S.
Berlin 8.12.20
Nr. 10. Antwort auf Bud. 72
Lo. 93
Wien 94 noch nicht angek.
Liebe Freunde,
Wir sind sehr erfreut, daß Ferenczi sich wieder an unserem Gedanken- austausch beteiligen kann. (Die Berichtsnummer Budapest wäre wohl mit den anderen wieder in Einklang zu bringen.)
Leider ist noch keine Einigung über die Korrespondenztage erzielt. Jo- nes’ Einwand gegen den 10tägigen Turnus kann ich nicht anerkennen. Wenn wir z.B. alle am 1. Dezember schreiben, so hat jeder innerhalb ei- ner Woche wahrscheinlich die Briefe der anderen in Händen, das wäre also bis zum 18ten! Wenn nun der 21. der nächste Schreibtag ist, so hat man einen Spielraum von mehreren Tagen, und es macht nichts aus, wenn der 21. etwa durch eine Vereinssitzung oder sonst etwas besetzt ist. Es steht ja nichts im Wege, den Bericht schon einen oder 2 Tage früher fertig zu machen. Um endlich einen Beschluß zu ermöglichen, werden alle gebeten, im nächsten Brief abzustimmen, ob 10tägiger Turnus und die Daten 1. 11. 21. angenommen werden. Die Verlängerung des Inter- valls ist sehr nötig, denn dieses Mal liegt nur der Londoner Brief vor! Der Budapester ist der vorwöchige und der Wiener fehlt.
An Jones: Sachs hat die Bücher erhalten. Von Leipzig haben wir noch nichts gehört.5
Ich schulde Dir noch eine Auskunft über meinen Freund Amenophis.6 Während ich jetzt, spät abends, diesen Brief schreibe gelingt es mir nicht, die Anfrage in einem Deiner früheren Briefe aufzufinden. Willst Du mir die Stelle noch einmal sagen oder die Frage wiederholen? [nachträglich als Fußnote eingefügt:] Soeben finde ich die Anfrage in einem Wiener Brief, auf den Du Bezug nimmst. Ich kann mich für eine positive Antwort nicht entscheiden, da Amen. seinen Kampf gegen den Vater schon führte, bevor ihm eine seiner vier Töchter geboren war.
An Ferenczi:
Der günstige Eindruck des Dr. A. aus B. über welchen wir schon korres- pondierten, bestätigt sich nicht bloß in Sachs‘ Analyse, sondern auch in seinen raschen Fortschritten, die man in der Unterhaltung mit ihm be- merkt. Es scheint, daß wir in Zukunft Gutes von ihm zu erwarten haben. An Rank:
Sachs übernimmt das Bücherlager. Er bittet hinsichtlich jedes Buches, ob aus eigenem oder anderm Verlag, um präzise Angabe des von uns zu fordernden Verkaufspreises. Wir rechnen auf starken Absatz. Ein zu gründender Fonds soll jüngeren Anhängern der Psycho-Analyse die An- schaffung von Büchern erleichtern.
Von uns: In der letzten Sitzung sprach als Gast Privatdozent Dr. Ober- mann7 aus Hamburg über das Problem der Religion & seine Bedeutung für die PsA. Der Vortrag gipfelte in der Feststellung, daß die Religions- wissenschaft an einer Erkenntnis-Grenze angelangt sei, über welche hin- aus ihr nur die PsA helfen könne.
Da von Wien und Budapest öfter Anfragen wegen Übersiedlung nach Berlin kommen, so möchten wir dazu eine allgemeine Bemerkung ma- chen, welche vor einer zu günstigen Auffassung der Lage in Berlin war- nen soll. Wir empfehlen die Übersiedelung nur denjenigen, die an ihrem jetzigen Wohnort ihr Leben nicht fristen können. Wer ein für die nötigen Bedürfnisse hinreichendes Auskommen daheim findet, sollte von der Übersiedelung im Allgemeinen absehen, denn mehr als dies haben wir Eingesessenen auch nicht! Bemerkt sei, daß ein Einzelner bei bescheide- ner Lebensweise etwa 2500 M. im Monat verbraucht. Selbstverständlich bitten wir doch, uns jeden in Frage kommenden Fall mitzuteilen, damit wir die besonderen Umstände prüfen können.
Rank schreibe ich in der Referate-Angelegenheit besonders.
Der Anregung, auch Wissenschaftliches in den Bericht aufzunehmen, möchte ich als erster nachkommen.
Ich habe in letzter Zeit meine eigenen frühesten Kindheitserinnerungen (wirkliche Erinnerungen, Deckerinnn., Träume & Tagträume) analysiert und dabei festgestellt, daß alle ausnahmslos direkt vom Oedipus-Cpl. herstammen. Ich glaube, das Gleiche auch von einigen meiner Patienten sagen zu können. Die Ereignisse, welche man als »eindrucksvoll« anse- hen möchte, wie z. B. Reisen, durchgemachte Gefahren etc. scheinen nur denn im Gedächtnis zu bleiben, wenn sie eine direkte Beziehung zum Oedip-C. haben. Diese darf natürlich nicht zu kraß sein, sonst verfällt sie der Verdrängung. Meine Auffassung wäre also: die Oedip.-Phantasien in ihrer ursprünglichen Kraßheit werden verdrängt. Andererseits wäre es eine Bedingung für das Erhaltenbleiben eines Erlebnisses im Gedächtnis, daß sie eine – nicht anstößige – Beziehung zum Oed-C. hat. Für Träume und andre Phantasiegebilde, deren wir uns aus frühester Zeit erinnern, erscheint die Auffassung berechtigt. Ob auch hinsichtlich der echten Er- innerungen, darüber würde ich gern Erfahrungen und Meinungen der anderen hören.
Das nächste Mal hoffe ich, aus der Analyse der Frau Dr. N. 8 (vgl. Totem und Tabu9; ich behandle sie seit mehreren Monaten) einiges Bemer- kenswerte mitteilen zu können. Heute ist es noch nicht ganz reif. Es han- delt sich um die Dinge, welche Sie, lieber Herr Prof., bei ihr annahmen, aber der Pat. nicht evident machen konnten.
Mit herzlichen Grüßen, auch im Namen von E. & S.10
Abraham