Arbeiten meiner letzten Jahre („Jenseits des Lustprinzips“,
„Massenpsychologie und Ich-Analyse“, „Das Ich und das Es“) habe
ich der lange niedergehaltenen Neigung zur Spekulation freien Lauf
gelasen und dort auch eine neue Lösung des Triebproblems irn
Auge gefaßt. Ich habe Selbst- und Anerhaltung unter den Begriff
des Eros zusammengefaßt und ihm den geräuschlos arbeitenden
Tudes- oder Destruktionstrieb gegenübergestellt. Der Trieb
wird ganz allgemein erfaßt als eine Art Elastizität des Lebenden,
als ein Drang nach Wiederherstellung einer Situation, die einmal
bestanden hatte und durch eine äußere Störung aufgehoben werden
war. Diese in] Wesen konservative Natur der Triebe wird durch die
Erscheinungen des Wiederholungszwanges erläutert. Das Zur
sammeln- und Gegeneinanderwirken von Eros und Todestrieb ergibt
für uns das Bild des Lebens.Es steht dahin, ob sich diese Konstruktion als brauchbar erproben
wird. Sie ist zwar von dem Bestreben geleitet werden, einige der
wichtigsten theoretischen Vorstellungen der Psychoanalyse zu fixieren,
aber sie geht weit über die Psychoanalyse hinaus. Ich habe wieder»
holt die geringscbi—itzige Äußerung gehört, man könne nicth von
einer Wissenschaft halten, deren oberste Begriffe so unscharf wären
wie die der Libido und des Triebcs in der Psychoanalyse. Aber
diesem Vorwurf liegt eine völlige Verkennung des Sachverhalts zu-
grunde. Klare Grundbegriffe und scharf umrissene Definitionen sind
nur in den Geisteswissenschaften möglich, soweit diese ein Tatsachen»
gebiet in den Rahmen einer intellektuellen Systembildung fessen
wnllen In den Neturwirsenselreften, zu denen die. Psychologie ge-
hört, ist solche Klarheit der Oberbegriile überflüssig, ia unmöglich.
Zoologie und Botanik haben nicht mit korrekten und zureichendeu
Definitionen von Tier und Pflanze begonnen, die Biologie weiß noch
heute den Begriff des Lebenden nicht mit sicherem Inhalt zu er-
füllen. Ja, selbst die Physik bitte ihre ganze Entwicklung versäumt,S.
„Selbcrdarmfluu“ ‘ ‘ x 1 1
wenn sie hätte abwarten musen, bis ihre Begriffe vun swff‚ Kuh,
Gruvitaüon und nndere die wünschenswerhe m.ämia und Präzision
erreichten. Die Grundversbellungen oder nbem.en Begriffe der natur-
wisenschafflidlen Disziplinen werden immer zunächst unliülimmt
gelassen, vorläufig nur durch den Hinweis auf das Meinungs—
gebiet erläutert, dem sie entstammen, und können am durch die
fortschreitende Analyse des Benbenhumgsmaterials klar, inhaltsreich
und widersprnchsfi'ei werden.Ich habe schon in früheren Phasen meiner Produktion den Vet-
such gemacht, von der psychoenalytiscben Beobachtung aus all-
gemeinere Gmichupunkte zu erreichen. 191 [ bemnte ich in einem
kleinen Aufsatz „Formulierungen über die zwei Prinzipien des
psychischen Geschehens“ in gewiß nicht arigineller Weise die Vor-
hemchaft des Lust-Unlustprinzipe für das Seelenleben und dessen
Ablösung durch das „genannte „Realitälsprinzip“. Später wagte
ich den Versuch einer „Mempsychologie“. Ich nannte so eine Weise
der Betrachtung, in der jeder leelinche Vorgang nach den drei Koordi-
namen der Dynamik, Topik und Ökonomie gewürdigt wird, und
sah in ihr das äußerste Ziel, das der Psychologie erreichbar ist.
