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Über Triebumsetzungen insbesondere der Analerotik.
Von Sigm. Freud.Vor einer Reihe von Jahren habe ich aus der psychoanalytischen
Beobachtung die Vermutung geschöpft, daß das konstante Zusammen-
treffen der drei Charaktereigenschaften: ordentlich, sparsam und
eigensinnig auf eine Verstärkung der analerotischen Komponente in
der Sexualkonstitution solcher Personen hindeute, bei denen es aber im
Laufe der Entwicklung durch Aufzehrung ihrer Analerotik zur Aus-
bildung solcher bevorzugter Reaktionsweisen des Ichs gekommen ist.!)Es lag mir damals daran, eine als tatsächlich erkannte Beziehung
bekanntzugeben; um ihre theoretische Würdigung bektimmerte ich mich
wenig. Seither hat sieh wohl allgemein die Auffassung durchgesetzt, daß
jede einzelne der drei Eigenschaften : Geiz, Pedanterie und Figensinn aus
den Triebquellen der Analerotik hervorgeht oder — vorsichtiger und voll-
ständiger ausgedrückt .— mächtige Zuschüsse aus diesen Quellen bezieht.
Die Fülle, denen die Vereinigung der erwühnten drei Charakterfehler cin
besonderes Geprüge aufdrückte (Analcharakter) waren eben nur die
Extreme, an denen sich der uns interessierendo Zusammenhang auch
einer stumpfen Beobachtung verraten mußte.Einige Jahre spüter habe ich aus einer Fülle von Eindrücken, ge-
leitet durch eine besonders zwingende analytische Erfahrung, den Schluß
gezogen, daß in der Entwicklung der menschlichen Libido vor der Phase
des Genitalprimats eine ,prägenitale Organisation“ anzunehmen ist, in
welcher der Sadismus und die Analerotik die leitenden Rollen spielen, 2)Die Frage nach dem weiteren Verbleib der analerotischen Trieb-
regungen war von da an unabweisbar, Welches wurde ihr Schicksal,
nachdem sie durch die Herstellung der endgültigen Genitalorganisation
ihre Bedeutung für das Sexualleben eingebüft hatten? Blieben sie als
solche, aber nun im Zustande der Verdrüngung, fortbestehen, unterlagen
sie der Sublimierung oder der Aufzehrung unter Umsetzung in Eigen-
schaften des Charakters, oder fanden sie Aufnahme in die neue vom
Primat der Genitalien bestimmte Gestaltung der Sexualität? Oder besser,
da wahrscheinlich keines dieser Schicksale der Analerotik das ausschliefi-
liche sein dürfte, in welchem Ausmaß und in welcher Weise teilen sich
diese verschiedenen Möglichkeiten in die Entscheidung über die Schick-
sale der Analerotik, deren organische Quellen ja durch das Auftreten
der Genitalorganisation nicht verschiittet werden konnten?*) Charakter und Analerotik, 1908, wiederabgedruckt in der zweiten Folge der
Sammlung kleimer Schriften zur Neurosenlehre 1909.2) Die Disposition zur Zwangsneurose: Internat. Zeitschr. モ árztl. Psycho-
analyse I, 1913.Zeitschr. £, örztl. Psychoanalyse, IV/3. 9
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126 Sigm. Freud.
Man sollte meinen, es könnte an Material fiir die Beantwortung
dieser Fragen nicht fehlen, da die betreffenden Vorgänge von Entwicklung
und Umsetzung sich bei allen Personen vollzogen haben müssen, die Ge-
genstand der psychoanalytischen Untersuchung werden, Allein dies Material
ist so undurchsichtig, die Fülle von immer wiederkehrenden Eindrücken
wirkt so verwirrend, daß ich auch heute keine vollständige Lösung des
Problems, bloß Beiträge zur Lösung zu geben vermag. Ich brauche
dabei der Gelegenheit nicht aus dem Weg zu gehen, wenn der Zusam-
menhang es gestattet, einige andere Triebumsetzungen zu erwähnen, welche
nicht die Analerotik betreffen. Es bedarf endlich kaum der Hervorhebung,
daß die beschriebenen Entwicklungsvorginge — hier wie anderwärts in
der Psychoanalyse — aus den Regressionen erschlossen worden sind, zu
welchen sie durch die neurotischen Prozesse genötigt wurden.Ausgangspunkt dieser Erórterungen kann der Anschein werden,
daß in den Produktionen des Unbewuften 一 Einfällen, Phantasien und
Symptomen — die Begriffe Kot (Geld, Geschenk), Kind und Penis
schlecht auseinander gehalten und leicht miteinander vertauscht werden.
