S.
FETISCHISMUS
In den letzten Jahren hatte ich Gelegenheit, eine Anzahl von
Männern, deren Objektwahl von einem Fetisch beherrscht war,
analytisch zu studieren. Man braucht nicht zu erwarten, daß diese
Personen des Fetisch wegen die Analyse aufgesucht hatten, denn
der Fetisch wird wohl von seinen Anhängern als eine Abnormitåt
erkannt, aber nur selten als ein Leidenssymptom empfunden; meist
sind sie mit ihm recht zufrieden oder loben sogar die Erleichte-
rungen, die er ihrem Liebesleben bietet. Der Fetisch spielte also
in der Regel die Rolle eines Nebenbefundes.Die Einzelheiten dieser Fille entziehen sich aus naheliegenden
Gründen der Veröffentlichung. Ich kann darum auch nicht zeigen,
in welcher Weise zufällige Umstände zur Auswahl des Fetisch bei-
getragen haben. Am merkwiirdigsten erschien ein Fall, in dem ein
junger Mann einen gewissen „Glanz auf der Nase“ zur fetischisti-
schen Bedingung erhoben hatte. Das fand seine überraschende Auf-
klärung durch die Tatsache, daß der Patient eine englische Kinder-
stube gehabt hatte, dann aber nach Deutschland gekommen war,
wo er seine Muttersprache fast vollkommen vergaß. Der aus den
ersten Kinderzeiten stammende Fetisch war nicht deutsch, sondern
englisch zu lesen, der „Glanz auf der Nase“ war eigentlich ein
„Blick auf die Nase“ (glance = Blick), die Nase war also der Fetisch,
dem er iibrigens nach seinem Belieben jenes besondere Glanzlicht
verlieh, das andere nicht wahrnehmen konnten.S.
396 Schriften aus den Jahren 1926—1928
Die Auskunft, welche die Analyse über Sinn und Absicht des
Fetisch gab, war in allen Fällen die nåmliche. Sie ergab sich so
ungezwungen und erschien mir so zwingend, daB ich bereit bin,
dieselbe Lösung allgemein fiir alle Fille von Fetischismus zu er-
warten. Wenn ich nun mitteile, der Fetisch ist ein Penisersatz, so
werde ich gewiß Enttäuschung hervorrufen. Ich beeile mich darum
hinzuzufügen, nicht der Ersatz eines beliebigen, sondern eines be-
stimmten, ganz besonderen Penis, der in frühen Kinderjahren eine
große Bedeutung hat, aber später verloren geht. Das heißt: er sollte
normalerweise aufgegeben werden, aber gerade der Fetisch ist dazu
bestimmt, ihn vor dem Untergang zu behüten. Um es klarer zu
sagen, der Fetisch ist der Ersatz für den Phallus des Weibes (der
Mutter), an den das Knäblein geglaubt hat und auf den es —
wir wissen warum | nicht verzichten will."Der Hergang war also der, daß der Knabe sich geweigert hat,
die Tatsache seiner Wahrnehmung, daB das Weib keinen Penis
besitzt, zur Kenntnis zu nehmen. Nein, das kann nicht wahr sein,
denn wenn das Weib kastriert ist, ist sein eigener Penisbesitz be-
droht, und dagegen sträubt sich das Stück NarziBmus, mit dem
die Natur vorsorglich gerade dieses Organ ausgestattet hat. Eine
ähnliche Panik wird vielleicht der Erwachsene später erleben, wenn
der Schrei ausgegeben wird, Thron und Altar sind in Gefahr, und
sie wird zu ühnlich unlogischen Konsequenzen führen. Wenn ich
nicht irre, würde Laforgue in diesem Falle sagen, der Knabe
»skotomisiert“ die Wahrnehmung des Penismangels beim Weibe.*
Ein neuer Terminus ist dann berechtigt, wenn er einen neuen1) Diese Deutung ist bereits 1910 in meiner Schrift ,Eine Kindheitserinnerung
des Leonardo da Vinci“ ohne Begründung mitgeteilt worden.2) Ich berichtige mich aber selbst, indem ich hinzufüge, daß ich die besten Gründe
habe, anzunehmen, Laforgue würde dies überhaupt nicht sagen. Nach seinen
eigenen Ausführungen ist ,Skotomisation“ ein Terminus, der aus der Deskription
der Dementia praecox stammt, nicht durch die Übertragung psychoanalytischer Auf-
fassung auf die Psychosen entstanden ist und auf die Vorgänge der Entwicklung und
Neurosenbildung keine Anwendung hat. Die Darstellung im Text bemüht sich, diese
Unvertrüglichkeit deutlich zu machen.S.