Der Versuch blieb ein Tom, ich brad1 nach wenigen Abhand-
lungen (Triebe und Triebschicksule —Verdrängimg — Das Unbe-
wußw —Trauer und Melancholie usw.) Ib und m gewiß wohl
da.-nn, denn die Zeit fur solche theoretische Festlegung war noch
nicht gekammm In meinen letzten spekulafiven Arbeiten habe
ich es unternommen, unseren teelimhen Appetit auf Grund an.-
lyu'scher Verwermng der patholngiacben Tnmnhm zu gliedern und
habe ich ihn in ein Ich, ein Es und ein Über—Ich zerlegt. („Du
Ich und das Es“, 1999.) Das Über»lc'h ist der Erbe des Öd'rpu}
Komplexes und der Vertreter der ethischen Anfimierungen des
Menschen.Es null nicht der Eindmk erweckt werden, ii. bitte ich in amimw..
pnin.in meiner Arbeit der geduldigen Beobachtung den Ram gewonder
untl mich dumimn tler Spekulu.iun iibeflmn. mi bin vielmehr immerS.
„„
„a Schriften aus den Jabra: „:)—1926
in inniger Berührung mit dem annlyümhen Material geblieben und habe
die Bearbeitung 5peiu-‚ller, klinischer oder technilchex Themata nie eingeltellt.
Auch wo ich mich von der Beobachtung entfernte, habe ish die Annäherung
an die eigentliche Philosophie !orgfn'ltig vermieden, Knustitutiunelle Unfihig-
keit hat mir solche Enthalttmg sehr erleichtm. Ich war immer für die Ideen
G. Th. Fechnen zugänglich und habe mich auch in wichtigen Punkten
an diesen Denker angelehnt. Die weitgehenden Übereinnimmungen der
Pryehaaualyre mil der Philosophie Schopenhauers — er hat nicht nur
den Prima! der Afl'ekrivität und die überragende Bedeutung det Sexualität
vertreten, rendern selbst den Meehanirinur tler Verdrängung gekannt —
Ihnen sich nicht auf meine Bekanntschaft mit seiner Lehre zurückfiihren.
Iuh habe Sshapenhaner sehr spät im Leben gelesen. Nietzsche, den
snderen Philonuphen, dessen Ahnungeu und Einxichten sich oft in der
maunlichsten Weise mit den mühsamen Ergebnissen der Piychoanalyse
decken, habe ich gerade darum lange gemieden; an der Priorität lag mix
in weniger als an der Erhaltung meiner Unbefangenheit,Die Neurosen waren das erste, huge Zeit auch das einzige Objekt
der Analyse gewesen. Keinern hnalytiker blieb es zweifelhaft, daß
die medizinische Praxis unreeht hat, welche diese Atiektionen von
den Psychosen fern hält und an die organischen Nervenleiden an-
schließt Die Neurosenlahre gehört zur Psychiatrie, ist unentbehrlich
zur Einführung in dieselbe. Nun scheint das analytische Studium der
Psychnsen durch die therapeutische Aussichtslosigkeit einer solchen
Bemühung ausgeschlossen. Den psychisch Kranken fehlt im all.
gemeinen die Fähigkeit zur positiven Übertragung, so daß des Haupe
mittel der analytischen Technik unanwendbar ist Aber es ergeben
sieh doch manuherlei Zugänge. Die Übertragung ist oft nicht so
völlig abwesend, daß man nicht ein Stiitlr weit mit ihr kommen
könnte, bei zyldischen Verstimsnrnigen‚ leiohter paranoiseher Ver»
äuderung, partiellar Schizophrenie hat man nnzweifelhafte Erfulge
mit der Analyse erzielt Es war auch wenigstens für die Wissen«
schaft ein Vorteil, daß in vielen Fällen die Diagnose längere zeit
zwischen der Annahme einer Psychoneurose und der einer Dementia
praeoox schwanken kann; der angestellte therapeutische Versuch
konnte so wichtige Aufsohliisse bringen, ehe er abgebrochen werdenS.
