S.
у
SEPARATABDRUCK aus IMAGOZeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften.
Herausgegeben von Prof. Dr. SIGM. FREUD, redigiert von Dr, OTTO RANK u. Dr, HANNS SACHS
V. Band, 1917—1919. 5.—6. Ней,Internationaler psydioanalytisder Verlag Ges. m. b. H., Leipzig und Wien I, Orünangergasse 3—5.
Abonnementspreis ganzjährig К 40.— = M. ②⑤ 一
Das Unheimliche.
Von SIGM. FREUD.^ : L
I: Psychoanalyriker verspürt nur selten den Antrieb zu ästhe= |
tischen Untersuchungen, auch dann nicht, wenn man die
Ästhetik nicht auf die Lehre vom Schönen einengt, sondern
sie als Lehre von den Qualitäten unseres Fühlens beschreibt, Er
arbeitet in anderen Schichten des Seelenlebens und hat mit den ziel-
gehemmten, gedämpften, von so. vielen begleitenden Konstellationen
abhängigen Gefühlsregungen,
sind, wenig zu tun, Hie und
für ein bestimmtes Gebiet der
ist dies gewöhnlich ein abseits li
ratur vernachlässigtes. a
Ein solches ist das »Unheimlihe«. Kein Zweifel, daß es zum
Sdredihaften, Angst: und Grauenerregenden gehórt, und ebenso
sicher ist es, daß dies Wort nicht immer in einem scharf zu be-
stimmenden Sinne gebraucht wird, so dali es eben meist mit dem
Angsterregenden überhaupt zusammenfallt. Aber man darf doch er-
warten, daß ein besonderer Kern vorhanden ist, der die Verwendung
eines PEN rechtfertigt. Man möchte wissen, was
dieser gemeinsame Kern ist, der etwa gestattet, innerhalb des Angst=
lichen ein »Unheimlihess zu unterscheiden, |
Darüber findet man nun so viel wie nichts in den ausführlichenla trifft. es sich dod, daß er sich
interessieren muß, und dann
Darstellungen der Ästhetik, die sich überhaupt lieber mit den schónen, 。
robartigen, anziehenden, also mit den positiven Gefihlsarten, ihre:
fel an und den Gegenstánden, die sie hervorrufen, als mit
den gegensitzlichen, abstoBenden, peinlichen beschäftigen, Von seite
der ärztlich=psychologischen Literatur kenne ich nur die eine, inhalts-
reiche aber nicht erschöpfende, Abhandlung von E, Jentsch (Zurzumeist der Stoff der Ästhetik |
des, von der ästhetischen Fah= |
Jb 2065-VS-2
S.
298 = + Sigm. Freud
Psychologie des Unheimlihen, Psychiatr.-neurolog. Wochenschrift 1906
Nr. 22 u. 23). Allerdings muß ich gestehen, daß aus leicht zu erratenden,
in der Zeit liegenden Gründen die Literatur zu diesem kleinen Beitrag,
insbesondere die fremdsprachige, nicht gründlich herausgesucht wurde,
weshalb er denn auch ohne jeden Anspruch auf Priorität vor den
Leser tritt,Als Schwierigkeit beim Studium des Unheimlichen betont
Jentsch mit vollem Recht, daß die Empfindlichkeit für diese Ge=
fühlsqualität bei verschiedenen Menschen so sehr verschieden ange=
troffen wird. Ja, der Autor dieser neuen Unternehmung muß sich
einer besonderen Stumpfheit in dieser Sache anklagen, wo große Fein=
fühligkeit eher am Platze wäre. Er hat schon lange nichts erlebt oder
kennen gelernt, was ihm den Eindruck des Unheimlichen gemacht
hätte, muß sich erst in das Gefühl hineinversetzen, die Möglichkeit
desselben in sich wachrufen, Indes sind Schwierigkeiten dieser Art
auch auf vielen anderen Gebieten der Ästhetik mächtig; man braucht
darum die Erwartung nicht aufzugeben, daß sich die Fälle werden
herausheben lassen, in denen der fragliche Charakter von den meisten
widersprudislos anerkannt wird,Man kann nun zwei Wege einschlagen: nachsuchen, welche
Bedeutung die Sprachentwicklung in dem Worte »unheimlich« nieder=
elegt hat, oder zusammentragen, was an Personen und Dingen,
Ea Erlebnissen und Situationen das Gefühl des Un-
heimlichen in uns wachrufi, und den verhüllten Charakter des Un-
heimlichen aus einem allen Fällen Gemeinsamen erschließen. Ich will
gleich verraten, daß beide Wege zum nåmliden Ergebnis führen,
das Unheimliche sei jene Art des Schreckhaften, welche auf das Alt-
bekannte, Längstvertraute zurückgeht. Wie das möglich ist, unter
welchen Bedingungen das Vertraute unheimlich, schreckhaft werden
kann, das wird aus dem Weiteren ersichtlich werden, Ich bemerke
noch, daß diese Untersuchung in Wirklichkeit den Weg über eine
Sammlung von Finzelfållen genommen und erst später die Be-
ståtigung durch die Aussage des Spradigebrauchs gefunden hat. In
dieser Darstellung werde ich aber den umgekehrten Weg gehen,Das deutsche Wort »unheimlidy« ist offenbar der Gegensatz
zu heimlich, heimisch, vertraut und der Schluß liegt nahe, es sei
etwas eben darum schreckhaft, weiles nicht bekannt und vertraut ist,
Natürlich ist aber nicht alles schreckhaft, was neu und nicht vertraut
ist, die Beziehung ist nicht umkehrbar. Man kann nur sagen, was
neuartig ist, wird leicht shreckhaft und unheimlich; ‚einiges Neuartige
ist schreckhaft, durchaus nicht alles. Zum Neuen und Nichtvertrauten
muß erst etwas hinzukommen, was es zum Unheimlichen madit.Jentsch ist im ganzen bei dieser Beziehung des Unheimlichen
zum Neuartigen, Niditvertrauten, stehen geblieben, Er findet die
wesentliche Bedingung für das Zustandekommen des unheimlichen
Gefiihls in der intellektuellen Unsicherheit. Das Unheimlihe wäre
eigentlich immer etwas, worin man sich sozusagen nicht auskennt,S.
Y
0007 Das Unhemlide —
299
Je besser ein Mensch in der Umwelt orientiert ist, destoweniger
leicht wird er von den Dingen oder Vorfållen in ihr den Eindruck
der Unheimlichkeit empfangen.Wir haben es leicht zu urteilen, daß diese Kennzeichnung nicht
erschópfend ist, und versuchen darum, über die Gleichung unheimlich
= nicht vertraut hinauszugehen. Wir wenden uns zunächst an andere
Sprachen. Aber die Wörterbücher, in denen wir nachschlagen, sagen
uns nichts Neues, vielleicht nur darum nicht, weil wir selbst Fremd»
sprachige sind. Ja wir gewinnen den Eindruck, daß vielen Sprachen
ein Wort für diese besondere Nuance des Schreckhaften abgeht'.Lateinisch: (nad К. E. Georges, KI. Deutschlatein. Wórter=
buch 1898) ein unheimlicher Ort 一 locus suspectus, in unh. Nacht=
zeit — intempesta nocte.Griechisch (Wörterbücher von Rost und von Schenkb
$⑥yoc — also fremd, fremdartig.Englisch ¿aus den Wörterbüchern von Lucas, Bellow,
Flügel, Muret-Sanders) uncomfortable, uneasy, gloomy, dismal,
uncanny, ghastly, von einem Hause: haunted, von einem Menschen
a repulsive fellow. :Französisch (Sachs-Villatte) inquiétant, sinistre, lugubre,
mal à son aise. "Spanisch «Tollhausen 1889) sospechoso, de mal aguéro,
lugubre, siniestro.Das Italienische und Portugiesishe scheinen sich mit Worten
zu begnügen, die wir als Umschreibungen bezeichnen würden. Im
Arabischen und Hebráishen fällt unheimlich mit dämonisch, schaurig
zusammen. 1Kehren wir darum zur deutschen Sprache zurück,
In Daniel Sanders’ Wörterbuch der Deutschen Sprache 1860
finden sich folgende Angaben zum Worte heimlich, die ich hier
ungekürzt abschreiben und aus denen ich die eine und die andere
Stelle durch Unterstreichung hervorheben will: (I. Bd, ;,Heimlich, a. ¢=keit, f. zen): 1. auch Heimelich, heimelig, zum Hause ge-
hérig, nicht fremd, vertraut, zahm, traut und traulich, anheimelnd etc. a) <veralt.)
zum Haus, zur Familie gehörig oder: wie dazu gehörig betrachtet, vgl. lat.
familiaris, vertraut: Die Heimlichen, die Hausgenossen; Der heimliche Rat.
1. Mos. 41, 45, 2. Sam. 23, 23. 1. Chr. 12, 25. Weish. 8, 4., wofür
jetzt: Geheimer (s. d 1) Rat üblich ist, s. Heimliher — 4) von Thieren
zahm, sich den Menschen traulich anschließend. Ggstz, wild, z, B. Tier,
die weder wild noch heimlich sind etc, Eppendorf. 88, Wilde Thier...
so man sie h. und gewohnsam um die Leute aufzeudit. 92, So diese
Thierle von Jugend bei den Menschen erzogen, werden sie ganz h., freund=
lich etc. Stumpf 608a etc. — So noch: So h. ist's (das Lamm) und frifit
aus meiner Hand, Hėlty, Ein schöner, heimelicher (s. c) Vogel bleibt der
Stordi immerhin. Linck, Schl. 146. s. Häuslich. ① etc. — с) traut,? Für die nachstehenden Auszüge bin idi Herrn Dr. Th. Reik zu Dank
verpflichtet,S.
300 y Sigm. Freud
traulich anheimelnd, das Wohlgefühl stiller Befriedigung etc, behaglicher
Ruhe u. sichern Schutzes, wie das umsdilossne wohnliche Haus erregend
<vgl. Geheuer): Ist dir's h, nodi im Lande, wo die Fremden deine Wilder
roden? Alexis H. 1, 1, 289, Es war ihr nicht allzu h. bei ihm. Brentano
Wehm. 92, Auf einem hohen h—en Schattenpfade . , , längs dem rieselnden
rauschenden und platschernden Waldbach. Forster B. 1, 417. Die H —keit
der Heimath zerstören. Gervinus Lit. 5, 375. So vertraulich und heimlich
habe ich nicht leicht ein Plätzchen gefunden. G 14, 14; Wir dachten es uns
so bequem, so artig, so gemütlich und h. ⑮ 0, In stiller H—keit, umzielt
von engen Schranken. Haller, Einer sorglihen Hausfrau, die mit dem
Wenigsten eine vergnüglihe H-—keit (Hauslichkeit) zu schaffen versteht,
. Hartmann Unst. 1, 188, Desto h—er kam ihm jetzt der ihm erst kurz
noch so fremde Mann vor. Kerner 540; Die protestantischen Besitzer
fühlen sich... nicht h. unter ihren katholischen Unterthanen, Kohl. Irl. 1, 172;
Wenns h. wird und leise / die Abendstille nur an deiner Zelle lauscht.
Tiedge 2, 39; Still und lieb und h., als sie sich / zum Ruhen einen Platz
nur wünschen möchten, W. 11, 144, Es war ihm garnicht h. dabei 27,
170 etc, — Aud: Der Platz war so still, so einsam, so schatten-h. Scherr
Pilg. 1, 170; Die ab= und zustrémenden Fluthwellen, tråumend und wiegen=
lied-h, Körner, Sch. 3, 320 etc. — Vel. namentl. Un=h. — Namentl, bei
schwäb,, shwzr. Śchrifist. oft dreisilbig: Wie »heimeliha war es dann Ivo
Abends wieder, als er zu Hause lag. Auerbach, D. 1, 249; In dem Haus
ist mir's so heimelig gewesen. 4, 307; Die warme Stube, der heimelige
Nachmittag, Gotthelf, Sch, 127, 148; Das ist das wahre Heimelig, wenn
der Mensch so von Herzen fühlt, wie wenig er ist, wie groß der Herr ist.
