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    PROF. DR. FREUD 
    WIEN IX., BERGGASSE 19
    Sanat Schloss Tegel

    2. 9. 1928

    Dear Ruth

    Hier sind wir also seit 40 Stunden. 
    Es ist schön u hoffnungsvoll.
     Ich berichte Ihnen über 
    das, was Sie am meisten 
    interessiren wird. Schroeder 
    war sehr freundlich, hat uns 
    einen vortrefflichen Ein-
    druck gemacht. Anna meint, 
    'er sieht aus wie ein 
    ernsthafter und gutmütiger 
    Seehund. Als er die Prothese 
    in der Hand hatte, äußerte 
    er sein Erstaunen über 
    ihren burk, als er die 
    Wunde sah, sagte er: brilliant 
    operirt. Nach einer Stunde 
    Untersuchung, Röntgenauf-
    nahme eingeschloßen, sagte 
    er: Ich bin ganz im Bilde 
    und entwickelte ein Pro-
    gramm, das sich im Ganzen 
    mit den Andeutungen 
    seines Assistenten deckte. 
    Die für mich bedeutsamste 
    praktische Frage, ob ich im 
    Stande sein werde, Be-
    handlungen anderer währ-
    end seiner Behandlung 
    fortzuführen, beantwortete

  • S.

    er, ich solle die Leute kommen 
    lassen und ruhig weiter arbeit-
    en, obwol es sein könnte, 
    daß ich gelegentlich aussetzen 
    müßte.  Ruths hat denn 
    schon eine erste Stunde 
    gehabt, Lehrman kommt 
    gewiß morgen, Marie am 
    zehnten. – Das schützt vor 
    Langeweile und – Verarm-
    ung.

    Unsere Wohnung in der Ärzte-
    villa des Sanatoriums ist 
    übermäßig geräumig, schön, 
    behaglich. Ein Auto steht 
    jederzeit zu unserer Ver-
    fügung, der Weg in das 
    Innere der Stadt nim̄t 
    20‑30 Minuten in Anspruch. 
    Ein Teil des Sanatoriums-
    garten ist für uns ab-
    getrennt worden. Einige 
    Schritte führen zum See, 
    in dem Anna schon ge-
    rudert u gebadet hat. Sie 
    ist eben dabei, ein 
    Boot für den Monat 
    zu mieten. Das Wetter 
    ist kühl, wirkt anregend 
    auf den Appetit. Anna 
    wird es nicht leicht haben,

  • S.

    ihre Abmagerung durchzuführen.

    Man läßt uns nicht viel 
    allein. Eitingon ist noch un-
    beschäftigt, Ernst wird die 
    Abende bei uns zubringen, 
    da seine Familie in 
    Hiddensee ist. Heute erwarten 
    wir Oli und Familie, um 
    den Geburtstag von Evchen 
    (den vierten) zu feiern. 
    Simmel u Wulff im Stock 
    über uns sind sehr diskret, 
    die anderen werde 
    ich nach Möglichkeit zur 
    Diskretion verhalten.

    Von früheren Nachrichten 
    wird Sie interessiren, daß 
    Bullitt geschrieben hat er 
    sei jetzt in Ordnung, 
    mit seinen Konflikten 
    und bittet, den Check 
    anzunehmen, den ich vor 
    2 Jahren refüsiert hatte.

    Dorothy brauchte viel Beistand 
    gegen ihren manischen und 
    von Amsden schlecht geführten 
    Mann. Ihre Analyse hat 
    sich bei mir sehr hoff-
    nungsvoll entwickelt.

  • S.

    Die Post hat uns hier noch nicht 
    erreicht.  Ich hoffe Nachrichten 
    von Ihnen, Mark und dem 
    gemeinsamen Dritten sind 
    unterwegs. Meinen Brief 
    werden Sie gewiß Mark 
    zeigen, – etwas darin wirft 
    vielleicht ein Licht auf 
    seine eigene Zukunft. 
    Ich benütze die Gelegen-
    heit, um mich Ihren 
    Eltern wärmstens em-
    pfehlen zu lassen. Für 
    Sie Beide –oder  mehr – 
    habe ich die herzlichsten 
    Wünsche und jede Art 
    von Teilnahme für 
    Ihre weiteren Erlebniße 
    Ihr 
    Freud