„szzhi-nzmtszlmg“ i75
mußte. Am meisten kommt aber in Betracht., daß in den Psychosen
so viele; für jedermann sichtbar an die Oberfläche gebracht wird7
was man bei den Neuroeen in mühsamer Arbeit aus der Tiefe
heraufholt. Für viele analytische Behauptungen ergibt darum die
psychiatrische Kl'mik die besten Demonstrationsobjekte. Es konnte
also nicht aushleiben, daß die Analyse bald den Weg zu den Ob-
jekten der psychiatrischen Beobachtung £and. Sehr frühzeitig (1896)
habe ich an einem Fall von paranoider Demenz die gleichen ätio-
logischen Momente und das Vorhandensein der nämlichen aifektiven
Komplexe wie bei den Neumsen feststellen können. lung hat rätsel-
hafte Siereoty'pien bei Demenwn durch Rückbeziehung auf die
Lebensgeschichte der Kranken aufgeklärt; Bleuler bei verschiede-
nen Psychosen Mechanismen aufgezeigt, wie die durch Analyse bei
den Neurntikem eruierten. Seither haben die Bemühungen der
Analyljker um das Verständnis der Psychosen nicht mehr aufgehört.
B$onders seitdem man mit dem Bey'ifi des Nar7.ißrnus arbeitete,
gelang es bald an dieser, bald an jener Stelle einen Blick über die
Mauer zu tun. Am weitesten hat es wohl Abraham in der Auf—
klärung der Melancholien gebracht. Auf diesem Gebiet setzt sich
zwar gegenwärtig nicht alles Wissen in therapeutische Macht um;
aber auch der bloß theoretische Gewinn ist nicht gering anzuschlage‘n
und mag gern auf seine praktischeVerv-Jendung warten. Auf die Dauer
können auch die Psychiater der Beweiskraft ihres Krankenmaterials
nicht widerstehen. Es vollzieht sich jetzt in der deutschen Psychiatrie
eine Art von pénélrnzn'on pad/{que mit analytischen Gesichtspunkten.
Unter unausgesemen Beteuerungen‚ daß sie keine Psychoanalytiker
sein wollen, nicht der „orthodoxen“ Schule angehören, deren Über—
treihungen nicht mitmachen, insbesondere aber an das übermächtige
sexuelle Moment nicht glauben, machen doch die meisten derjfingeren
Forscher dies oder jenes Stück der analytischen Lehre zu ihrem Eigen
und wenden es in ihrer Weise auf das Material an. Alle Anzeichen
deuten auf das Bevorstehen weiterer Entwicklungen nach dieser
Richtung,S.
VI
Ich verfolge jetzt aus der Ferne, unter welchen Reaktionssymptomen
sich der Einzug der Psychoanalyse in das lange refiakl.äre Franke
reich vollzieht. Es wirkt wie eine Reproduktion von früher Erlebe
tem, hat. aber doch auch seine hesnnderen Züge. Einwendungen
von unglaublicher Einfalt werden laut, wie der, das französische
Feingefühl nehme Anstoß an der Pedanten'e und Plumplzuait der
psychoanalytischen Namengebnngen (man muß dabei doch an
Lessings unsterblichen Chevaljer Riccanl. de la Marliniere denken !)
Eine andere Äußerung klingt enssthafier5 sie ist. selbst einem Pre
fessor der Psychologie an der Surlionne nicht unwürflig erschienen:
das Gélu'e latirl vertrage überhaupt nicht die Denkungsart der Psyche»
analyse. Dabei werden die anglasächsischen Alliierten, die als ihre
Anhanger gehen, ausdrücklich preisgegeben. Wer das him, muß
natürlich glauben, das Ge'nie tzuloniquz habe die Psychoanalyse
gleich nach ihrer Geburt als sein liebstes Kind ans Herz gedrücktIn Frankreich ist das Interesse an der Psychoanalyse von den
Männern der schönen Literatur ausgegangen, Um das zu ver
stehen, muß man sich erinnern, daß die Psychoanalyse mit der
Traumdeutung die Grenzen einer rein ärztlichen Angelegenheit
überschritten hat. Zwischen ihrem Auftreten in Deumhland und
nun in Frankreich liegen ihre mannjgfachen Anwendungen auf Ge-
biete der Literatur und Kunstwiseenschafi, auf Religionsgeschichte
und Prähismr-ie, auf Mytholngie, Volkskunde, Pädagogik usw. AlleS.
