Über Triebumsetzungen, insbesondere der Analerotik 1917-003/1926
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    UBER TRIEBUMSETZUNGEN, INSBESON-
    DERE DER ANALEROTIK

    Zuerst. erschienen in der „Inter=
    nationalen Zeitschrift für Psychoanalyse“,
    IV, 1916/17.

    Vor einer Reihe von Jahren habe ich aus der psycho-
    analytischen Beobachtung die Vermutung geschópft, daß das
    konstante Zusammentreffen der drei Charaktereigenschaften:
    ordentlich, sparsam und eigensinnig auf eine
    Verstärkung der analerotischen Komponente in der Sexual-
    konstitution solcher Personen hindeute, bei denen es aber
    im Laufe der Entwicklung durch Aufzehrung ihrer Anal-
    erotik zur Ausbildung solcher bevorzugter Reaktionsweisen
    des Ichs gekommen ist.

    Es lag mir damals daran, eine als tatsächlich erkannte
    Beziehung bekanntzugeben; um ihre theoretische Würdigung
    bekümmerte ich mich wenig. Seither hat sich wohl all-
    gemein die Auffassung durchgesetzt, daß jede einzelne der
    drei Eigenschaften: Geiz, Pedanterie und Eigensinn aus den
    Triebquellen der Analerotik hervorgeht oder — vorsichtiger
    und vollständiger ausgedrückt — mächtige Zuschüsse aus

    1) Charakter und Analerotik, 1908 (Ges. Schriften, Bd. V., S. 261 ff.).

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    diesen Quellen bezieht. Die Fälle, denen die Vereinigung
    der erwähnten drei Charakterfehler ein besonderes Gepräge
    aufdrückte (Analcharakter), waren eben nur die Extreme,
    an denen sich der uns interessierende Zusammenhang auch
    einer stumpfen Beobachtung verraten mußte.

    Einige Jahre später habe ich aus einer Fülle von Ein-
    drücken, geleitet durch eine besonders zwingende analytische
    Erfahrung, den Schluß gezogen, daß in der Entwicklung
    der menschlichen Libido vor der Phase des Genitalprimats
    eine „prägenitale Organisation“ anzunehmen ist, in welcher
    der Sadismus und die Analerotik die leitenden Rollen spielen.‘

    Die Frage nach dem weiteren Verbleib der analerotischen
    Triebregungen war von da an unabweisbar. Welches wurde
    ihr Schicksal, nachdem sie durch die Herstellung der end-
    gültigen Genitalorganisation ihre Bedeutung für das Sexual-
    leben eingebüßt hatten? Blieben sie als solche, aber nun im
    Zustande der Verdrängung, fortbestehen, unterlagen sie der
    Sublimierung oder der Aufzehrung unter Umsetzung in
    Figenschaften des Charakters, oder fanden sie Aufnahme in
    die neue, vom Primat der Genitalien bestimmte Gestaltung
    der Sexualität? Oder besser, da wahrscheinlich keines dieser
    Schicksale der Analerotik das ausschließliche sein dürfte, in
    welchem Ausmaß und in welcher Weise teilen sich diese
    verschiedenen Möglichkeiten in die Entscheidung über die
    Schicksale der Analerotik, deren organische Quellen ja durch
    das Auftreten der Genitalorganisation nicht verschüttet
    werden konnten?

    Man sollte meinen, es könnte an Material für die Beant-
    wortung dieser Fragen nicht fehlen, da die betreffenden

    1) Die Disposition zur Zwangsneurose. [S. 5 ff. dieses Bandes.]

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    Vorgänge von Entwicklung und Umsetzung sich bei allen
    Personen vollzogen haben müssen, die Gegenstand der
    psychoanalytischen Untersuchung werden. Allein dies Material
    ist so undurchsichtig, die Fülle von immer wiederkehrenden
    Eindrücken wirkt so verwirrend, daß ich auch heute keine
    vollständige Lösung des Problems, bloß Beiträge zur
    Lösung zu geben vermag. Ich brauche dabei der Gelegen-
    heit nicht aus dem Wege zu gehen, wenn der Zusammen-
    hang es gestattet, einige andere Triebumsetzungen zu erwäh-
    nen, welche nicht die Analerotik betreffen. Es bedarf endlich
    kaum der Hervorhebung, daß die beschriebenen Entwicklungs-
    vorgänge — hier wie anderwärts in der Psychoanalyse —
    aus den Regressionen erschlossen worden sind, zu welchen
    sie durch die neurotischen Prozesse genötigt wurden.

