S.
EINE TEUFELSNEUROSE
IM SIEBZEHNTEN JAHRHUNDERTErschienen zuerst in „Imago“, IX.Bd. (1923),
Heft x (Religionspsychologisches Heft).An den Neurosen der Kinderzeit haben wir gelernt, daß manches
hier mühelos mit freiem Auge zu sehen ist, was sich späterhin
nur gründlicher Forschung zu erkennen gibt. Eine ähnliche Er-
wartung wird sich für die neurotischen Erkrankungen früherer
Jahrhunderte ergeben, wenn wir nur darauf gefaßt sind, dieselben
unter anderen Überschriften als unsere heutigen Neurosen zu
finden. Wir dürfen nicht erstaunt sein, wenn die Neurosen dieser
frühen Zeiten im dämonologischen Gewande auftreten, während
die der unpsychologischen Jetztzeit im hypochondrischen, als or-
ganische Krankheiten verkleidet, erscheinen. Mehrere Autoren,
voran Charcot, haben bekanntlich in den Darstellungen der Be-
sessenheit und Verzückung, wie sie uns die Kunst hinterlassen
hat, die Äußerungsformen der Hysterie agnosziert; es wäre nicht
schwer gewesen, in den Geschichten dieser Kranken die Inhalte
der Neurose wiederzufinden, wenn man ihnen damals mehr Auf-
merksamkeit geschenkt hätte.Die dämonologische Theorie jener dunkeln Zeiten hat gegen
alle somatischen Auffassungen der „exakten“ Wissenschaftsperiode
recht behalten. Die Besessenheiten entsprechen unseren Neurosen,S.
410 Zur Anwendung der Psychoanalyse
zu deren Erklärung wir wieder psychische Mächte heranziehen.
Die Dämonen sind uns böse, verworfene Wünsche, Abkömmlinge
abgewiesener, verdrängter Triebregungen. Wir lehnen bloß die
Projektion in die äußere Welt ab, welche das Mittelalter mit
diesen seelischen Wesen vornahm; wir lassen sie im Innenleben
der Kranken, wo sie hausen, entstanden sein.T
DIE GESCHICHTE DES MALERS CHRISTOPH
HAITZMANNEinen Einblick in eine solche dämonologische Neurose des sieb-
zehnten Jahrhunderts verdanke ich dem freundlichen Interesse
des Herrn Hofrats Dr. R. Payer-Thurn, Direktor der ehemals
k. k. Fideikommißbibliothek in Wien. Payer-Thurn hatte in
der Bibliothek ein aus dem Gnadenort Mariazell stammendes
Manuskript aufgefunden, in dem über eine wunderbare Erlösung
von einem Teufelspakt durch die Gnade der heiligen Maria aus-
führlich berichtet wird. Sein Interesse wurde durch die Beziehung
dieses Inhalts zur Faustsage geweckt und wird ihn zu einer ein-
gehenden Darstellung und Bearbeitung des Stoffes veranlassen.
Da er aber fand, daß die Person, deren Erlösung beschrieben
wird, an Krampfanfällen und Visionen litt, wandte er sich an
mich um eine ärztliche Begutachtung des Falles. Wir sind über-
eingekommen, unsere Arbeiten unabhängig voneinander und ge-
sondert zu veröffentlichen. Ich statie ihm für seine Anregung,
wie für mancherlei Hilfeleistung beim Studium des Manuskripts
meinen Dank ab.Diese dämonologische Krankengeschichte bringt wirklich einen
wertvollen Fund, der ohne viel Deutung klar zutage liegt, wie
manche Fundstelle als gediegenes Metall liefert, was anderwärts
mühsam aus dem Erz geschmolzen werden muß.S.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 411
Das Manuskript, von dem mir eine genaue Abschrift vorliegt,
zerlegt sich uns in zwei Stücke von ganz verschiedener Natur:
in den lateinisch abgefaßten Bericht des mönchischen Schreibers
oder Kompilators und in ein deutsch geschriebenes Tagebuch-
bruchstück des Patienten. Der erste Teil enthält den Vorbericht
und die eigentliche Wunderheilung; der zweite Teil kann für die
geistlichen Herren nicht von Bedeutung gewesen sein, um so wert-
voller ist er für uns. Er trägt viel dazu bei, unser sonst schwan-
kendes Urteil über den Krankheitsfall zu festigen, und wir haben
guten Grund, den Geistlichen zu danken, daß sie dies Dokument
erhalten haben, obgleich es ihrer Tendenz nichts mehr leistet, ja
diese eher gestört haben mag.Ehe ich aber in die Zusammensetzung der kleinen handschrift-
lichen Broschüre, die den Titel„Trophacum Mariano-Cellense“
führt, weiter eingehe, muß ich ein Stück ihres Inhalts erzählen,
das ich dem Vorbericht entnehme.Am 3. September ı677 wurde der Maler Christoph Haitzmann,
ein Bayer, mit einem Geleitbrief des Pfarrers von Pottenbrunn
(in Niederösterreich) nach dem nahen Mariazell gebracht.‘ Er habe
sich in Ausübung seiner Kunst mehrere Monate in Pottenbrunn
aufgehalten, sei dort am 29. August in der Kirche von schreck-
lichen Krämpfen befallen worden, und als sich diese in den
nächsten Tagen wiederholten, habe ihn der Praefectus Dominii
Pottenbrunnensis examiniert, was ihn wohl bedrücke, ob er sich
wohl in unerlaubten Verkehr mit dem bösen Geist eingelassen
habe? Worauf er gestanden, daß er wirklich vor neun Jahren
zu einer Zeit der Verzagtheit an seiner Kunst und des Zweifels
an seiner Selbsterhaltung dem Teufel, der ihn neunmal versucht,1) Das Alter des Malers ist nirgends angegeben. Der Zusammenhang läßt einen
Mann zwischen 30 und 40, wahrscheinlich der unteren Grenze nüher, erraten. Er
verstarb, wie wir hören werden, im Jahre 1700.2) Die Möglichkeit, daß diese Fragestellung dem Leidenden die Phantasie seines
Teufelspaktes eingegeben, „suggeriert“ hat, sei hier nur gestreift.S.
42 Zur Anwendung der Psychoanalyse
nachgegeben und sich schriftlich verpflichtet, ihm nach Ablauf
dieser Zeit mit Leib und Seele anzugehören. Das Ende des Ter-
mins nahe mit dem 24. des laufenden Monats.‘ Der Unglückliche
bereue und sei überzeugt, daß nur die Gnade der Mutter Gottes
von Mariazell ihn retten könne, indem sie den Bösen zwinge,
ihm die mit Blut geschriebene Verschreibung herauszugeben. Aus
diesem Grund erlaube man sich miserum hunc hominem omni
auzilio destitutum dem Wohlwollen der Herren von Mariazell zu
empfehlen.Soweit der Pfarrer von Pottenbrunn, Leopoldus Braun, am
ı. September 1677.Ich kann nun in der Analyse des Manuskripts fortfahren. Es
besteht also aus drei Teilen:ı. einem farbigen Titelblatt, welches die Szene der Verschrei-
bung und die der Erlösung in der Kapelle von Mariazell darstellt;
auf dem nächsten Blatt sind acht ebenfalls farbige Zeichnungen
der späteren Erscheinungen des Teufels mit kurzen Beischriften
in deutscher Sprache. Diese Bilder sind nicht Originale, sondern
Kopien — wie uns feierlich versichert wird: getreue Kopien —
nach den ursprünglichen Malereien des Chr. Haitzmann;2. aus dem eigentlichen Trophaeum Mariano-Cellense (lateinisch),
dem Werk eines geistlichen Kompilators, der sich am Ende P. A. E.
unterzeichnet und diesen Buchstaben vier Verszeilen, welche seine
Biographie enthalten, beifügt. Den Abschluß bildet ein Zeugnis
des Abtes Kilian von St. Lambert vom ı2. September ı729,
welches in anderer Schrift als der des Kompilators die genaue
Übereinstimmung des Manuskripts und der Bilder mit den im
Archiv aufbewahrten Originalen bestätigt. Es ist nicht angegeben,
in welchem Jahr das Trophaeum angefertigt wurde. Es steht uns
frei anzunehmen, daß es im gleichen Jahr geschah, in dem der
Abt Kilian das Zeugnis ausstellte, also 1729 oder, da ı714 die
letzte im Text genannte Jahreszahl ist, das Werk des Kompilators1) quorum et finis 24 mensis hujus futurus appropinquat.