„Sethsidums11ung“ 175
diese Dinge haben mit der Medizin wenig zu tun, sind mit ihr
eben nur durch die Vermittlung der Psychoanalyse verknüpft. Ich
habe darum kein Anrecht, sie an dieaer Stelle eingehend zu be—
handeln. Ich kann sie aber auch nicht ganz vemsshiässigsu, denn
einerseits sind sie unerläßlich, um die richn'ge Vorstellung vanerl.
und Wesen der Psychoanalyse zu geben, anderseits habe ich mich
ja der Aufgabe untenngen, mein eigenes Lebenswerk darzu:tellen.
Von den meisten dieser Anwendungen gehen die Anfänge auf meine
Arbeiten zurück. Hier und da habe ich wohl auch einen Schritt
vom Wege gem, um ein solches außexirzfliches Interesse zu be—
friedigen. Andere, nicht nur Ärzte, sondern auch Fachmänner, sind
dann meiner Wegspur nachgefolgi und weit in die betreffenden
Gebiete eingednmgen. Da ich mich aber meinem Programm gemäß
auf den Bericht über meine eigenen Beiniige zur Anwendung der
Psychoanalyse beschränken werde, kann ich dem Leser nur ein ganz
unzureichendes Bild von deren Ausdehnung und Bedeutung ermög—
lichen.Eine Reihe von Anregungen ging für mich vom Ödipus-Komplex
aus, dessen Ubiquiiät ich allmählich erkannte. War schon immer
die Wahl7 ja die Schöpfung des grauenhaften Smffes rätselhaft ge—
wesen, die erschütternde Wirkung seiner poetischen Darstellung und
das Wesen der Schicksalsmgödie überhaupt, so erklärte sich dies
alles durch die Einsichi, daß hier eine Gesetzmäßigkeit des seelischen
Geschehens in ihrer vollen alfektiven Bedeutung erfaßt werden
war. Verhängnis und Orakel waren nur die Materialisufionen der
inneren Nntwendigkeit; daß der Held ohne sein Wissen und gegen
seine Absicht sündig1e, vemand sich als der richtige Ausdruck der
nnbewußten Natur seiner verhrecherischen Strebungen. Vom Ver-
ständnis dieser Schicksahtragödie war dann nur ein Schritt bis zur
Aufhellung der Charaklemagödie des Hamlet, die man seit drei-
humlert Jahren bewunderte, ohne ihren Sinn angeben und die
Motive des Dichters ernten zu können. Es war doch merkwürdig,
daß dieser vom Dichter erschcficue Neurotiker sm Ödipus-KomplexS.
176 Schnftm aus den Jahrzn 1923—1926
scheinen wie seine zahlreichen Gefährten in der realen Welt, denn
Hamlet ist vor die Aufgabe gestellt‚ an einem anderen die beiden
Taten zu rächen, die den Inhalt des Ödipusstrebens bilden, wubei
ihm sein eigenes dunkles Schuldgefü.hl lähmend in den Arm fallen
darf. Der Hamlet ist von Shakespeare sehr bald nach dem Tode
seines Vaters geschrieben werden. Meine Andeutungen zur Analyse
dieses Traumpiels haben später durch Ernest Jones eine grund
liche Ausarbeitung erfahren. Dasselbe Beispiel nahm dann Otto
Rank zum Ausgangspunkt seiner Untersuchungen iiber die Stoß-
wahl der dramatischen Dichter. In seinem großen Buche über das
„Inzest-Motiv“ kannte er zeigen, wie häufig die Dichter gerade
die Motive der ödipussituatien zur Darstellung wählen und die
Wandlungen‚ Abänderungen und Milderungen des Sloll"es durch
die Weltliteratur verfolgen.Es lag nahe, von da aus die Analyse des djehterischen und künst-
lerischen Schafl'ens überhaupt in Angriff zu nehmen. Man erkannte,
daß das Reich der Phantasie eine „Schonung“ war, die heim
sehmerzlich empfundenen Übergang vom Lust- zum Realitätsprinzip
eingerichtet wurde, um einen Ersatz für Triebhefriedigung zu ge-
statten, auf die man im wirklichen Leben hatte verzichten müssen
Der Künstler hatte sich wie der Neurot'iker von der unbeüiedi—
genden Wirklichkeit in diese Phantasiewelt zurückgezogen, aber
anders als der Neurotiker verstand er den Rückweg aus ihr zu
finden und in der Wirklichkeit wieder festen Fuß zu fassen, Seine
Sehöpfungen, die Kunstwerke, waren Phantasicbefrledigungen un-
bewuldmr Wünsche, ganz wie die Träume, mit denen sie auch den
Charakter des Kompromiss gemein hauen, denn auch sie mußten
den offenen Konflikt mit den Mächtcn der Verdrängung vermeiden.