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Tatbestand beschreibt oder heraushebt. Das liegt hier nicht vor;
das ålteste Stiick unserer psychoanalytischen Terminologie, das Wort
„Verdrängung“, bezieht sich bereits auf diesen pathologischen Vor-
gang. Will man in ihm das Schicksal der Vorstellung von dem des
Affekts schärfer trennen, den Ausdruck „Verdrängung“ fiir den
Affekt reservieren, so wire für das Schicksal der Vorstellung ,, Ver-
leugnung die richtige deutsche Bezeichnung. ,,Skotomisation scheint
mir besonders ungeeignet, denn es weckt die Idee, als wire die
Wahrnehmung glatt weggewischt worden, so daB das Ergebnis das-
selbe wäre, wie wenn ein Gesichtseindruck auf den blinden Fleck
der Netzhaut fiele. Aber unsere Situation zeigt im Gegenteil, daß
ie Wahrnehmung geblieben ist und daB eine sehr energische Aktion
unternommen wurde, ihre Verleugnung aufrecht zu halten. Es ist
nicht richtig, daB das Kind sich nach seiner Beobachtung am Weibe
den Glauben an den Phallus des Weibes unverändert gerettet hat.
Es hat ihn bewahrt, aber auch aufgegeben; im Konflikt zwischen
em Gewicht der unerwünschten Wahrnehmung und der Stärke
des Gegenwunsches ist es zu einem Kompromiß gekommen, wie
es nur unter der Herrschaft der unbewuBten Denkgesetze — der
Primárvorgünge — möglich ist. Ja, das Weib hat im Psychischendennoch einen Penis, aber dieser Penis ist nicht mehr dasselbe,
das er fråher war. Etwas anderes ist an seine Stelle getreten, ist
sozusagen zu seinem Ersatz ernannt worden und ist nun der Erbe
des Interesses, das sich dem früheren zugewendet hatte. Dies Inter-
esse erfåhrt aber noch eine auBerordentliche Steigerung, weil der
Abscheu vor der Kastration sich in der Schaffung dieses Ersatzes
ein Denkmal gesetzt hat. Als stigma indelebile der stattgehabten
Verdrångung bleibt auch die Entfremdung gegen das wirkliche
weibliche Genitale, die man bei keinem Fetischisten vermiBt. Man
überblickt jetzt, was der Fetisch leistet und wodurch er gehalten
wird. Er bleibt das Zeichen des Triumphes über die Kastrations-
drohung und der Schutz gegen sie, er erspart es dem Fetischisten
auch, ein Homosexueller zu werden, indem er dem Weib jenenS.
398 Schriften aus den Jahren 1926—1928
Charakter verleiht, durch den es als Sexualobjekt erträglich wird.