    Ausgangspunkt dieser Erörterungen kann der Anschein
    werden, daß in den Produktionen des Unbewußten — Ein-
    fällen, Phantasien und Symptomen — die Begriffe Kot
    (Geld, Geschenk), Kind und Penis schlecht auseinander-
    gehalten und leicht miteinander vertauscht werden. Wenn
    wir uns so ausdrücken, wissen wir natürlich, daß wir
    Bezeichnungen, die für andere Gebiete des Seelenlebens
    gebräuchlich sind, mit Unrecht auf das Unbewußte über-
    tragen und uns durch den Vorteil, welchen ein Vergleich
    mit sich bringt, verleiten lassen. Wiederholen wir also in
    einwandfreier Form, daß diese Elemente im Unbewußten
    häufig behandelt werden, als wären sie einander äquivalent
    und dürften einander unbedenklich ersetzen.

    Für die Beziehungen von „Kind“ und „Penis“ ist dies
    am leichtesten zu sehen. Es kann nicht gleichgültig sein,
    daß beide in der Symbolsprache des Traumes wie in der

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    des tåglichen Lebens durch ein gemeinsames Symbol ersetzt
    werden können. Das Kind heißt wie der Penis das „Kleine“.
    Es ist bekannt, daB die Symbolsprache sich oft iiber den
    Geschlechtsunterschied hinaussetzt. Das „Kleine“, das
    ursprünglich das männliche Glied meinte, mag also sekun-
    dår zur Bezeichnung des weiblichen Genitales gelangt sein.

    Forscht man tief genug in der Neurose einer Frau, so
    stößt man nicht selten auf den verdringten Wunsch, einen
    Penis wie der Mann zu besitzen. Akzidentelles MiBgeschick
    im Frauenleben, oft genug selbst Folge einer stark männ-
    lichen Anlage, hat diesen Kinderwunsch, den wir als ,,Penis-
    neid“ dem Kastrationskomplex einordnen, wieder aktiviert
    und ihn durch die Riickstromung der Libido zum Haupt-
    träger der neurotischen Symptome werden lassen. Bei
    anderen Frauen läßt sich von diesem Wunsch nach dem
    Penis nichts nachweisen; seine Stelle nimmt der Wunsch
    nach dem Kind ein, dessen Versagung im Leben dann die
    Neurose auslösen kann. Es ist so, als ob diese Frauen
    begriffen hätten, — war als Motiv doch unmöglich gewesen
    sein kann, — daß die Natur dem Weibe das Kind zum
    Ersatz fiir das andere gegeben hat, was sie ihm versagen
    mußte. Bei noch anderen Frauen erfährt man, daß beide
    Wünsche in der Kindheit vorhanden waren und einander
    abgelöst haben. Zuerst wollten sie einen Penis haben
    wie der Mann, und in einer späteren, immer noch
    infantilen Epoche trat der Wunsch nach einem Kind
    an die Stelle. Man kann den Eindruck nicht abweisen, daß
    akzidentelle Momente des Kinderlebens, die Anwesenheit
    oder das Fehlen von Briidern, das Erleben der Geburt eines
    neuen Kindes zu giinstiger Lebenszeit, die Schuld an dieser

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    Mannigfaltigkeit tragen, so daB der Wunsch nach dem Penis
    doch im Grunde identisch wire mit dem nach dem Kinde.

    Wir können angeben, welches Schicksal der infantile
    Wunsch nach dem Penis erfihrt, wenn die Bedingungen
    der Neurose im spiteren Leben ausbleiben. Er verwandelt
    sich dann in den Wunsch nach dem Mann, er läßt sich
    also den Mann als Anhångsel an den Penis gefallen. Durch
    diese Wandlung wird eine gegen die weibliche Sexualfunktion
    gerichtete Regung zu einer ihr giinstigen. Diesen Frauen
    wird hiemit ein Liebesleben nach dem männlichen Typus
    der Objektliebe ermåglicht, welches sich neben dem eigent-
    lich weiblichen, vom NarziBmus abgeleiteten behaupten kann.
    Wir haben schon gehört, daß es in anderen Fällen erst das
    Kind ist, welches den Ubergang von der narziBtischen Selbst-
    liebe zur Objektliebe herbeifithrt. Es kann also auch in
    diesem Punkte das Kind durch den Penis vertreten werden.