S.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 413
in irgend: eine Zeit zwischen ı714 und ı729 zu verlegen. Das
Wunder, welches durch diese Schrift vor Vergessenheit bewahrt
werden sollte, hat sich im Jahr ı677 zugetragen, also 37 bis
52 Jahre, vorher;5. aus dem deutsch abgefaßten Tagebuch des Malers, welches
von der Zeit seiner Erlösung in der Kapelle bis zum ı3. Januar
des nächsten Jahres 1678 reicht. Es ist in den Text des Trophaeum
kurz vor dessen Ende eingeschaltet.Den Kern des eigentlichen Trophaeum bilden zwei Schrift-
stücke, der bereits erwähnte Geleitbrief des Pfarrers Leopold Braun
von Pottenbrunn vom ı. September 1677, und der Bericht des
Abtes Franciscus von Mariazell und St. Lambert, der die Wunder-
heilung schildert, vom ı2. September 1677, also nur wenige
Tage später datiert. Die Tätigkeit des Redakteurs oder Kompilators
P; A. E. hat eine Einleitung geliefert, welche die beiden Akten-
stücke gleichsam verschmilzt, ferner einige wenig bedeutsame
Verbindungsstücke und am Schluß einen Bericht über die weiteren
Schicksale des Malers nach einer im Jahre 1714 eingeholten Er-
kundigung beigefügt.‘Die Vorgeschichte des Malers wird also im Trophaeum dreimal
erzählt,ı. im Geleitbrief des Pfarrers von Pottenbrunn,
2. im feierlichen Bericht des Abtes Franciscus und
3. in der Einleitung des Redakteurs. Beim Vergleich dieser drei
Quellen stellen sich gewisse Unstimmigkeiten heraus, die zu ver-
folgen nicht unwichtig sein wird.Ich kann jetzt die Geschichte des Malers fortsetzen. Nach-
dem er in Mariazell lange gebüßt und gebetet, erhält er am
8. September, dem Tag Mariä Geburt, um die zwölfte Nacht-
stunde vom Teufel, der in der heiligen Kapelle als geflügelter
Drache erscheint, den mit Blut geschriebenen Pakt zurück.3) Dies würde dafür sprechen, daß ı7ı14 auch das Datum der Abfassung des
Trophaeum ist.S.
414 Zur Anwendung der Psychoanalyse
Wir werden später zu unserem Befremden erfahren, daß in
der Geschichte des Malers Chr. Haitzmann zwei Verschreibungen
an den Teufel vorkommen, eine frühere, mit schwarzer Tinte
und eine spätere, mit Blut geschriebene. In der mitgeteilten
Beschwörungsszene handelt es sich, wie auch noch das Bild
auf dem Titelblatt erkennen läßt, um die blutige, also um die
spätere.An dieser Stelle könnte sich bei uns ein Bedenken gegen die
Glaubwürdigkeit der geistlichen Berichterstatter erheben, das uns
mahnen würde, doch nicht unsere Arbeit an ein Produkt mönchi-
schen Aberglaubens zu verschwenden. Es wird erzählt, daß mehrere,
mit Namen benannte Geistliche dem Exorzierten während der
ganzen Zeit Beistand leisteten und auch während der Teufels-
erscheinung in der Kapelle anwesend waren. Wenn behauptet
würde, daß auch sie den teuflischen Drachen gesehen haben, wie
er dem Maler den rot beschriebenen Zettel hinhält (Schedam
sibi porrigentem conspexisset), so stünden wir vor mehreren un-
angenehmen Möglichkeiten, unter denen die einer kollektiven
Halluzination noch die mildeste wäre. Allein der Wortlaut des
vom Abt Franciscus ausgestellten Zeugnisses schlägt dieses Bedenken
nieder. Es wird darin keineswegs behauptet, daß auch die geist-
lichen Beistände den Teufel erschaut haben, sondern es heißt
ehrlich und nüchtern, daß der Maler sich plötzlich von den Geist-
lichen, die ihn hielten, losgerissen, in die Ecke der Kapelle, wo
er die Erscheinung sah, gestürmt und dann mit dem Zettel in
der Hand zurückgekommen sei.'Das Wunder war groß, der Sieg der heiligen Mutter über
Satan unzweifelhaft, die Heilung aber leider nicht beständig. Es
sei nochmals zur Ehre der geistlichen Herren hervorgehoben, daß
sie diese Tatsache nicht verschweigen. Der Maler verließ Mariazell1)... . ipsumgue Dacmonem ad Aram Sac. Cellae per fenestrellam in cornu Epistolae Schedam
sibi porrigentem consperisset eo advolans e Religiosorum manibus, qui eum tenebant, ipsam
Schedam ad manum obtinudt, . » »S.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 415
nach kurzer Zeit im besten Wohlbefinden und begab sich dann
nach Wien, wo er bei einer verheirateten Schwester wohnte, Dort
fingen am ıı. Oktober neuerliche, zum Teil sehr schwere Anfälle
an, über die das Tagebuch bis zum ı35. Januar berichtet. Es
waren Visionen, Abwesenheiten, in denen er die mannigfaltigsten
Dinge sah und erlebte, Krampfzustände, begleitet von den schmerz-
haftesten Sensationen, einmal ein Zustand von Lähmung der
Beine u. dgl. Diesmal plagte ihn aber nicht der Teufel, sondern
es waren heilige Gestalten, die ihn heimsuchten, Christus, die
heilige Jungfrau selbst. Merkwürdig, daß er unter diesen himm-
lischen Erscheinungen und den Strafen, die sie über ihn ver-
hängten, nicht minder litt, als früher unter dem Verkehr mit
dem Teufel. Er faßte auch diese neuen Erlebnisse im Tagebuch
als Erscheinungen des Teufels zusammen und beklagte sich über
maligni Spiritus manifestationes, als er im Mai 1678 nach Mariazell
zurückkehrte.Den geistlichen Herren gab er als Motiv seiner Rückkehr an,
daß er auch eine andere, frühere, mit Tinte geschriebene Ver-
schreibung vom Teufel zu fordern habe.‘ Auch diesmal verhalfen
ihm die heilige Maria und die frommen Patres zur Erfüllung
seiner Bitte. Aber der Bericht, wie das geschah, ist schweigsam.
Es heißt nur mit kurzen Worten: qua iuxta votum reddita. Er
betete wieder und er erhielt den Vertrag zurück. Dann fühlte
er sich ganz frei und trat in den Orden der Barmherzigen
Brüder ein.Man hat wiederum Anlaß anzuerkennen, daß die offenkundige
Tendenz seiner Bemühung den Kompilator nicht dazu verführt
hat, die von einer Krankengeschichte zu fordernde Wahrhaftigkeit
zu verleugnen. Denn er verschweigt nicht, was die Erkundigung
nach dem Ausgang des Malers beim Vorstand des Klosters der
Barmherzigen Brüder im Jahre ı714. ergeben. Der R. P”- Pro-1) Diese wäre, im September 1668 ausgestellt, 91/ Jahre später, im Mai 1678
längst verfallen gewesen.S.
416 Zur Anwendung der Psychoanalyse
vincialis berichtet, daß Bruder Chrysostomus noch wiederholt
Anfechtungen des bösen Geistes erfahren hat, der ihn zu einem
neuen Pakt verleiten wollte, und zwar nur dann, „wenn er etwas
mehrers von Wein getrunken“, durch die Gnade Gottes sei es
aber immer möglich gewesen ihn abzuweisen. Bruder Chrysostomus
sei dann im Kloster des Ordens Neustatt an der Moldau im
Jahre 1700 „sanft und trostreich“ an der Hektica verstorben.u
DAS MOTIV DES TEUFELSPAKTSWenn wir diese Teufelsverschreibung wie eine neurotische
Krankengeschichte betrachten, wendet sich unser Interesse zunächst
der Frage nach ihrer Motivierung zu, die ja mit der Veranlassung
innig zusammenhängt. Warum verschreibt man sich dem Teufel?
Dr. Faust fragt zwar verächtlich: Was willst du armer Teufel
geben? Aber er-hat nicht recht, der Teufel hat als Entgelt für
die unsterbliche Seele allerlei zu bieten, was die Menschen hoch
einschätzen: Reichtum, Sicherheit vor Gefahren, Macht über die
Menschen und über die Kräfte der Natur, selbst Zauberkünste
und vor allem anderen: Genuß, Genuß bei schönen Frauen. Diese
Leistungen oder Verpflichtungen des Teufels pflegen auch im
Vertrag mit ihm ausdrücklich erwähnt zu werden. Was ist nun
für Christoph Haitzmann das Motiv seines Pakts gewesen?Merkwürdigerweise keiner von all diesen so natürlichen Wün-
schen. Um jeden Zweifel daran zu bannen, braucht man nur die
kurzen Bemerkungen einzusehen, die der Maler zu den von ihm
abgebildeten Teufelserscheinungen hinzusetzt. Zum Beispiel lautet
die Note zur dritten Vision:ı) Siehe in Faust I, Studierzimmer:
Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden,
Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;
Wenn wir uns drüben wieder finden,
So sollst du mir das Gleiche thun.S.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 417
„Zum driten ist er mir in anderthalb Jahren in dißer abscheüh-
lichen Gestalt erschinen, mit einen Buuch in der Handt, darin
lauter Zauberey und schwarze Kunst war begrüffen ...*Aber aus der Beischrift zu einer späteren Erscheinung er-
fahren wir, daß der Teufel ihm heftige Vorwürfe macht, warum
er „sein vorgemeldtes Buuch verbrennt“, und ihn zu zerreißen
droht, wenn er es ihm nicht wieder beschafft.Bei der vierten Erscheinung zeigt er ihm einen großen gelben
Beutel und einen großen Dukaten und verspricht ihm jederzeit
soviel davon, als er nur haben will, „aber ich solliches gar nicht
angenomben“, kann sich der Maler rühmen.Ein anderes Mal verlangt er von ihm, er solle sich amüsieren,
unterhalten lassen. Wozu der Maler bemerkt, „welliches zwar
auch auf sein begehren geschehen aber ich yber drey Tag nit
continuirt, und gleich widerumb außgelöst worden“.Da er nun Zauberkünste, Geld und Genuß zurückweist, wenn
der Teufel sie ihm bietet, geschweige denn, daß er sie zu Bedin-
gungen des Pakts gemacht hätte, wird es wirklich dringlich zu
wissen, was dieser Maler eigentlich vom Teufel wollte, als er sich
ihm verschrieb. Irgend ein Motiv sich mit dem Teufel einzulassen,
muß er doch gehabt haben.Das Trophaeum gibt auch sichere Auskunft über diesen Punkt.