147, Wurde man nach und nach recht gemütlich und heimelig mit ein=
ander, U. 1, 297; Die traulide Heimeligkeit. 380, 2, 80, Heimelicher wird
e; mir wohl nirgends werden als hier. 327, Pestalozzi 4, 240; Was von ferne
herkommt... lebt gw. nicht ganz heimelig «heimatlich, freundnachbarlich)
mit den Leuten. 325, Die Hütte, wo / er sonst so heimelig, so froh/...
im Kreis der Seinen oft gesessen, Reithard 20; Da klingt das Horn des
Wäditers so heimelig vom Thurm / da ladet seine Stimme so gastlich. 49,
Es schläft sich da so lind und warm / so wunderheim'lig ein, 23 etc. 一
Diese Weise verdiente allgemein zu werden, um das gute
Wort vor dem Veralten wegen nahe liegender Verwechs=
lung mit ② zu bewahren, vel.: »Die Zecks sind alle h. 4
H...? Was verstehen sie unter h..? — »Nun.., es kommt
mir mit ihnen vor, wie mit einem zugegrabenen Brunnen oder
einem ausgetrockneten Teich, Man kann nicht darüber gehen,
ohne daß es Einem immer ist, als könnte da wieder einmal
Wasser zum Vorschein kommen.s Wir nennen das un—h.; Sie
,nennen's h. Worin finden Sie denn, daß diese Familie etwas Ver-
stecktes und Unzuverlåssiges hat? etc, Gutzkow R. 2, 01% ~~
の (5. © nament schles.: fröhlich, heiter, auch vom Wetter, s. Adelung
und Weinhold. — 7, versteckt, verborgen gehalten, so daß man Andre
nicht davon oder darum wissen lassen, es ihnen verbergen will, vgl. Ge-
heim (2), von welchem erst nhd. Ew. es doch zumal in der åltern Sprache,
z. B. in der Bibel, wie Hiob 11, 6; 15, 8, Weish. 2, 22; 1. Kor. 2, 7 etc,
und so auch H—keit statt Geheimnis. Math. 13, 35 etc. nicht immer ge-
nau geschieden wird: H. ¢hinter Jemandes Rücken) Etwas thun, treiber; Sich1 Sperrdruck (auch im folgenden) vom Referenten,
S.
Das Unheimliche | 301
h. davon schleichen; H—e Zusammenktinfre, Verabredungen; Mit h—er
Schadenfreude zusehen, H. seufzen, weinen, H. thun, als ob man etwas zu
verbergen hätte, H—e Liebe, Liebsdiafi, Sünde; 一 e Orte (die der Wohl-
stand zu verhiillen gebietet). 1. Sam. 5, 6; Das h—e Gemach (Abiritt)
2. Kön, 10, 27; W. ⑤ 256 etc. aud: Der h—e Stuhl, Zinkgraf 1, 249;
In Graben, in H—keiten werfen, 3, 75, Rollenhagen Fr. 83 etc. — Fiihrte,
h. vor Laomedon / die Stuten vor. B. 161b ete. — Ebenso versteckt,
В, hinterlistig und boshaft gegen grausame Herren... wie offen, frei,
theilnehmend und dienstwillig gegen den leidenden Freund. Burmeister g B 2,
157, Du sollst mein h. Heiligstes noch wissen. Chamisso 4, 56, Die h—e
Kunst «der Zauberei), 3, 224, Wo die öffentliche Ventilation aufhören muß,
fängt die h—e Machination an. Forster, Br. 2, 135; Freiheit ist die leise Parole
fi. Versdiworener, das faute Feldgeschrei der öffentlich Umwälzenden. G. 4,
222, Ein heilig, h. Wirken. 15, Ih habe Wurzeln / die sind gar h. / im
tiefen Boden / bin ich gegründet. 2, 109; Meine h—e Tide (vgl. Heim-
tide). 30, 344, Empfangt er es nicht offenbar und gewissenhaft, so mag
er es h. und gewissenlos ergreifen. 39, 22; LieB h. und geheimnisvoll афго=
matishe Fernróhre zusammensetzen. 375, Von nun an, will ich, sei
nichts H—es mehr unter uns. Sch, 3696. — Jemandes H—keiten entdecken,
offenbaren, verrathen, H—keiten hinter meinem Rücken zu brauen. Alexis.
H. 2, 3, 168, Zu meiner Zeit / Бей man sich der H—keit, Hagedorn
3, 92, Die H—keit und das Gepuschele unter der Hand. Immermann,
M. 3, 289, Der H—keir (des verborgnen Golds) unmachtigen Bann / kann
nur die Hand der Einsicht låsen. Novalis, 1, 69; Sag an, wo du sie ver=
birgst.. , in welches Ortes verschwiegener H, Sch. 4956, Ihr Bienen, die ihr
knetet / der H—keiten Schloß (Wachs zum Siegeln). Tied, Cymb. 3,2,
Erfahren in seltnen H—keiten (Zauberkiinsten). Schlegel Sh. 6, 102 etc.
vgl. Geheimnis L. 10, 291 ff,Zsstzg. 5. 1 c, so auch nam. der Ggstz: Un=: unbehagliches, banges
Grauen erregend: Der schier ihm un-h., gespenstisMi erschien. Chamisso
3, 238, Der Nadir un-h. bange Stunden. 4, 148; Mir war schon lang’
un=h., ja graulih zu Mute. 242; Nun fångts mir an, un-h. zu werden.
Gutzkow В. 2, 82; Empfindet ein u—es Grauen, Heine, Verm. 1, 51;
Un-h. und starr wie ein Steinbild. Reis, 1, 10, Den u—en Nebel, Haar-
rauch geheiBen. Immermann M, 3, 299, Diese blassen Jungen sind un-h.
und brauen Gott weiß was Schlimmes, Laube, Band 1, 119; Unh. nennt
man Alles, was im Geheimnis, im Verborgnen... bleiben sollte
und hervorgetreten ist. Schelling, 2, 2, 649 etc. — Das Göttliche
zu verhüllen, mit einer gewissen U—keit zu umgeben 658 etc. 一 Un=
üblich als Ggstz. von (2), wie es Campe ohne Beleg anführt.Aus diesem langen Zitat ist für uns am interessantesten, daß
das Wörtchen heimlich unter den mehrfachen Nuancen seiner Be-
deutung auch eine zeigt, in der es mit seinem Gegensatz unheimlich
zusammenfållt. Das heimliche wird dann zum unheimlichen, vgl. das
Beispiel von Gutzkow: » Wir nennen das unheimlich, Sie nennen's
heimlid.< Wir werden überhaupt daran gemahnt, daß dies Wort
heimlich nicht eindeutig ist, sondern zwei Vales zuge=
hört, die, ohne gegensátzlid zu sein, einander doch recht fremd sind,
dem des Vertrauten, Behaglidien und dem des Verstediten, Ver=
borgen gehaltenen. Unheimlidi sei nur als Gegensatz zur ersten Be=S.
302 Sigm Fred ー no
deutung, nicht audi zur zweiten gebräuchlih Wir erfahren bei
Sanders nichts darüber, ob nicht doch eine genetische Beziehung
zwischen diesen zwei Bedeutungen anzunehmen ist. Hingegen werden
wir auf eine Bemerkung von Schelling aufmerksam, die vom In=
halt des Begriffes Unheimlich etwas ganz Neues aussagt, auf das
unsere Ervartung gewiß nicht eingestellt war. Unheimlich sei alles,
was ein Geheimnis, im Verborgenen bleiben sollte und hervorge=
treten ist.Ein Teil der so angeregten Zweifel wird durch die Angaben
in Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig
1877 TV p. 874 D geklärt:»ITeimlich, adj. und adv. vernaculus, occultus; mhd. heimelidi,
heimfich, hetalich.
ka S. 874: In etwas anderem sinne: es ist mir heimlich, wohl, frei von
uradit...6) heimlich ist auch der von gespensterhaften freie ort...
5. 875: 8) vertraut; freundlich, zutraulich.
4. aus dem heimatlichen, häuslichen entwickelt sich weiter
der begriff des fremden augen entzogenen, verborgenen, ge-
heimen, eben auch in mehrfacher Beziehung ausgebildet...S. 876: »links am see
liegt eine matte heimlich im gehólz.<
Schiller, Tell I, 4.
++. frei und für den modernen Sprachgebrauch ungewöhnlich , . , heimlich ist
zu einem verbum des verbergens gestellt; er verbirgt mich heimlich in seinem
gezelt. ps. 27, 5. €... heimliche orte am menschlichen Körper, pudenda...
welche leute nicht stürben, die wurden geschlagen an heimlichen årten.
① Samuel 5, ⑫ . . .c) beamtete, die wichtige und geheim zu haltende ratschläge in staats-
sachen ertheilen, heiszen heimliche ráthe, das adjektiv nach heutigem sprach=
gebrauch durch geheim (s. d.) ersetzt: . ., (Pharao) nennet ihn Joseph) den
heimlichen rath. 1. Mos. 41, 45;5. 878. 6. heimlich får die erkenntnis, mystisch, allegorisch: heimliche
bedeutung, mysticus, divinus, occultus, figuratus.5. 878: anders ist heimlich im folgenden, der erkenntnis entzogen, un-
bewuszt: . , ,dann aber ist heimlich auch verschlossen, undurchdringlich in bezug
auf crforsdiung: . .»merkst du wohl? sie trauen mir nicht,
fürchten des Friedlånders heimlich gesicht.<
Wallensteins lager, 2. aufz,9, die bedeutung des versteckten, gefährlichen, die in der
vorigen nummer hervortritt, entwickelt sich noch weiter, so
dasz heimlich den sinn empfängt, den sonst unheimlich (gebildet
nach heimlich 3, 6) sp. 874) hat: »mir ist zu zeiten wie dem menschen der
in nacht wandelt und an gespenster glaubt, jeder winkel ist ihm heimlich
und schauerhafi.< Klinger, theater, 3, 208.Also heimlich ist ein Wort, das seine Bedeutung nach einer
Ambivalenz hin entwickelt, bis es endlich mit seinem GegensatzS.
Das Unheimlicie | 503
unheimlich zusammenfålft, Unheimlich ist irgendwie eine Art von
heimlich, Halten wir dies noch nicht recht geklårte Ergebnis mit der
Definition des Unheimlichen von Schleiermacher zusammen. Die
Einzeluntersuchung der Fale des Unheimlichen wird uns diese
Andeutungen verständlich machen.IL
Wenn wir jetzt an die Musterung der Personen und Dinge,
Eindrücke, Vorgänge und Situationen herangehen, die das Gefühl
des Unheimlichen in besonderer Stärke und Deutlidikeit in uns zu
erwecken vermögen, so ist die Wahl eines glücklichen ersten Beispiels
offenbar das nächste Erfordernis, В. Jentsch hat als ausgezeichneten
Fall den »Zweifel an der Beseelung eines anscheinend lebendigen
Wesens und umgekehrt darüber, ob ein lebloser Gegenstand nicht
etwa beseelt sei« hervorgehoben und sich dabei auf den Eindruck
von Wadsfiguren, kunstvollen Puppen und Automaten berufen, Er
reiht dem das Unheimlihe des epileptishen Anfalls und der
Äußerungen des Wahnsinnes an, weil durch sie in dem Zuschauer
Ahnungen Von automatischen — mechanischen — Prozessen geweckt
werden, die hinter dem gewohnten Bilde der Beseelung verborgen
sein mögen, Ohne nun von dieser Ausführung des Autors voll
überzeugt zu sein, wollen wir unsere eigene Untersuchung an ihn
anknüpfen, weil er uns im weiteren an einen Dichter mahnt, dem
die Erzeugung unheimlicher Wirkungen so gut wie keinem anderen
gelungen ist,»Biner der sichersten Kunstgriffe, leicht unheimliche Wirkungen
durch Erzählungen hervorzurufen,« schreibt Jentsch, sberuht nun
darauf, daß man den Leser im Ungewissen darüber läßt, ob er in
einer bestimmten Figur eine Person oder etwa einen Automaten
vor sich habe, und zwar so, daß diese Unsicherheit nicht direkt in
den Brennpunkt seiner Aufmerksamkeit tritt, damit er nicht veranlaßt
werde, die Sache sofort zu untersuchen und klarzustellen, da hie-
durch, wie gesagt, die besondere Gefühlswirkung leicht schwindet,
E. T. A. Hoffmann hat in seinen Phantasiestücken dieses
psychologische Manöver wiederholt mit Erfolg zur Geltung gebracht.«Diese gewiß richtige Bemerkung zielt vor allem auf die Er
zählung »Der Sandmann« in den »Nachtstücken« (dritter Band der
Grisétach des Ausgabe von Hoffmanns sämtlichen Werken),
aus welcher die Figur der Puppe Olimpia in den ersten Akt der
Offenbachschen Oper »Hoffmanns Erzählungen« gelangt ist.