    Ich hatte einigemal Gelegenheit, Tråume von Frauen
    nach den ersten Kohabitationen zu erfahren. Diese deckten
    unverkennbar den Wunsch auf, den Penis, den sie verspiirt
    hatten, bei sich zu behalten, entsprachen also, von der
    libidinósen Begründung abgesehen, einer flüchtigen Regression
    vom Manne auf den Penis als Wunschobjekt. Man wird
    gewiß geneigt sein, den Wunsch nach dem Manne in rein
    rationalistischer Weise auf den Wunsch nach dem Kinde
    zurückzuführen, da ja irgend einmal verstanden wird, daß man
    ohne Dazutun des Mannes ein Kind nicht bekommen kann.
    Es dürfte aber eher so zugehen, daß der Wunsch nach dem
    Manne unabhängig vom Kindwunsch entsteht und daß,
    wenn er aus begreiflichen Motiven, die durchaus der Ich-
    psychologie angehören, auftaucht, der alte Wunsch nach

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    dem Penis sich ihm als unbewuBte libidinúse Verstärkung
    beigesellt.

    Die Bedeutung des beschriebenen Vorganges liegt darin,
    daß er ein Stück der narziBtischen Männlichkeit des jungen
    Weibes in Weiblichkeit überführt und somit für die weib-
    liche Sexualfunktion unschådlich macht. Auf einem anderen
    Wege wird nun auch ein Anteil der Erotik der prågenitalen
    Phase får die Verwendung in der Phase des Genitalprimats
    tauglich. Das Kind wird doch als „Lumpf” betrachtet (siehe
    die Analyse des kleinen Hans), als etwas, was sich durch
    den Darm vom Körper løst; somit kann ein Betrag libidinóser
    Besetzung, welcher dem Darminhalt gegolten hat, auf das
    durch den Darm geborene Kind ausgedehnt werden. Ein
    sprachliches Zeugnis dieser Identität von Kind und Kot ist
    in der Redensart: ein Kind schenken erhalten. Der Kot
    ist nämlich das erste Geschenk, ein Teil seines Körpers,
    von dem sich der Sáugling nur auf Zureden der geliebten
    Person trennt, mit dem er ihr auch unaufgefordert seine
    Zärtlichkeit bezeigt, da er fremde Personen in der Regel
    nicht beschmutzt. (Ähnliche, wenn auch ‚nicht so intensive
    Reaktionen mit dem Urin.) Bei der Defäkation ergibt sich
    für das Kind eine erste Entscheidung zwischen, narzißtischer
    und objektliebender Einstellung. Es gibt entweder, den Kot
    gefügig ab, „opfert“ ihn der Liebe, oder hilt ihn zur auto-
    erotischen Befriedigung, später zur Behauptung seines eigenen
    Willens zurück. Mit letzterer Entscheidung ist der Trotz
    (Eigensinn) konstituiert, der also einem narzißtischen Beharren
    bei der Analerotik entspringt.

    Es ist wahrscheinlich, daß nicht Gold— Geld, sondern
    Geschenk die nächste Bedeutung ist, zu welcher das Kot-

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    interesse fortschreitet. Das Kind kennt kein anderes Geld,
    als was ihm geschenkt wird, kein erworbenes und auch kein
    eigenes, ererbtes. Da Kot sein erstes Geschenk ist, überträgt
    es leicht sein Interesse von diesem Stoff auf jenen neuen,
    der ihm als wichtigstes Geschenk im Leben entgegentritt.
    Wer an dieser Herleitung des Geschenkes zweifelt, möge
    seine Erfahrung in der psychoanalytischen Behandlung zu
    Rate ziehen, die Geschenke studieren, die er als Arzt vom
    Kranken erhält, und die Übertragungsstürme beachten,
    welche er durch ein Geschenk an den Patienten hervor-
    rufen kann.

    Das Kotinteresse wird also zum Teil als Geldinteresse
    fortgesetzt, zum anderen Teil in den Wunsch nach dem
    Kinde übergeführt. In diesem Kindwunsch treffen nun eine
    analerotische und eine genitale Regung (Penisneid) zusammen.
    Der Penis hat aber auch eine vom Kindinteresse unabhängige
    analerotische Bedeutung. Das Verhiltnis zwischen dem Penis
    und dem von ihm ausgefüllten und erregten Schleimhaut-
    rohr findet sich nämlich schon in der prågenitalen, sadistisch-
    analen Phase vorgebildet. Der Kotballen — oder die „Kot-
    stange nach dem Ausdruck eines Patienten — ist sozusagen
    der erste Penis, die von ihm gereizte Schleimhaut die des
    Enddarmes. Es gibt Personen, deren Analerotik bis zur Zeit
    der Vorpubertiit (zehn bis zwölf Jahre) stark und unverändert
    geblieben ist; von ihnen erfährt man, daß sie schon während
    dieser prägenitalen Phase in Phantasien und perversen
    Spielereien eine der genitalen analoge Organisation entwickelt
    hatten, in welcher Penis und Vagina durch die Kotstange
    und den Darm vertreten waren. Bei anderen — Zwangs-
    neurotikern — kann man das Ergebnis einer regressiven

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    Erniedrigung der Genitalorganisation kennen lernen. Es
    äußert sich darin, daß alle ursprünglich genital konzipierten
    Phantasien ins Anale versetzt, der Penis durch die Kotstange,
    die Vagina durch den Darm ersetzt werden.