Er war schwermütig geworden, konnte nicht, oder wollte nicht recht
arbeiten und hatte Sorge um die Erhaltung seiner Existenx, also
melancholische Depression mit Arbeitshemmung und (berechtigter)
Lebenssorge. Wir sehen, daß wir es wirklich mit einer Kranken-
geschichte zu tun haben, erfahren auch, welches die Veranlassung
dieser Erkrankung war, die der Maler selbst in den Bemerkungen
zu den Teufelsbildern geradezu eine Melancholie nennt („solte
mich darmit belustigen und melancoley vertreiben“). Von unseren
drei Quellen erwähnt zwar die erste, der Geleitbrief des Pfarrers,
nur den Depressionszustand („dum artis suae progressum emolu-
mentumque secuturum pusillanimis perpenderet“), aber die zweite,Freud, X. 27
S.
418 Zur Anwendung der Psychoanalyse
der Bericht des Abtes Franciscus weiß auch die Quelle dieser
Verzagtheit oder Verstimmung zu nennen, denn hier heißt es
„accepta aliguä pusillanimitate ex morte parentis“ und dem-
entsprechend auch in der Einleitung des Kompilators mit den
nämlichen, nur umgestellten Worten: ex morte parentis accepta
aliquä pusillanimitate. Es war also sein Vater gestorben, er
darüber in eine Melancholie verfallen, da näherte sich ihm der
Teufel, fragte ihn, warum er so bestürzt und traurig sei, und
versprach ihm „auf alle Weiß zu helfen und an die Handt zu
gehen“Da verschreibt sich also einer dem Teufel, um von einer Gemüts-
depression befreit zu werden. Gewiß ein ausgezeichnetes Motiv
nach dem Urteil eines jeden, der sich in die Qualen eines solchen
Zustandes einfühlen kann und der überdies weiß, wie wenig
ärztliche Kunst von diesem Leiden zu lindern versteht. Doch
würde keiner, der dieser Erzählung soweit gefolgt ist, erraten
können, wie der Wortlaut der Verschreibung an den Teufel (oder
vielmehr der beiden Verschreibungen, einer ersten, mit Tinte und
einer zweiten, etwa ein Jahr später, mit Blut geschriebenen, beide
angeblich noch in der Schatzkammer von Mariazell vorhanden
und im Trophaeum mitgeteilt), wie also der Wortlaut dieser Ver-
schreibungen gelautet hat.Diese Verschreibungen bringen uns zwei starke Überraschungen.
Erstens nennen sie nicht eine Verpflichtung des Teufels, für deren
Einhaltung die ewige Seligkeit verpfändet wird, sondern nur eine
Forderung des Teufels, die der Maler einhalten soll. Es berührt
uns als ganz unlogisch, absurd, daß dieser Mensch seine Seele
einsetzt nicht für etwas, was er vom Teufel bekommen, sondern
was er dem Teufel leisten soll. Noch sonderbarer klingt die Ver-
pflichtung des Malers.Erste, mit schwarzer Tinte geschriebene „Syngrapha“:
1) Bild ı und Legende dazu auf dem Titelblatt, der Teufel in Gestalt eines
„Ersamen Bürgers“,S.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 419
Ich Christoph Haitzmann vndterschreibe mich diesen
Herrn sein leibeigener Sohn auf 9 Jahr. 1669 Jahr.Zweite, mit Blut geschrieben:
Anno 1669
Christoph Haizmann. Ich verschreibe mich dißen
Satan, ich sein leibeigner Sohn zu sein, und in
9 Jahr ihm mein Leib und Seel zuzugeheren.Alles Befremden entfällt aber, wenn wir den Text der Ver-
schreibungen so zurechtrücken, daß in ihr als Forderung des Teufels
dargestellt wird, was vielmehr seine Leistung, also Forderung des
Malers ist. Dann bekäme der unverständliche Pakt: einen geraden
Sinn und könnte solcherart ausgelegt werden: Der Teufel ver-
pflichtet sich, dem Maler durch neun Jahre den verlorenen Vater
zu ersetzen. Nach Ablauf dieser Zeit verfällt der Maler mit Leib
und Seele dem Teufel, wie es bei diesen Händeln allgemein
üblich war. Der Gedankengang des Malers, der seinen Pakt
motiviert, scheint ja der folgende zu sein: Durch den Tod des
Vaters hat er Stimmung und Arbeitsfähigkeit eingebüßt; wenn
er nun einen Vaterersatz bekommt, hofft er das Verlorene wieder
zu gewinnen.Jemand, der durch den Tod seines Vaters melancholisch ge-
worden ist, muß doch diesen Vater lieb gehabt haben. Dann ist
es aber sehr sonderbar, daß ein solcher Mensch auf die Idee
kommen kann, den Teufel zum Ersatz für den geliebten Vater
zu nehmen.II
DER TEUFEL ALS VATERERSATZ
Ich besorge, eine nüchterne Kritik wird uns nicht zugeben,
daß wir mit jener Umdeutung den Sinn des Teufelspakts bloß-
gelegt haben. Sie wird zweierlei Einwendungen dagegen erheben.
Erstens: es sei nicht notwendig, die Verschreibung als einen Ver-ar
S.
420 Zur Anwendung der Psychoanalyse
trag anzusehen, in dem die Verpflichtungen beider Teile Platz
gefunden haben. Sie enthalte vielmehr nur die Verpflichtung des
Malers, die des Teufels sei außerhalb ihres Textes geblieben,
gleichsam „sousentendue“. Der Maler verpflichtet sich aber zu
zweierlei, erstens zur Teufelssohnschaft durch neun Jahre und
zweitens dazu, ihm nach dem Tode ganz anheimzufallen. Damit
ist eine der Begründungen unseres Schlusses weggeräumt.Die zweite Einwendung wird sagen, es sei nicht berechtigt auf
den Ausdruck, des Teufels leibeigener Sohn zu sein, besonderes
Gewicht zu legen. Das sei eine geläufige Redensart, die jeder so
auffassen könne, wie die geistlichen Herren sie verstanden haben
mögen. Diese übersetzen die in den Verschreibungen versprochene
Sohnschaft nicht in ihr Latein, sondern sagen nur, daß der Maler
sich dem Bösen „mancipavit“, zu eigen gegeben, es auf sich ge-
nommen habe, ein sündhaftes Leben zu führen und Gott und
die heilige Dreieinigkeit zu verleugnen. Warum sollten wir uns
von dieser naheliegenden und ungezwungenen Auffassung ent-
fernen?* Der Sachverhalt wäre dann einfach der, daß sich jemand
in der Qual und Ratlosigkeit einer melancholischen Depression
dem Teufel verschreibt, dem er auch das stärkste therapeutische
Können zutraut. Daß diese Verstimmung aus dem Tod des
Vaters hervorging, komme nicht weiter in Betracht, es hätte auch
ein anderer Anlaß sein können. Das klingt stark und vernünftig.
Gegen die Psychoanalyse erhebt sich wieder der Vorwurf, daß sie
einfache Verhältnisse in spitzfindiger Weise kompliziert, Geheim-
nisse und Probleme dort sieht, wo sie nicht existieren, und daß
sie dies bewerkstelligt, indem sie kleine und nebensächliche Züge,
wie man sie überall finden kann, übermäßig betont und zu
Trägern der weitgehendsten und fremdartigsten Schlüsse erhebt.
Vergeblich würden wir dagegen geltend machen, daß durch1) In der Tat werden wir später, wenn wir erwägen, wann und für wen diese
Verschreibungen abgefaßt wurden, selbst einsehen, daß ihr Text unauffällig und all-
gemein verständlich lauten mußte. Es reicht uns aber hin, wenn er eine Zweideu-
tigkeit bewahrt, an welche auch unsere Auslegung anknüpfen kann.S.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 421
diese Abweisung so viele schlagende Analogien aufgehoben und
feine Zusammenhänge zerrissen werden, die wir in diesem
Falle aufzeigen können. Die Gegner werden sagen, diese Ana-
logien und Zusammenhänge bestehen eben nicht, sondern
werden von uns mit überflüssigem Scharfsinn in den Fall
hineingetragen.Nun, ich werde meine Entgegnung nicht mit den Worten ein-
leiten: seien wir ehrlich oder seien wir aufrichtig, denn das muß
man immer sein können, ohne einen besonderen Anlauf dazu zu
nehmen, sondern ich werde mit schlichten Worten versichern,
daß ich wohl weiß, wenn jemand nicht bereits an die Berechti-
gung der psychoanalytischen Denkweise glaubt, werde er diese
Überzeugung auch nicht aus dem Fall des Malers Chr. Haitzmann
im siebzehnten Jahrhundert gewinnen. Es ist auch gar nicht meine
Absicht, diesen Fall als Beweismittel für die Gültigkeit der Psycho-
analyse zu verwerten; ich setze vielmehr die Psychoanalyse als
gültig voraus und verwende sie dazu, um die dämonologische
Erkrankung des Malers aufzuklären. Die Berechtigung hiezu nehme
ich aus dem Erfolg unserer Forschungen über das Wesen der
Neurosen überhaupt. In aller Bescheidenheit darf man es aus-
sprechen, daß heute selbst die Stumpferen unter unseren Zeit-
und Fachgenossen einzusehen beginnen, daß ein Verständnis der
neurotischen Zustände ohne Hilfe der Psychoanalyse nicht zu
erreichen ist.„Die Pfeile nur erobern Troja, sie allein‘
bekennt der Odysseus in Sophokles’ Philoktet.