Aber zum Unterschied von den asozialen, nanißtisehen Traurm
produktiunen waren sie auf die Anteilnahme anderer Menschen
berechnet, konnten bei diesen die nämlinhen unbewußcen Wunsch-
regungen beleben und befriedigen, Überdies bedienten sie sich der
Wahrnehmungslust der Formschönheit als „Verleckungsprämie“.S.
S.
S.
„Saflirniamllung“ 1 77
Was die Psychoanalyse leisten kannte, war, aus der Auleinander-
beziehung der Lebenseindrnnke, zufälligen Schicksale, und der
Werke des Künstlers seine Konstitution und die in ihr wirksamen
Triebregungen‚ also das allgemein Menschliche an ihm, zu kon—
struieren, In solcher Absicht habe ich z. B. Leonardn da Vinci
mm Gegenstand einer Studie genommen, die auf einer einzigen,
von ihm mitgeteilten Kindheitserinusrung ruht und im wesent—-
lichen auf die Erklärung seines Bildes „Die heilige Anna selbdritt“
hinzielt. Meine Munde und Schüler haben dann zahlreiche ähn«
liche Analysen an Künstlern und ihren Werken unternommen.
Es ist nicht eingetroflen, daß der Genuß am Kunstwerk durch das
so gewonnene nnalyiisnhe Verständnis geschädigt wird. Dem Laien,
der aber hier vielleicht von der Analyse zu viel erwartet, muß ein—
gestanden werden, daß sie auf zwei Probleme kein Licht wirft,
die ihn wahrscheinlich am meisten interewieren, Die Analyse kann
nichts zur Aufklärung der künstlerischen Begahung sagen und auch
die Aufdeckung der Mittel, mit denen der Künstler arbeitet, der
künstlerischen Technik, fällt ihr nicht zu.An einer kleinen, an sich nicht besonders wertvollen Novelle,
der „Gradiva“ von W. Jensen, konnte ich nachweisen, daß er-
dichtete Träume dieselben Deutungen zulassen wie reale, daß also
in der Produktion des Dichters die uns aus der Traumarbeit bu.—
kannt;en Mechanismen des Unbewußten wirksam sind.Mein Buch über den „Witz und seine Beziehung zum
Unbewußten“ ist direkt ein Seiwnspmng von der „Traumdeumng“
her. Der einzige Freund, der damals an meinen Arbeiten Anteil
nahm, home mir bemerkt, daß meine Traumdeutungen häufig einen
„witzigen“ Eindruck machten, Um diesen Eindruck aufzuklären,
nahm ich die Untersuchung der Witze vor und fand, das Wesen
des Witze; liege in seinen technischen Mitteln, diese seien aber
dieselben wie die Arbeitsweisen der „Trauma-beit“, also Verdichtung,
Verschiebung, Darstellung durch das Gegenteil, durch ein Kleinste;
usw. Daran schloß sich die ökonomische Untersuchung, wie derFreud xl. „
S.
173 Schriften zur dm Jr}imr ry23—1926
hohe Lustgewinn heim Hörer des VV'nzes zustande komme, Die
Antwort war: durch momentane Aufhebung von Verdrängung-
aufwand nach der Verlockung durch eine dargebotene Lustprämie
(Vurlust).Höher schätze ich selbst meine Beiträge zur Religionspsychclogie
ein, die 1907 mit der Feitstellung einer überraschenden Ähnlichkeit
zwischen Zwangshandlungen und Eeligionsülzungen (Ritus) begannen.
