Ein Fall von Hirnblutung mit indirekten basalen Herdsymptomen bei Skorbut 1884-001/1884.3
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    Separatabdrnck aus Dr. Wittelehöfer’s „Wr. Med. Wocheneclnnf
    (Nr. 9 und 10, 1884.)

    Ein Fall von

    Hirnhlntung mit indirekten basalen Hierd-
    sy1nptomen bei Skorhut.

    Mitgetheilt von Dr. BIG-M. FREUD, Sekundararzt im k. k. Allgemeinen
    Krankenhause.

    Am 17. Jänner 1884 wurde ein 16jähriger Schuhmacher—
    lehrling auf die IV. mediz. Abtheilung aufgenommen. Der kräftig
    gebaute, nicht abgemagerte Kranke blutete reichlich aus dem Zahn—
    fleische und zeigte zahlreiche, rosenrothe, punkttörmige Hämorrha—
    gien an den Untersehenkeln, die er angeblich seit 14 Tagen be-
    merkt hatte.

    Die Untersuchung der inneren Organe, der Temperatur und
    des Pulses ergab nichts Abnormes; eine leichte Apat—hie bei ganz

    ungetriibtem Bewusstsein war sofort bei der Aufnahme auflällig..

    Ein ätiologisehes Moment konnte nicht erhoben we1den

    Um 9 Uhr Abends erbrach der Kranke, wurde da1auf 1111-
    besinnlich, antwortete nicht auf Fragen; Konvulsionen wurden
    nicht beobachtet. ' ‘ '

    Um 8 Uhr Morgens des nächsten Tages bot er bei einer
    Temperatur von 3810 C., regelmässiger Athmung und einer Puls—
    frequenz von 80 dasBild des tiefsten Komas. Die Pnpillen waren gleich
    weit, die Extremitäten anscheinend nicht gelähmt, Harn musste mit
    dem Katheter entleert werden. Zahlreiche frische Blutungen, zum
    Theile von grösserem Umtange und in den tieferen Schichten ge-
    lagert, wurden an der Haut der Zehen, der Ober- und Vorderarme
    und des Kopfes konstatirt.

    Um 12 Uhr Mittags fiel die Unruhe des bisher regungs-
    losen Kranken auf und veranlasste, ihn einer fortlaufenden Beob-
    achtung zu unterwerfen.

    12 Uhr. Pat. wirft sich im Bette herum, reagirt auf keinerlei
    Sinnesreize. Respiration tief, 24, Puls 82, kräftig. Herztöne rein und

    84. Nr. 54. :*““ .. 1

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    laut. Der Mund ist fest geschlossen. Die rechte Pupille verengt,
    reagirt prompt auf Lichtrciz; die linke sehr erweitert, wenn auch
    nicht maximal, reagirt nicht oder kaum merklich auf Belichtung
    und Beschattung. Die Weite beider Pupillen zeigt mitunter spontan
    eine geringe gleichsinnige Aenderung. Die linke Lidspalte meist
    geschlossen, während die rechte häufig geöflnet wird. Die rechte
    obere Extremität zeigt starke Muskelspannung, wird, im Schulter—
    gelenke adduzirt und im Ellbogen- und den Handgelchn gebengt,
    unbeweglich auf der Brust gehalten; die rechte untere Extremität
    extendirt, ebenfalls stark gespannt und unbeweglich. Die linken
    Extremitäten zeigen keine höhere Muskelspannung, werden durch
    anscheinend willkürliehe Impulse des sehr unruhigen Kranken in
    koordinirter Weise bewegt. Patellarreflex beiderseits lebhaft, rechts
    Andeutung von Fussklonus, Hautrefiex von der Fusssohle aus
    rechts nicht zu erzeugen, links sehr heftig.