Wenn es richtig ist, die Teufelsverschreibung unseres Malers
als neurotische Phantasie anzusehen, so bedarf eine psychoanalyti-
sche Würdigung derselben keiner weiteren Entschuldigung. Auch
kleine Anzeichen haben ihren Sinn und Wert, ganz besonders
unter den Entstehungsbedingungen der Neurose. Man kann sie
freilich ebensowohl überschätzen wie unterschätzen, und es bleibtS.
422 Zur Anwendung der Psychoanalyse
eine Sache des Takts, wie weit man in ihrer Verwertung gehen
will. Wenn aber jemand nicht an die Psychoanalyse und nicht ein-
mal an den Teufel glaubt, muß es ihm überlassen bleiben, was
er mit dem Fall des Malers anfangen will, sei es, daß er dessen
Erklärung aus eigenen Mitteln bestreiten kann, sei es, daß er
nichts der Erklärung Bedürftiges an ihm findet.Wir kehren also zu unserer Annahme zurück, daß der Teufel,
dem unser Maler sich verschreibt, ihm ein direkter Vaterersatz
ist. Dazu stimmt auch die Gestalt, in der er ihm zuerst erscheint,
als ehrsamer älterer Bürgersmann mit braunem Vollbart, in rotem
Mantel, schwarzem Hut, die Rechte auf den Stock gestützt, einen
schwarzen Hund neben sich (Bild 1). Später wird seine Erschei-
nung immer schreckhafter, man möchte sagen mythologischer:
Hörner, Adlerklauen, Fledermausflügel werden zu ihrer Ausstattung
verwendet. Zum Schluß erscheint er in der Kapelle als fliegender
Drache. Auf ein bestimmtes Detail seiner körperlichen Gestaltung
werden wir später zurückkommen müssen.Daß der Teufel zum Ersatz eines geliebten Vaters gewählt
wird, klingt wirklich befremdend, aber doch nur, wenn wir zum
erstenmal davon hören, denn wir wissen mancherlei, was die
Überraschung mindern kann. Zunächst, daß Gott ein Vaterersatz
ist oder richtiger: ein erhöhter Vater oder noch anders: ein Nach-
bild des Vaters, wie man ihn in der Kindheit sah und erlebte,
der Einzelne in seiner eigenen Kindheit und das Menschen-
geschlecht in seiner Vorzeit als Vater der primitiven Urhorde.
Später sah der Einzelne seinen Vater anders und geringer, aber
das kindliche Vorstellungsbild blieb erhalten und verschmolz mit
der überlieferten Erinnerungsspur des Urvaters zur Gottesvor-
stellung des Einzelnen. Wir wissen auch aus der Geheimgeschichte
des Individuums, welche die Analyse aufdeckt, daß das Verhältnis
zu diesem Vater vielleicht vom Anfang an ein ambivalentes war,1) Aus einem solchen schwarzen Hund entwickelt sich bei Goethe der Teufel
selbst.S.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 425
jedenfalls bald so wurde, d. h. es umfaßte zwei einander ent-
gegengesetzte Gefühlsregungen, nicht nur eine zärtlich unter-
würfige, sondern auch eine feindselig trotzige. Dieselbe Ambi-
valenz beherrscht nach unserer Auffassung das Verhältnis der
Menschenart zu ihrer Gottheit. Aus dem nicht zu Ende ge-
kommenen Widerstreit von Vatersehnsucht einerseits, Angst und
Sohnestrotz anderseits haben wir uns wichtige Charaktere und
entscheidende Schicksale der Religionen erklärt.Vom bösen Dämon wissen wir, daß er als Widerpart Gottes
gedacht ist und doch seiner Natur sehr nahe steht. Seine Geschichte
ist allerdings nicht so gut erforscht wie die Gottes, nicht alle
Religionen haben den bösen Geist, den Gegner Gottes, aufge-
nommen, sein Vorbild im individuellen Leben bleibt zunächst im
Dunkeln. Aber eines steht fest, Götter können zu bösen Dämonen
werden, wenn neue Götter sie verdrängen. Wenn ein Volk von
einem anderen besiegt wird, so wandeln sich die gestürzten Götter
der Besiegten nicht selten für das Siegervolk in Dämonen um.
Der böse Dämon des christlichen Glaubens, der Teufel des Mittel-
alters, war nach der christlichen Mythologie selbst ein gefallener
Engel und gottgleicher Natur. Es braucht nicht viel analytischen
Scharfsinns, um zu erraten, daß Gott und Teufel ursprünglich
identisch waren, eine einzige Gestalt, die später in zwei mit
entgegengesetzten Eigenschaften zerlegt wurde” In den Ur-
zeiten der Religionen trug Gott selbst noch alle die schreckenden
Züge, die in der Folge zu einem Gegenstück von ihm vereinigt
wurden.Es ist der von uns wohlbekannte Vorgang der Zerlegung einer
Vorstellung mit gegensinnigem — ambivalentem — Inhalt in
zwei scharf kontrastierende Gegensätze. Die Widersprüche in der
ursprünglichen Natur Gottes sind aber eine Spiegelung der Am-3) Siehe Totem und Tabu und im Einzelnen Th. Reik, Probleme der Religions-
Psychologie I, 1919.2) Siehe Th. Reik, Der eigene und der fremde Gott (Imago-Bücher III, 1935)
im Kapitel: Gott und Teufel.S.
424 Zur Anwendung der Psychoanalyse
bivalenz, welche das Verhältnis des Einzelnen zu seinem persön-
lichen Vater beherrscht. Wenn der gütige und gerechte Gott ein
Vaterersatz ist, so darf man sich nicht darüber wundern, daß auch
die feindliche Einstellung, die ihn haßt und fürchtet und sich
über ihn beklagt, in der Schöpfung des Satans zum Ausdruck
gekommen ist. Der Vater wäre also das individuelle Urbild sowohl
Gottes wie des Teufels. Die Religionen würden aber unter der
untilgbaren Nachwirkung der Tatsache stehen, daß der primitive
Urvater ein uneingeschränkt böses Wesen war, Gott weniger ähnlich
als dem Teufel.Freilich, so leicht ist es nicht, die Spur der satanischen Auf-
fassung des Vaters im Seelenleben des Einzelnen aufzuzeigen.
Wenn der Knabe Fratzen und Karikaturen zeichnet, so gelingt
es etwa nachzuweisen, daß er in ihnen den Vater verhöhnt, und
wenn beide Geschlechter sich nächtlicherweise vor Räubern und
Einbrechern schrecken, so hat die Erkennung derselben als Ab-
spaltungen des Vaters keine Schwierigkeit." Auch die in den Tier-
phobien der Kinder auftretenden Tiere sind am häufigsten Vater-
ersatz wie in der Urzeit das Totemtier. So deutlich aber wie bei
unserem neurotischen Maler des siebzehnten Jahrhunderts hört
man sonst nicht, daB der Teufel ein Nachbild des Vaters ist und
als Ersatz für ihn eintreten kann. Darum sprach ich eingangs
dieser Arbeit die Erwartung aus, eine solche dämonologische
Krankengeschichte werde uns als gediegenes Metall zeigen, was
in den Neurosen einer späteren, nicht mehr abergläubischen
aber dafür hypochondrischen Zeit mühselig durch analytische
Arbeit aus dem Erz der Einfälle und Symptome dargestellt werden
muß.ı) Als Einbrecher erscheint der Vater Wolf auch in dem bekannten Märchen
von den sieben Geißlein.2) Wenn es uns so selten gelingt, in unseren Analysen den Teufel als Vaterersatz
aufzufinden, so mag dies darauf hinweisen, daß diese Figur der mittelalterlichen
Mythologie bei den Personen, die sich unserer Analyse unterziehen, ihre Rolle längst
ausgespielt hat. Dem frommen Christen früherer Jahrhunderte war der Glaube an
den Teufel nicht weniger Pflicht als der Glaube an Gott. In der Tat brauchte erS.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 425
Stärkere Überzeugung werden wir wahrscheinlich gewinnen,
wenn wir tiefer in die Analyse der Erkrankung bei unserem
Maler eindringen. Daß ein Mann durch den Tod seines Vaters
eine melancholische Depression und Arbeitshemmung erwirbt, ist
nichts Ungewöhnliches. Wir schließen daraus, daß er an diesem
Vater mit besonders starker Liebe gehangen hat, und erinnern
uns daran, wie oft auch die schwere Melancholie als neurotische
Form der Trauer auftritt.Darin haben wir gewiß recht, nicht aber, wenn wir weiter
schließen, daß dies Verhältnis eitel Liebe gewesen sei. Im Gegen-
teil, eine Trauer nach dem Verlust des Vaters wird sich um so
eher in Melancholie umwandeln, je mehr das Verhältnis zu ihm
im Zeichen der Ambivalenz stand. Die Hervorhebung dieser Am-
bivalenz bereitet uns aber auf die Möglichkeit der Erniedrigung
des Vaters vor, wie sie in der Teufelsneurose des Malers zum
Ausdruck kommt. Könnten wir nun von Chr. Haitzmann so viel
erfahren wie von einem Patienten, der sich unserer Analyse unter-
zieht, so wäre es ein leichtes, diese Ambivalenz zu entwickeln,
ihm zur Erinnerung zu bringen, wann und bei welchen Anlässen
er Grund bekam, seinen Vater zu fürchten und zu hassen, vor
allem aber die akzidentellen Momente aufzudecken, die zu den
typischen Motiven des Vaterhasses hinzugekommen sind, welche
in der natürlichen Sohn-Vaterbeziehung unvermeidlich wurzeln.