Ich muß aber sagen, — und ich hoffe die meisten Leser der Geschichte
werden mir beistimmen 一 daß das Motiv der belebt scheinenden
Puppe Olimpia keineswegs das einzige ist, welches für die un=
vergleichlich unheimliche Wirkung der Erzählung verantwortlich
gemacht werden muß, ja nicht einmal dasjenige, dem diese Wirkung
in erster Linie zuzuschreiben wäre, Es kommt dieser Wirkung auch
nicht zustatten, daß die Olimpiaepisode vom Dichter selbst eineS.
301 Sigm, Freud
leise Wendung ins Satirishe erfährt und von ihm zum Spott auf
die Liebestibershåtzung von seiten des jungen Mannes gebraucht
wird. Im Mittelpunkt der Erzählung steht vielmehr ein anderes
Moment, nach dem sie auch den Namen trägt, und das an den
entscheidenden Stellen immer wieder hervorgekehrt wird: das Motiv
des Sandmannes, der den Kindern die Augen аизгеDer Student Nathaniel, mit dessen Kindheitserinnerungen die
phantastische Erzählung anhebt, kann trotz seines Gitidkes in der
Gegenwart die Erinnerungen nicht bannen, die sich ihm an den
rátselhaft erschredienden Tod des geliebten Vaters knüpfen. An
gewissen Abenden pflegte die Mutter die Kinder mit der Mahnung
zeitig zu Bette zu schickten: Der Sandmann kommt, und wirklich hørt
das Kind dann jedesmal den schweren Schritt eines Besuchers, der
den Vater für diesen Abend in Anspruch nimmt. Die Mutter, nach
dem Sandmann befragt, leugnet dann zwar, daß ein solcher anders
denn als Redensart existiert, aber eine Kinderfrau weiß greifbarere
Auskunft zu geben: »Das ist ein böser Mann, der kommt zu den
Kindern, wenn sie nicht zu Bette gehen wollen und wirft ihnen
Hände voll Sand in die Augen, daß sie blutig zum Kopf herausspringen,
die wirft er dann in den Sack und trägt sie in den Halbmond zur
Atzung für seine Kinderchen, die sitzen dort im Nest und haben
krumme Schnäbel, wie die Eulen, damit picken sie der unartigen
Mensdenkindlein Augen auf « ÉObwohl der kleine Nathaniel alt und verståndig genug war,
um so schauerliche Zutaten zur Figur des Sandmannes abzuweisen,
so setzte sich doch die Angst vor diesem selbst in ihm fest. Er
beschloB zu erkunden, wie der Sandmann aussehe, und verbarg sich
eines Abends, als er wieder erwartet wurde, im Arbeitszimmer
des Vaters, In dem Besucher erkennt er dann den Advokaten
Coppelius, eine abstofiende Persönlichkeit, vor der sich die Kinder
zu scheuen pflegten, wenn er gelegentlich als Mittagsgast erschien,
und identifiziert nun diesen Coppelius mit dem gefürchteten Sandmann.
Für den weiteren Fortgang dieser Szene macht es der Dichter bereits
zweifelhaft, ob wir es mit einem ersten Delirium des angstbesessenen
Knaben oder mit einem Bericht zu tun haben, der als real in der
Darstellungswelt der Erzählung aufzufassen ist, Vater und Gast
machen sich an einem Herd mit flammender Glut zu schaffen. Der
kleine Lauscher hört Coppelius rufen: »Augen her, Augen her«,
verrät sich durch seinen Aufschrei und wird von Coppelius gepackt,
der ihm glutrote Körner aus der Flamme in die Augen streuen
will, um sie dann auf den Herd zu werfen. Der Vater bittet die
Augen des Kindes frei, Bine tiefe Ohnmacht und fange Krankheit
beenden das Erlebnis. Wer sich für die rationalistische > des
Sandmannes entscheidet, wird in dieser Phantasie des Kindes den
fortwirkenden Einfluß jener Erzählung der Kinderfrau nicht verkennen.
Anstatt der Sandkórner sind es glutrote Flammenkôrner, die dem
Kinde in die Augen gestreut werden sollen, in beiden Fållen, damitS.
2
Das Unheimlihe i 305
die Augen herausspringen. Bei einem weiteren Besuche des Sand-
mannes ein Jahr später wird der Vater dur eine Explosion im
Arbeitszimmer getötet, der Advokat Coppelius verschwindet vom
Orte, ohne eine Spur zu hinterlassen,Diese Schreckgestalt seiner Kinderjahre glaubt nun der Student
Nathaniel in einem herumziehenden italienischen Optiker Giuseppe
Coppola zu erkennen, der ihm in der Universitåtsstadt Wetterglåser
zum Kauf anbietet und nach seiner Ablehnung hinzusetzt: »Ei nix
Wetterglas, nix Wetterglas! — hab auch skåne Oke 一 skåne Oke,«
Das Entsetzen des Studenten wird beshwidtigt, da sich die ange=
botenen Augen als harmlose Brillen herausstellen, er kauft dem
Coppola ein Taschenperspektiv ab und spåht mit dessen Hilfe in die
SR miooo O ohnung des Professors Spalanzani, wo eressen schöne, aber råtselhaft wortkarge und unbewegte Tochter
Olimpia erblickt, In diese verliebt er sich bald so heftig, daß er
seine kluge und núditerne Braut über sie vergiBt. Aber Olimpia
ist ein Automat, an dem Spalanzani das Råderwerk gemacht und
dem Coppola — der Sandmann — die Augen eingesetzt hat. Der
Student kommt hinzu, wie die beiden Meister siå um ihr Werk
streiten, der Optiker hat die hölzerne, augenlose Puppe davongetragen
und der Mechaniker, Spalanzani, wirft Nathaniel die auf dem
Boden liegenden blutigen Augen Olimpias an die Brust, von denen
er sagt, dab Coppola sie dem Nathaniel gestohlen. Dieser wird von
einem neuerlichen Wahnsinnsanfall ergriffen, in dessen Delirium sich
die Reminiszenz an den Tod des Vaters mit dem frischen Eindruck
verbindet: »Hui — hui — hui! — Feuerkreis 一 Feuerkreis! Dreh’
dich Feuerkreis — lustig — lustig! Holzptippchen hui, schön Holze
рбррфеп dreh’ didi —.« Damit wirft er sich auf den Professor, den
angeblichen Vater Olimpias, und will ihn erwürgen,Aus langer, schwerer Krankheit erwacht, scheint Nathaniel end=
lich genesen. Er gedenkt seine wiedergefundene Braut zu heiraten.
Sie ziehen beide eines Tages durch die Stadt, auf deren Markt der
hohe Ratsturm seinen Riesenschatten wirft. Das Mädchen schlägt
ihrem Brautigam vor, auf den Turm zu steigen, wihrend der das
Paar begleitende Bruder der Braut unten verbleibt. Oben zieht eine
merkwürdige Erscheinung von etwas, was sich auf der Straße heran=
bewegt, die Aufmerksamkeit Claras auf sich. Nathaniel betrachtet
dasselbe Ding durch Coppolas Perspektiv, das er in seiner Tasche
findet, wird neuerlich vom Wahnsinn ergriffen und mit den Worten:
Holzpiippchen dreh” dich, will er das Mädchen in die Tiefe schleudern,
Der durch ihr Geschrei herbeigeholte Bruder rettet sie und eilt mit
ihr herab, Oben fáuft der Rasende mit dem Ausruf herum: Feuer=
kreis dreh’ dich, dessen Herkunft wir ja verstehen, Unter den Menschen,
die sich unten ansammeln, ragt der Advokat Coppelius hervor, der
plötzlich wieder erschienen ist. Wir dürfen annehmen, daB es der
Anblick seiner Annäherung war, der den Wahnsinn bei Nathaniel
zum Ausbruch brachte, Man will hinauf, um sich des Rasenden zuImago V/5—6 20
S.
306 Sigm. Freud
bemádtigen, aber Coppelius') lacht: »wartet nur, der kommt schon
herunter von selbst.« Nathaniel bleibt plötzlich stehen, wird den
Coppelius gewahr und stürzt sich mit dem gellenden Schrei: Ja! »Skóne
Oke 一 Skåne Oke« über das Geländer herab. Sowie er mit zer=
schmettertem Kopf auf dem Strafenpflaster liegt, ist der Sandmann
im Gewiihl verschwunden.Diese kurze Nacherzählung wird wohl keinen Zweifel darüber
bestehen lassen, daß das Gefühl des Unheimlichen direkt an der
Gestalt des Sandmannes, also an der Vorstellung der Augen be=
raubt zu werden haftet, und daß eine intellektuelle Unsicherheit im
Sinne von Jentsch mit dieser Wirkung nichts zu tun hat. Der
Zweifel an der Beseeltheit, den wir bei der Puppe Olimpia gelten
fassen mußten, kommt bei diesem stärkeren Beispiel des Unheimlihen
überhaupt nicht in Betracht. Der Dichter erzeugt zwar in uns anfång=
lich eine Art von Unsicherheit, indem er uns, gewiß nicht ohne Ab=
sicht, zunächst nicht erraten läßt, ob er uns in die reale Welt oder
in eine ihm beliebige phantastische Welt einführen wird. Er hat ja
bekanntlich das Recht, das eine oder das andere zu tun, und wenn
er z. B. eine Welt, in der Geister, Dämonen und Gespenster agieren,
zum Schauplatz seiner Darstellungen gewählt hat, wie Shake=
speare im Hamlet, Macbeth und in anderem Sinne im Sturm und
im Sommernachtstraum, so müssen wir ihm darin nachgeben und
diese Welt seiner Voraussetzung fiir die Dauer unserer Hingegebenheit
wie eine Realität behandeln, Aber im Verlaufe der Hoffmann schen
Erzählung schwindet dieser Zweifel, wir merken, daß der Dichter
uns selbst durch die Brille oder das Perspektiv des dämonischen
Optikers schauen lassen will, ja daß er vielleicht in höchsteigener
Person durch solch ‘ein Instrument geguckt hat. Der Schluß der
Erzählung macht es ja klar, daß der Optiker Coppola wirklich der
Advokat Coppelius! und also auch der Sandmann ist.Eine »intellektuelle Unsicherheit« kommt hier nicht mehr in
Frage: wir wissen jetzt, daß uns nicht die Phantasiegebilde eines
Wahnsinnigen vorgeführt werden sollen, hinter denen wir in rationali-
stischer Überlegenheit den nüchternen Sachverhalt erkennen mögen,
und — der Eindruck des Unheimlichen hat sich durch diese Aufklärung
nicht im mindesten verringert. Eine intellektuelle Unsicherheit leistet
uns also nichts für das Verständnis dieser unheimlihen Wirkung.Hingegen mahnt uns die psyhoanalytishe Erfahrung daran,
daß es eine schreckliche Kinderangst ist, die Augen zu beschädigen
‚oder zu verlieren. Vielen Erwachsenen ist diese Angstlichkeit ver=
blieben und sie fürchten keine andere Organverletzung so sehr wie
die des Auges, Ist man doch auch gewohnt zu sagen, daß man etwas
behüten werde wie seinen Augapfel. Das Studium der Träume,
der Phantasien und Mythen hat uns dann gelehrt, daß die Angst1 Zur Ableitung des Namens: Coppella = Probiertiegel (die chemischen
Operationen, bei denen der Vater verunglückt), coppo 一 Augenhöhle (nad einer
Bemerkung von Frau Dr. Rank),S.