    2 Uhr. Pat. liegt auf der linken Seite, die Augen gleich»
    sinnig nach links gewendet, nicht ganz in den Winkel und etwas
    nach unten eingestellt. Gerade gelegt, verbleibt der Kranke so, die
    Augenablenkung besteht aber auch bei gelegentlicher Wendung des
    Kopfes nach rechts, Pupillarrefiex fehlt beiderseits. Ptosis links un-
    zweifelhaft. Mitunter nystaktische Bewegungen des rechten Auges
    von der Mittelstellung nach innen. Der Mundwinkel hängt links
    herab, die präinspiratorisehe Erweiterung des Nasenflügels bleibt
    links aus. Die Kiefer fest zusammengepresst, der Nacken steif.
    Berührung der rechten Kornea und tiefe Nadels’tiche im ganzen
    Gesichte erzeugen keine Reaktion. Bei Berührung der linken
    Kornea erfolgt Lidschluss, gleichzeitig fährt der Kranke mit dem
    linken Arme, wie um zu wischen, über das Auge und hält diese
    Aktion längere Zeit fest. Die Extremitäten verhalten sich wie vor-
    hin; auf stärkere Hautreizungeu der rechten Körperhälfte antworten
    mitunter die linken Extremitäten durch Abwehrbewegungen'. Tem-
    peratur in der rechten Axilla gemessen 5900 C., Messung in der
    linken Axilla wegen der Unruhe des Kranken nicht möglich,
    Athmung tief seutzend, etwas verlangsamt. Puls 86, hat an Völle
    und Spannung zugenommen, keine Cyanose.

    Um 1/23 Uhr. Nach einer Aetherinjektion ist der Korneal-
    reflex rechts wiedergekehrt. Der linke Arm führt in raschem
    Wechsel traumhafte Bewegungen aus, wie: Reihen der Stirne, durch
    die Haare Fahren, Kratzen und Wischen.

    Um 3 Uhr. Pupillen zeigen kaum merkliche Reaktion, Lid-
    spalte links meist geschlossen, rechts halb offen. Nystagmus rechts
    bei vorherrschender Ablenkung beider Augen nach links. Korneal—
    refiex beiderseits aufgehoben. Auf Nadelstiohe nirgends Reaktion.
    Das rechte Bein weniger gespannt, das linke sohlaff, wird nicht

    =-=—— m- :'

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    mehr bewegt. Vom rechten Beine deutlicher Fusssohlenreflex, vom
    linken deutlicher Patellarreflex zu erzielen. Der Sehnenreflex fehlt
    rechts, der Hautrefiex links. Geringfügige spontane Lageveränderungen
    des kontrahirten rechten Armee; wenn man denselben extendirt und
    anderswohin lagert, wird er vom Kranken jedesmal wieder auf
    die Brust zurückgebracht. Der linke Arm in lebhafter Aktion.
    Unterleib kahnförmig eingezogen. Respiratioh tief, Stöhnen und
    Murmeln. Wenn der Kranke Blut auspru.tet, wird die linksseitige
    Facialparese unzweifelhaft. Schweissau31fi h am Oberkörper, Rö—
    thung der linken Wange. Puls kräftig, von nnverändertem
    Rythmus.

    Um 1/25 Uhr. Beide unteren Extremitäten schlaff, Haut-
    und Sehnenreflexe aufgehoben. Bald darauf gerathen die Muskeln
    des bisher freien linken Armes ebenfalls in Spannung, die Muskel-
    bäuche springen vor, die Finger werden übereinander geschlagen,
    ohne dass darum die spontanen Bewegungen dieser Extremität auf—
    hörten. Pupillenreaktion auf Licht einige Male merklich, andere
    Male zweifelhaft. Kornealrefiexe fehlen. Das rechte Auge stellt sich
    ent kurze Zeit in die Mittellage nach unten ein, während das
    linke starr nach aussen blickt. Temp. in der rechten Axilla
    3920 C. ‘

    Um 5 Uhr. Auf elektrische Reizung reagirt der rechte Arm
    mit einzelnen Zuckungen, der linke mit komplizirten, wiewohl durch
    die Kontraktur eingeschränkten Abwehrbewegungen. Die Respi-
    ration wird unregelmässig, durch schlnohzende und stöhnende Be-
    wegungen unterbrochen. Puls 84.