    Wenn das Kotinteresse in normaler Weise zurückgeht, so
    wirkt die hier dargelegte organische Analogie dahin, daß es
    sich auf den Penis überträgt. Erfährt man später in der
    Sexualforschung, daß das Kind aus dem Darm geboren wird,
    so wird dieses zum Haupterben der Analerotik, aber der
    Vorgänger des Kindes war der Penis gewesen, in diesem
    wie in einem anderen Sinne.

    Ich bin überzeugt, daß die vielfältigen Beziehungen in
    der Reihe Kot—Penis—Kind nun völlig unübersichtlich
    geworden sind, und will darum versuchen, dem Mangel
    durch eine graphische Darstellung abzuhelfen, in deren
    Diskussion dasselbe Material nochmals, aber in anderer Folge
    gewürdigt werden kann. Leider ist dieses technische Mittel

    Objektstufe

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    nicht schmiegsam genug fir unsere Absichten, oder wir
    haben noch nicht gelernt, es in geeigneter Weise zu gebrauchen.
    Ich bitte jedenfalls, an das beistehende Schema keine strengen
    Anforderungen zu stellen.

    Aus der Analerotik geht in narziBtischer Verwendung der
    Trotz hervor als eine bedeutsame Reaktion des Ichs gegen
    Anforderungen der anderen; das dem Kot zugewendete Inter-
    esse übergeht in Interesse fiir das Geschenk und dann für
    das Geld. Mit dem Auftreten des Penis entsteht beim
    Mädchen der Penisneid, der sich später in den Wunsch nach
    dem Mann als Träger eines Penis umsetzt. Vorher noch
    hat sich der Wunsch nach dem Penis in den Wunsch nach
    dem Kind verwandelt oder der Kindwunsch ist an die Stelle
    des Peniswunsches getreten. Eine organische Analogie
    zwischen Penis und Kind (punktierte Linie) drückt sich
    durch den Besitz eines heiden gemeinsamen. Symbols aus
    („das Kleine“). Vom Kindwunsch führt. dann ein rationeller
    Weg (doppelte Linie) zum Wunsch nach dem Mann. Die
    Bedeutung dieser Triebumsetzung haben wir bereits
    gewürdigt.

    Ein anderes Stück des Zusammenhanges ist weit deut-
    licher beim Manne zu erkennen. Es stellt sich her, wenn
    die Sexualforschung des Kindes das Fehlen des Penis beim
    Weibe in Erfahrung gebracht hat. Der Penis wird somit als
    etwas vom Körper Ablösbares erkannt und tritt in Analogie
    zum Kot, welcher das erste Stück Leiblichkeit war, auf das
    man verzichten mußte. Der alte Analtrotz tritt so in die
    Konstitution des Kastrationskomplexes ein. Die organische
    Analogie, derzufolge der Darminhalt den Vorläufer des Penis
    während der prägenitalen Phase darstellte, kann als Motiv

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    nicht in Betracht kommen; sie findet aber durch die Sexual-
    forschung einen psychischen Ersatz.

    Wenn das Kind auftritt, wird es durch die Sexualforschung
    als ,Lumpf" erkannt und mit måchtigem, analerotischem
    Interesse besetzt. Einen zweiten Zuzug aus gleicher Quelle
    erhålt der Kindwunsch, wenn die soziale Erfahrung lehrt,
    daB das Kind als Liebesbeweis, als Geschenk aufgefaBt werden
    kann. Alle drei, Kotsåule, Penis und Kind, sind feste Kørper,
    welche ein Schleimhautrohr (den Enddarm und die ihm
    nach einem guten Worte von Lou Andreas-Salomé
    gleichsam abgemietete Vagina) bei ihrem Eindringen oder
    Herausdringen erregen. Der infantilen Sexualforschung kann
    von diesem Sachverhalt nur bekannt werden, daB das Kind
    denselben Weg nimmt wie die Kotsäule; die Funktion des
    Penis wird von der kindlichen Forschung in der Regel nicht
    aufgedeckt. Doch ist es interessant zu sehen, daß eine
    organische Übereinstimmung nach so vielen Umwegen wieder
    im Psychischen als eine unbewuBte Identität zum Vorschein

    - kommt.

    1) „Anal“ und „Sexual“, Imago, IV, 5. 1916.

    Freud, Studien zur Psychoanalyse.