• S.

    Berlin 11.10.20

    Liebe Freunde,

    Die anregenden und harmonischen Tage des Zusammenseins  
    liegen nun schon weit hinter uns und wir müssen uns wieder mit dem  
    unvollkommenen Verständigungsmittel der Korrespondenz behelfen.

    Wir haben hier unsre Winterarbeit bereits begonnen. Im  
    Monat werden drei Sitzungen stattfinden. Die Poliklinik funktioniert  
    in gewohnter Weise. Sie scheint einige neue Arbeitskräfte zu gewinnen.  
    Unser auswärtiges Mitglied Vollrath beabsichtigt einige Zeit hier zu  
    arbeiten, und in nächster Zeit wird wohl auch Lampl seine ersten Ver-  
    suche machen. Die hauptsächliche Schwierigkeit im Verein wird in Kürze  
    dadurch behoben werden, dass Liebermann mir erklärt hat, in der nächst-  
    wöchigen Sitzung auf sein Amt verzichten zu wollen. Eitingon über-  
    nimmt es, zunächst in Form der Vertretung. Briefe für die Vereinigung  
    werden also fortan an Eitingons Adresse erbeten.

    Die Tic-Diskussion sendet Sachs morgen ab.  
    Neu zur (passiven) Analyse meldete sich Dr. Weyl aus Holland.  
    Wir haben vier Kurse angezeigt:  
    1. Abraham, Einführungskurs  
    2. Eitingon & Simmel, Praktische Einführung  
    3. Simmel, Psa Gesichtspunkte für den praktischen Arzt  
    4. Sachs, Die sozialen Sexualprobleme & ihre Bedeutung  
      in der psa Praxis.

    Das Durchsehen der Zeitschriften wird künftig in folgender  
    Weise geschehen: Dr. Vollrath die psychiatrisch-neurol. Zeitschriften,  
    Frl. Schott die pädagogischen, eine dritte Person (wahrscheinlich  
    Frau Hubermann) die psychologischen. Letztere beide sollen verpflicht-  
    et werden, wöchentlich einmal die Staatsbibliothek zu besuchen. Dafür soll 
    ihnen monatlich je 50 M. als kleine Entschädigung angeboten werden.

    Für Wien fügen wir einen Zeitungsausschnitt zur Zirkulation  
    bei. Der Zeitungsschreiber hat mit der scherzhaften Schlussbemerkung  
    in überraschender Weise das Richtige getroffen. Übrigens erfahren wir  
    aus der Nachricht, die sich auf Jung und die Tochter von Rockefeller  
    bezieht, zum ersten Male, dass J. seine Methode jetzt „synthetische  
    Psychologie“ nennt.

    Für Rank: Die Frankfurter Zeitung Nr. 748 vom 8. Okt. bringt  
    ein Feuilleton von Wilhelm Michel, „Penthesilea, die Liebeserfüllung  
    Heinrich von Kleists“, das Dich interessieren wird. Wenn möglich,  
    füge ich es diesem Briefe noch bei.

    Dieser Brief trägt nur eine Unterschrift, da Eitingon heute  
    verreist und Sachs unpässlich ist. Wir hatten gestern abend eine  
    längere Besprechung zu dreien, während welcher auch der Inhalt dieses  
    Briefes vorbesprochen wurde.

    Nun hoffen wir, in einigen Tagen von allen Seiten gute Nach-  
    richten zu erhalten. Auf privatem Wege erfuhren wir bereits, dass Sie,
     

  • S.

    lieber Herr Professor, gut heimgekehrt sind und die Arbeit wieder auf-
    genommen haben. Mit herzlichen Wünschen für ein gutes Wintersemester 
    und besten Grüßen im Namen des Berliner Collegiums

    Abraham