    Um 1/26 Uhr. Die Unruhe des Kranken nimmt zu. Beide oberen
    Extremitäten in stärkster Muskelspannung und lebhafter wechselnder
    Aktion.

    Um 6 Uhr. Reizerscheinungen (lauern fort, die Muskelspannung
    lässt gelegentlich nach. Die Respiration aussetzend, Stöhnen und
    Blasen. Der Trismus geringer.

    Um 1/47 Uhr sind beide oberen Extremitäten erschlaflt,
    führen nicht mehr spontane Bewegungen aus; Gleichzeitig haben
    sich zuerst das rechte, dann das linke Auge in die Mittellage ein-
    gestellt und verbleiben daselbst unbeweglich. Die rechte Pupille er-
    weitert sich allmälig, die linke verengt sich, bis beide fast gleich
    und mittelweit geworden sind. Trismus und Nackenstarre haben
    aufgehört. Die Respiration ist ruhiger und aussetzend. Zwischen
    einer Gruppe von Athemziigen und der nächsten kommen Pausen
    von 15—45 Sekunden vor. Der ungemein kräftige Puls hat eine
    allmälige Beschleunigung erfahren und zeigt bemerkenswerthe
    Alterationen unter dem Einflussc der aussetzenden R.espiration. In
    der Atlmmpause zeigt er eine regelmässige Frequenz von etwa

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    14 Schlägen in 10 Sekunden, verschwindet, sobald die erste tiefe
    Inspiration eintritt und beginnt dann mit kleinen einander jagenden
    Wellen, um nach dem Aufhöre*n der gewöhnlich zu 4 oder 5
    gruppirten Athemziige seinen irüheren Rythmus anzunehmen. Auf
    20 Sekunden während einer Athempause kommen 28, auf denselben
    Zeitraum während einer Athemreihe 44 Wellen.

    Um 3/;7 ist die letzte Spur der Pupillendifierenz geschwunden.
    Vollständige Resolution. Der noch immer sehr kräftige Puls zeigt
    sich auch während der Athempause beschleunigt. Frequenz im
    Mittel 132. Temperatur 395" C.

    Die von Dr. Kö ni get ein vorgenommene ophthalmoskopische
    Untersucluing ergibt: In beiden Augen weissliche Flecken über die
    ganze Retina zerstreut, ferner dunkelschWarzrothe, flächenhafte
    Blutungen und zahlreiche frische kapilläre Hämorrhagien als Punkte
    und Striehe. Der Kontour der Papille nicht sichtbar.

    Der um diese Zeit mit dem Katheter entnommene Harn war
    etwas getrübt, rotbgelb, sauer, vom spezifischen Gewichte 1027,
    enthielt eine mässige Menge EiWeiss und keinen Zucker.

    Eine Aetherinjektion stellte den Kornealreflex fiir kurze Zeit
    wieder her.

    Um 7 Uhr wurde die Beobachtung des Kranken abgebrochen.
    Tod ohne KonVulsionen um 8 Uhr Abends. Es schien die Dia—
    gnose gerechtfertigt: Seorbutus, Hamorrhagia cerebri intermeninge—
    alis (et ad erura cerebri) et retinarum.

    Aus dem Sektionsbefunde (Prof. Kundrat) hehe ich die
    auf (las Verhalten des Gehirns bezügliehen Stellen hervor: „Die
    Schädeldecken ecchymosirt‚ auch im Perikranium am hintersten Theile
    der Pfeilna.ht bis linsengrosse Blutaustritte. Der Schädel sehr ge—
    räumig, diinnwandig, die harte Hirnhaut sehr‘stark gespannt, zwi-
    schen ihr und den inneren Hirnhäuten über der linken Hemisphäre
    in der Gegend des linken Scheitelläppchens hinab in die mittlere
    Sehätlelgrube und über das linke Tentorium eine dünne Sehiehte
    schwarzrothen Bluteaangesammelt. Die innere Hirnhaut über der
    Konvexität der linken Hemisphäre, entlang der medialen Furche,
    über dem obersten Stirnzug und den anstossenden Partien der
    Zentralwindungen sehr stark sufiundirt, ebenso über dem oberen
    linken Scheitelläppchen, Die linke Hemisphäre sehr stark geschwellt,
    so dass sie Weit mehr als die Hälfte des Schädelraumes einnimmt.
    Die Windungen noch stärker abgeplattet als rechts, das Gehirn
    gelockert, sehr blutarm und fast zerfliessend weich, in der linken
    Hemisphäre im linken unteren Seheitelläppchen in seiner Binden-
    substanz und Markmasse in Form eines stmnpfen breiten Keils
    bis an die Aussenwand des Hinterhorns und das hintere Ende des