»
| Das Unheimliche | 307
um die Augen, die Angst zu erblinden, haufig genug ein Ersatz
fir die Kastrationsangst ist. Auch die Selbstblendung des mythischen
Verbreders Oedipus ist nur eine Ermäßigung für die Strafe der
Kastration, die ihm nach der Regel der Talion allein angemessen
ware, Man mag es versuchen, in rationalistisher Denkweise die
Zurückführung der Augenangst auf die Kastrationsangst abzulehnen,
man findet es begreiflich, daß ein so kostbares Organ wie das Auge
von einer entsprechend großen Angst bewacht wird, ja man kann
weitergehend behaupten, daß kein tieferes Geheimnis und keine
andere Bedeutung sich hinter der Kastrationsangst verberge. Aber
man wird damit doch nicht der Ersatzbeziehung gerecht, die sich
in Traum, Phantasie und Mythus zwischen Auge und mánnlihem
Glied kundgibt, und kann dem Eindruck nicht widersprechen, daß
ein besonders starkes und dunkles Gefühl sich geride gegen die
Drohung das Geschlechtsglied einzubüßen erhebt, und dab dieses
Gefühl erst der Vorstellung vom Verlust anderer Organe den
Nachhall verleiht. Jeder weitere Zweifel schwindet dann, wenn man
aus den Analysen an Neurotikern die Details des »Kastrationskom=
plexes« Erfahren und dessen großartige Rolle in ihrem Seelenleben
zur Kenntnis genommen hat.Aud würde id keinem Gegner der psychoanalytischen Auf-
fassung raten, sich fiir die Behauptung, die Augenangst sei etwas vom
Kastrationskomplex Unabhángiges gerade auf die Hoffmannsche
Erzählung vom »Sandmann« zu berufen, Denn warum ist die Augen=
angst hier mit dem Tode des Vaters in innigste Beziehung gebracht?arum tritt der Sandmann jedesmal als Stôrer der Liebe auf? Er
entzweit den ungltiddiden Studenten mit seiner Braut und ihrem
Bruder, der sein bester Freund ist, er vernichtet sein zweites Liebes=
objekt, die schöne Puppe Olimpia, und zwingt ihn selbst zum Selbst=
mord, wie er unmittelbar vor der begliikenden Vereinigung mit
seiner wiedergewonnenen Clara steht. Diese sowie viele andere Züge
der Erzählung erscheinen willkürlich und bedeutungslos, wenn man die
Beziehung der Augenangst zur Kastration ה und werden
sinnreich, sowie man für den Sandmann den gefürchteten Vater ein=
setzt, von dem man die Kastration erwartet,1 In der Tat hat die Phantasiebearbeitung des Dichters die Elemente des
Stoffes nicht so wild herumgewirbelt, daß man ihre ursprüngliche Anordnung nicht
wiederherstellen könnte. In der Kindergeschichte stellen der Vater und Coppelius
die durch Ambivalenz in zwei Gegensätze zerlegte Vaterimago dar; der eine droht
mit der Blendung <Kastration), der andere, der gute Vater, bittet die Augen des
Kindes frei. Das von der Verdrängung am stärksten betroffene Stück des Kom=
plexes, der Todeswunsch gegen den bösen Vater, findet seine Darstellung in dem
Tod des guten Vaters, der dem Coppelius zur Last gelegt wird. Diesem Viters
paar entsprechen in der späteren Lebensgeschichte des Studenten der Professor
Spalanzani und der Optiker Coppola, der Professor an sich eine Figur der Vaters
reihe, Coppola als identisch mit dem Advokaten Coppelius erkannt. Wie sie damals
zusammen am geheimnisvollen Herd arbeiteten, so haben sie nun gemeinsam
die Puppe Olimpia verfertigt。 der Professor heißt auch der Vater Olimpias. Durch
diese zweimalige Gemeinsamkeit verraten sie sich als Spaltungen der Vaterimago,20%
S.
308 Sigm. Freud |
: Wir würden es also wagen, das Unheimliche des Sandmannes
auf die Angst des kindlichen Kastrationskomplexes zurückzuführen,
Sowie aber die Idee auftaucht, ein solches infantiles Moment für
die Enstehung des unheimfihen Gefühls in Anspruch zu nehmen,
werden wir auch zum Versuch getrieben, dieselbe Ableitung für
andere Beispiele des Unheimlichen in Betracht zu ziehen. Im fad
mann findet sich nodi das Motiv der belebt scheinenden Puppe, das
Jentsch hervorgehoben hat. Nach diesem Autor ist es eine be=
sonders günstige Bedingung für die Erzeugung unheimlicher Gefühle,
wenn eine intellektuelle Unsicherheit geweckt wird, ob etwas belebt
oder feblos sei, und wenn das Leblose die Ahnlichkeit mit dem
Lebenden zu weit treibt. Natürlich sind wir aber gerade mit den
Puppen vom Kindlichen nicht weit entfernt, Wir erinnern uns, daß
das Kind im frühen Alter des Spielens überhaupt nicht scharf zwischen
Belebtem und Leblosem unterscheidet und daß es besonders gerne
seine Puppe wie ein lebendes Wesen behandelt, Ja, man hort ge-
Iegentlih von einer Patientin erzählen, sie habe noch im Alter von
acht Jahren die Überzeugung gehabt, wenn sie ihre Puppen auf eine
gewisse Art, möglichst eindringlich, anschauen würde, müßten diese
lebendig werden. Das infantile Moment ist also auch hier leicht nach=
zuweisen, aber merkwürdig, im Falle des Sandmannes handelte es
sich um die Erweckung einer alten Kinderangst, bei der lebenden
Puppe ist von Angst keine Rede, das Kind hat sich vor dem Be-
leben seiner Puppen nicht gefürchtet, vielleicht es sogar gewünscht, Die④ h. sowohl der Mechaniker als auch der Optiker sind der Vater der Olimpia wie
des Nathaniel. In der Schreckensszene der Kirderzeit hatte Coppelius, nachdem
er auf die Blendung des Kleinen verzichtet, ihm probeweise Arme und Beine abge=
sdiraubt, also wie ein Mechaniker an einer Puppe mit ihm gearbeitet, Dieser
sonderbare Zug, der ganz aus dem Rahmen der-Sandmannvorstellung heraustritt,
bringt ein neues Aquivalent der Kastration ins Spiel; er weist aber auch auf die
innere Identität des Coppelius mit seinem späteren Widerpart, dem Mechaniker
Spalanzani hin, und bereitet uns får die Deutung der Olimpia vor. Diese automatische
Puppe kann nichts anderes sein als die Materialisation von Nathaniels femininer
Einstellung zu seinem Vater in früher Kindheit, Ihre Väter — Spalanzani und
Coppola — sind ja nur neue Auflagen, Reinkarnationen, von Nathaniels Väter=
paar; die sonst unverståndlidhe Angabe des Spalanzani, daß der Optiker dem
Nathaniel die Augen gestohlen <s. o), um sie der Puppe einzusetzen, gewinnt so
als Beweis für die Identität von Olimpia und Nathaniel ihre Bedeutung. Olimpia
ist sozusagen ein von Nathaniel losgelôster Komplex, der ihm afs Person ent=
sent die Beherrschung durch diesen Komplex findet in der unsinnig zwang=
aften Liebe zur Olimpia ihren Ausdruck, Wir haben das Recht, diese Liebe eine
narziBrische zu heißen, und verstehen, daß der ihr Verfallene sich dem realen Liebes=
objekt entfremdet. Wie psychologisch richtig es aber ist, daß der durch den Kastra-
tionskomplex an den Vater fixierte Jüngling der Liebe zum Weibe unfähig wird,
zeigen zahlreiche Krankenanalysen, deren Inhalt zwar weniger phantastisch, aber
kaum minder traurig ist als die Geschichte des Studenten Nathaniel.
E. T. A. Hoffmann war das Kind einer unglücklichen Ehe. Als er drei
Jahre war, trennte sich der Vater von seiner kleinen Familie und lebte nie wieder
mit ihr vereint. Nach den Belegen, die E. Grisebach in der biographischen Ein=
leitung zu Hoffmanns Werken beibringt, war die Beziehung zum Varer immer
eine der wundesten Stellen in des Dichters Gefühlsleben,S.
し
Das Unheimlide
309
Quelle des unheimlichen Gefühls wäre also hier nicht eine Kinder=
angst, sondern ein Kinderwunsch oder auch nur ein Kinderglaube.
Das scheint ein Widerspruch, möglicherweise ist es nur eine Mannig=
faltigkeit, die spåterhin unserem Verständnis förderlich werden kann.E. T. A. Hoffmann ist der unerreichte Meister des Unheim=
lichen in der Dichtung. Sein Roman »Die Elixire des Teufels«
weist ein ganzes Bündel von Motiven auf, denen man die unheim=
liche Wirkung der Geschichte zuschreiben möchte. Der Inhalt des
Romans ist zu reichhaltig und verschlungen, als daß man einen Aus=
zug daraus wagen könnte, Zu Ende des Buches, wenn die dem
Leser bisher vorenthaltenen Voraussetzungen der Handlung nadige=
tragen werden, ist das Ergebnis nicht die Aufklärung des Lesers,
sondern eine volle Verwirrung desselben. Der Dichter hat zu viel
Gleichartiges gehäuft, der Eindruck des Ganzen leidet nicht darunter,
wohl aber das Verständnis, Man muß sich damit begnügen, die hervor=
stechendsten unter jenen unheimlich wirkenden Motiven herauszu=
heben, um zu untersuchen, ob auch für sie eine Ableitung aus
infantilen Quellen zulässig ist. Es sind dies das Doppelgängertum
in all sefnen Abstufungen und Ausbildungen, also das Auftreten
von Personen, die wegen ihrer gleichen Erscheinung für identisch
gehalten werden müssen, die Steigerung dieses Verhältnisses durch
Uberspringen seelisher Vorgänge von einer dieser Personen auf die
andere, — was wir Telepathie heißen würden — so daß der eine das
Wissen, Fühlen und Erleben des andern mitbesitzt, die Identifi=
zierung mit einer anderen Person, so daß man an seinem Idı irre
wird oder das fremde Ich an die Stelle des eigenen versetzt, also
Ichverdopplung, Ichteilung, Ichvertauschung 一 und endlich die bes
ständige Wiederkehr des Gleichen, die Wiederholung der nämlichen
Gesichtszüge, Charaktere, Schicksale, verbrecherischen Taten, ja der
Namen durch mehrere aufeinanderfolgende Generationen.Das Motiv des Doppelgängers hat in einer gleichnamigen Arbeit
von O, Rank eine eingehende Würdigung gefunden®, Dort werden
die Beziehungen des Doppelgångers zum Spiegel» und Schattenbild,
zum Schutzgeist, zur Seelenlehre und zur Todesfurcht untersucht,
es fällt aber auch helles Licht auf die überraschende Entwicklungs»
geschichte des Motivs, Denn der Doppelgånger war urspriinglih eine
Versicherung gegen den Untergang des Ichs, eine »energishe Dez
mentierung der Macht des Todes« (О, Rank) und wahrscheinlich
war die »unsterblihe« Seele der erste Doppelgånger des Leibes.
Die Schöpfung einer solchen Verdopplung zur Abwehr gegen die
Vernichtung hat ihr Gegenstüde in einer Darstellung der lraume
sprache, welche die Kastration durch Verdopplung oder Vervielfältigung
des Genitalsymbols auszudrücken liebt; sie wird in der Kultur der
alten Ägypter. ein Antrieb für die Kunst, das Bild des Verstorbenen
in dauerhaftem Stoff zu formen. Aber diese Vorstellungen sind auf1 O, Rank, Der Doppelgånger, Imago Ш, 1914.
S.
