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Dr. Otto Rank Semmering am 12.VIII.1914

Lieber Herr Professor!

Erst heute abend erhielt ich Ihren Brief vom 2.d.M. und hoffe, dass Sie mein Brief noch in Karlsbad erreicht.
Ich bin genau heute vor 14 Tagen aus Wien abgereist und will Ihnen kurz meine Abenteuer schildern. Nachdem der Glocknerübergang ins Pustertal durch anhaltend schlechtes Wetter verhindert war fuhr ich nach Innichen, wo gerade der 1. Tag des herrlichsten Wetters einsetzte; allerdings war die Stimmung schon etwas beunruhigt. Drei Zinnen - [...]isurina - Cortina. Dort waren die Nachrichten derart, dass ich schweren Herzens beschloss, die Tour aufzugeben. [Weil] ich aber mein Gepäck nach Bozen vorausgeschickt hatte, musste ich zunächst dorthin und war noch froh, das [letz]te Auto zu erwischen, in dem ich 11 Stunden die prachtvolle Straße fuhr. In Bozen an der Bahn hieß es, dass nur noch zwei Züge verkehren und dass man sich auf die Wiedereröffnung nicht verlassen könne. Nächsten Tag um [...] 25 nachm. löste ich Karte nach Wien und fuhr die Nacht durch. In Mürzzuschlag wollte ich Frühstück haben, bekam aber nur mehr eine Zeitung, der ich meinen Aufenthalt [hier] am Semmering verdanke. Es stand nämlich drin, dass [der] Lokalverkehr wenigstens teilweise aufrecht bleibt. Ich [...] also aus und habe hier eine wundervolle Woche verbracht. Beim schönsten Wetter, alles leer - bis auf ein [pa]ar Ungarn, mit denen man ohnehin nicht sprechen kann - und ziemlich billig. Ich bin den ganzen Tag im Wald, [wo es] von Zyklamen, Erdbeeren und Wild wimmelt und dach[te] gleich wie fleissig Sie erst hier suchen würden. Ich denke noch ein paar Tage - bis zum 15. - hier zu bleiben und gehe dann nach Wien, da man doch eigentliche Ruhe ni[rgends] findet. - Mit dem Militär bin ich bis jetzt verschont geblieben.
Es tut mir leid, dass dieser Brief so narzisstisch bleiben muss, aber einerseits sind die Ferien eine narzisstische Phase, anderseits habe ich bis heute keine Post erhalten[,] weiss also gar nichts zu melden. Unter den heutigen Nachrichten ist ein Brief von Ferenczi, der also nicht nach London ko[mmt] und von Jones, der sich nach Allem erkundigt und berichte[t,] dass sich Ihre Tochter in London gut amüsiert.
Ich hoffe, dass Ihre Frau Gemahlin und Sie sich gut erholt haben und dass Frl. Bernays wieder ganz wohl ist. Von Ihren Söhnen muss wohl keiner mit.
Die nächste Nachricht erbitte ich mir nach Wien, da bei den jetzigen Postverhältnissen mich ein Brief vielleicht nicht mehr hier treffen könnte.
Hoffentlich höre ich bald Gutes von Ihnen.
Inzwischen begrüßt Sie Ihr herzlich ergebener Rank