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    Linsenkernes dicht durchsetzt v'on kapillären und bis erbsengrossen
    Extraveseten, so dass die Hirnsubstanz beim l)ariiberfliessen von
    Flüssigkeit wie zerfasert erscheint. Die Ventrikel, namentlich die
    Seitenventrikel enorm verengt. An der linken Hemisphäre die Win-
    dungen an der Basalfiäehe sehr stark abgeplattet, der linke ()eulo-
    motorius an der Spitze des Sehläfelappens komprimirt, selbst der
    linke Hirnsehenkel flachgedrückt.

    Die Seheiden beider Sehnerven von Blutungen durchsetzt,
    die Retine am linken Auge fast in ganzer Ausdehnung von einer
    dünnen Sehiehte Blutes grösstentheils abgelöst, der Glaskörper von
    Blut durchsetzt; am rechten Auge nur kleinere Blutungen unter
    der Netzhaut, der Glaskörper frei.

    Am Rückenmarke unter den zarten Häuten nur ganz verein—
    zel—te Eeehymosen, und an den Querschnitten nur hie und da eine
    röthliehe Verfärbung an der Auskleidnng des Zentralkanals.“ Die
    Beschreibung der zahlreichen Blutaustritte in der Haut, in fast
    allen serösen und Sehleimhäuten (die Parenehyme waren meist frei),

    iibergehe ich hier.

    *
    * *

    An dem in mehrfacher Beziehung interessanten Falle
    wird uns hier nur das Krankheitsbild und die Zurück—
    führung desselben auf den Leichenbefund beschäftigen. \Vahr—
    seheinlieh allmälig ansteigend entwickelte isieh bei unserem
    Kranken ein tiefes Koma mit geringer Erhöhung der Tempe-
    ratur, ohne Beeinflussung der Respiration und Pulst'rerprenz
    und ohne irgend welche Anzeichen für die Lokalisation der
    Läsion zu bieten. Da über die Natur der Läsion als Blutung
    kein Zweifel bestehen konnte, war es gerade dieses Verhalten,
    welches auf eine Oberflächenblutung hindeutete. Nach etwa
    12stündiger Dauer des Komas stellten sich allgemeine Reiz—
    erschcinungen (Unruhe, Trismus, Nackenstarre), Lähmungs-
    und solche Reizungssymptome ein, welehe zu einer topisohen
    Diagnose der Läsion aufforderten. Ptosis, Pupillenerweiterung,
    Gesichtsmuskellähmung linkerseits, Ablenkung beider Augen
    nach links und Kontraktur der reehtsseitigen Extremitäten
    liessen in ihrem Beisammensein eine Afiektion im linken
    Sehädelraumc erkennen, welche einerseits Hirnnervenstämme
    lähmend beeinflusst, andererseits auf die motorische Bahn
    für die rechte Körperhä‚ltte reizend einwirkt. An welcher
    Strecke des langen Verlaufes der motorischen Bahn fand nun
    die reizende Einwirkung statt? Wollte man alle beobachteten
    Symptome von einem Herde ableiten, so war die Rinde der
    linken Hemisphäre aus naheliegen-den Gründen auszuschliessen;