Im späteren Leben glaubt der Fetischist noch einen anderen Vor-
teil seines Genitalersatzes zu genießen. Der Fetisch wird von
anderen nicht in seiner Bedeutung erkannt, darum auch nicht
verweigert, er ist leicht zugänglich, die an ihn gebundene sexuelle
Befriedigung ist bequem zu haben. Um was andere Männer werben
und sich mühen müssen, das macht dem Fetischisten keine
Beschwerde.Der Kastrationsschreck beim Anblick des weiblichen Genitales
bleibt wahrscheinlich keinem männlichen Wesen erspart. Warum
die einen infolge dieses Eindruckes homosexuell werden, die anderen
ihn durch die Schöpfung eines Fetisch abwehren und die über-
große Mehrzahl ihn überwindet, das wissen wir freilich nicht zu
erklären. Möglich, daß wir unter der Anzahl der zusammenwirken-
den Bedingungen diejenigen noch nicht kennen, welche für die
seltenen pathologischen Ausgänge maßgebend sind; im übrigen
müssen wir zufrieden sein, wenn wir erklären können, was ge-
schehen ist, und dürfen die Aufgabe, zu erklären, warum etwas
nicht geschehen ist, vorläufig von uns weisen.Es liegt nahe, zu erwarten, daß zum Ersatz des vermißten weib-
lichen Phallus solche Organe oder Objekte gewählt werden, die auch
sonst als Symbole den Penis vertreten. Das mag oft genug statt-
finden, ist aber gewiß nicht entscheidend. Bei der Einsetzung des
Fetisch scheint vielmehr ein Vorgang eingehalten zu werden, der
an das Haltmachen der Erinnerung bei traumatischer Amnesie ge-
mahnt. Auch hier bleibt das Interesse wie unterwegs stehen, wird
etwa der letzte Eindruck vor dem unheimlichen, traumatischen,
als Fetisch festgehalten. So verdankt der Fuß oder Schuh seine
Bevorzugung als Fetisch — oder ein Stück derselben — dem Um-
stand, daß die Neugierde des Knaben von unten, von den Beinen
her nach dem weiblichen Genitale gespäht hat; Pelz und Samt
fixieren — wie längst vermutet wurde — den Anblick der Genital-
behaarung, auf den der ersehnte des weiblichen Gliedes hätte folgenS.
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sollen; die so häufig zum Fetisch erkorenen Wischestiicke halten
den Moment der Entkleidung fest, den letzten, in dem man das
Weib noch fiir phallisch halten durfte. Ich will aber nicht be-
haupten, daB man die Determinierung des Fetisch jedesmal mit
Sicherheit durchschaut. Die Untersuchung des Fetischismus ist all
denen dringend zu empfehlen, die noch an der Existenz des Kastrations-
komplexes zweifeln oder die meinen kénnen, der Schreck vor dem
weiblichen Genitale habe einen anderen Grund, leite sich z. B. von
der supponierten Erinnerung an das Trauma der Geburt ab. Får
mich hatte die Aufklirung des Fetisch noch ein anderes theoreti-
sches Interesse.Ich habe kürzlich auf rein spekulativem Wege den Satz gefunden,
der wesentliche Unterschied zwischen Neurose und Psychose liege
darin, daß bei ersterer das Ich im Dienste der Realität ein Stück
des Es unterdriicke, während es sich bei der Psychose vom Es fort-
reißen lasse, sich von einem Stück der Realität zu lösen; ich bin
auch später noch einmal auf dasselbe Thema zurückgekommen.'
Aber bald darauf bekam ich Anlaß, zu bedauern, daß ich mich so
weit vorgewagt hatte. Aus der Analyse zweier junger Männer er-
fuhr ich, daB sie beide den Tod des geliebten Vaters im zweiten
und im zehnten Jahr nicht zur Kenntnis genommen, ,,skotomisiert“
hatten — und doch hatte keiner von beiden eine Psychose ent-
wickelt. Da war also ein gewif bedeutsames Stück der Realitát
vom Ich verleugnet worden, ähnlich wie beim Fetischisten die un-
liebsame Tatsache der Kastration des Weibes. Ich begann auch zu
ahnen, daß analoge Vorkommnisse im Kinderleben keineswegs selten
sind, und konnte mich des Irrtums in der Charakteristik von Neu-
rose und Psychose für überführt halten. Es blieb zwar eine Aus-
kunft offen; meine Formel brauchte sich erst bei einem hóheren
Grad von Differenzierung im psychischen Apparat zu bewähren;
dem Kind konnte gestattet sein, was sich beim Erwachsenen durch1) »Neurose und Psychose“ (1924) und der ,Realitåtsverlust bei Neurose und Psy-
chose“ (1924). [In Ges. Schriften, Bd. V, bzw. VI.]S.