310 Sigm. Freud
dem Boden der uneingeschränkten Selbstliebe entstanden, des primären
Narzilimus, welcher das Seelenleben des Kindes wie des Primitiven
beherrscht, und mit der Überwindung dieser Phase ändert sich das
Vorzeichen des Doppelgängers, aus einer Versicherung des Fort
lebens wird er zum unheimlichen Vorboten des Todes.Die Vorstellung des Doppelgångers braucht nicht mit diesem
uranfánglihen NarziBmus unterzugehen, denn sie kann aus den
späteren Entwicklungsstufen des Ichs neuen Inhalt gewinnen. Im Ich
bildet sich langsam eine besondere Instanz heraus, welche sich dem
übrigen Ich entgegenstellen kann, die der Selbstbeobachtung und
Selbstkritik dient, die Arbeit der psychischen Zensur leistet und
unserem Bewußtsein als »Gewissen« bekannt wird. Im patho-
logischen Falle des Beachtungswahnes wird sie isoliert, vom Ich
abgespalten, dem Arzte bemerkbar, Die Tatsache, daß eine solde
Instanz vorhanden ist, welche das übrige Ich wie ein Objekt Бег
handeln kann, also daß der Mensch der יו fahig ist,
macht es möglich, die alte Doppelgångervorstellung mit neuem Inhalt
zu erfüllen und ihr mancherlei zuzuweisen, vor allem all das, was
der Selbstkritik als zugehörig zum alten überwundenen Narzibmus
der Urzeit erscheint'.Aber nicht nur dieser der Ichkritik anstSBige Inhalt kann dem
Doppelgånger einverleibt werden, sondern ebenso alle unterbliebenen
Möglichkeiten der Geschicksgestaltung, an denen die Phantasie noch
festhalten will, und alle Ichstrebungen, die sich infolge äußerer Un-
gunst nicht durchsetzen konnten, sowie alle die unterdriickten Willens=
entscheidungen, die die Illusion des freien Willens ergeben haben”.Nachdem wir aber so die manifeste Motivierung der Doppel=
gångergestalt betrachtet haben, müssen wir uns sagen: Nichts von
alledem macht uns den außerordentlich hohen Grad von Unheimlich=
keit, der ihr anhaftet, verstandlich, und aus unserer Kenntnis der
pathologischen Seelenvorgånge dürfen wir hinzusetzen, nichts von
diesem Inhalt könnte das Abwehrbestreben erklären, das ihn als
etwas Fremdes aus dem Ich hinausprojiziert. Der Charakter des
Unheimlihen kann doch nur daher rühren, daß der Doppelganger
eine den überwundenen seelischen Urzeiten angehôrige Bildung ist,t Ich glaube, wenn die Dichter klagen, daß zwei Seelen in des Menschen
Brust wohnen, und wenn die Populärpsychologen von der Spaltung des Ichs im
Menschen reden, so schwebt ihnen diese Entzweiung, der Ichpsychologie ange=
horig, zwischen der fritishen Instanz und dem Ich=Rest vor und nicht die von
der Psychoanalyse aufgedeckte Gegensätzlichkeit zwischen dem Ich und dem un-
bewuften Verdrångten. Der Unterschied wird allerdings dadurch verwischt, daß
sich unter dem von der Ichkritik Verworfenen zunächst die Abkómmlinge des
Verdrángten befinden.2 In der H. 11. Ewerssden Dichtung »Der Student von Prag«, von
welcher die Ranksche Studie über den Doppelganger ausgegangen ist, hat der
Held der Geliebten versprochen, seinen Duellgegner nicht zu töten. Auf demWege zum Duellplatz begegnet ihm aber der Doppelganger, welcher den Neben-
buhler bereits erledigt hat, 3S.
Das Unheimliche 811
die damals allerdings einen freundlicheren Sinn hatte. Der Doppel-
gånger ist zum Sdredibild geworden, wie die Götter nad dem
Sturz ihrer Religion zu Dämonen werden (H. Heine, Die Götter
im Exil).Die anderen bei Hoffmann verwendeten Ichstörungen sind
nach dem Muster des Doppelgängermotivs leicht zu beurteilen. Es
handelt sich bei ihnen um ein Rückgreifen auf einzelne Phasen in
der Entwidklungsgeschichte des Ichgefühls, um eine Regression in
Zeiten, da das Ich sich noch nicht scharf von der Außenwelt und
vom Anderen abgegrenzt hatte, Ich glaube, daß diese Motive den
Eindruck des Unheimlichen mitverschulden, wenngleich es nicht leicht
ist, ihren Anteil an diesem Eindrud: isoliert herauszugreifen.Das Moment der Wiederholung des Gleichartigen wird als
Quelle des unheimlichen Gefühfs vielleicht nicht bei jedermann An-
erkennung finden. Nach meinen Beobachtungen ruft es unter gewissen
Bedingungen und in Kombination mit bestimmten Umständen un-
zweifelhaft ein solches Gefühl hervor, das überdies an die Hilfs
losigkeit mancher Traumzustánde mahnt. Als ich einst an einem
heißen‘ «Sommernachmittag die mir unbekannten, menschenleeren
Straßen einer italienischen Kleinstadt durchstreifte, geriet ich in eine
Gegend, über deren Charakter ich nicht lange in Zweifel bleiben konnte,waren nur geschminkte Frauen an den Fenstern der kleinen
Häuser zu sehen, und ich beeilte mich, die enge Straße durch die
" nächste Binbiegung zu verlassen. Aber nachdem ich eine Weile
führerlos herumgewandert war, fand ich mich plötzlich in derselben
Straße wieder, in der ich nun Aufsehen zu erregen begann, und
meine eilige Entfernung hatte nur die Folge, daß ich auf einem neuen
Umwege zum dritten Male dahingeriet. Dann aber erfaßte mich ein
Gefühl, das ich nur als unheimlich bezeichnen kann, und ich war froh,
als ich unter Verzicht auf weitere Entdeckungsreisen auf die kürzlich
von mir verlassene Piazza zurückfand, Andere Situationen, die die
unbeabsidhtigte Wiederkehr mit der eben beschriebenen gemein haben
und sich in den anderen Punkten gründlich von ihr unterscheiden,
haben doch dasselbe Gefühl von Hilflosigkeit und Unheimlihkeit zur
Folge, Zum Beispiel wenn man sich im Hodiwald, etwa vom Nebel
überrascht, verirrt hat und nun trotz aller Bemühungen, einen
markierten oder bekannten Weg zu finden, wiederholt zu der einen,
durch eine bestimmte Formation gekennzeichneten Stelle zurtidckommt,
Oder wenn man im unbekannten, dunkeln Zimmer wandert, um
die Türe oder den Lichtschalter aufzusuchen und dabei zum xten
Male mit demselben Möbelstük zusammenstößt, eine Situation, die
Mark Twain allerdings durch groteske Übertreibung in eine unwider=
stehlich komische umgewandelt hat.An einer anderen Reihe von Erfahrungen erkennen wir auch
mühelos, daß es nur das Moment der unbeabsichtigten Wieder=
holung ist, welches das sonst Harmlose unheimlich macht und uns
die Idee des Verhångnisvollen, Unentrinnbaren aufdrångt, wo wirS.
812 Sigm. Freud
sonst nur von »Zufall« gesprochen hätten, So ist es z, B. gewif ein
gleihgültiges Erlebnis, wenn man für seine in einer Garderobe
abgegebenen Kleider einen Schein mit einer gewissen Zahl — sagen
wir: 62 — erhält oder wenn man findet, daß die zugewiesene
Schiffskabine diese Nummer trägt. Aber dieser Eindruck ändert sich,
wenn beide an sich indifferenten Begebenheiten nahe aneinander
rücken, so daß einem die Zahl 62 mehrmals an demselben Tage
entgegentritt, und wenn man dann etwa gar die Beobachtung machen
sollte, daß alles, was eine Zahlenbezeichnung trägt, Adressen, Hotel=
zimmer, Eisenbahnwagen u, dgl. immer wieder die nåmlihe Zahl
wenigstens als Bestandteil, wiederbringt. Man findet das »unheim=
lih« und wer nicht stich- und hiebfest gegen die Versuchungen des
Aberglaubens ist, wird sich geneigt finden, dieser hartnäckigen Wieder=
kehr der einen Zahl eine geheime Bedeutung zuzuschreiben, etwa
einen Hinweis.auf das ihm bestimmte Lebensalter darin zu sehen, Oder
wenn man eben mit dem Studium der Schriften des großen Physiologen
E. Hering beschäftigt ist, und nun wenige Tage auseinander Briefe
von zwei Personen dieses Namens aus verschiedenen Ländern
empfängt, während man bis dahin niemals mit Leuten, die so heißen,
in Beziehung getreten war. Ein geistvoller Naturforscher hat vor
kurzem den a unternommen, Vorkommnisse solcher Art
gewissen Gesetzen unterzuordnen, wodurch der Eindruck des Un-
heimlichen aufgehoben werden müßte. Ich getraue mich nicht zu
entscheiden, ob es ihm gelungen ist!,Wie das Unheimliche der gleichartigen Wiederkehr aus dem
infantilen Seelenleben abzuleiten ist, kann ich hier nur andeuten. und
muß dafür auf eine bereitliegende ausführliche Darstellung in anderem
Zusammenhange verweisen, Im seelisch UnbewuBten fat sich nämlich
die Herrschaft eines von den Triebregungen ausgehenden Wieder=
holungszwanges erkennen, der wahrscheinlich von der innersten
Natur der Triebe selbst abhängt, stark genug ist, sich über das Lust=
prinzip hinauszusetzen, gewissen Seiten des m den dåmoni=
schen Charakter verleiht, sich in den Strebungen des kleinen Kindes
noth sehr deutlich äußert und ein Städ vom Ablauf der Psychoanalyse
des Neurotikers beherrsht. Wir sind durch alle vorstehenden Er=
Srterungen darauf vorbereitet, daß dasjenige als unheimlich ver=
spürt werden wird, was an diesen inneren Wiederholungszwang
mahnen kann.Nun, denke ich aber, ist es Zeit uns von diesen immerhin'
schwierig zu beurteilenden Verhältnissen abzuwenden und unzweifel=
hafte Fälle des Unheimlichen aufzusuchen, von deren Analyse wir
die endgültige Entscheidung über die Geltung unserer Annahme er=
warten dürfen.Im »Ring des Polykrates« wendet sich der Gast mit Grausen,
weil er merkt, daß jeder Wunsch des Freundes sofort in Erfüllungり B Kammerer, Das Gesetz der Serie, Wien 1919,
|
|
|
|—— ÀÓ
S.
”
Das Unheimliche 313
geht, jede seiner Sorgen vom Schicksal unverzüglich aufgehoben
wird. Der Gastfreund ist ihm »unheimlihs geworden, Die Auskunft,
die er selbst gibt, daß der allzu Glückliche den Neid der Götter
zu fürchten habe, erscheint uns noch undurchsichtig, ihr Sinn ist
mythologisda versdileiert, Greifen wir darum ein anderes Beispiel
aus weit schlichteren Verhältnissen heraus: In der Krankengeschichte
eines Zwangsneurotikers! habe ich erzählt, daß dieser Kranke einst
einen Aufenthalt in einer Wasserheilanstalt genommen hatte, aus
dem er sich eine große Besserung holte. Er war aber so klug, diesen
Erfolg nicht der Heilkraft des Wassers, sondern der Lage seines
Zimmers zuzuschreiben, welches der Kammer einer liebenswürdigen
Pflegerin unmittelbar benachbart war. Als er dann zum zweiten Mal
in diese Anstalt kam, verlangte er dasselbe Zimmer wieder, mußte
aber hören, daß dies bereits von einem alten Herrn besetzt sei und
gab seinem Unmut darüber in den Worten Ausdruck: Dafür soll
ihn aber der Schlag treffen. Vierzehn Tage später erlitt der alte Herr
wirklich einen Sédagantall Für meinen Patienten war dies ein »un-
heimliches« Erlebnis, Der Eindruck des Unheimlichen wäre noch
stärker gewesen, wenn eine viel kürzere Zeit zwischen jener Äußerung
- und dem Unfall gelegen wire oder wenn der Patient über zahl=
reiche ganz ähnliche Erlebnisse hätte berichten können, In der Tat
war er um solde Beståtigungen nicht verlegen, aber nicht er allein,
alle Zwangsneurotiker, die ich studiert habe, wuDten Analoges von
sich zu erzählen. Sie waren gar nicht überrascht, regelmäßig der
Person zu begegnen, an die sie eben — vielleicht nach langer Pause
— gedacht hatten, sie pflegten regelmäßig am Morgen einen Brief
von einem Freund zu bekommen, wenn sie am Abend vorher ge=
äußert hatten: Von dem hat man aber jetzt lange nichts gehört, und
besonders Unglüds= oder Todesfälle ereigneten sid nur selten,
ohne eine Weile vorher durch ihre Gedanken gehuscht zu sein. Sie
pflegten diesem Sachverhalt in der bescheidensten Weise Ausdruck
zu geben, indem sie behaupteten, » Ahnungen« zu haben, die »meistens«
eintreffen.Eine der unheimlichsten und verbreitetsten Formen des Aber=
laubens ist die Angst vor dem »bósen Blida, welder bei dem
amburger Augenarzt S.Seligman? eine gründliche Behandlung ge=funden hat. Die Quelle, aus welcher diese Angst schöpft, scheint niemals
verkannt worden zu sein, Wer etwas Köles und doch Hinfälliges
besitzt, fürchtet sich vor dem Neid der anderen, indem er jenen
Neid auf sie projiziert, den er im umgekehrten Falle empfunden
hätte, Solche Regungen verrät man durch den Blick, auch wenn man
ihnen den Ausdru in Worten versagt, und wenn jemand. durch auf=
fällige Kennzeichen, besonders unerwünschter Art, vor den anderent Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose, Jahrb. i. Psyhoana:
lyse, 1, 1909 und Sammlung kl. Schriften, dritte Folge, 1913.
der S. Seligmann, Der båse Blid und Verwandtes, 2 Bande, Berlin 1910
u. ① LS.