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    —6—

    dieselben Gründe sprachen auch gegen eine Afiektion der
    motorischen Ganglien und überdies der Umstand, dass am
    Facialis der rechten Seite weder Lähmung noch Kontraktur
    zu konstatiren war. Wenn demnach am wahrscheinlichsten
    war, dass die motorische Bahn an der Hirnbasis vom Insulte
    getroffen werden sei, so schienen auch die weiteren Ver-
    änderungen des Krankheitsbildes, das verschiedene Verhalten
    der motorischen Bahnen für die obere und für die untere
    Extremität und das Uebergreifen auf die andere Seite, diese
    Annahme zu begünstigen. Aus der Hemikontraktur wurde
    zunächst Monokontraktur der rechten oberen Extremität und
    Paraplegie, sodann trat beiderseitige Kontraktur der oberen
    Extremitäten auf, die ihrerseits alsbald in Lähmung über-
    ging. (Dass auch an der linken unteren Extremität der Erschlaf-
    fung erhöhte Muskelspannuhg vorausgeeilt, dürfte der Beob—
    achtung entgangen sein.) Eine Blutung in die basale Strecke
    der motorischen Bahn selbst war ferner durch zwei Momente
    auszuschliessen, erstens durch die fehlende Beeinträchtigung
    von Respiration und Pulsfrequenz zu einer Zeit, als die
    motorischen Reizsymptomc scharf ausgeprägt waren, und
    sodann durch den Umstand, dass an der rechten oberen Ex—
    tremität stundenlange Kontraktur ohne Leitungsuntcr-
    brechung bestand, wie deren koordinirte Aktion nach langer
    Unbeweglichkeit kurz vor dem Eintritte der allgemeinen
    Lähmung darthat. Es konnte sich also nur um eine Blutung
    handeln, die in ihren entfernteren Folgen, durch. indirekte
    Einwirkung, zur Beeinträchtigung der motorischen Bahn an
    der Basis führte, und mit Uebersehen einer anderen Möglich—
    keit gelangte man zur Aufstellung einer intermeningealen
    Blutung an der Hirnbasis.

    Die Autopsie ergab nun mehrfache Blutungen in der
    linken Hälfte des Schädelraumes: eine solche in die Menin—
    gen längs des medialen Stirnzuges, die sich auf die medialsten
    Stücke der Zentralwindungen fortsetzte, die Rinde aber nir-
    gends betheiligte, einen Blutaustritt zwischen Dura und Pia
    über dem unteren Scheitelläppchen und endlich eine Zer-
    störung des unteren Scheitelläppchens selbst durch zahlreiche
    kapilläre Hämorrhagien. Lassen sich die beobachteten Sym-
    ptome auf eine der gefundenen Läsionen allein zurückführen
    und sind irgend welche Erscheinungen als direkte Herd—
    symptome der Läsionen aufzufassen? Da ist denn zunächst
    hervorzuheben, dass die lange Dauer eines komatösen Zu—
    standes ohne halbseitige Erscheinungen darauf hinweist, dass
    die ()berfiächenblutung die frühere war. Auch die frühzeitige

  • S.

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    Steigerung der Temperatur, nach Fürstner ‘) für die Ober-
    flächenhlutung charakteristisch, während der intracerebralen
    Blutung eine Herabsetzung der Temperatur zukommt, würde
    in demselben Sinne sprechen. Beide Oberflächenblutungen
    waren aber als mässige zu bezeichnen und hätten demnach
    ohne alle Herdsymptome verlaufeh können.

    Von der Blutung unter die Dura in der Gegend des
    Scheitellappens sind weder direkte noch indirekte Herd-
    symptome zu erwarten. Dagegen kommt in Betracht, ob
    nicht die Kontraktur der reehtsseitigen Extremitäten als di-
    rektes Herdsymptom der auf die linke motorische Region
    übergreifenden Oberflächenblutung aufzufassen ist, wofür die
    von Fürstner in der erwähnten Abhandlung mitgetheilten
    Beobachtungen zahlreiche Analogien bieten würden. Ich glaube
    nicht, dass sich diese Frage mit Sicherheit beantworten lässt.
    Der Fall ist wohl zu komplizirt, um eine völlige Aufklärung
    zuzulassen. Es muss nur hervorgehoben werden, dass die
    rechtsseitige Kontraktur nicht vor der linksseitigen Faeialis-
    und Oculomotoriuslähmung zur Beobachtung kam, welche beide
    Symptome, da keine Blutung im rechten Schädelraume vor—
    lag, nur als basale Symptome gedeutet werden können. Eine
    Oberflächenblutung kann aber basale Erscheinungen nur
    dann erzeugen, wenn sie besonders massenhaft und aus-
    gebreitet auftritt, während sie in unserem Falle eher als
    geringfügig zu bezeichnen war.