Ohne noch die tieferen Zusammenhänge zu kennen, bezeichnete
ich die Zwangtneurose als eine verzerrte Privatreljg'inn, die Religion
sozusagen als eine universelle Zwangsneurose. Später, 1912, wurde
der nachdrückliche Hinweis von Jung auf die weitgehenden Ann
lugien zwischen den geistigen Produktinnen der Neumt'iker und
der Prim.itiven mir zum Anlaß, meine Aufmerksamkeit djeeem
Thema zuznwenden. In den vier Aufsätzen, welche zu einem Buch
mit dem "1in „Totem und Tabu“ zusammengefaßt wurden,
führte ich aus, daß bei den Primitiven die Inzest3cheu noch stärker
ausgeprägt ist als bei den Kultivierten und ganz besondere Abwehr
maßregel_n hervorgerufen hat, untersuchte die Beziehungen der Tabu
Verbote, in welcher Form die ersten Moraleingchränkungen auftreten,
zur Gefühlsamhivalenz, und deckte im primitiven Weltsystecn des
Animismus das Prinzip der Überschätzung der seelischen Realität,
der „Allmacht der Gedanken“ auf, welches auch der Magie zn-
grunde liegt. Überall wurde die Vergleichung mit der Zwangsneumse
durchgeführt und gezeigt wie viel von den Voraussetzungen des
primitiven Geisteslebens bei die5er merkwürdigen Aflektion nach
in Kraft ist Vor allem mg mich aber der Tatemismus an, dies
erste Organisaünmsyslem primiüver Stämme, in dem die Anfänge
sozialer Ordnung mit einer mdimentären Religion und der nur
erbittlichen Herrschaft einiger weniger Tabuverbote vereinigt sind
Das „verehrte“ Wesen ist hier ursprünglich immer ein Tier, von
dem der Clan auch abmstammen behauptet. Aus verschiedenen An-
zeichen wird erschlossen, daß alle, auch die höchststehenden Völker,
einst dieses Stadium des Totemismus durchgemacht haben,S.
Meine litenrisnhe Hlnptqnelle fiir die Arbeiten mf (liefen Gebiete vun-un
die bekiirntln wm von J, G. Freier (,meim ml! Emgnmy“, ‚The
Gulden Baugh"), eine Fundgrube wertvoller Tullma und Gefichnpunku.
Aber zur Aufklärung der Probleme den Tatemilmni leime Fn‘ze'r wlnig;
er hatte wine Aniicht über dienen GegennAnd mehrma.ll grundotiirunrl
verändert und die anderen Ethnologen nnd Präliinvriker whienm ebanlo
nmicher n]. unelnig in fliegen Dingen. Mein Aulgnngtpunkl wu- ai: uu5
fällige Überu'nm'mmnng tler beiden Tlluunnnngun n. Tommimnu. den
Toten: nicht zu um und kein Weib del gleichen Tomduu- guuhlmhzliuh
zu gehnucheu. mit den beiden Inde da 0dipnrl(omplem. du Van-
zu beseitigen und die Mutter zum Weib. zu nehmen. n. engel; sich »
die Venuclzung, du Tmemfier den: Vila gleichzumellen‚ wie n (lie Prinli-
tiven ohnediev n\url.rücklich 'nen. indem lie el Ill den Almlierm (lee Glen-
verehrlen. Von prynholnnlyliicher Seite hauen mi.r dann zwei Tun-dien
zu Hilfe, eine glückliche Beobuchmug Ferencn'e am Kindu, welche ge-
nauen, von einer infunilen Wiederkehr du Talemilmnl zu vprechan,
und die Anliyre der Milieu Tierplwhien der Kinder, welche m of! zeigte,
daß die! Tier ein anererntx wir. ln! welchen die im ÖrlipurK/nupllx
begründet: “mehr vor dem Vater vencholren wurde. FA fehlte nun nicht
mehr viel, um die Vuertötung Ill Kern der Totenünnu: untl ih Au!-
gangspunh der Belig'inmbilflung zu „kennen.Diet fehlen-le Stück im tlth die Kennmilnl.hme vun W. Roberuon
Smith‘i Werk „The Religion uf the Smitgu' hinzu _ tler genillc Menu,