814 Sigm, Freud
hervorsticht, traut man ihm zu, daß sein Neid eine besondere
Stärke erreichen und dann auch diese Stärke in Wirkung umsetzen
wird, Man fürchtet also eine geheime Absicht zu schaden, und auf
ewisse Anzeichen hin nimmt man an, daß dieser Absicht auch dieaft zu Gebote steht.
Die fetzterwåhnten Beispiele des Unheimlichen hängen von dem* Prinzip ab, das ich, der Anregung eines Patienten folgend, die »Alf«
macht der Gedanken« benannt habe. Wir können nun nicht mehr
verkennen, auf welchem Boden wir uns befinden. Die Analyse der` Falle des Unheimlichen hat uns zur alten Weltauffassung des Ani
mismus zurückgeführt, die ausgezeichnet war durch die Erfüllung
der Welt mit Menschengeistern, durch die narziBtische Ubershátzung
der eigenen seelischen Vorgänge, die Allmacht der Gedanken und
die darauf aufgebaute Technik der Magie, die Zuteilung von sorg=
fåltig abgestuften Zauberkråften an fremde Personen und Dinge
(Mana), sowie durch alle die Schépfungen, mit denen sich der uneinge=
schränkte Narzißmus jener Entwidilungsperiode gegen den unver=
kennbaren Binspruch der Realität zur Wehre setzte, Es scheint, daß
wir alle in unserer individuellen Entwicklung eine diesem Animismus
der Primitiven entsprechende Phase durchgemacht haben, daß sie bei -
keinem von uns abgelaufen ist, ohne noch äußerungsfähige Reste
und Spuren zu hinterlassen, und daß alles, was uns heute als »un=
heimfidi« erscheint, die Bedingung erfüllt, daß es an diese Reste
animistisher Seelentätigkeit rührt und sie zur Äußerung anregt‘,
Hier ist nun der Platz für zwei Bemerkungen, in denen ich
den wesentlichen Inhalt dieser kleinen Untersuchung niederlegen
möchte, Erstens, wenn die psychoanalytische Theorie in der Be-
hauptung recht hat, daß jeder Affekt einer Gefühlsregung, gleich-
gültig von welder Art, durch die Verdrängung in Angst verwandelt
wird, so muß es unter den Fallen des Angstlihen eine Gruppe
geben, in der sich zeigen läßt, daß dies Angstlihe etwas wieder-
kehrendes Verdrängtes ist. Diese Art des Angstlichen wäre eben
das Unheimliche und dabei muß es gleichgültig sein, ob es urspriing=
lich selbst ängstlich war oder von einem anderen Affekt getragen.
Zweitens, wenn dies wirklich die geheime Natur des Unheimlichen
ist, so verstehen wir, daß der Sprachgebrauch das Heimliche in seinen
Gegensatz, das Unheimliche übergehen läßt (S. 302), denn dies Un=
heimliche ist wirklich nichts Neues oder Fremdes, sondern etwas
dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm nur durch den
Prozeß der Verdrängung entfremdet worden ist. Die Beziehung auf
die Verdrängung erhellt uns jetzt auch die Schellingshe De-1 Vgl. hiezu den Abschnitt III Animismus, Magie und Allmacht der Ge-
danken in des Verf. Buch: Totem und Tabu. 1913. Dort auch die Bemerkung
S. ⑲ Note): »Es scheint, dab wir den Charakter des ,Unheimlichen“ soldien
Eindrücken verleihen, welche die Allmacht der Gedanken und die animistisdie Denk
weise überhaupt bestätigen wollen, während wir uns bereits im Urteil von ihr ab-
gewendet haben.«S.
P
Das Unheimlide a. 315
finition, das Unheimliche sei etwas, was im Verborgenen hátte bleiben
sollen und hervorgetreten ist.Bs erübrigt uns nur noch, die Einsicht, die wir gewonnen
haben, an der Erklärung einiger anderer Fälle des Unheimlichen
zu erproben,Im allerhShsten Grade unheimlich erscheint vielen Menschen,
was mit dem Tod, mit Leichen und mit der Wiederkehr der Toten,
mit Geistern und Gespenstern zusammenhängt. Wir haben ja ges
hört, daß manche moderne Sprachen unseren Ausdruck: ein unheim=
likes Haus gar nicht anders wiedergeben können als durch die Um=
såreibung: ein Haus, in dem es spukt, Wir hätten eigentlich unsere
Untersuchung mit diesem, vielleicht stärksten Beispiel von Unheim=
lichkeit beginnen können, aber wir taten es nicht, weil hier das Un=
heimliche zu sehr mit dem Grauenhaften vermengt und zum Teil
von ihm gedeckt ist, Aber auf kaum einem anderen Gebiet hat sich
unser Denken und Fühlen seit den Urzeiten so wenig verändert,
ist das Alte unter dünner Dede so gut erhalten geblieben, wie in
unserer Beziehung zum Tode, Zwei Momente geben für diesen Still=
stand gute Auskunft: Die Starke unserer ursprünglichen Gefúhls=
reaktionen und die Unsicherheit unserer wissenschafifichen Erkenntnis.
Unsere Biologie hat es noch nicht entscheiden können, ob der Tod
das notwendige Schicksal jedes Lebewesens oder nur ein regel-
mäßiger, vielleicht aber vermeidliher Zufall innerhalb des Lebens
ist. Der Satz: alle Menschen müssen sterben, paradiert zwar in den
Lehrbiichern der Logik als Vorbild einer allgemeinen Behauptung,
aber keinem Menschen leuchtet er ein und unser Unbewuftes hat
jetzt so wenig Raum wie vormals fiir die Vorstellung der eigenen
Sterblichkeit. Die Religionen bestreiten noch immer der unableug-
baren Tatsache des individuellen Todes ihre Bedeutung und setzen
die Existenz über das Lebensende hinaus fort, die staatlichen Ge-
walten meinen die moralische Ordnung unter den Lebenden nicht
aufrecht erhalten zu können, wenn man auf die Korrektur des Erden=
lebens durch ein besseres Jenseits verzichten soll, auf den Ansdilag=
såulen unserer Großstädte werden Vorträge angekündigt, welche Be=
lehrung spenden wollen, wie man sich mit den Seelen der Verstorbenen in
Verbindung setzen kann, und es ist unleugbar, daß mehrere der
feinsten Köpfe und sdárfsten Denker unter den Männern der
Wissenschaft, zumal gegen das Ende ihrer eigenen Lebenszeit, ge=
urteilt haben, daß es an Möglichkeiten für solchen Verkehr nicht
fehle. Da fast alle von uns in diesem Punkt noch so denken wie
die Wilden, ist es auch nicht zu verwundern, daß die primitive Angst
vor dem Toten bei uns noch so mächtig ist und bereit liegt, sich
zu äußern, sowie irgend etwas ihr entgegen kommt. Wahrscheinlich
hat sie auch noch den alten Sinn, der Tote sei zum Feind des Ulber=lebenden geworden und beabsichtige, ihn mit sich zu nehmen, als Ge-
nossen seiner neuen Existenz, Eher könnte man bei dieser Unveränder=
lichkeit der Einstellung zum Tode fragen, wo die Bedingung derS.
316 Sigm. Freud
Verdrängung bleibt, die erfordert wird, damit das Primitive als
etwas Unheimliches wiederkehren könne. Aber die besteht doch audi,
offiziell glauben die sogenannten Gebildeten nicht mehr an das Sicht=
barwerden der Verstorbenen als Seelen, haben deren Erscheinung
an entlegene und selten verwirklichte Bedingungen geknüpft, und die
ursprünglich höchst zweideutige, ambivalente Gefühlseinstellung zum
Toten ist für die höheren Schichten des Seelenlebens zur eindeutigen
der Pietåt abgeschwächt wordenEs bedarf jetzt nur noch weniger Ergänzungen, denn mit dem
Animismus, der Magie und Zauberei, der Allmacht der Gedanken,
der Beziehung zum ode, der unbeabsichtigten Wiederholung und
dem Kastrationskomplex haben wir den Umfang der Momente, die
das Ángstlihe zum Unheimlihen machen, so ziemlich erschöpft,Wir heißen auch einen lebenden Menschen unheimlich, und zwar
dann, wenn wir ihm böse Absichten zutrauen, Aber das reicht nicht hin,
wir müssen noch hinzutun, daß diese seine Absichten uns zu schaden
sich mit Hilfe besonderer Kräfte verwirklichen werden. Der »Gettatore«,
ist ein gutes Beispiel hiefiir, diese unheimliche Gestalt des romanischen
Aberglaubens, die Albrecht Schäffer in dem Buche »Josef Montforts
mit poetischer Intuition und tiefem psychoanalytishem Verständnis
zu einer sympathischen Figur umgeschaffen hat. Aber mit diesen
geheimen Kräften stehen wir bereits wieder auf dem Boden des
Animismus. Die Ahnung solcher Geheimkråfte ist es, die dem
frommen Gretchen den Mephisto so unheimlich werden läßt:»Sie ahnt, daß ich ganz sicher ein Genie,
Vielleicht sogar der Teufel bin.«Das Unheimlide der Fallsucht, des Wahnsinns, hat denselben Ur=
sprung. Der Laie sieht hier die Äußerung von Kräften vor sich,
die er im Nebenmenschen nicht vermutet hat, deren Regung er aber
in entlegenen Winkeln der eigenen Persönlichkeit dunkel zu spüren
vermag, Das Mittelalter hatte konsequenterweise und psychologisch
beinahe korrekt alle diese KrankheitsåuBerungen der Wirkung von
Dämonen zugeschrieben. Ja, ich würde mich nicht verwundern zu
hören, daß die Psychoanalyse, die sich mit der Aufdekung dieser
geheimen Kräfte beschäftigt, vielen Menschen darum selbst unheimlich
geworden ist. In einem Falle, als mir die Herstellung eines seit‚Vielen Jahren siehen Mädchens — wenn auch nicht sehr rasch 一
gelungen war, habe id's von der Mutter der für lange Zeit Ge-
heilten selbst gehört.Abgetrennte Glieder, ein abgehauener Kopf, eine vom Arm
gelöste Hand wie in einem Märchen von Hauff, Füße, die fiir sich
allein tanzen wie in dem erwähnten Buche von A. Schaeffer, haben
etwas ungemein Unheimliches an sich, besonders wenn ihnen wie
im letzten Beispiel noch eine selbständige Tätigkeit zugestanden wird.? Vgl: Das Tabu und die Ambivalenz in »Totem und Tabus,
S.