    Ob der Läsion des unteren Scheitelläppchens Herdsym-
    ptome zukommen, und welche, ist derzeit nicht mit Sicherheit
    bekannt. Von sensorischen Symptomen, die bei dem tiefen
    Koma unseres Falles nicht ausgeprägt sein konnten, sind
    Störungen des Muskelgefühles 2) und aphasische Erscheinungen
    in Zusammenhang mit der uns interessirenden Lokalität ge-
    bracht worden. Während zahlreiche Beobachtungen zu lehren
    scheinen, dass kein Ausfall von Motilität an eine Läsion des
    unteren Scheitelläppchens geknüpft ist, scheinen andere Fälle
    auf eine nähere Beziehung desselben zu dem Muskelapparate
    der Augen hinzuweisen. So führt Landouzyb gekreuzte
    Ptosis als Herdsymptom auf und Boyer 4) ist selbst geneigt,
    das Rindenzentrum für den Oculomotorius dahin zu verlegen.
    Insbesondere ist mehreren Autoren die häufige Verknüpfung

    1) Zur Genese und Symptomatologie der Pacbymeningitis beamer-
    rhagiea. Archiv für Psychiatrie 1878.

    “) Vetter, Deutsches Archiv f. kl. Medizin, XXII.

    3) Archives généralcs de Médecine,‘%877.

    4) Etudes cliniques sur les lcsions certicales, 1879.

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    _g__

    der konjugirten Augenablenkung mit Läsionen des unteren
    Scheitelläppchens aufgefallen “) G),welehe auch von Wer nieke7)
    anerkannt wird.

    In den 5 Fällen der Exner’schen Sammlung mit gleich—
    sinniger Augenablenkung ist das untere Scheitelläppehen
    2 Mal 8) Sitz der Läsion. Unser Fall war wegen der basalen
    Lähmung des Oeulomotorius auf der Seite der Blutung für
    die Konstatirung einer gekreuzten Ptosis nicht günstig; die
    gleichsinnige Augenablenkung fand sich dagegen vor, 11. z.
    nach der Seite des Herdes, der angenommenen Regel ent-
    sprechend 9). Da indessen dieses Symptom bei den verschie-
    densten Hirnerkrankungen —— besonders häufig bei Über—
    flächenlolutungen nach Fürs t ner 10) — auftritt, muss die Be—
    deutung desselben als Herdsymptom des unteren Seheitel-
    läppehens dahingestellt bleiben.

    Es kann nicht zweifelhaft sein, dass für alle bei un-
    serem Kranken beobachteten Erscheinungen die Blutung ins
    untere Scheitelläppehen eine ausreichende Erklärung bietet.
    Dieselbe war so massenhaft, dass sie durch ihre allgemeine
    kempressive Wirkung das ganze Gehirn blutleer machte
    und innerhalb weniger als 20 Stunden zum Tode führte.
    Wenn die E1seheinungen am Krankenbette denneth halb-
    seitige und herdartige bis eine Stunde vor dem Tode waren,
    so erklärt sich dieses Verhalten leicht daraus, dass die lo-
    kale kompressive Wirkung früher und stärker zur Geltung
    kam, als die allgemeine, welcher die endliehe gleichmässige
    Lähmung zugeschrieben werden kann. Wie die Sektion lehrte,
    war die linke Hirnhälfte in weit höherem Grade als die
    rechte gequollen, die Windungen links abgeplattet und die ba—
    salen Gebilde, besonders Hirnsehenkel und Hirnnerven, auf'—
    fällig komprimirt. Es ist kaum zu entscheiden und endlieh
    auch gleiehgiltig. ob die Reizung der metmrischen Bahn
    durch die Kompression der Rinde, der motorisehen Ganglien
    und der inne1en Kapsel, oder des basalen Stückes zu Stande
    kam. Das frühzeitige Auftreten von Lähmungen an den
    Hirnne1venstämmen weist darauf hin, dass die Basis 111 de]

