Fetischismus 1927-003/1928
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    FETISCHISMUS

    In den letzten Jahren hatte ich Gelegenheit, eine Anzahl von
    Männern, deren Objektwahl von einem Fetisch beherrscht war,
    analytisch zu studieren. Man braucht nicht zu erwarten, daß diese
    Personen des Fetisch wegen die Analyse aufgesucht hatten, denn
    der Fetisch wird wohl von seinen Anhängern als eine Abnormitåt
    erkannt, aber nur selten als ein Leidenssymptom empfunden; meist
    sind sie mit ihm recht zufrieden oder loben sogar die Erleichte-
    rungen, die er ihrem Liebesleben bietet. Der Fetisch spielte also
    in der Regel die Rolle eines Nebenbefundes.

    Die Einzelheiten dieser Fille entziehen sich aus naheliegenden
    Gründen der Veröffentlichung. Ich kann darum auch nicht zeigen,
    in welcher Weise zufällige Umstände zur Auswahl des Fetisch bei-
    getragen haben. Am merkwiirdigsten erschien ein Fall, in dem ein
    junger Mann einen gewissen „Glanz auf der Nase“ zur fetischisti-
    schen Bedingung erhoben hatte. Das fand seine überraschende Auf-
    klärung durch die Tatsache, daß der Patient eine englische Kinder-
    stube gehabt hatte, dann aber nach Deutschland gekommen war,
    wo er seine Muttersprache fast vollkommen vergaß. Der aus den
    ersten Kinderzeiten stammende Fetisch war nicht deutsch, sondern
    englisch zu lesen, der „Glanz auf der Nase“ war eigentlich ein
    „Blick auf die Nase“ (glance = Blick), die Nase war also der Fetisch,
    dem er iibrigens nach seinem Belieben jenes besondere Glanzlicht
    verlieh, das andere nicht wahrnehmen konnten.

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    396 Schriften aus den Jahren 1926—1928

    Die Auskunft, welche die Analyse über Sinn und Absicht des
    Fetisch gab, war in allen Fällen die nåmliche. Sie ergab sich so
    ungezwungen und erschien mir so zwingend, daB ich bereit bin,
    dieselbe Lösung allgemein fiir alle Fille von Fetischismus zu er-
    warten. Wenn ich nun mitteile, der Fetisch ist ein Penisersatz, so
    werde ich gewiß Enttäuschung hervorrufen. Ich beeile mich darum
    hinzuzufügen, nicht der Ersatz eines beliebigen, sondern eines be-
    stimmten, ganz besonderen Penis, der in frühen Kinderjahren eine
    große Bedeutung hat, aber später verloren geht. Das heißt: er sollte
    normalerweise aufgegeben werden, aber gerade der Fetisch ist dazu
    bestimmt, ihn vor dem Untergang zu behüten. Um es klarer zu
    sagen, der Fetisch ist der Ersatz für den Phallus des Weibes (der
    Mutter), an den das Knäblein geglaubt hat und auf den es —
    wir wissen warum | nicht verzichten will."

    Der Hergang war also der, daß der Knabe sich geweigert hat,
    die Tatsache seiner Wahrnehmung, daB das Weib keinen Penis
    besitzt, zur Kenntnis zu nehmen. Nein, das kann nicht wahr sein,
    denn wenn das Weib kastriert ist, ist sein eigener Penisbesitz be-
    droht, und dagegen sträubt sich das Stück NarziBmus, mit dem
    die Natur vorsorglich gerade dieses Organ ausgestattet hat. Eine
    ähnliche Panik wird vielleicht der Erwachsene später erleben, wenn
    der Schrei ausgegeben wird, Thron und Altar sind in Gefahr, und
    sie wird zu ühnlich unlogischen Konsequenzen führen. Wenn ich
    nicht irre, würde Laforgue in diesem Falle sagen, der Knabe
    »skotomisiert“ die Wahrnehmung des Penismangels beim Weibe.*
    Ein neuer Terminus ist dann berechtigt, wenn er einen neuen

    1) Diese Deutung ist bereits 1910 in meiner Schrift ,Eine Kindheitserinnerung
    des Leonardo da Vinci“ ohne Begründung mitgeteilt worden.