”
Das Unheimlide = 317
Wir wissen schon, daß diese Unheimlichkeit von der Annäherung
an den Kastrationskomplex herrtibrt. Manche Menschen würden die
Krone der Unheimlichkeit der Vorstellung zuweisen, scheintot be=
graben zu werden, Allein die Psychoanalyse hat uns gelehrt, daß
diese schredtende Phantasie nur die Umwandlung einer anderen ist,
die ursprünglich nichts Schreckhaftes war, sondern von einer gewissen
Lüsternheit getragen wurde, nämlich der Phantasie vom Leben im
Mutterleib.Tragen wir noch etwas Allgemeines nach, was strenggenommen
bereits in unseren bisherigen Behauptungen über den Animismus
und die úberwundenen Arbeitsweisen des seelischen Apparats ent=
halten ist, aber doch einer besonderen Hervorhebung würdig scheint,
daß es nämlich oft und leicht unheimlich wirkt, wenn die Grenze
zwischen Phantasie und Wirklichkeit verwischt wird, wenn etwas
real vor uns hintritt, was wir bisher für phantastisch gehalten
haben, wenn ein Symbol die volle Leistung und Bedeutung des
Symbolisierten übernimmt und dergleichen mehr, Hierauf beruht auch
ein gutes Stick der Unheimlichkeit, die den magischen Praktiken
anhaftef Das Infantile daran, was auch das Seelenleben der Neu-
rotiker beherrscht, ist die Überbetonung der psychischen Realität im
Vergleich zur materiellen, ein Zug, welcher sich der Allmacht der Се“
danken anschließt. Mitten in der Absperrung des Weltkrieges kam
eine Nummer des englischen Magazins »Strand« in meine Hände,
in der ich unter anderen ziemlich überflüssigen Produktionen eine Er-
zählung las, wie ein junges Paar eine möblierte Wohnung bezieht, in
der sich ein seltsam geformter Tisch mit holzgeschnitzten Krokodifen
befindet. Gegen Abend pflegt sich dann ein unerträgli…ier, harak-
teristisher Gestank in der Wohnung zu verbreiten, man stolpert
im Dunkeln über irgend etwas, man glaubt zu sehen, wie etwas
Undefinierbares über die Treppe huscht, kurz, man soll erraten, daß
infolge der Anwesenheit dieses Tisches gespenstishe Krokodile im
Hause spuken, oder daß die hölzernen Scheusale im Dunkeln Leben
bekommen oder etwas Ähnliches, Es war eine recht einfåltige Ge=
schichte, aber ihre unheimliche Wirkung verspürte man als ganz
hervorragend, -Zum Sdlusse dieser gewiD nod unvollständigen Beispiel-
sammlung soll eine Erfahrung aus der psychoanalytischen Arbeit ere
wähnt werden, die, wenn sie nicht auf einem zufälligen Zusammen=
treffen beruht, die schönste Bekråftigung unserer Auffassung des
Unheimliden mit sich bringt. Es kommt oft vor, dal neurotishe
Männer erklären, das weibliche Genitale sei ihnen etwas Unheimliches.
Dieses Unheimlihe ist aber der Eingang zur alten Heimat des
Menschenkindes, zur Ortlichkeit, in der jeder einmal und zuerst gez
weilt hat, »Liebe ist Heimweh«, behauptet ein Scherzwort, und
wenn der Träumer von einer Ortlichkeit oder Landschaft noch im
Traume denkt: Das ist mir bekannt, da war ich schon einmal, so
darf die Deutung dafür das Genitale oder den Leib der MutterS.
318 ・ Sigm. Freud
einsetzen. Das Unheimliche ist also auch in diesem Falle das ehe=
mals Heimische, Altvertraute. Die Vorsilbe un an diesem Worte
ist aber die Marke der Verdrängung,111,
Schon während der Lektüre der vorstehenden Erôrterungen
werden sich beim Leser Zweifel geregt haben, denen jetzt gestattet
werden soll sich zu sammeln und laut zu werden.Es mag zutreffen, daß das Unheimliche das Heimliche=Heimische
ist, das eine Verdrängung erfahren hat und aus ihr wiedergekehrt
ist, und daß alles Unheimlihe diese Bedingung erfüllt. Aber mit
dieser Stoffwahl scheint das Rätsel des Unheimlichen nicht gelöst.
Unser Satz verträgt offenbar keine Umkehrung. Nicht alles was
an verdrångte Wunschregungen und überwundene Denkweisen der
individuellen Vorzeit und der Vólkerurzeit mahnt, ist darum auch
unheimlich.Auch wollen wir es nicht verschweigen, daß sich fast zu
jedem Beispiel, welches unseren Satz erweisen sollte, ein analoges
finden [4Bt, das ihm widerspricht. Die abgehauene Hand z. B. im
Hauffshen Märchen »Die Geschichte von der abgehauenen Hand«
wirkt gewiß unheimlich, was wir auf den Kastrationskomplex zurückge=
führt haben, Aber in der Erzählung des Herodot vom Schatz des
Rhampsenit läßt der Meisterdieb, den die Prinzessin bei der Hand Feste
halten will, ihr die abgehauene Hand seines Bruders zurück, und andere
werden wahrscheinlich ebenso wie ich urteilen, daß dieser Zug keine un=
heimliche Wirkung hervorruft, Die prompte Wunscherfållung im »Ring
des Polykrates« wirkt auf uns sicherlich ebenso unheimlich wie auf
den König von Ägypten selbst. Aber in unseren Märchen wimmelt es
von sofortigen Wunsderfúllungen und das Unheimliche bleibt dabei
aus, Im Märchen von den drei Wünschen 信 Bt sich die Frau durch
den Wohlgeruch einer Bratwurst verleiten zu sagen, daß sie auch
so ein Würstchen haben möchte, Sofort liegt es vor ihr auf dem
Teller. Der Mann wünscht im Ärger, daß es der Vorwitzigen an
der Nase hängen måge. Flugs baumelt es an ihrer Nase. Das ist
sehr eindrucksvoll, aber nicht im geringsten unheimlich, Das Märchen
stellt sich überhaupt ganz offen auf den animistischen Standpunkt
der Allmacht von Gedanken und Wünschen, und ich wüßte doch
kein echtes Märchen zu nennen, in dem irgend etwas Unheimlihes
vorkåme. Wir haben gehört, daß es in hohem Grade unheimlich
wirkt, wenn leblose Dinge, Bilder, Puppen, sich beleben, aber in
den Andersenschen Märchen leben die Hausgeräte, die Möbel, der
Zinnsoldat und nichts ist vielleicht vom Unheimlichen entfernter, Auch
die Belebung der schönen Statue des Pygmalion wird man kaum
als unheimlich empfinden.Scheintod und Wiederbelebung von Toten haben wir als sehr
unheimliche Vorstellungen kennen gelernt. Dergleichen ist aber
wiederum im Märchen sehr gewöhnlich, wer wagte es unheimlichS.
4
Das Unheimfidie 319
zu nennen, wenn z. B. Schneewittchen die Augen wieder aufshlågt?
Aud die Brwedung von Toten in den Wundergescichten z. B. des
Neuen Testaments ruft Gefühle hervor, die nichts mit dem Un=
heimlichen zu tun haben. Die unbeabsichtigte Wiederkehr des
Gleichen, die uns so unzweifelhafte unheimliche Wirkungen ergeben
hat, dient doch in einer Reihe von Fallen anderen, und zwar sehr
verschiedenen Wirkungen. Wir haben schon einen Fall kennen ge=
lernt, in dem sie als Mittel zur Hervorrufung des komischen Ges
fühls gebraucht wird und könnten Beispiele dieser Art häufen. Andere
Male wirkt sie als Verstärkung u. dgl., ferner; woher rührt die
Unheimlidikeit der Stille, des Alleinseins, der Dunkelheit? Deuten
diese Momente nicht auf die Rolle der Gefahr bei der Entstehung
des Unheimlichen, wenngleich es dieselben Bedingungen sind, unter
denen wir die Kinder am häufigsten Angst äußern sehen? Und
können wir wirklich das Moment der intellektuellen Unsicherheit
anz vernachlässigen, da wir doch seine Bedeutung für das Un=
keimliche des Todes zugegeben haben?So müssen wir wohl bereit sein anzunehmen, daß für das
Auftreteh des unheimliden Gefiihls noch andere als die von uns
vorangestellten stofflichen Bedingungen maßgebend sind. Man könnte
zwar sagen, mit jener ersten Feststellung sei das psydhoanalytische
Interesse am Problem des Unheimlihen erledigt, der Rest erfordere
wahrscheinlich eine ästhetische Untersuchung. Aber damit‘ würden
wir dem Zweifel das Tor öffnen, weldien Wert unsere Einsicht in
die Herkunft des Unheimlichen vom verdrängten Heimischen eigentlich
beanspruchen darf,Eine Beobachtung kann uns den Weg zur Lösung dieser Un=
sicherheiten weisen. Fast alle Beispiele, die unseren Erwartungen
widersprechen, sind dem Bereich der Fiktion, der Dichtung, ent=
nommen, Wir erhalten so einen Wink, einen Unterschied zu machen
zwischen dem Unheimlichen, das man erlebt, und dem Unheimlichen,
das man sich bloß vorstellt, oder von dem man liest.Das Unheimliche des Erlebens hat weit einfachere Bedingungen,
umfaßt aber weniger zahlreiche Fälle, Ich glaube, es fügt sich aus=
nahmslos unserem Lösungsversuch, 1806 jedesmal die Zurückführung
auf altvertrautes Verdrångtes zu. Doch ist aud hier eine wichtige
und psychologisch bedeutsame Scheidung des Materials vorzunehmen,
die wir am besten an geeigneten Beispielen erkennen werden,Greifen wir das Unheimlihe der Allmacht der Gedanken, der
rompten Wunsderfüllung, der geheimen shádigenden Kräfte, der
Wiederkehr der Toten heraus. Die Bedingung, unter der hier das
Gefühl des Unheimlichen entsteht, ist nicht zu verkennen, Wir —
oder unsere primitiven Urahnen — haben dereinst diese M o
keiten für Wirklichkeit gehalten, waren von der Realität dieser Vor=
änge überzeugt. Heute glauben wir nicht mehr daran, wir haben
iese Denkweisen überwunden, aber wir fühlen uns dieser neuen
Überzeugungen nicht ganz sicher, die alten leben noch in uns foS.
320 Sigm, Freud
und lauern auf Bestätigung. Sowie sich nun etwas in unserem Leben
ereignet, was diesen alten abgelegten Überzeugungen eine Be-
ståtigung zuzuführen scheint, haben wir das Gefühl des Unheim-
lichen, zu dem man das Urteil ergånzen kann: Also ist es doch
wahr, daB man einen anderen durch den bloßen Wunsch töten
kann, dab die Toten weiterleben und an der Stätte ihrer früheren
“Tätigkeit sichtbar werden u. dgl! Wer im Gegenteile diese animisti=
schen Überzeugungen bei sich gründlich und endgültig erledigt hat,
får den entfällt das Unheimlihe dieser Art, Das merkwürdigste
Zusammentreffen von Wunsch und Erfüllung, die råtselhafteste
Wiederholung ähnlicher Erlebnisse an demselben Ort oder zum
gleichen Datum, die täuschendsten Gesichtswahrnehmungen und vere
ächtigsten Geräusche werden ihn nicht irre machen, keine Angst
in ihm erwecken, die man als Angst vor dem »Unheimlichen« be-
zeidmen kann. Es handelt sich hier also rein um eine Angelegen-
heit der Realitätsprüfung, um eine Frage der materiellen Realitát1,
Anders verhält es sich mit dem Unheimlichen, das von ver-
İrângten infantilen Komplexen ausgeht, vom Kastrationskomplex,
der Mutterleibsphantasie usw., nur daß reale Erlebnisse, welche
diese Art von Unheimlichem erwecken, nicht sehr häufig sein können,
Das Unheimliche des Brlebens gehört zumeist der früheren Gruppe
an, für die Theorie ist aber die Unterscheidung der beiden sehr
bedeutsam. Beim Unheimlihen aus infantilen Komplexen kommt
die Frage der materiellen Realität gar nicht in Betracht, die psychi-
sche Realität tritt an deren Stelle. Es handelt sich um wirkliche Ver-
drängung eines Inhaltes und um die Wiederkehr des Verdrängten,
nicht um die Aufhebung des Glaubens an die Realität dieses
Inhalts, Man könnte sagen, in dem einen Falle sei ein gewisser
Vorstellungsinhalt, im anderen der Glaube an seine (materielle) Realität
verdrängt. Aber die letztere Ausdrucksweise dehnt wahrscheinlichi Da auch das Unheimliche des Doppelgängers von dieser Gattung ist,
wird es interessant, die Wirkung zu erfahren, wenn uns einmal das Bild der
eigenen Persönlichkeit ungerufen und unvermutet entgegentritt. E. Mach berichtet
zwei soldıer Beobachtungen in der »Änalyse der Empfindungen«, 1900, Seite 3, Er
erschrak das eine Mal nicht wenig, als er erkannte, daß das gesehene Gesicht das
eigene sei, das andere Mal fällte er ein sehr ungünstiges Urteil über den anscheinend
Fremden, der in seinen Omnibus einstieg, »Was steigt doch da für ein herabge=
kommener Schulmeister eine, 一 Ich kann ein ähnliches Abenteuer erzählen: Ich
saß allein im Abteil des Schlafwagens, als hei einem heftigeren Ruck der Fahrte
bewegung die zur anstoßenden Toilette führende Türe aufging und ein älterer
Herr im Sdlafrod, die Reisemütze auf dem Kopf, bei mir eintrat. Idh nahm an,
daB er sich beim Verlassen des zwischen zwei Abteilen befindlichen Kabinetts in
der Richtung geirrt hatte und fälschlich in mein Abteil gekommen war, sprang auf,
um ihn aufzuklären, erkannte aber bald verdutzt, daß der Eindringling mein eigenes
vom Spiegel in der Verbindungstür entworfenes Bild war, Ich weiß noch, daß mir
die Erscheinung gründlich mißfallen hatte, Anstatt also über den Doppelgänger
zu erschrecken, hatten beide — Mach wie ich — ihn einfach nicht agnosziert. Ob
aber das Mibfallen dabei nicht doch ein Rest jener archaischen Reaktion war, die
den Doppelganger als unheimlich empfindet?S.
