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S.
Bln.-Grunewald, 7.11.23
Liebe Freunde,
meine Karte als Ersatz eines Rundbriefes ist wohl an allen drei
Orten eingetroffen. Ich würde heute nicht schreiben, wenn nicht der
gestern eingetroffene Brief von Sándor als ein direkter Alarm auf
mich gewirkt hätte. Der gegen Ernest gerichtete Passus enthält einen
Satz, dessen Bedeutung nicht ganz klar ist. Er kann aber so verstanden
werden, als ob Du, l. Sándor etwas gegen E. unternehmen willst. („Ich
werde auf meine Priorität … hinweisen müssen“ auf S. 2 des Briefes).
Der Schlußsatz (es werde gegenüber Ernest keines Drängens bedürfen)
hebt diesen Eindruck z. T. wieder auf. Ich kann nun nicht umhin, die
Rolle des Unparteiischen, die ich zwischen Otto und Ernest spielte, auch
in diesem Falle wieder zu übernehmen, und das soll ungesäumt geschehen.
Setzen wir uns also noch einmal unter den großen Weidenbaum in S.
Cristoforo!Soweit ich sehe, l. Ernest, ist auch Sándor in der Sache dir gegen-
über vollkommen im Recht. Tatsächlich fehlt das von Sándor vermißte
Zitat in Deiner Arbeit, und mein Einspruch, bzw. der Wunsch nach
einer vollkommenen Richtigstellung wird wohl uns allen vollauf be-
ründet erscheinen. Meinem Eindruck nach – einer Berichtigung wäre
ich natürlich gern zugänglich! – liegt das so auf der Hand, daß es
keines Wortes weiter bedarf. Nur aus diesem Grunde fällt dieser erste
Abschnitt dieses Briefes kürzer aus als der zweite.In der Art des Vorgehens kann ich nämlich Dir, l. Sándor, nicht
zustimmen. Aus Deinem Brief geht nicht hervor, daß Du Dich zunächst
an Ernest direkt gewendet hättest. Ein sofortiger Appell an das Com.
aber scheint mir, wie ein für alle Male feststehen sollte, nicht
richtig! Du hättest Dich lieber zuerst an E. um Genugtuung wenden
sollen. Eine Richtigstellung in der nächsten Nummer des J. of Med. Ps.
wäre um so leichter zu verabreden gewesen, als ja E.
Mit-Redakteur der Zeitschrift ist. Alsdann hättet Ihr dem Komitee von der
bereits erledigten Angelegenheit berichten können, und uns anderen wäre
ein neuer unerfreulicher Eindruck erspart geblieben. Am meisten hätte
ich das in Herrn Professors Interesse begrüßt, dessen Rekonvaleszenz
möglichst ungestört verlaufen sollte.Ich hoffe, ein Weg, der Sándors Interessen und zugleich unserm
Verhältnis zueinander Rechnung trägt, wird auch jetzt zu finden sein.
Aber mir liegt noch daran, etwaige falsche Schlußfolgerungen aus
dem bedauerlichen Vorkommnis zu verhüten. Bei unserm Zusammensein
habt Ihr alle meinem Vorschlag zugestimmt, daß wir aus Ernest’s
Verhalten zu Otto keine übereilten Konsequenzen zu seinen Ungunsten
ziehen sollten. Vielmehr wollten wir das fernere Zusammenwirken mit
ihm im Com. von seinem eigenen ferneren Verhalten abhängig machen.
Es darf nun auf keiner Seite der Eindruck entstehen, als sei die von
Sándor vor uns gebrachte Klage ein Anlaß, der unserer Toleranz ein -
S.
Ende bereite. Ich will darum betonen, daß die Abfassung von Ernest’s
Schrift längere Zeit vor unserer Herbst-Zusammenkunft liegt. Unter uns
Psychoanalytikern darf man wohl hinzufügen, daß Ernest’s Verhalten
in beiden Fällen denselben Charakter trägt. Ganz wie in dem Brief an
Brill auch hier ein Verhalten, das in kürzester Zeit den Nächst-
beteiligten bemerkbar werden und damit seine Folgen nach sich ziehen
muß. Vielleicht erinnerst Du, l. Ernest, Dich unseres Gespräches über
Deine geheime Eifersucht auf Sándor & Otto als den bevorzugten ält-
esten und den bevorzugten jüngsten Sohn. Und daß es letzten Endes ge-
gen den Vater geht, das ist uns allen ja evident geworden. Ich meine al-
so dazu, beide Vorkommnisse als Ausfluß des gleichen Affektes zu
betrachten und würde es unrichtig finden, aus der zweiten eine beson-
dere Affäre zu machen.Es scheint mir notwendig, ein aufklärendes Wort in diesem Sinne zu
sagen. Obgleich ich Dir, l. Sándor, darin zustimme, daß Dein Protest
keinesfalls als bloßes Zeichen der Eitelkeit aufzufassen ist, so
erscheint mir die Form der Reaktion doch zu affektbetont. Die Tendenz,
die Angelegenheit sofort vor ein – wenn auch intimes – Forum zu bringen,
findet ihre verstärkte Fortsetzung in einer Fehlleistung,
nämlich der Versendung des Briefes (wenigstens des Berliner Exemplars)
in offenem Couvert, was von der noch immer gewissenhaften deutschen
Post durch Unterschrift zweier Beamter auf dem Couvert vermerkt ist.Es würde mich freuen, wenn alle, Herrn Prof. inbegriffen, sich
auf den gleichen Standpunkt stellten. Die offizielle Richtigstellung
wird in Form einer Erklärung von Ernest, die vorher Sándor und vielleicht
noch einem von uns vorgelegen hätte, in befriedigender Weise zu be-
werkstelligen sein.Alles Sonstige im nächsten ordentlichen Brief!
Eitingon ist gerade zurück und wird diesem Brief das Seinige
hinzufügen.Herzliche Grüße an den hoffentlich auch jetzt nicht er-
schütterten KreisAbraham
[Handschriftlicher Zusatz von Eitingon:]
Eben zurück und meine Arbeit unter so wesentlich verschlechterten
Verhältnissen, aber im alten Umfang wieder aufnehmend, begnüge
ich mich für heute damit, Euch herzlichst zu grüßen.
Es würde mich sehr interessieren, Ernest’s Arbeit zu lesen.
E.