    2) Ich berichtige mich aber selbst, indem ich hinzufüge, daß ich die besten Gründe
    habe, anzunehmen, Laforgue würde dies überhaupt nicht sagen. Nach seinen
    eigenen Ausführungen ist ,Skotomisation“ ein Terminus, der aus der Deskription
    der Dementia praecox stammt, nicht durch die Übertragung psychoanalytischer Auf-
    fassung auf die Psychosen entstanden ist und auf die Vorgänge der Entwicklung und
    Neurosenbildung keine Anwendung hat. Die Darstellung im Text bemüht sich, diese
    Unvertrüglichkeit deutlich zu machen.

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    Fetischismus 397

    Tatbestand beschreibt oder heraushebt. Das liegt hier nicht vor;
    das ålteste Stiick unserer psychoanalytischen Terminologie, das Wort
    „Verdrängung“, bezieht sich bereits auf diesen pathologischen Vor-
    gang. Will man in ihm das Schicksal der Vorstellung von dem des
    Affekts schärfer trennen, den Ausdruck „Verdrängung“ fiir den
    Affekt reservieren, so wire für das Schicksal der Vorstellung ,, Ver-
    leugnung die richtige deutsche Bezeichnung. ,,Skotomisation scheint
    mir besonders ungeeignet, denn es weckt die Idee, als wire die
    Wahrnehmung glatt weggewischt worden, so daB das Ergebnis das-
    selbe wäre, wie wenn ein Gesichtseindruck auf den blinden Fleck
    der Netzhaut fiele. Aber unsere Situation zeigt im Gegenteil, daß
    ie Wahrnehmung geblieben ist und daB eine sehr energische Aktion
    unternommen wurde, ihre Verleugnung aufrecht zu halten. Es ist
    nicht richtig, daB das Kind sich nach seiner Beobachtung am Weibe
    den Glauben an den Phallus des Weibes unverändert gerettet hat.
    Es hat ihn bewahrt, aber auch aufgegeben; im Konflikt zwischen
    em Gewicht der unerwünschten Wahrnehmung und der Stärke
    des Gegenwunsches ist es zu einem Kompromiß gekommen, wie
    es nur unter der Herrschaft der unbewuBten Denkgesetze — der
    Primárvorgünge — möglich ist. Ja, das Weib hat im Psychischen

    dennoch einen Penis, aber dieser Penis ist nicht mehr dasselbe,
    das er fråher war. Etwas anderes ist an seine Stelle getreten, ist
    sozusagen zu seinem Ersatz ernannt worden und ist nun der Erbe
    des Interesses, das sich dem früheren zugewendet hatte. Dies Inter-
    esse erfåhrt aber noch eine auBerordentliche Steigerung, weil der
    Abscheu vor der Kastration sich in der Schaffung dieses Ersatzes
    ein Denkmal gesetzt hat. Als stigma indelebile der stattgehabten
    Verdrångung bleibt auch die Entfremdung gegen das wirkliche
    weibliche Genitale, die man bei keinem Fetischisten vermiBt. Man
    überblickt jetzt, was der Fetisch leistet und wodurch er gehalten
    wird. Er bleibt das Zeichen des Triumphes über die Kastrations-
    drohung und der Schutz gegen sie, er erspart es dem Fetischisten
    auch, ein Homosexueller zu werden, indem er dem Weib jenen

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    398 Schriften aus den Jahren 1926—1928

    Charakter verleiht, durch den es als Sexualobjekt erträglich wird.
    Im späteren Leben glaubt der Fetischist noch einen anderen Vor-
    teil seines Genitalersatzes zu genießen. Der Fetisch wird von
    anderen nicht in seiner Bedeutung erkannt, darum auch nicht
    verweigert, er ist leicht zugänglich, die an ihn gebundene sexuelle
    Befriedigung ist bequem zu haben. Um was andere Männer werben
    und sich mühen müssen, das macht dem Fetischisten keine
    Beschwerde.

    Der Kastrationsschreck beim Anblick des weiblichen Genitales
    bleibt wahrscheinlich keinem männlichen Wesen erspart. Warum
    die einen infolge dieses Eindruckes homosexuell werden, die anderen
    ihn durch die Schöpfung eines Fetisch abwehren und die über-
    große Mehrzahl ihn überwindet, das wissen wir freilich nicht zu
    erklären. Möglich, daß wir unter der Anzahl der zusammenwirken-
    den Bedingungen diejenigen noch nicht kennen, welche für die
    seltenen pathologischen Ausgänge maßgebend sind; im übrigen
    müssen wir zufrieden sein, wenn wir erklären können, was ge-
    schehen ist, und dürfen die Aufgabe, zu erklären, warum etwas
    nicht geschehen ist, vorläufig von uns weisen.