Das Unheimliche i 821
den Gebrauch des Terminus »Verdrångung« über seine rechtmäßigen
Grenzen aus. Es ist korrekter, wenn wir einer hier spürbaren
psychologischen Differenz Rechnung tragen und den Zustand, in
dem sich die animistischen Überzeugungen des Kulturmenschen befinden,
als ein — mehr oder wenig vollkommenes — Uberwundensein
bezeichnen, Unser Ergebnis lautete dann: Das Unheimliche des Er»
lebens kommt zustande, wenn verdrängte infantile Komplexe
durch einen Eindrud wieder belebt werden, oder wenn über-
wundene primitive Überzeugungen wieder bestätigt scheinen.
Endlich darf man sich durch die Vorliebe für glatte Erledigung
und durchsichtige Darstellung nicht vom Bekenntnis abhalten lassen,
daß die beiden hier aufgestellten Arten des Unheimlichen im Br=
leben nicht immer scharf zu sondern sind, Wenn man bedenkt,
daß die primitiven Überzeugungen auf das innigste mit den infan=
tilen Komplexen zusammenhången und eigentlich in ihnen wurzeln,
wird man sich über diese Verwischung der Abgrenzungen nicht viel
verwundern.Das Unheimfi…ie der Fiktion — der Phantasie, der Dichtung
— verdient in der Tat eine gesonderte Betrachtung, Es ist vor
allem weit reichhaltiger als das Unheimliche des Erlebens, es um-
faBt dieses in seiner Gånze und dann noch anderes, was unter den
Bedingungen des Erlebens nicht vorkommt, Der Gegensatz zwischen
Verdrångtem und Uberwundenem kann nicht ohne tiefgreifende Modi=
fikation auf das Unheimlide der Diditung übertragen werden, denn
das Reich der Phantasie hat ja zur Voraussetzung seiner Geltung, daß
sein Inhalt von der Realitätsprüfung enthoben ist. Das paradox klin=
gende Ergebnis ist, daß in der Dichtung vieles nicht un=
heimlich ist, was unheimlich wire, wenn es sich im Leben
ereignete, und daß in der Dichtung viele Möglichkeiten be=
stehen unheimliche Wirkungen zu erzielen, die fürs Leben
wegfallen. EZu den vielen Freiheiten des Dichters gehört auch die, seine
Darstellungswelt nach Belieben so zu wählen, daß sie mit der uns
vertrauten Realitåt zusammenfållt, oder sich irgendwie von ihr ent=
fernt. Wir folgen ihm in jedem Falle, Die Welt des Márdens z. В.
hat den Boden der Realitåt von vornherein verlassen und sich offen
zur Annahme der animistishen Überzeugungen bekannt. Wunsch=
erfållungen, geheime Kräfte, Allmacht der Gedanken, Belebung des
Leblosen, die im Märchen ganz gewöhnlich sind, können hier keine
unheimliche Wirkung äußern, denn für die Entstehung des unheim=
lichen Gefühls ist, wie wir gehört haben, der Urteilsstreit erfordert,
ob das überwundene Unglaubwürdige nicht doch real möglich ist,
eine Frage, die durch die Voraussetzungen der Märchenwelt über-
haupt aus dem Wege geräumt ist. So verwirklicht das Märchen,
das uns die meisten Beispiele von Widerspruch gegen unsere
Lösung des Unheimlichen geliefert hat, den zuerst erwähnten Fall,
daß im Reiche der Fiktion vieles nicht unheimlich ist, was unheim=
21Imago V/5—6
S.
322 | B Sigm. Freud |
lich wirken müßte, wenn es sich im Leben ereignete. Dazu kommen
fürs Märchen noch andere Momente, die später kurz berührt
werden sollen,Der Dichter kann sich auch eine Welt erschaffen haben, die
minder phantastisch als die Märchenwelt, sich von der realen doch
durch die Aufnahme von höheren geistigen Wesen, Dämonen oder
Geistern Verstorbener scheidet. Alles Unheimliche, was diesen Ge=
stalten anhaften könnte, entfällt: dann, soweit die Voraussetzungen
dieser poetischen Realität reichen, Die Seelen der Danteschen Hölle
oder die Geisterersheinungen in Shakespeares Hamlet, Macbeth,
Julius Caesar mögen düster und schredkhaft genug sein, aber uns
heimlich sind sie im Grunde ebensowenig wie erwa die heitere
Gotterwelt Homers, Wir passen unser Urteil den Bedingungen
dieser vom Dichter fingierten Realitåt an und behandeln Seen,
Geister und Gespenster, als wären sie vollberechtigte Existenzen,
wie wir es selbst in der materiellen Realität sind, Aud dies ist ein
Fall, in dem Unheimlichkeit erspart wird.Anders nun, wenn der Dichter sich dem Ansdeine nad auf
den Boden der gemeinen Realitát gestellt hat. Dann übernimmt er
aud: alle Bedingungen, die im Erleben für die Entstehung des un-
heimlichen Gelúbls elten, und alles was im Leben unheimlich wirkt,
wirkt auch so in der Dichtung. Aber in diesem Falle kann der
Dichter auch das Unheimliche weit über das im Erleben mögliche
Май hinaus steigern und vervielfáltigen, indem er solche Ereignisse
vorfalfen låBt, die in der Wirklichkeit nicht oder nur sehr selten zur
Erfahrung gekommen wären. Er verrät uns dann gewissermaßen an
unseren får überwunden gehaltenen Aberglauben, er betriigt uns,
indem er uns die gemeine Wirklichkeit verspricht und dann doch über
diese hinausgeht. Wir reagieren auf seine Fiktionen so, wir wir auf
eigene Erlebnisse reagiert hätten, wenn wir den Betrug merken, ist
es zu spat, der Dichter hat seine Absicht bereits erreicht, aber ich
muß behaupten, er hat keine reine Wirkung erzielt. Bei uns bleibt
ein Gefühl von Unbefriedigung, eine Art von Сто! über die vers
suchte Täuschung, wie ich es besonders deutlich nach der Lektüre von
Schnitzlers Erzählung »Die Weissagung« und ähnlichen mit dem
Wunderbaren liebäugelnden Produktionen verspürt habe. Der Diditer
hat dann noch ein Mittel zur Verfügung, durch welches er sich dieser
unserer Auflehnung entziehen und gleichzeitig die Bedingungen für
das Erreichen seiner Absichten verbessern kann. Es besteht
darin, daß er uns lange Zeit über nicht erraten läßt, welche Vor=
aussetzungen er eigentlich für die von ihm angenommene Welt ge=
wählt hat, oder daß er kunstvoll und arglistig einer solchen ent=
scheidenden Aufklärung bis zum Ende ausweicht. Im ganzen wird
aber hier der vorhin angekündigte Fall verwirklicht, daß die Fiktion
neue Möglichkeiten des unheimlichen Gefühls erschafft, die im Er=
leben wegfallen würden.Alle diese Mannigfaltigkeiten beziehen sich streng genommen
S.
Das Unheimfiche 888
nur auf das Unheimliche, das aus dem Uberwundenen entsteht, Das
Unheimliche aus verdrángten Komplexen ist resistenter, es bleibt
in der Dichtung — von einer Bedingung abgesehen — ebenso
unheimlich wie im Erleben. Das andere Unheimliche, das aus dem
Überwundenen, zeigt diesen Charakter im Erleben und in der
Dichtung, die sich auf den Boden der materiellen Realität stellt,
kann ihn aber in den fiktiven, vom Dichter geschaffenen Realitäten
einbüßen,Es ist offenkundig, daß die Freiheiten des Dichters und damit
die Vorrechte der Fiktion in der Hervorrufung und Ilemmung des
unheimlihen Gefühls durch die vorstehenden Bemerkungen nicht
erschöpft werden. Gegen das Erleben verhalten wir uns im all-
gemeinen gleichmäßig passiv und unterliegen der Einwirkung des
Stofflichen. Für den Dichter sind wir aber in besonderer Weise
lenkbar, durch die Stimmung, in die er uns versetzt, durch die Br=
wartungen, die er in uns erregt, kann er unsere Gefúblsprozesse
von dem einen Erfolg ablenken und auf einen anderen einstellen,
und kann aus demselben Stoff oft sehr verschiedenartige Wirkungen
gewinnen. Dies ist alles längst bekannt und wahrscheinlich von
den berufenen Asthetikern eingehend gewürdigt worden. Wir
sind auf dieses Gebiet der Forschung ohne redite Absicht ges
führt worden, indem wir der Versuchung nadigaben, den Wider=
spruch gewisser Beispiele gegen unsere Ableitung des Unheimlichen
aufzuklären. Zu einzelnen dear Beispiele wollen wir darum auch
zurückkehren.Wir fragten vorhin, warum die abgehauene Hand im Schatz
der Rhampsenit nicht unheimlich wirke wie etwa in der Hauff-
schen > Geschichte von der abgehauenen Hands. Die Frage erscheint uns
jetzt bedeutsamer, da wir die größere Resistenz des Unheimlichen aus
der Quelle verdrängter Komplexe erkannt haben. Die Antwort
ist leicht zu geben, Sie lautet, daB wir in dieser Erzáhlung nicht
auf die Gefühle der Prinzessin, sondern auf die überlegene Schlauheit
des »Meisterdiebes« eingestellt werden, Der Prinzessin mag das un=
heimlidie Gefühl dabei nicht erspart worden sein, wir wollen es selbst
für glaubhaft halten, dal sie in Ohnmacht gefallen ist, aber wir
verspüren nichts Unheimliches, denn wir versetzen uns nicht in sie,
bes in den anderen. Durch eine andere Konstellation wird uns
der Lindrudk des Unheimlichen in der Nestroyschen Posse »Der
Zerrissene« erspart, wenn der Gefliichtete, der sich für einen Mörder
hält, aus jeder Falltire, deren Deckel er aufhebt, das vermeintliche
Gespenst des Frmorderen aufsteigen sieht und verzweifelt ausruft:
Ich hab) doch nur einen umgebracht. Zu was diese gráblihe
Multiplikation? Wir kennen die Vorbedingungen dieser Szene, teilen
den Irrtum. des »Zerrissenen« nicht, und darum wirkt, was für ihn
unheimlich sein muB, auf uns mit unwiderstehlicher Komik. Sogar
ein »wirklihes« Gespenst wie das in O, Wildes Erzählung
»Der Geist von Canterville« muß all seiner Ansprüche, wenigstens21*
S.
324 Sigm. Freud
Grauen zu erregen, verlustig werden, wenn der Dichter sich den
Scherz macht, es zu ironisieren und hånseln zu lassen. So un-
abhängig kann in der Welt der Fiktion die Gefúhlswirkung von der
per sein. In der Welt der Märchen sollen Angstgefühle, also
aud unheimliche Gefühle überhaupt nicht erweckt werden. Wir
verstehen das und sehen darum auch über die Anlässe hinweg, bei
denen etwas Derartiges möglich» ware.Von der Einsamkeit, Stille und Dunkelheit kónnen wir nichts
anderes sagen, als daß dies wirklich die Momente sind, an welche
die bei den meisten Menschen nie ganz erlóshende Kinderangsteknüpfi ist. Die psydioanalytishe Forschung hat sich mit dem
Problem derselben an anderer Stelle auseinandergesetzt.
297
–324