Wenn wir uns so ausdrücken, wissen wir natürlich, daß wir Bezeich-
nungen, die für andere Gebiete des Seelenlebens gebräuchlich sind, mit
Unrecht auf das Unbewufite übertragen und uns durch den Vorteil,
welchen ein Vergleich mit sich bringt, verleiten lassen. Wiederholen wir
also in einwandfreierer Form, daß diese Elemente im Unbewufiten häufig
behandelt werden, als wären sie einander äquivalent und dürften ein-
ander unbedenklich ersetzen.Für die Beziehungen von „Kind“ und „Penis“ ist dies am leichtesten
zu sehen. Es kann nicht gleichgültig sein, daß beide in der Symbol-
sprache des Traumes wie in der des täglichen Lebens durch ein gemein-
sames Symbol ersetzt werden können. Das Kind heißt wie der Penis
das „Kleine“. Es ist bekannt, daß die Symbolsprache sich oft über
den Geschlechtsunterschied hinaussetzt. Das „Kleine“, das ursprünglich
das männliche Glied meinte, mag also sekundär zur Bezeichnung des
weiblichen Genitales gelangt sein,Forscht man tief genug in der Neurose einer Frau, so stößt man
nicht selten auf den verdrängten Wunsch, einen Penis wie der Mann zu
besitzen. Akzidentelles Mißgeschick im Frauenleben, oft genug selbst
Folge einer stark männlichen Anlage, hat diesen Kinderwunsch, den wir
als „Penisneid“ dem Kastrationskomplex einordnen, wieder aktiviert und
ihn durch die Rückströmung der Libido zum Haupttråger der neurotischen
Symptome werden lassen. Bei anderen Frauen läßt sich von diesem
Wunsch nach dem Penis nichts nachweisen; seine Stelle nimmt der
Wunsch nach dem Kind ein, dessen Versagung im Leben dann die
Neurose auslösen kann, Es ist so, als ob diese Frauen begriffen hätten,
| was als Motiv doch unmöglich wirksam gewesen sein kann 一 daß——À
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Über Triebumsetzungen insbesondere der Analerotik. 127
die Natur dem Weibe das Kind zum Ersatz fitr das andere gegeben hat,
was sie ihm versagen mußte, Bei noch anderen Frauen erfährt man, daß
beide Wünsche in der Kindheit vorhanden waren und einander abgelöst
haben. Zuerst wollten sie einen Penis haben wie ein Mann, und in einer
späteren, immer noch infantilen Epoche trat der Wunsch nach einem
Kind an die Stelle. Man kann den Eindruck nicht abweisen, daß akzi-
dentelle Momente des Kinderlebens, die Anwesenheit oder das Fehlen von
Brüdern, das Erleben der Geburt eines neuen Kindes zu günstiger Lebens-
zeit, die Schuld an dieser Mannigfaltigkeit tragen, so daß der Wunsch
nach dem Penis doch im Grunde identisch wäre mit dem nach dem Kinde.Wir können angeben, welches Schicksal der infantile Wunsch nach
dem Penis erfährt, wenn die Bedingungen der Neurose im späteren
Leben ausbleiben. Er verwandelt sich dann in den Wunsch nach dem
Mann, er läßt sich also den Mann als Anhängsel an den Penis gefallen.
Durch diese Wandlung wird eine gegen die weibliche Sexualfunktion
gerichtete Regung zu einer ihr günstigen. Diesen Frauen wird hiemit
ein Liebesleben nach dem männlichen Typus der Objektliche crmôglicht,
welches sich neben dem eigentlich weiblichen, vom Narzifmus abge-
leiteten, behaupten kann. Wir haben schon gehört, daß es in anderen
Fällen erst das Kind ist, welches den Übergang von der narziBlischen
Selbstliebe zur Objektliebe herbeifåhrt. Es kann also auch in diesem
Punkte das Kind durch den Penis vertreten werden.Ich hatte einigemal Gelegenheit, Tråume von Frauen nach den ersten
Kohabitationen zu erfahren. Diese deckten unverkennbar den Wunsch
auf, den Penis, den sie verspürt hatten, bei sich zu behalten, entsprachen
also, von der libidinósen Begründung abgesehen, einer flüchtigen Regres-
sion vom Manne auf den Penis als Wunschobjekt. Man wird gewiß
geneigt sein, den Wunsch nach dem Manne in rein rationalistischer
Weise auf den Wunsch nach dem Kinde zurückführen, da ja irgend
einmal verstanden wird, daß man ohne Dazutun des Mannes ein Kind
nicht bekommen kann. Es dürfte aber eher so zugehen, daß der Wunsch
nach dem Manne unabhängig vom Kindwunsch entsteht und daß, wenn
er aus begreiflichen Motiven, die durchaus der Ichpsychologie angehören,
auftaucht, der alte Wunsch nach dem Penis sich ihm als unbewulite
libidinóse Verstärkung beigesellt.Die Bedeutung des beschriebenen Vorganges liegt darin, daß er ein
Stück der narziBtischen Männlichkeit des jungen Weibes in Weiblichkeit
überführt und somit für die weibliche Sexualfunktion unschädlich macht.