Vielleicht fände dann die Arbeitshemmung eine spezielle Auf-
klärung. Es ist möglich, daß der Vater sich dem Wunsch des
Sohnes, Maler zu werden, widersetzt hatte; dessen Unfähigkeit,
seine Kunst nach dem Tode des Vaters auszuüben, wäre dann
einerseits ein Ausdruck des bekannten „nachträglichen Gehorsams“,den Teufel, um an Gott festhalten zu können. Der Rückgang der Gläubigkeit hat
dann aus verschiedenen Gründen zuerst und zunächst die Person des Teufels be-
troffen.Wenn man sich getraut, die Idee des Teufels als Vaterersatz kulturgeschichtlich
zu verwerten, so kann man auch die Hexenprozesse des Mittelalters in einem nenen
Lichte sehen.S.
226 Zur Anwendung der Psychoanalyse
anderseits würde sie, die den Sohn zur Selbsterhaltung unfähig
macht, die Sehnsucht nach dem Vater als Beschützer vor der
Lebenssorge steigern müssen. Als nachträglicher Gehorsam wäre
sie auch eine Äußerung der Reue und eine erfolgreiche Selbst-
bestrafung.Da wir eine solche Analyse mit Chr. Haitzmann, + 1700, nicht
anstellen können, müssen wir uns darauf beschränken, diejenigen
Züge seiner Krankengeschichte hervorzuheben, welche auf die
typischen Anlässe zu einer negativen Vatereinstellung hinweisen
können. Es sind nur wenige, nicht sehr auffällig, aber recht
interessant.Vorerst die Rolle der Zahl Neun. Der Pakt mit dem Bösen
wird auf neun Jahre geschlossen. Der gewiß unverdächtige Be-
richt des Pfarrers von Pottenbrunn äußert sich klar darüber: pro
novem annis Syngraphen scriptam tradidit. Dieser vom ı. Sep-
tember 1677 datierte Geleitbrief weiß auch anzugeben, daß die
Frist in wenigen Tagen abgelaufen wäre: quorum et finis 24
mensis hujus futurus appropinguat. Die Verschreibung wäre also
am 24. September ı668 erfolgt.‘ Ja in diesem Bericht hat die
Zahl Neun noch eine andere Verwendung. Nonies — neunmal —
will der Maler den Versuchungen des Bösen widerstanden haben,
ehe er sich ihm ergab. Dies Detail wird in den späteren Berichten
nicht mehr erwähnt; „Post annos novem“ heißt es dann auch
im Attest des Abtes und „ad novem annos“, wiederholt der Kom-
pilator in seinem Auszug, ein Beweis, daß diese Zahl nicht als
gleichgültig angesehen wurde.Die Neunzahl ist uns aus neurotischen Phantasien wohl be-
kannt. Sie ist die Zahl der Schwangerschaftsmonate und lenkt, wo
immer sie vorkommt, unsere Aufmerksamkeit auf eine Schwanger-
schaftsphantasie hin. Bei unserem Maler handelt es sich freilich
um neun Jahre, nicıt um neun Monate, und die Neun, wird1) Der Widerspruch, daß die wiedergegebenen Verschreibungen beide die Jahres-
zahl 1669 zeigen, wird uns später beschäftigen.S.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 427
man sagen, ist auch sonst eine bedeutungsvolle Zahl. Aber wer
weiß, ob die Neun nicht überhaupt ein gutes Teil ihrer Heilig-
keit ihrer Rolle in der Schwangerschaft verdankt; und die Wand-
lung von neun Monaten zu neun Jahren braucht uns nicht zu
beirren. Wir wissen vom Traum her, wie die „unbewußte Geistes-
tätigkeit“ mit den Zahlen umspringt, Treffen wir z. B. im Traum
auf eine Fünf, so ist diese jedesmal auf eine bedeutsame Fünf des
Wachlebens zurückzuführen, aber in der Realität waren es fünf
Jahre Altersunterschied oder eine Gesellschaft von fünf Personen,
im Traum erscheinen sie als fünf Geldscheine oder fünf Stücke
Obst. Das heißt die Zahl wird beibehalten, aber ihr Nenner be-
liebig, je nach den Anforderungen der Verdichtung und Verschie-
bung vertauscht. Neun Jahre im Traum können also ganz leicht
neun Monaten der Wirklichkeit entsprechen. Auch spielt die
Traumarbeit noch in anderer Weise mit den Zahlen des Wach-
lebens, indem sie mit souveräner Gleichgültigkeit sich um die
Nullen nicht bekümmert, sie gar nicht wie Zahlen behandelt.
Fünf Dollars im Traum können fünfzig, fünfhundert, fünftausend
Dollars der Realität vertreten.Ein anderes Detail in den Beziehungen des Malers zum Teufel
weist uns gleichfalls auf die Sexualität hin. Das erstemal sieht
er, wie schon erwähnt, den Bösen in der Erscheinung eines ehr-
samen Bürgers. Aber schon das nächste Mal ist er nackt, miß-
gestaltet und hat zwei Paar weiblicher Brüste. Die Brüste, bald
einfach, bald mehrfach vorhanden, fehlen nun in keiner der fol-
genden Erscheinungen. Nur in einer derselben zeigt der Teufel
außer den Brüsten einen großen, in eine Schlange auslaufenden
Penis. Diese Betonung des weiblichen Geschlechtscharakters durch
große, hängende Brüste (nie findet sich eine Andeutung des weib-
lichen Genitales) muß uns als auffälliger Widerspruch gegen
unsere Annahme erscheinen, der Teufel bedeute unserem Maler
einen Vaterersatz. Eine solche Darstellung des Teufels ist auch
an und für sich ungewöhnlich. Wo Teufel ein GattungsbegriffS.
428 Zur Anwendung der Psychoanalyse
ist, also Teufel in der Mehrzahl auftreten, hat auch die Dar-
stellung von weiblichen Teufeln nichts Befremdendes, aber daß
der eine Teufel, der eine große Individualität ist, der Herr der
Hölle und Widersacher Gottes, anders als männlich, ja übermänn-
lich mit Hörnern, Schweif und großer Penisschlange gebildet
werde, scheint mir nicht vorzukommen.Aus diesen beiden kleinen Anzeichen läßt sich doch erraten,
welches typische Moment den negativen Anteil seines Vaterver-
hältnisses bedingt. Das, wogegen er sich sträubt, ist die feminine
Einstellung zum Vater, die in der Phantasie, ihm ein Kind zu
gebären (neun Jahre) gipfelt. Wir kennen diesen Widerstand genau
aus unseren Analysen, wo er in der Übertragung sehr merkwür-
dige Formen annimmt und uns viel zu schaffen macht. Mit der
Trauer um den verlorenen Vater, mit der Steigerung der Sehn-
sucht nach ihm, wird bei unserem Maler auch die längst ver-
drängte Schwangerschaftsphantasie reaktiviert, gegen die er sich
durch Neurose und Vatererniedrigung wehren muß.Warum trägt aber der zum Teufel herabgesetzte Vater das
körperliche Merkmal des Weibes an sich? Dieser Zug erscheint
anfangs schwer deutbar, bald aber ergeben sich zwei Erklärungen
für ihn, die miteinander konkurrieren ohne einander auszuschließen.
Die feminine Einstellung zum Vater unterlag der Verdrängung,
sobald der Knabe verstand, daß der Wettbewerb mit dem Weib
um die Liebe des Vaters das Aufgeben des eigenen männlichen
Genitales, also die Kastration, zur Bedingung hat. Die Ablehnung
der femininen Einstellung ist also die Folge des Sträubens gegen
die Kastration, sie findet regelmäßig ihren stärksten Ausdruck in
der gegensätzlichen Phantasie, den Vater selbst zu kastrieren, ihn
zum Weib zu machen. Die Brüste des Teufels entsprächen also
einer Projektion der eigenen Weiblichkeit auf den Vaterersatz.
