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S.
PROF. DR. FREUD
WIEN IX., BERGGASSE 19
Salzberg Berchtesg.
Pension Moritz 4.8.22Lieber Herr Doktor
Ich schreibe Ihnen von einem reizenden Arbeits-
stübchen mit Aussicht auf Apfelbaum, grüne
Wiese und dunkle Tannen, aus köstlicher Stille.
Eitingon, der im Vorjahre hier war, hat die Wirte
ganz besonders verpflichtet es uns angenehm
zu machen, und es scheint wieder gelungen zu
sein. Da Sie besonders nach meinem Befinden
fragen, will ich Ihnen zuerst dafür danken,
daß Sie es im Rundbrief den andern als
befriedigend beschrieben haben und dann Ihnen
selbst gestehen, daß es nicht so ist. Das (übrigens
jedes Jahr erneuerte) Auftreten von Magen-
beschwerden in Gastein hat mich genötigt die
Badekur mit einer Karlsbader Trinkkur zu
kombiniren, und unter diesem Zusam̄enwirken
der Heilpotenzen hat sich eine besondere kör-
perliche Ermüdung bei mir eingestellt. Die
von Weisen auf das radioaktive Gasteiner
Trinkwasser bezogene Magenstörung schien
mit dem Verlassen des Ortes zunächst wie
verschwunden, ist aber gestern wieder aufge-
taucht u läßt mich nicht recht froh werden.Allen Vermutungen, den pessimistischen wie
den optimistischen, scheint noch der Spielraum
frei; in praxi werden wir uns an die
letzteren halten. Daß ich mich seit längerer
Zeit meiner Gesundheit nicht ganz sicher fühle,
wird Ihnen nicht entgangen sein. Ich äußere
mich darüber zu keinem anderen, denn sonst
bekommt man die gebräuchliche Unaufrichtig-
keit zu hören. Sie sind noch immer der
Jüngste und Frischeste unter uns, während
man selbst weiß, daß das Alter, so nahe
an 70, eine ganz ernsthafte Sache ist. -
S.
Ungern beschäftige ich Ihre Phantasie mit solchen
an Hypochondrie anklingenden Bekenntnißen
u füge darum hinzu, daß ich geistig klar und
arbeitslustig bin. Ich schreibe eben an etwas, das
sich „Das Ich und das Es“ nennt, unter Groddeck’s
Patenschaft steht und entweder nur ein Auf-
satz wird, oder sogar eine kleine Brochure
wie das „Jenseits“, dessen Fortführung es
eigentlich ist. Es ist im Entwurf ziemlich weit ge-
diehen, wartet sonst Stimmungen und Einfälle ab,
ohne die es nicht vollendet werden kann.Im Interesse von Ruhe und Arbeitsmög-
lichkeit habe ich auf mehrere Erwerbsmöglich-
keiten verzichtet die mir imponirt haben
u auch Ihnen imponiren sollen. In Gastein
wies ich die Frau eines Kupferkönigs ab, die
gewiß den dortigen Aufenthalt gedeckt
hätte. Hier auf dem Salzberg ringt eine
andere Amerikaner um Behandlung, die
gewiß # 50 im Tag gezalt hätte, da sie Brill
# 20 in NY für eine halbe Stunde zu geben
gewohnt war. (Übrigens ein neuer Beleg
für Brill’s Niedergang unter dem amerikan.
Dollarzwang!) Aber sie wird nichts erreichen,
ich verkaufe die Zeit hier nicht. Ich denke daran
sie Frink anzuhängen, der mit seiner Zu-
künftigen, einer sehr wertvollen Frau,
mich 6 Tage in Gastein besucht hat, und jetzt
– auch nicht ohne analytische Hintergedanken,
denn er ist noch keineswegs wol – nach
Berchtsg. kommen wird. Auf den Berg
lasse ich ihn aber auch nicht kommen.Das Mnsk Ihres beabsichtigten Vortrages habe
ich Ihnen von Gastein eingeschrieben
geschickt. Ich bin sehr froh zu hören, -
S.
daß Sie sich jetzt zu einem anderen, enger um-
schriebenen entschloßen haben. Mein letzthin
ausgedrücktes Bedauern, daß ich Sie nicht habe
Medizin studiren lassen, haben Sie in seiner
Motivirung vielleicht nicht vollkom̄en ge-
würdigt. Ich dachte, in diesem Falle wäre ich nicht
im Zweifel, wem ich die leitende Rolle in
der ψα Bewegung zu hinterlassen hätte. Wie es
jetzt steht, müßte ich wünschen, daß man
Abraham’s Klarheit und Korrektheit mit
Ferenczi’s Begabung verschmelzen u dazu
noch Jones’ unermüdliche Füllfeder geben
könnte.Ihren freundlichen Vorschlag für meinen Kongreß-
vortrag werde ich in Vormerkg nehmen und
im Notfall auf ihn zurückgreifen. Ich dachte,
es wäre am bequemsten, sich nichts vorzunehmen,
von der Auszeichnung „Thema vorbehalten“
zu profitiren und im letzten Moment etwas
zusam̄enzubrauen. Ich kann nämlich jetzt mein
Interesse nicht dirigiren, es haftet am „Ich
und Es“. Den Eingang von „Psyche u Eros“ habe
ich bemerkt, es ist mit neuerlichem Gestank
verendet, der Autor war so höflich, mir die
letzte Num̄er mit den ebenso leicht‑
wie schwachsinnigen Analysen meiner Analysen
zuzuschicken, aber wir haben ja den Trost, daß
es auch für dieses minderwertige Organ ein
Fortleben in einem „Jenseits„“ giebt. Parasiten
werden wir nie loswerden, zum Glück
bekommt man nicht von allen den
Flecktyphus. -
S.
Ihre Charakteristik Reik’s anerkenne ich als korrekt,
daß er es selbst nicht ist, weiß ich lange. Ich schicke
Ihnen noch ein geheimes Memorandum, das er
mir zum offiziellen dazugethan hat, zur Fort-
setzung seiner Beschreibung u teilweise auch
zu seiner Entschuldigg. Versprechen Sie ihm
immerhin jede mögliche Förderung, aber soll
man nicht auch seine Enthebung wenn er sie
wünscht, in Betracht ziehen? Jedenfalls ist sein
Schriftstück ein Gegenstand für unsere Komité-
beratung, ich bitte Sie, es auch dahin mitzu-
bringen.Andere Beilage von „Audace“ in Mailand. Kann
man das etwa mit der Schrift von Ed. Weiss
zusam̄enbringen? Ich warte Ihren Bescheid ab.
(Beilagen gehen in besonderem Kouvert). –Meine Frau, Anna u Oliver sollen morgen
ankommen. Das Wetter hier wie in Gastein
weit entfernt von ständig schön, doch nicht so
arg wie aus den Berichten von Seefeld, dem
Harz u Berlin zu entnehmen ist. Wir haben
eigentlich noch ein Anrecht auf Sommer.Minna läßt Ihnen herzlich danken, wird
gewiß auch selbst schreiben. Ich schicke
Ihrer kleinen Familie, Ferenczi’s und
den früher Ansässigen herzliche Grüße
Ihr
Freud.P.S. Kleine Bitte z. Korrrektur
der „neurot Mechanism“, wenn sie früher
in Ihre Hände kom̄t. Anstatt in’s Blaue
hinein projiziren muß es natürlich
heißen: hinaus. -
S.
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S.
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S.
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S.
Pension Moritz
Salzberg, Berchtesgaden 83471
Deutschland
C39F5