Auf einem anderen Wege wird nun auch ein Anteil der Erotik der
prågenitalen Phase für die Verwendung in der Phase des Genitalprimats
tauglich. Das Kind wird doch als „Lumpf“ betrachtet (s. die Analyse
des kl. Hans), als etwas, was sich durch den Darm vom Körper löst;
somit kann ein Betrag libidinóser Besetzung, welcher dem Darminhaltge
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128 Sigm, Freud.
gegolten hat, auf das durch den Darm geborene Kind ausgedehnt werden,
Ein sprachliches Zeugnis dieser Identität von Kind und Kot ist in der
Redensart: ein Kind schenken erhalten. Der Kot ist nämlich das erste
Geschenk, ein Teil seines Körpers, von dem sich der Säugling nur auf
Zureden der geliebten Person trennt, mit dem er ihr auch unaufgefordert
seine Zärtlichkeit bezeigt, da er fremde Personen in der Regel nicht
beschmutzt, (Ähnliche, wenn auch nicht so intensive Reaktionen mit dem
Urin.) Bei der Defikation ergibt sich für das Kind eine erste Ent-
scheidung zwischen narzibtischer und objektliebender Einstellung. Es gibt
entweder den Kot gefügig ab, „opfert“ ihn der Liebe, oder hält ihn zur anto-
erotischen. Befriedigung, später zur Behauptung seines eigenen Willens,
zurück. Mit letzterer Entscheidung ist der Trotz (Eigensinn) konstituiert,
der also einem narzißtischen Beharren bei der Analerotik entspringt,Es ist wahrscheinlich, daß nicht Gold — Geld, sondern Ge-
schenk die nächste Bedeutung ist, zu welcher das Kotinteresse fort-
schreitet. Das Kind kennt kein anderes Geld, als was ihm geschenkt
wird, kein erworbenes und auch kein eigenes, ererbtes. Da Kot sein
erstes Geschenk ist, überträgt es leicht sein Interesse von diesem Stoff
auf jenen neuen, der ihm als wichtigstes Geschenk im Leben entgegen-
tritt. Wer an dieser Herleitung des Geschenkes zweifelt, måge seine
Erfahrung in der psychoanalytischen Behandlung zu Rate ziehen, die
Geschenke studieren, die er als Arzt vom Kranken erhält, und die
Übertragungsstürme beachten, welche er durch ein Geschenk an den
Patienten hervorrufen kann.Das Kotinteresse wird also zum Teil als Geldinteresse fortgesetzt,
zum anderen Teil in den Wunsch nach dem Kinde übergeführt. In
diesem Kindwunsch treffen nun eine analerotische und eine genitale
(Penisneid) Regung zusammen. Der Penis hat aber auch eine vom Kind-
interesse unabhängige analerotische Bedeutung, Das Verhältnis zwischen
dem Penis und dem von ihm ausgefüllten und erregten Schleimhautrohr
findet sich nämlich schon in der prägenitalen, sadistisch-analen Phase
vorgehildet. Der Kotballen — oder die „Kotstange“ nach dem Ausdruck
eines Patienten — ist sozusagen der erste Penis, die von ihm gereizte
Schleimhaut die des Enddarms. Es gibt Personen, deren Analerotik bis
zur Zeit der Vorpubertåt (10—12 Jahre) stark und unverändert geblieben
ist; von ihnen erfährt man, daß sie schon während dieser prägenitalen
Phase in Phantasien und perversen Spielereien eine der genitalen analoge
Organisation entwickelt hatten, in welcher Penis und Vagina durch die
Kotstange und den Darm vertreten waren. Bei anderen — Zwangs-
neurotikern — kann man das Ergebnis einer regressiven Erniedrigung
der Genitalorganisation kennen lernen. Es äußert sich darin, daß alle
ursprünglich genital konzipierten Phantasien ins Anale versetzt, der
Penis durch die Kotstange, die Vagina durch den Darm ersetzt werden.S.