Die andere Erklärung dieser Ausstattung des Teufelskörpers hat
nicht mehr feindseligen, sondern zärtlichen Sinn; sie erblickt in
dieser Gestaltung ein Anzeichen dafür, daß die infantile Zärtlich-S.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 429
keit von der Mutter her auf den Vater verschoben worden ist,
und deutet so eine starke, vorgängige Mutterfixierung an, die
ihrerseits wieder für ein Stück der Feindseligkeit gegen den Vater
verantwortlich ist. Die großen Brüste sind das positive Geschlechts-
kennzeichen der Mutter, auch zu einer Zeit, wo der negative
Charakter des Weibes, der Penismangel, dem Kinde noch nicht
bekannt ist.‘Wenn das Widerstreben gegen die Annahme der Kastration
unserem Maler die Erledigung seiner Vatersehnsucht unmöglich
macht, so ist es überaus verständlich, daß er sich um Hilfe und
Rettung an das Bild der Mutter wendet. Darum erklärt er, daß
nur die heilige Mutter Gottes von Mariazell ihn vom Pakt mit
dem Teufel lösen kann, und erhält am Geburtstag der Mutter
(8. September) seine Freiheit wieder. Ob der Tag, an dem der
Pakt geschlossen wurde, der 24. September, nicht auch ein in
ähnlicher Weise ausgezeichneter Tag war, werden wir natürlich
nie erfahren.Kaum ein anderes Stück der psychoanalytischen Ermittlungen
aus dem Seelenleben des Kindes klingt dem normalen Erwachsenen
so abstoßend und unglaubwürdig wie die feminine Einstellung
zum Vater und die aus ihr folgende Schwangerschaftsphantasie
des Knaben. Wir können erst ohne Besorgnis und ohne Bedürfnis
nach Entschuldigung von ihr reden, seitdem der sächsische Senats-
präsident Daniel Paul Schreber die Geschichte seiner psycho-
tischen Erkrankung und weitgehenden Herstellung bekannt gemacht
hat.” Aus dieser unschätzbaren Veröffentlichung erfahren wir, daß
der Herr Senatspräsident etwa um das fünfzigste Jahr seines Lebens
die sichere Überzeugung bekam, daß Gott — der übrigens deut-
liche Züge seines Vaters, des verdienten Arztes Dr. Schreber an1) Vgl. Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci [Ges. Schriften, Bd. IX].
2) D. P. Schreber, Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, Leipzig ı903. Vgl.
meine Analyse des Falles Schreber [Psychoanalytische Bemerkungen über einen
autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia. Ges. Schriften, Bd. VII].S.
430 Zur Anwendung der Psychoanalyse
sich trägt — den Entschluß gefaßt, ihn zu entmannen, als Weib
zu gebrauchen und aus ihm neue Menschen von Schreberschem
Geist entstehen zu lassen. (Er war selbst in seiner Ehe kinderlos
geblieben.) An dem Sträuben gegen diese Absicht Gottes, welche
ihm höchst ungerecht und „weltordnungswidrig“ vorkam, er-
krankte er unter den Erscheinungen einer Paranoia, die sich aber
im Laufe der Jahre bis auf einen geringen Rest rückbildete. Der
geistvolle Verfasser seiner eigenen Krankengeschichte konnte wohl
nicht ahnen, daß er in ihr ein typisches pathogenes Moment auf-
gedeckt hatte.Dieses Sträuben gegen die Kastration oder die feminine Ein-
stellung hat Alf. Adler aus seinen organischen Zusammenhängen
gerissen, in seichte oder falsche Beziehungen zum Machtstreben
gebracht und als „männlichen Protest“ selbständig hingestellt. Da
eine Neurose immer nur aus dem Konflikt zweier Strebungen
hervorgehen kann, ist es ebenso berechtigt, im männlichen Protest
die Verursachung „aller“ Neurosen zu sehen wie in der femininen
Einstellung, gegen welche protestiert wird. Richtig ist, daß dieser
männliche Protest einen regelmäßigen Anteil an der Charakter-
bildung hat, bei manchen Typen einen sehr großen, und daß er uns
als scharfer Widerstand bei der Analyse neurotischer Männer ent-
gegentritt. Die Psychoanalyse würdigt den männlichen Protest im
Zusammenhang des Kastrationskomplexes, ohne seine Allmacht
oder Allgegenwart bei den Neurosen vertreten zu können. Der
ausgeprägteste Fall von männlichem Protest in allen manifesten
Reaktionen und Charakterzügen, der meine Behandlung aufgesucht
hat, bedurfte ihrer wegen einer Zwangsneurose mit Obsessionen,
in denen der ungelöste Konflikt zwischen männlicher und weib-
licher Einstellung (Kastrationsangst und Kastrationslust) zu deut-
lichem Ausdruck kam. Überdies hatte der Patient masochistische
Phantasien entwickelt, die durchaus auf den Wunsch, die Kastra-
tion anzunehmen, zurückgingen, und war selbst von diesen Phan-
tasien zur realen Befriedigung in perversen Situationen vorge-S.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 451
schritten. Das Ganze seines Zustandes beruhte — wie die Adler-
sche Theorie überhaupt — auf der Verdrängung, Verleugnung
frühinfantiler Liebesfixierungen.Der Senatspräsident Schreber fand seine Heilung, als er sich
entschloß, den Widerstand gegen die Kastration aufzugeben und
sich. in die ihm von Gott zugedachte weibliche Rolle zu fügen.
Er wurde dann klar und ruhig, konnte seine Entlassung aus der
Anstalt selbst durchsetzen und führte ein normales Leben bis auf
den einen Punkt, daß er einige Stunden täglich der Pflege seiner
Weiblichkeit widmete, von deren langsamem Fortschreiten bis zu
dem von Gott bestimmten Ziel er überzeugt blieb.WV
DIE ZWEI VERSCHREIBUNGENEin merkwürdiges Detail in der Geschichte unseres Malers ist
die Angabe, daß er dem Teufel zwei verschiedene Verschrei
bungen ausgestellt. .Die erste, mit schwarzer Tinte geschriebene, hatte den Wortlaut:
„Ich Chr. H. undterschreibe mich diesen Herrn sein leibeigener
Sohn auff 9 Jahr.“Die zweite, mit Blut geschrieben, lautet:
„Ch. H. Ich verschreibe mich dißen Satan ich sein leibeigener
Sohn zu sein vnd in 9. Jahr ihm mein Leib und Seel zuzuge-
heren.“Beide sollen zur Zeit der Abfassung des Trophaeum im Archiv
von Mariazell im Original vorhanden gewesen sein, beide tragen
die nämliche Jahreszahl 1669.Ich habe die beiden Verschreibungen bereits mehrmals erwähnt
und unternehme es jetzt, mich eingehender mit ihnen zu be-
schäftigen, obwohl gerade hier die Gefahr, Kleinigkeiten zu über-
schätzen, besonders drohend erscheint.S.
452 Zur Anwendung der Psychoanalyse
Die Tatsache, daß sich einer dem Teufel zweimal verschreibt,
so daß die erste Schrift durch die zweite ersetzt wird, ohne aber
ihre eigene Gültigkeit zu verlieren, ist ungewöhnlich. Vielleicht
befremdet sie andere weniger, die mit dem Teufelsstoff vertrauter
sind. Ich konnte nur eine besondere Eigentümlichkeit unseres
Falles darin sehen und wurde mißtrauisch, als ich fand, daß die
Berichte gerade in diesem Punkt nicht zusammenstimmen. Die
Verfolgung dieser Widersprüche wird uns in unerwarteter Weise
zu einem tieferen Verständnis der Krankengeschichte leiten.Das Geleitschreiben des Pfarrers von Pottenbrunn weist die
einfachsten und klarsten Verhältnisse auf. In ihm ist nur von
einer Verschreibung die Rede, die der Maler vor neun Jahren
mit Blut gefertigt, und die nun in den nächsten Tagen, am
24. September fällig wird, sie wäre also am 24. September 1668
ausgestellt worden; leider ist diese Jahreszahl, die sich mit Sicher-
heit ableiten läßt, nicht ausdrücklich genannt.Der Attest des Abtes Franciscus, wie wir wissen, wenige Tage
später datiert (12. Sept. 1677), erwähnt bereits. einen komplizier-
teren Sachverhalt. Es liegt nahe anzunehmen, daß der Maler in-
zwischen genauere Mitteilungen gemacht hatte. In diesem Attest
wird erzählt, daß der Maler zwei Verschreibungen von sich ge-
geben, die eine im Jahre ı668 (wie es auch nach dem Geleit-
brief sein müßte) mit schwarzer Tinte geschrieben, die andere
aber sequenti anno 1669 mit Blut geschrieben. Die Verschreibung,
die er am Tage Mariä Geburt zurückbekam, war die mit Blut
geschriebene, also die spätere, 1669 ausgestellte. Dies geht nicht
aus dem Attest des Abtes hervor, denn dort heißt es im weiteren
einfach: schedam redderet und schedam sibi porrigentem con-
spexisset, als ob es sich nur um ein einziges Schriftstück handeln
könnte. Aber wohl folgt es aus dem weiteren Verlauf der Ge-
schichte sowie aus dem farbigen Titelblatt des Trophaeum, wo
auf dem Zettel, den der dämonische Drache hält, deutlich rote
Schrift zu sehen ist. Der weitere Verlauf ist, wie bereits erwähntS.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 433
der, daß der Maler im Mai ı678 nach Mariazell wiederkehrt,
nachdem er in Wien neuerliche Anfechtungen des Bösen erfahren,
und das Ansuchen stellt, es möge ihm durch einen neuerlichen
Gnadenakt der heiligen Mutter auch dies erste, mit Tinte ge-
schriebene Dokument wiedergegeben werden. Auf welche Weise
dies geschieht, wird nicht mehr so ausführlich wie das erstemal
beschrieben. Es heißt nur gquä iuxta votum reddita und an an-
derer Stelle erzählt der Kompilator, daß gerade diese Verschrei-
bung „zusammengeknäult und in vier Stücke zerrissen“ dem Maler
am 9. Mai ı678 um die neunte Abendstunde vom Teufel zuge-
worfen wurde.Die Verschreibungen tragen aber beide dasselbe Datum: Jahr
1669.Dieser Widerspruch bedeutet entweder gar nichts oder er führt
auf folgende Spur:Wenn wir von der Darstellung des Abtes als der ausführ-
licheren ausgehen, ergeben sich mancherlei Schwierigkeiten.