    5) Grasset, De la déviation conjuguée de la töl‘e et des yeux, 1879-

    n) Landouzy, Progrés médical, 1879.

    ’) Lehrbuch der Gehirnkrankheiten II. 1882.

    8) Exner, Untersuchung über die Lokalisation, etc. 1881, Fall 58
    und 107. -

    9) Vergl. zu diesem Absatze Nothnagel's 'l‘opisehe Diagnostik,
    Cortex Cerebri.

    10) 1. c.

  • S.

    _9—

    That zur Erklärung der Symptome in erster Linie heran—
    gezogen werden muss; was sonst an dem Wechsel der Er-
    scheinungen für diesen Erklärungsversuch spricht, ist bereits
    früher erwähnt worden. Es ist verständlich, dass bei all-
    gemeiner Kompression des Gehii‘nes die gegen die unnach-
    giebige Wand gepressten Partien am ehesten Schaden leiden;
    auch hebt We rnicke 11) hervor, dass bei Druckwirkung
    im Gehirne von einer Oertlichkeit her gewisse Richtungen
    für die Fortpflanzung des Druckes bevorzugt scheinen. Das
    Gehirn entfernt sich eben in seinem Verhalten gegen Druck
    in hohem Maasse von den Eigenschaften einer Flüssigkeit.
    Wenn von den Autoren mehrfach die Häufigkeit schwerer
    halbseitiger und Allgemeinerscheinungen bei Blutungen in
    die hinteren Hirnlappen betont wird, so liegt die Ver—
    muthung nahe, dass die leichtere Fortpflanzung des Druckes
    von dort aus gegen die basalen Gebilde, die in dem ana-
    tomischen Befunde unseres Falles eine so extreme Aus-
    prägung gefunden hat, dabei in Betracht kommt.

    Der Betrachtung einzelner in unserem Falle hervor-
    tretender Symptome möchte ich die Bemerkung voraus—
    schicken, dass streng genommen zwischen Herd- und All-
    gemeinsymptomen kein wesentlicher Unterschied zu bestehen
    braucht. Die Allgemeinsymptome können sehr wohl Herd-
    symptome sein, deren Zentrum eine so hohe Erregbarkeit
    oder deren Endapparat eine so feine Semiotik besitzt, dass
    die bei jeder Läsion im Schädel vorhandenen Allgemein-
    wirkungen an dem betreffenden Endapparate Zeichen geben”).
    Die verschiedene Bedeutung beider Symptomreihen für die
    Diagnostik wird durch diese Bemerkung nicht berührt, da-
    gegen wohl die Verwerthung klinischer Fälle für die Kennt-
    niss der Lokalisation der Funktionen. So könnte beispielsweise
    das untere Scheitelläppchen immer noch das Zentrum für die
    Augenbewegungen sein 13), Störungen der letzteren aber bei
    so vielen anders lokalisirten Hirnläsionen auftreten, weil
    der fein gegliederte, nervenreiche Muskelapparat der Bulbi
    auf so vielfachen Wegen anzuregen ist und auf geringe Ver-
    änderungen seines Zentrums mit merklichen motorischen
    Symptomen antwortet. Eine ähnliche Bevorzugung des Zen-
    trums wäre vielleicht für den Trismus geltend zu machen,
    der, wegen der vermnthlichen Innervation der Kaumuskeln

    1‘) l. c. 111. p. 262 u. f.
    ”) Vergl. Wernicke II, p. 60 u. A.
    “’) Vergl. einen Fall von Andral bei Wer nicke, II, p. 86.