Über Triebumsetzungen insbesondere der Analerotik. 129
Wenn das Kotinteresse in normaler Weise zurückgeht, so wirkt
die hier dargelegte organische Analogie dahin, daß es sich auf den Penis
überträgt, Erfährt man später in der Sexualforschung, daß das Kind
aus dem Darm geboren wird, so wird dieses zum Haupterben der Anal-
erotik, aber der Vorgänger des Kindes war der Penis gewesen, in
diesem wie in einem anderen Sinne.Ich bin tiberzeugt, daB die vielfåltigen Beziehungen in der Reihe
Kot — Penis — Kind nun völlig unübersichtlich geworden sind, und
will darum versuchen, dem Mangel durch eine graphische Darstellung
abzuhelfen, in deren Diskussion dasselbe Material nochmals, aber in
anderer Folge gewiirdigt werden kann. Leider ist dieses technische Mittel
nicht schmiegsam genug fiir unsere Absichten, oder wir haben noch nicht
gelernt, es in geeigneter Weise zu gebrauchen. Ich bitte jedenfalls, an
das beistehende Schema keine strengen Anforderungen zu stellen.Narztssmus
NE AastratonskomplexObjektstufe
Aus der Analerotik geht in narzifitischer Verwendung der Trotz
hervor als eine bedeutsame Reaktion des Ichs gegen Anforderungen der
anderen; das dem Kot zugewendete Interesse übergeht in Interesse fiir
das Geschenk und dann fiir das Geld. Mit dem Auftreten des Penis
entsteht beim Madchen der Penisneid, der sich später in den Wunsch
nach dem Mann als Träger eines Penis umsetzt. Vorher noch hat sich
der Wunsch nach dem Penis in den Wunsch nach dem Kind verwandelt,
oder der Kindwunsch ist an die Stelle des Peniswunsches getreten. Fine
organische Analogie zwischen Penis und Kind (punktierte Linie) drückt
sich durch den Besitz eines beiden gemeinsamen Symbols aus (,das
Kleine“). Vom Kindwunsch führt dann ein rationeller Weg (doppelte
Linie) zum Wunsch nach dem Mann. Die Bedeutung dieser Triebum-setzung haben wir bereits gewürdigt.
| .S.
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Ein anderes Stück des Zusammenhanges ist weit deutlicher beim
Manne zu erkennen. Es stellt sich her, wenn die Sexualforschung des
Kindes das Fehlen des Penis beim Weibe in Erfahrung gebracht hat.
Der Penis wird somit als etwas vom Körper Ablosbares erkannt und
tritt in Analogie zum Kot, welcher das erste Stück Leiblichkeit war,
auf das man verzichten mußte. Der alte Analtrotz tritt so in die Kon-
stitution des Kastrationskomplexes ein. Die organische Analogie, derzu-
folge der Darminhalt den Vorläufer des Penis während der prågenitalen
Phase darstellte, kann als Motiv nicht in Betracht kommen; sie findet
aber durch die Sexnalforschung einen psychischen Ersatz.Wenn das Kind auftritt, wird es durch die Sexualforschung als
„Lumpf“ erkannt und mit måchtigem analerotischen Interesse besetzt.
Einen zweiten.Zuzug aus gleicher Quelle erhålt der Kindwunsch, wenn
die soziale Erfahrung lehrt, daß das Kind als Liebesboweis, als Geschenk
aufgefaBt werden kann. Alle drei, Kotsåule, Penis und Kind, sind feste
Kørper, welche ein Schleimhautrohr (den Enddarm und die ihm nach
einem guten Wort von Lou Andreas-Salomé gleichsam abgemietete
Vagina)!) bei ihrem Eindringen oder Herausdringen erregen. Der infantilen
Sexualforschung kann von diesem Sachverhalt nur bekannt werden, daß
das Kind denselben Weg nimmt wie die Kotsåule; die Funktion des Penis
wird von der kindlichen Forschung in der Regel nicht aufgedeckt. Doch
ist es interessant zu sehen, daß eine organische Übereinstimmung nach
so vielen Umwegen wieder im Psychischen als eine unbewulite Identität
zum Vorschein kommt.り „Anal“ und „Sexual“ Imago IV. 5. 1916. 2
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