Als Chr. H. dem Pfarrer von Pottenbrunn bekannte, er sei in
Teufelsnöten, der Termin laufe bald ab, kann er (im Jahre 1677)
nur an die im Jahre ı668 ausgestellte Verschreibung gedacht
haben, also an die erste, schwarze (die im Geleitbrief allerdings
einzig genannt und als die blutige bezeichnet wird). Wenige
Tage später, in Mariazell, bekümmert er sich aber nur darum,
die spätere, blutige, zurückzubekommen, die noch gar nicht fällig
ist (1669— 1677), und läßt die erste überfällig werden. Diese
wird erst 1678, also im zehnten Jahr zurückerbeten. Ferner,
warum sind beide Verschreibungen aus dem gleichen Jahr 1669
datiert, wenn die eine ausdrücklich „anno subsequenti“ zu-
geteilt ist?Der Kompilator muß diese Schwierigkeiten verspürt haben,
denn er macht einen Versuch, sie zu beheben. In seiner Einleitung
schließt er sich der Darstellung des Abtes an, modifiziert sie aber
in einem Punkte. Der Maler, sagt er, habe sich im Jahre 1669Freud, X. 28
S.
454 Zur Anwendung der Psychoanalyse
dem Teufel mit Tinte verschrieben, „deinde vero“, später aber
mit Blut. Er setzt sich also über die ausdrückliche Angabe der
beiden Berichte, daß eine Verschreibung ins Jahr 1668 fällt, hinweg
und vernachlässigt die Bemerkung im Attest des Abtes, daB sich
zwischen beiden Verschreibungen die Jahreszahl geändert, um im
Einklang mit der Datierung der beiden, vom Teufel zurückge-
gebenen Schriftstücke zu bleiben.Im Attest des Abtes findet sich nach den Worten sequenti vero
anno 1669 eine in Klammern eingeschlossene Stelle, welche lautet:
sumitur hic alter annus pro nondum completo uti saepe in lo-
quendo fieri solet, nam eundum annum indicant Syngraphae quarum
atramenio scripta ante praesentem altestationem nondum habita
fuit. Diese Stelle ist ein unzweifelhaftes Einschiebsel des Kom-
pilators, denn der Abt, der nur eine Verschreibung gesehen hat,
kann doch nicht aussagen, daß beide dasselbe Datum tragen. Sie
soll wohl auch durch die Klammern als ein dem Zeugnis fremder
Zusatz kenntlich gemacht werden. Was sie enthält, ist ein anderer
Versuch des Kompilators, die vorliegenden Widersprüche zu ver-
söhnen. Er meint, es sei zwar richtig, daß die erste Verschreibung
im Jahre ı668 gegeben worden ist, aber da das Jahr schon vor-
gerückt war (September), habe der Maler sie um ein Jahr vor-
datiert, so daß beide Verschreibungen die gleiche Jahreszahl zeigen
konnten. Seine Berufung darauf, man mache es ja im mündlichen
Verkehr oft ähnlich, verurteilt wohl diesen ganzen Erklärungs-
versuch als eine „faule Ausrede“.Ich weiß nun nicht, ob meine Darstellung dem Leser irgend
einen Eindruck gemacht und ob sie ihn in Stand gesetzt hat,
sich für diese Winzigkeiten zu interessieren. Ich fand es unmöglich,
den richtigen Sachverhalt in unzweifelhafter Weise festzustellen,
bin aber beim Studium dieser verworrenen Angelegenheit auf eine
Vermutung gekommen, die den Vorzug hat, den natürlichsten Her-
gang einzusetzen, wenngleich die schriftlichen Zeugnisse sich auch
ihr nicht völlig fügen.S.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 435
Ich meine, als der Maler zuerst nach Mariazell kam, sprach er
nur von einer regelrecht mit Blut geschriebenen Verschreibung,
die bald verfallen sollte, also im September ı668 gegeben war,
ganz so wie esim Geleitbrief des Pfarrers mitgeteilt ist. In Mariazell
präsentierte er auch diese blutige Verschreibung als diejenige, die
ihm der Dämon unter dem Zwang der heiligen Mutter zurück-
gegeben hatte. Wir wissen, was’ weiter geschah. Der Maler ver-
ließ bald darauf den Gnadenort und ging nach Wien, wo er sich
auch bis Mitte Oktober frei fühlte. Aber dann fingen Leiden und
Erscheinungen, in denen er das Werk des bösen Geistes sah,
wieder an. Er fühlte sich wieder erlösungsbedürftig, fand sich
aber vor der Schwierigkeit, aufzuklären, warum ihm die Beschwö-
rung in der heiligen Kapelle keine dauernde Erlösung gebracht
hatte. Als ungeheilter Rückfälliger wäre er wohl in Mariazell
nicht willkommen gewesen. In dieser Not erfand er eine frühere,
erste Verschreibung, die aber mit Tinte geschrieben sein sollte,
damit ihr Zurückstehen gegen eine spätere, blutige, plausibel
erscheinen konnte. Nach Mariazell zurückgekommen, ließ er sich
auch diese angeblich erste Verschreibung zurückgeben. Dann
hatte er Ruhe vor dem Bösen, allerdings tat er gleichzeitg etwas
anderes, was uns auf den Hintergrund dieser Neurose hinweisen
wird.Die Zeichnungen fertigte er gewiß erst bei seinem zweiten
Aufenthalt in Mariazell an; das einheitlich komponierte Titelblatt
enthält die Darstellung beider Verschreibungsszenen. Bei dem
Versuch, seine neueren Angaben mit seinen früheren in Einklang
zu bringen, mag er wohl in Verlegenheiten geraten sein. Es war
für ihn ungünstig, daß er nur eine frühere, nicht eine spätere
Verschreibung hinzudichten konnte. So konnte er das ungeschickte
Ergebnis nicht vermeiden, daß er die eine, die blutige Verschrei-
bung zu früh (im achten Jahr), die andere, die schwarze, zu spät
(im zehnten Jahr) eingelöst hatte. Als verräterische Anzeichen
seiner zweifachen Redaktion ereignete es sich ihm, daß er sich28*
S.
456 Zur Anwendung der Psychoanalyse
in der Datierung der Verschreibungen irrte und auch die frühere
in das Jahr ı669 setzte. Dieser Irrtum hat die Bedeutung einer
ungewollten Aufrichtigkeit; er läßt uns erraten, daß die angeblich
frühere Verschreibung zu einem späteren Termin hergestellt wurde.
Der Kompilator, der den Stoff gewiß nicht früher als 1714, viel-
leicht erst 1729 zur Bearbeitung übernahm, mußte sich bemühen,
die nicht unwesentlichen Widersprüche, so gut er konnte, weg-
zuschaffen. Da die beiden Verschreibungen, die ihm vorlagen, auf
166g lauteten, half er sich durch die Ausrede, die er in das
Zeugnis des Abtes einschaltete.Man erkennt leicht, worin die Schwäche dieser sonst anspre-
chenden Konstruktion gelegen ist. Die Angabe zweier Verschrei-
bungen, einer schwarzen und einer blutigen, findet sich bereits
im Zeugnis des Abtes Franciscus. Ich habe also die Wahl, ent-
weder dem Kompilator unterzuschieben, daß er an diesem Zeugnis
im engen Anschluß an seine Einschaltung auch etwas geändert
hat, oder ich muß bekennen, daß ich die Verwirrung nicht zulösen vermag."
1) Der Kompilator, meine ich, fand sich zwischen zwei fixen Punkten eingeengt.