Phyniker untl Bibelinnnhefr. hm: eh ein waemlid.nei Stück der Tot-m—
religion die mgenmnle Tutornmnhlzeit hingenellt. Einmal im h'hre
wurde du nun heilig geh-ken: Tmemrlecr feierlich uum Beteiligung elle:
Suurnmeugermnen ge\öm‚ verzehrt und dann hen-nme An dien Treue:
schloß «ich ein große. Fan m. Nuhm ich die Dnrwinu-‚he Vermutung
hinzu. (laß die Menlclien urrprünglich in Hoden lebten, deren jede unter
der Hemchlft einer einzigen, mm, gevultfin'gen nnd eifenüchtigen
Männchen! mad, » genuhne lid! mir nun 111 clin- Knmpommn die
Hypothese, oder ich möchte lieber ungen: die vum, \in folgenden Her
gangi: Der V.m der Urlmnle ham -h unnnnchrinher Deupm .11e Frluen
" :ich in Anrprnuh genumm-, die ul. Rivalen gelihllidien Söhne ge-
m oder verjlgl. Einer Tagen aber um ich diese Söhne zullmmen‚
überwältigten, kämen und vmehmn ihn gemeinhin, der ihr Feind. uber
auch ihr Ideal gewesen war. Nick äer Tut Wurm lie nnflenunde‚ lein
Erbe nnzmreten. da einer dem undmn im Wege rund. [hun Am. Einfluß."
S.
180 Schriften nur dan Jahn-n ua)—1926
den Nfißezfolges und der neue lernten de, lich miteinander zu vutngen,
bmden nich zu einem Brüdnrclln durch die Suuungon der Totemiuzluu‚
„ich, die Wiederholung einer oolchun Tu mmhlieflsn wlllen. und m-
ziehmen inrgerimt Auf den Beth: du Fhuun, um welche lie den Vnm
getötet hnmn‚ Sie waren nun nur fremde Frruen nnguvleren; die: d„
Unprung der mit dem Touemirmnr eng mkniipßen Exogunie Die Toten-
mnhluit vor die Gedinhmid'eier der ungehoußrlichun Tut, von der du
Schuldbewufiuein der Memhl\eil (dl: EYblii-nde) herrühm. mit der müde
Organiraiion, Religion und rinliche Buchrinkung gleichzeitig ihren An-
fang nnhmnn,Ob nun eine solche Möglichkeit als historisch anzunehmen ist
oder nicht, die Religianshildung war hiemit auf den Boden des
Vaterknmplexes g5mllt und über der Ambivnlenz aufgebaut, welche
diesen beherrscht. Nachdem der Vnüerenatz durch du Totemfier ver»
lesen war, wurde der gefürchwete und gehoßle, verehrte und In.—
neidete Umter selbst das Vorbild Gottes. Der Sohan und seine
Vnmmehnsuchl rungen miteinander in immer neuen Kompromiß-
bildungen, durch welche einerseiis die Tat des Vamrrnordes gesnhm,
anderseits deren Gewinn behauptet werden sollte. Ein besonders
helles Licht wirkt diese Auffassung der Religion auf die psychologische
Fundieng des Christentums, in dem in die Zeremonie der Tozem—
mahlmit noch wenig enmllt als Kommunion forflebt. Ich will
ausdrücklich bemerken, dAB diese letztere Agnoszierung nicht von
mir herrlihn, sondern sich bereits bei Robertson Smith und
Frazer findet.Th. Beik und der Ethnologe & Réheim hnhen in mhlreichen
beachtenswenen Arbeiten an die Gednnkenginge von „Tamm und
Tabu“ angeknüpfi, sie fortgefiilzrt, vertieft oder berichtigt. Ich selbst
bin späwr noch einige Male auf sie zurückgekommen, bei Unter-
suchungen uber das „unhewußve Schuldgeflihl“, dem auch unter
den Moiiven des neurotischen Leiden; eine to große Bedeutung
zukommt, und bei Bemühungen, die soziale Psychologie enger an
die Psychologie des Individuum zu binden („Das Ich und des Es“ —
„Mussenpsychologie und Ich-Analyse"). Auch zur Erklärung derS.