    Es liegt nahe, zu erwarten, daß zum Ersatz des vermißten weib-
    lichen Phallus solche Organe oder Objekte gewählt werden, die auch
    sonst als Symbole den Penis vertreten. Das mag oft genug statt-
    finden, ist aber gewiß nicht entscheidend. Bei der Einsetzung des
    Fetisch scheint vielmehr ein Vorgang eingehalten zu werden, der
    an das Haltmachen der Erinnerung bei traumatischer Amnesie ge-
    mahnt. Auch hier bleibt das Interesse wie unterwegs stehen, wird
    etwa der letzte Eindruck vor dem unheimlichen, traumatischen,
    als Fetisch festgehalten. So verdankt der Fuß oder Schuh seine
    Bevorzugung als Fetisch — oder ein Stück derselben — dem Um-
    stand, daß die Neugierde des Knaben von unten, von den Beinen
    her nach dem weiblichen Genitale gespäht hat; Pelz und Samt
    fixieren — wie längst vermutet wurde — den Anblick der Genital-
    behaarung, auf den der ersehnte des weiblichen Gliedes hätte folgen

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    Fetischismus 399

    sollen; die so häufig zum Fetisch erkorenen Wischestiicke halten
    den Moment der Entkleidung fest, den letzten, in dem man das
    Weib noch fiir phallisch halten durfte. Ich will aber nicht be-
    haupten, daB man die Determinierung des Fetisch jedesmal mit
    Sicherheit durchschaut. Die Untersuchung des Fetischismus ist all
    denen dringend zu empfehlen, die noch an der Existenz des Kastrations-
    komplexes zweifeln oder die meinen kénnen, der Schreck vor dem
    weiblichen Genitale habe einen anderen Grund, leite sich z. B. von
    der supponierten Erinnerung an das Trauma der Geburt ab. Får
    mich hatte die Aufklirung des Fetisch noch ein anderes theoreti-
    sches Interesse.

    Ich habe kürzlich auf rein spekulativem Wege den Satz gefunden,
    der wesentliche Unterschied zwischen Neurose und Psychose liege
    darin, daß bei ersterer das Ich im Dienste der Realität ein Stück
    des Es unterdriicke, während es sich bei der Psychose vom Es fort-
    reißen lasse, sich von einem Stück der Realität zu lösen; ich bin
    auch später noch einmal auf dasselbe Thema zurückgekommen.'
    Aber bald darauf bekam ich Anlaß, zu bedauern, daß ich mich so
    weit vorgewagt hatte. Aus der Analyse zweier junger Männer er-
    fuhr ich, daB sie beide den Tod des geliebten Vaters im zweiten
    und im zehnten Jahr nicht zur Kenntnis genommen, ,,skotomisiert“
    hatten — und doch hatte keiner von beiden eine Psychose ent-
    wickelt. Da war also ein gewif bedeutsames Stück der Realitát
    vom Ich verleugnet worden, ähnlich wie beim Fetischisten die un-
    liebsame Tatsache der Kastration des Weibes. Ich begann auch zu
    ahnen, daß analoge Vorkommnisse im Kinderleben keineswegs selten
    sind, und konnte mich des Irrtums in der Charakteristik von Neu-
    rose und Psychose für überführt halten. Es blieb zwar eine Aus-
    kunft offen; meine Formel brauchte sich erst bei einem hóheren
    Grad von Differenzierung im psychischen Apparat zu bewähren;
    dem Kind konnte gestattet sein, was sich beim Erwachsenen durch

    1) »Neurose und Psychose“ (1924) und der ,Realitåtsverlust bei Neurose und Psy-
    chose“ (1924). [In Ges. Schriften, Bd. V, bzw. VI.]

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    400 Schriften aus den Jahren 1926—1928

    schwere Schädigung strafen mußte. Aber weitere Untersuchungen
    führten zu einer anderen Lösung des Widerspruchs.

