• S.

    PROF. DR. FREUD 
    WIEN IX., BERGGASSE 19

    Salzberg 24. 8. 22

    Lieber Herr Doktor

    Ich will Sie nicht länger ohne Antwort lassen da 
    Sie bereits beginnen, sich über die Verkehrs-
    pause Gedanken zu machen. Mein Befinden 
    hatte sich allmälich geändert, die Müdigkeit 
    durch eine ärgerlich gedrückte Stimmung ersetzt, 
    für welche ich aus den Nachrichten aus Wien 
    (Moische und das untergehende Schiff!), in den 
    Sorgen um den kom̄enden Herbst genügende Er-
    klärung fand. Da kam am 16t abends ein Tlgr, 
    daß Caecilie, genannt Maus, mit schwerer Veronal-
    vergiftung im Spital liege. Die folgenden Tage 
    waren mit allen Schwankungen, Verantwort-
    ungen und Anordnungen bei so schlechter Verbind-
    ung die reine Hölle. Am 18t abends ist sie 
    dann, ohne das Bewußtsein erlangt zu haben, 
    gestorben. Dr Deutsch war zugezogen worden. 
    Mein Bruder, der wenige Tage früher hier ange-
    kom̄en war, ist zum Begräbnis nach Wien gereist. 
    Ich weiß nicht, ob mich nicht der Zustand meiner 
    Schwester zum gleichen nötigen wird. Seither 
    habe ich es aufgegeben aus diesem schönen 
    Aufenthalt ein Idyll zu machen u lege keinen 
    Wert auf mein Befinden.

    In diesen Zeiten beantwortete ich keine Briefe 
    u lenkte mich durch Schreiben ab. Die beiden 
    Aufsätze: „Psychoanalyse u Libidotheorie 
    für das Wörterbuch von Marcuse sind fertig 
    geworden, Ich u Es werden ins Reine gebracht.

    Maus war ein süßes Ding, von allen geliebt, 
    aber selbst schwer zugänglich. Sie stand schlecht 
    mit ihrer Mutter, mit der schwer zu leben 
    ist, hatte einen ernsthaften Bewerber, den sie 
    sehr bald heiraten sollte, gegen den manches 
    einzuwenden war. Doch wissen wir nicht, was 
    sie zuletzt zu dem unglücklichen Schritte ge-
    drängt hat, für den die Vorbereitungen schon 

  • S.

    seit März getroffen waren. Ob die Tragödie damit 
    zu Ende ist, wissen wir nicht. Meine Schwester ist 
    in ihrer Verzweiflung, wie wir bei den beiden 
    früheren Gelegenheiten erfahren konnten, einfach unerträglich. –

    Ähnliche Befürchtungen über die Fortdauer des 
    Verlages und unseres Verbleibs in Wien, wie Sie sie äußern, habe 
    ich natürlich auch gehabt. 
    Ich meine man kann nur abwarten u sich freuen, 
    daß man unterdeß von Wien ferne ist. Bis 
    Ende Sept sollte sich doch Manches entschieden 
    haben. Wenn wir Wien verlassen, sollten Sie 
    sich uns doch anschließen. Die Fremden werden 
    nun ja bald nachkom̄en u ich kann sie nicht 
    allein bewältigen. Die sonstige Lage des 
    Verlags müßen wir Eitingon bekanntgeben. 
    Er ist unsere nächste Hoffnung, fernere kenne 
    ich noch nicht.

    Ihr Einvernehmen mit Ferenczi hat mich sehr gefreut. 
    In Ihrem Feldzug gegen den Kastrationskomplex 
    kann ich vorläufig nicht Partei nehmen da 
    ich Ihre Argumente nicht kenne. Auch ist mir 
    vieles, was sonst nahe war, gegenwärtig merk-
    würdig ferngerückt, was Sie Jüngere und minder 
    Gegenwartsfreunde nicht zu stören braucht. Über-
    rascht hat mich Ihrer Beider überscharfe Kritik 
    am letzten telepath Traum. Alles, was Sie auf-
    decken, ist doch anstatt Einwand nur begünstig-
    ender Umstand u es bleibt doch nur das 
    eine Argument übrig, daß man es nicht selbst 
    erlebt hat, sondern einem Fremden auf 
    Treu und Glauben abnimmt. Ich habe 
    selbst daran gedacht diesen Traum zum 
    Thema des Kongreßvortrages zu 
    nehmen, der mir sonst gar nicht näher 
    rücken will.

  • S.

    Ihren Plan, den Sept in Baiern 
    zu verbringen, finde ich unter 
    den vorliegenden Umständen 
    recht angemessen. Wenn man nach 
    Wien zurückgeht wird man sich 
    wahrscheinlich Ende Sept nicht 
    entschließen, es zu verlassen. 
    Die Sorge um den Erwerb neuer 
    Valuten ist aber die am wenigsten 
    begründete. Den beigelegten 
    Brief der Amerikanerin erledigen 
    Sie gefälligst nach eigenem Ermessen, 
    auch die Anfrage von Lehmann.

    Für alle Begrüßungskarten 
    von Bergpartien u für Ferenczi’s 
    Brief sage ich herzlichen Dank 
    u bitte um Nachsicht wegen 
    ausgebliebener Antworten.

    In der Erwartung bald von 
    Ihnen zu hören, 
    herzlich 
    Ihr 
    Freud

    Verte! Für Frau Dr. Rank!

     

  • S.

    Salzberg 24.8.22

    Liebe kleine Frau.

    Es thäte mir sehr leid, wenn Sie 
    Ihre Übersetzung auf eine 
    scharfe Kritik hin wegwerfen 
    würden. Ich habe natürlich kein 
    Urteil darüber, aber da Sie 
    selbst gewiße Abänderungen im 
    Auge haben u so gewissenhaft 
    andere Autoritäten Ihrer Sprache 
    konsultiren, sollte ich meinen, 
    Ihre Übersetzung werde sich gegen 
    ein gewlattätiges Vorgehen, 
    wie es Dr. J. rät, erfolgreich 
    verteidigen lassen. Also nicht 
    den Mut sinken lassen, es ist 
    doch sonst nicht Ihre Art. 

    Mit herzlichen Grüßen für 
    Sie und as 3jährige Helenchen
    Ihr
    Freud