Hypnuvixicrherkeit hehe ich die nrehnische Erhubnfz nur der Ur-
hordenzeit der Menschen herangenngen.Gering ist man direkter Anteil An anderen Anwendungen der
Psychoanalyse, die doch des ellgemeinnen Interner würdig sind.
Von den Phantasien des einzelnen Neuroükere fiihrt ein breiter
Weg zu den Phnntasieschöpfnmgen der Messen und Vü1ker, wie sie
in den Mythen, Sagen und Märchen zutage liegen. Die Mytho-
logie ist das Arbeitsgebiet von One Rank geworden, die Deutung
der Mythen, ihre 2arür.hfiihrung auf die bekennen unhequ
Kindheitskomplexe, der Ersatz artraler Erklärungen durch mensch-
liche Movivierung war in vielen Fällen der Erfolg seiner analyti-
schen Bemühung. Auch das Thema der Symbolik bl! nhlreiclie
Bearbeiter in meinen Kreisen gefunden. Die Symbolik hat der Psycho-
analyse viel Feindschaflen eingetragen; manche nllm nuchterne
Falscher haben ihr die Anerkennung der Symbolik, wie sie sich
uns der Deutung der Träume «geb, niemals verzeihen können.
Aber die Analyse ist un der Entdeckung der Symbolik unschuldig,
sie war auf anderen Gebieten längnbeknnnt und. spielt dort (Folklore,
Sage, Mylhus) selbst eine größere Rolle als in der „Sprache des
Traumes“.Zur Anwendung dcr Analyre uf die Pädagugik hehe ich per-
sönlich nichts beigetragen; aber eu war mmrlich, daß die Imlyti-
schen Ermittlungen aber das Sexualleben und die teelieche Ent-
wicklung der Kinder die Aufmerksamkeit der Erzieher auf ich
zogen und sie ihre Aufgaben in einem neuen lichte sehen ließen.
Als unermüdlicher Vorkämpfer dieser Richtung in der Pädagogik
hat sich der protestantische Pfarrer O. Pfister in Zürich hervor-
geum, der die Pflege der Analyse auch mit dem Festhalten an
einer allerdings sublimierten Religior'mät vereinbar find; neben ihm
Frau Dr. Hug-Hellmuth und Dr. S, Berufeld in Wien sowie
viele andere. Aus der Verwendung der Analyse zur verbeugend.en
Erziehung des gesunden und zur Korrektur des noch nicht neuroti-
schen, aber in seiner Entwicklung entgleisten Kindes het sich eineS.
182 Schriften „in den Jahren 1923—1y25
praktisch wichtige Folge ergeben. Es ist nicht mehr möglich, die
Ausübung der Psychoanalyse den Ärzten vorzuhehalten und die
Laien von ihr auszuschließen. In der Tat ist der Amt, der nicht
eine bmndem Ausbildung erfahren hat, um seines Diplom; ein
Laie in der Analyse und der Nichlarzt kann bei entsprechender
Vnrberéitung und gelegentliche!“ Anlehnung an einen Am auch
die Aufgabe der analytischen Behandlung von Neurosen etfiillen.Durch eine jener Entwicklungen, gegen deren Erfolg man sich
vergebens sn-äuben würde, ist das Wort Psychoanalyse selbst mehr
deutig geworden. Ursprünglich die Bezeichnung eines bestimmten
therapeutischen Verfahrens, ist es jetzt auch der Name einer Wissen
schaft geworden, der vom Unbewußt—Seelischen. Diese Wl&senschaft
kann nur selten für sich allein ein Problem voll erledigen; aber
sie scheint berufen, zu den verschiedensten Wissensgebieten Wichtige
Beiträge zu liefern. Das Anwendungsgebiet der Psychoanalyse reicht
ebensoweit wie das der Psychologie, zu der sie eine Ergänzung von
mächtiger Tragweite hinzufügt.So kann ich denn, rückschaueud auf das Stückwerk meiner Lebens—
arheit, sagen, daß ich vielerlei Anfänge gemacht und manche An-
regungen ausgeteilt habe, woraus dann in der Zukunft etwas werden
soll. Ich kann selbst nicht wissen, ob es viel sein wird oder wenig.
freudgs11
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