    84. Nr. 54. 2

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    — LO _

    von beiden Hemisphären, nicht einmal wie die Augenablen-
    kung einen Hinweis auf die Seite der Läsion geben kann 14).
    Die Verengerung der Pupille des rechten Auges ist wohl auf
    die durch Allgemeinwirkung gesetzte Reizung des Oculo-
    motorius zu beziehen; nach Nothnagel ”) dürfte man in
    der Pupillenverengerung ein indirektes Herdsymptom vom
    Pens aus erblicken. Der Schwere des Falles —— das heisst
    also der Betheiligung basaler Gebilde —— entsprechend, fand
    sich Eiweiss im Herne und stieg die Temperatur eine Stunde
    vor dem Tode auf 39'5° C.

    Die koordinii‘ten als „traumhaft“ bezeichneten Bewe-
    gungen, Welche unser Kranker entweder spontan oder im An-
    schlusse an Reizungen, zuerst mit beiden linken, dann nur
    mit der linken oberen, und endlich mit beiden oberen Extre-
    mitäten ausführte, schliessen sich gewiss an die „automati—
    schen Gestikulationen“ an, die Westphal 16) bei dem Be-
    funde von Cysticerken an der Gehirnoberfläche beobachtete,
    und in welcher dann Samt 17) ein diagnostisches Moment iii1
    Rindenerkrankungen finden wollte. In unserem Falle trat
    deren automatischer Charakter, der sich in häufiger
    Wiederholung derselben Aktion äussert, mehr zurück; diese
    Bewegungen hatten insoferne Bedeutung in unserem Falle,
    als sie die Erhaltung der Kontinuität und Leit'ungsfähigkeit
    in den betreffenden motorischen Bahnen bewiesen.

    Das Verhalten der Sensibilität und der Hautrefiexe war
    bei unserem Falle arm an Symptomen wie an Ergebnissen.
    Der häufige Wechsel in der Erregbarkeit der sensiblen
    Bahnen, auf den die Krankenbeobachtung deutet, kommt zum
    Theile auf Rechnung wiederholter Aetherinjektionen; doch
    war nicht zu verkennen, dass die Sensibilität der rechten
    Körperhälfte eher und stärker beeinträchtigt war, als die der
    linken, auch scheint die Aufhebung der Empfindlichkeit im
    Gesichte so frühzeitig und. vollständig gewesen zu sein, dass
    eine direkte Läsion der Trigemini nicht ausgeschlossen ist.

    In Betrefi der Haut- und Sehnenrefiexe möchte ich
    hervorheben, dass die Beobachtung unseres Kranken eine
    vollkommene Uebereinstimmung mit den von Arthur

    ’ Schwarz 18“) für das Verhalten der Reflexe bei Gehirn—

    1“) Vergl. Exner l. c., p. 50.

    ‘?) l. c.

    16) Archiv f. Psychiatrie IV.

    ”) Zur Pathologie der Rinde, Archiv {‘ Psychiatrie V.

    “) Zur Lehre von den Haut- und Sehnenreflexen, Archiv für Psychia-
    trie XIII

  • S.

    _11...

    läsionen aufgestellten Regeln ergab. Die Sehnenreflexe zeig-
    ten sich erhöht, als Reizung, aufgehoben, als Lähmung der
    motorischen Bahn für die betreffende Extremität anzunehmen
    war. Das Verhalten der Hautreflexe zeigte sich durchwegs
    unabhängig von dem der Sehnenrefiexe. In einem Stadium
    war auf der früher gelähmten Seite nur der Hautrefiex, auf
    der eben in Lähmung gerathenden nur der Sehnenrefiex zu
    erzeugen, wofür die Erklärung nicht mit Sicherheit gegeben
    werden kann.

    Es gereicht mir zur angenehmen Pflicht, dem Chef der
    IV. mediz. Abtheilung, Herrn Primarius Dr. Scholz, für
    die gütige Ueberlassung dieses Falles zu danken.

    Druck der k. Wiener Zeitung. — Selbstverlag des Verfassers.

  • S.

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