    Es stellte sich nämlich heraus, daß die beiden jungen Männer
    den Tod des Vaters ebensowenig „skotomisiert“ hatten wie die Feti-
    schisten die Kastration des Weibes. Es war nur eine Strömung in
    ihrem Seelenleben, welche den Tod des Vaters nicht anerkannt hatte;
    es gab auch eine andere, die dieser Tatsache vollkommen Rechnung
    trug; die wunschgerechte wie die realitätsgerechte Einstellung be-
    standen nebeneinander. Bei dem einen meiner beiden Fälle war
    diese Spaltung die Grundlage einer mittelschweren Zwangsneurose
    geworden; in allen Lebenslagen schwankte er zwischen zwei Vor-
    aussetzungen, der einen, daß der Vater noch am Leben sei und
    seine Tätigkeit behindere, und der entgegengesetzten, daß er das
    Recht habe, sich als den Nachfolger des verstorbenen Vaters zu
    betrachten. Ich kann also die Erwartung festhalten, daß im Fall
    der Psychose die eine, die realitätsgerechte Strömung, wirklich ver-
    mißt werden würde.

    Wenn ich zur Beschreibung des Fetischismus zurückkehre, habe
    ich anzuführen, daß es noch zahlreiche und gewichtige Beweise
    für die zwiespältige Einstellung des Fetischisten zur Frage der
    Kastration des Weibes gibt. In ganz raffinierten Fällen ist es der
    Fetisch selbst, in dessen Aufbau sowohl die Verleugnung wie die
    Behauptung der Kastration Eingang gefunden haben. So war es bei
    einem Manne, dessen Fetisch in einem Schamgürtel bestand, wie
    er auch als Schwimmhose getragen werden kann. Dieses Gewand-
    stück verdeckte überhaupt die Genitalien und den Unterschied der
    Genitalien. Nach dem Ausweis der Analyse bedeutete es sowohl,
    daß das Weib kastriert sei, als auch, daß es nicht kastriert sei, und
    ließ überdies die Annahme der Kastration des Mannes zu, denn
    alle diese Möglichkeiten konnten sich hinter dem Gürtel, dessen
    erster Ansatz in der Kindheit das Feigenblatt einer Statue gewesen
    war, gleich gut verbergen. Ein solcher Fetisch, aus Gegensätzen
    doppelt geknüpft, hält natürlich besonders gut. In anderen zeigt

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    Fetischismus 401

    sich die Zwiespåltigkeit an dem, was der Fetischist — in der Wirk-
    lichkeit oder in der Phantasie — an seinem Fetisch vornimmt.
    Es ist nicht erschäpfend, wenn man hervorhebt, daß er den Fetisch
    verehrt; in vielen Fillen behandelt er ihn in einer Weise, die offen-
    bar einer Darstellung der Kastration gleichkommt. Dies geschieht
    besonders dann, wenn sich eine starke Vateridentifizierung entwickelt
    hat, in der Rolle des Vaters, denn diesem hatte das Kind die Kastration
    des Weibes zugeschrieben. Die Zärtlichkeit und die Feindseligkeit
    in der Behandlung des Fetisch, die der Verleugnung und der An-
    erkennung der Kastration gleichlaufen, vermengen sich bei ver-
    schiedenen Fällen in ungleichem Maße, so daß das eine oder das
    andere deutlicher kenntlich wird. Von hier aus glaubt man, wenn
    auch aus der Ferne, das Benehmen des Zopfabschneiders zu ver-
    stehen, bei dem sich das Bediirfnis, die geleugnete Kastration aus-
    zuführen, vorgedrångt hat. Seine Handlung vereinigt in sich die
    beiden miteinander unvertråglichen Behauptungen: das Weib hat
    seinen Penis behalten und der Vater hat das Weib kastriert. Eine
    andere Variante, aber auch eine völkerpsychologische Parallele zum
    Fetischismus möchte man in der Sitte der Chinesen erblicken, den
    weiblichen Fuß zuerst zu verstümmeln und den verstümmelten
    dann wie einen Fetisch zu verehren. Man könnte meinen, der
    chinesische Mann will es dem Weibe danken, daß es sich der
    Kastration unterworfen hat.

    Schließlich darf man es aussprechen, das Normalvorbild des Fetisch
    ist der Penis des Mannes, wie das des minderwertigen Organs der
    reale kleine Penis des Weibes, die Klitoris.

    Freud XI. 26