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schwere Schädigung strafen mußte. Aber weitere Untersuchungen
führten zu einer anderen Lösung des Widerspruchs.Es stellte sich nämlich heraus, daß die beiden jungen Männer
den Tod des Vaters ebensowenig „skotomisiert“ hatten wie die Feti-
schisten die Kastration des Weibes. Es war nur eine Strömung in
ihrem Seelenleben, welche den Tod des Vaters nicht anerkannt hatte;
es gab auch eine andere, die dieser Tatsache vollkommen Rechnung
trug; die wunschgerechte wie die realitätsgerechte Einstellung be-
standen nebeneinander. Bei dem einen meiner beiden Fälle war
diese Spaltung die Grundlage einer mittelschweren Zwangsneurose
geworden; in allen Lebenslagen schwankte er zwischen zwei Vor-
aussetzungen, der einen, daß der Vater noch am Leben sei und
seine Tätigkeit behindere, und der entgegengesetzten, daß er das
Recht habe, sich als den Nachfolger des verstorbenen Vaters zu
betrachten. Ich kann also die Erwartung festhalten, daß im Fall
der Psychose die eine, die realitätsgerechte Strömung, wirklich ver-
mißt werden würde.Wenn ich zur Beschreibung des Fetischismus zurückkehre, habe
ich anzuführen, daß es noch zahlreiche und gewichtige Beweise
für die zwiespältige Einstellung des Fetischisten zur Frage der
Kastration des Weibes gibt. In ganz raffinierten Fällen ist es der
Fetisch selbst, in dessen Aufbau sowohl die Verleugnung wie die
Behauptung der Kastration Eingang gefunden haben. So war es bei
einem Manne, dessen Fetisch in einem Schamgürtel bestand, wie
er auch als Schwimmhose getragen werden kann. Dieses Gewand-
stück verdeckte überhaupt die Genitalien und den Unterschied der
Genitalien. Nach dem Ausweis der Analyse bedeutete es sowohl,
daß das Weib kastriert sei, als auch, daß es nicht kastriert sei, und
ließ überdies die Annahme der Kastration des Mannes zu, denn
alle diese Möglichkeiten konnten sich hinter dem Gürtel, dessen
erster Ansatz in der Kindheit das Feigenblatt einer Statue gewesen
war, gleich gut verbergen. Ein solcher Fetisch, aus Gegensätzen
doppelt geknüpft, hält natürlich besonders gut. In anderen zeigtS.
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sich die Zwiespåltigkeit an dem, was der Fetischist — in der Wirk-
lichkeit oder in der Phantasie — an seinem Fetisch vornimmt.
Es ist nicht erschäpfend, wenn man hervorhebt, daß er den Fetisch
verehrt; in vielen Fillen behandelt er ihn in einer Weise, die offen-
bar einer Darstellung der Kastration gleichkommt. Dies geschieht
besonders dann, wenn sich eine starke Vateridentifizierung entwickelt
hat, in der Rolle des Vaters, denn diesem hatte das Kind die Kastration
des Weibes zugeschrieben. Die Zärtlichkeit und die Feindseligkeit
in der Behandlung des Fetisch, die der Verleugnung und der An-
erkennung der Kastration gleichlaufen, vermengen sich bei ver-
schiedenen Fällen in ungleichem Maße, so daß das eine oder das
andere deutlicher kenntlich wird. Von hier aus glaubt man, wenn
auch aus der Ferne, das Benehmen des Zopfabschneiders zu ver-
stehen, bei dem sich das Bediirfnis, die geleugnete Kastration aus-
zuführen, vorgedrångt hat. Seine Handlung vereinigt in sich die
beiden miteinander unvertråglichen Behauptungen: das Weib hat
seinen Penis behalten und der Vater hat das Weib kastriert. Eine
andere Variante, aber auch eine völkerpsychologische Parallele zum
Fetischismus möchte man in der Sitte der Chinesen erblicken, den
weiblichen Fuß zuerst zu verstümmeln und den verstümmelten
dann wie einen Fetisch zu verehren. Man könnte meinen, der
chinesische Mann will es dem Weibe danken, daß es sich der
Kastration unterworfen hat.Schließlich darf man es aussprechen, das Normalvorbild des Fetisch
ist der Penis des Mannes, wie das des minderwertigen Organs der
reale kleine Penis des Weibes, die Klitoris.Freud XI. 26
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