Einerseits fand er sowohl im Geleitbrief des Pfarrers wie im Attest des Abtes die
Angabe, daß die Verschreibung (zumindest die erste) im Jahre 1668 ausgestellt
worden sei, anderseits zeigten beide im Archiv aufbewahrten Verschreibungen die
Jahreszahl 1669; da er zwei Verschreibungen vor sich liegen hatte, stand es für ihn
fest, daß zwei Verschreibungen erfolgt waren. Wenn im Zeugnis des Abtes mur von
einer die Rede war, wie ich glaube, so mußte er in dieses Zeugnis die Erwähnung
der anderen einsetzen und dann den Widerspruch durch die Annahme einer Vor-
datierung aufheben. Die Abänderung des Textes, die er vomahm, stößt an die Ein-
schaltung, die nur von ihm herrühren kann, unmittelbar an. Er war gezwungen,
Einschaltung und Abänderung durch die Worte sequenti vero anno 1669 zu verbinden,
weil der Maler in der (schr beschädigten) Legende zum Titelbilde ausdrücklich
geschrieben hatte:Nach einem Jahr würd: Er
. schrökhliche betrohungen in ab-
gestalt Nr. 2 bezwungen sich,
....n Bluut zu verschreiben,Das „Verschreiben“ des Malers, als er die Syngraphae anfertigte, durch das ich
zu meinem Erklärungsversuch genötigt worden bin, erscheint mir nicht weniger
interessant als seine Verschreibungen selbst.S.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 437
Die ganze Diskussion wird den Lesern längst überflüssig und
die in ihr behandelten Details zu unwichtig erschienen sein. Aber
die Sache gewinnt ein neues Interesse, wenn man sie nach einer
bestimmten Richtung hin verfolgt.Ich habe eben vom Maler ausgesagt, daß er, durch den Ver-
lauf seiner Krankheit unliebsam überrascht, eine frühere Verschrei-
bung (die mit Tinte) erfunden habe, um seine Position gegen
die geistlichen Herren in Mariazell behaupten zu können. Nun
schreibe ich für Leser, die zwar an die Psychoanalyse glauben,
aber nicht an den Teufel, und diese könnten mir vorhalten, es
sei unsinnig, dem armen Kerl von Maler — hunc miserum nennt
ihn der Geleitbrief — einen solchen Vorwurf zu machen. Die
blutige Verschreibung war ja genau so phantasiert wie die an-
geblich frühere mit Tinte. In Wirklichkeit ist ihm ja überhaupt
kein Teufel erschienen, der ganze Pakt mit dem Teufel existierte
ja nur in seiner Phantasie. Ich sehe das ein; man kann dem
Armen das Recht nicht bestreiten, seine ursprüngliche Phantasie
durch eine neue zu ergänzen, wenn die geänderten Verhältnisse
es zu erfordern schienen.Aber auch hier gibt es noch eine Fortsetzung. Die beiden Ver-
schreibungen sind ja nicht Phantasien wie die Teufelsvisionen; sie
waren Dokumente, nach der Versicherung des Abschreibers wie
nach dem Zeugnis des spätereren Abtes Kilian im Archiv von
Mariazell für alle sichtbar und greifbar aufbewahrt. Also stehen
wir hier vor einem Dilemma. Entweder haben wir anzunehmen,
daß der Maler die beiden ihm angeblich durch göttliche Huld
zurückgestellten Schedae selbst zur Zeit verfertigt, da er sie brauchte,
oder wir müssen den geistlichen Herren von Mariazell und Sankt
Lambert trotz aller feierlichen Versicherungen, Bestätigungen durch
Zeugen mit beigefügten Siegeln usw. die Glaubwürdigkeit ver-
weigern. Ich gestehe, die Verdächtigung der geistlichen Herren
fiele mir nicht leicht. Ich neige zwar zur Annahme, daß der
Kompilator im Interesse der Konkordanz einiges am Zeugnis desS.
458 Zur Anwendung der Psychoanalyse
ersten Abtes verfälscht hat, aber diese „sekundäre Bearbeitung“
geht nicht weit über ähnliche Leistungen, auch moderner und
weltlicher Geschichtsschreiber, hinaus und geschah jedenfalls im
guten Glauben. Nach anderer Richtung haben sich die geistlichen
Herren gegründeten Anspruch auf unser Vertrauen erworben. Ich
sagte es schon, nichts hätte sie hindern können, die Berichte über
die Unvollständigkeit der Heilung und die Fortdauer der Ver-
suchungen zu unterdrücken, und auch die Schilderung der Be-
schwörungsszene in der Kapelle, der man mit einigem Bangen
entgegensehen durfte, ist nüchtern und glaubwürdig geraten. Es
bleibt also. nichts übrig, als den Maler zu beschuldigen. Die rote
Verschreibung hatte er wohl bei sich, als er sich zum Bußgebet
in die Kapelle begab, und zog sie dann hervor, als er von seiner
Begegnung mit dem Dämon zu den geistlichen Beiständen zurück-
kehrte. Es muß auch gar nicht derselbe Zettel gewesen sein, der
später im Archiv aufbewahrt wurde, sondern nach unserer Kon-
struktion kann er die Jahreszahl ı668 (neun Jahre vor der Be-
schwörung) getragen haben.v
DIE WEITERE NEUROSEAber das wäre Betrug und nicht Neurose, der Maler ein Simu-
lant und Fälscher, nicht ein kranker Besessener! Nun, die Über-
gänge zwischen Neurose und Simulation sind bekanntlich fließende.
Ich finde auch keine Schwierigkeit anzunehmen, daß der Maler
diesen Zettel ebenso wie die späteren in einem besonderen, seinen
Visionen gleichzustellenden Zustand geschrieben und mit sich ge-
nommen hat. Wenn er die Phantasie vom Teufelspakt und von
der Erlösung durchführen wollte, konnte er ja gar nichts an-
deres tun.Den Stempel der Wahrhaftigkeit trägt dagegen das Tagebuch
aus Wien an sich, das er bei seinem zweiten Aufenthalt zu MariazellS.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 439
den Geistlichen übergab. Es läßt uns freilich tief in die Motivie-
rung oder sagen wir lieber Verwertung der Neurose blicken.Die Aufzeichnungen reichen von seiner erfolgreichen Beschwö-
rung bis zum ı5. Januar des nächsten Jahres 1678. Bis zum
ı1. Oktober erging es ihm in Wien, wo er bei einer verheirateten
Schwester wohnte, recht gut, dann aber fingen neue Zustände
mit Visionen und Krämpfen, Bewußtlosigkeit und schmerzhaften
Sensationen an, die dann auch zu seiner Rückkehr nach Mariazell
im Mai 1678 führten.Die neue Leidensgeschichte gliedert sich in drei Phasen. Zuerst
meldet sich die Versuchung in Gestalt eines schön gekleideten
Kavaliers, der ihm zureden will, den Zettel wegzuwerfen, der
seine Aufnahme in die Bruderschaft vom heiligen Rosenkranz
bescheinigt. Da er widerstand, wiederholte sich dieselbe Erschei-
nung am nächsten Tag, aber diesmal in einem prächtig ge-
schmückten Saal, in dem vornehme Herren mit schönen Damen
tanzten. Derselbe Kavalier, der ihn schon einmal versucht, machte
ihm einen auf Malerei bezüglichen Antrag‘ und versprach ihm
dafür ein schönes Stück. Geld. Nachdem er diese Vision durch
Gebete zum Verschwinden gebracht, wiederholte sie sich einige
Tage später in noch eindringlicherer Form. Diesmal schickte
der Kavalier eine der schönsten Frauen, die an der Festtafel
saßen, zu ihm hin, um ihn zur Gesellschaft zu bringen, und
er hatte Mühe, sich der Verführerin zu erwehren. Am er-
schreckendsten war aber die bald darauf folgende Vision eines
noch prunkvolleren 'Saales, in dem ein von „Goldstuckh auf-
gerichteter Thron“ war. Kavaliere standen herum und erwarteten
die Ankunft ihres Königs. Dieselbe Person, die sich schon so oft
um ihn bekümmert hatte, ging auf ihn zu und forderte ihn auf,
den Thron zu besteigen, sie „wollten ihn für ihren König halten
und in Ewigkeit verehren“. Mit dieser Ausschweifung seinerı) Eine mir unverständliche Stelle.
S.
440 Zur Anwendung der Psychoanalyse
Phantasie schließt die erste, recht durchsichtige Phase der Ver-
suchungsgeschichte ab. jEs mußte jetzt zu einer Gegenwirkung kommen. Die asketische
Reaktion erhob ihr Haupt. Am 2o. Oktober erschien ihm ein
großer Glanz, eine Stimme daraus gab sich als Christus zu er-
kennen und forderte von ihm, daß er dieser bösen Welt entsagen
und sechs Jahre lang in einer Wüste Gott dienen solle. Der
Maler litt unter diesen heiligen Erscheinungen offenbar mehr als
unter den früheren dämonischen. Aus diesem Anfall erwachte er
erst nach 2), Stunden. Im nächsten war die von Glanz umgebene
heilige Person weit unfreundlicher, drohte ihm, weil er den gött-
lichen Vorschlag nicht angenommen hatte, und führte ihn in die
Hölle, damit er durch das Los der Verdammten geschreckt werde.
Offenbar blieb aber die Wirkung aus, denn die Erscheinungen
der Person im Glanze, die Christus sein sollte, wiederholten sich
noch mehrmals, jedesmal mit stundenlanger Geistesabwesenheit
und Verzücktheit für den Maler. In der großartigsten dieser Ver-
zücktheiten führte ihn die Person im Glanze zuerst in eine Stadt,
in deren Straßen die Menschen alle Werke der Finsternis übten,
und dann zum Gegensatz auf eine schöne Au, in der Einsiedler
ihr gottgefälliges Leben führten und greifbare Beweise von Gottes
Gnade und Fürsorge erhielten. Dann erschien an Stelle Christi
die heilige Mutter selbst, die ihn unter Berufung auf ihre früher
geleistete Hilfe mahnte, dem Befehl ihres lieben Sohnes nach-
zukommen. „Da er sich hiezu nicht recht resolviret“, kam Christus
am nächsten Tage wieder und setzte ihm mit Drohungen und
Versprechungen tüchtig zu. Da gab er endlich nach, beschloß aus
diesem Leben auszutreten und zu tun, was von ihm verlangt
wurde, Mit dieser Entschließung endet die zweite Phase. Der
Maler konstatiert, daß er von dieser Zeit an keine Erscheinung
oder Anfechtung mehr gehabt hat.Indes muß dieser Entschluß nicht sehr gefestigt oder seine
Ausführung allzulang aufgeschoben worden sein, denn als er amS.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 441
26. Dezember in St. Stephan seine Andacht verrichtete, konnte
er sich beim Anblick einer wackeren Jungfrau, die mit einem
wohlaufgeputzten Herrn ging, der Idee nicht erwehren, er könnte
selbst an Stelle dieses Herrn sein. Das forderte Strafe, noch am
selben Abend traf es ihn wie ein Donnerschlag, er sah sich in
hellen Flammen und fiel in Ohnmacht. Man bemühte sich, ihn
zu erwecken, aber er wälzte sich in der Stube, bis Blut aus Mund
und Nase kam, verspürte, daß er sich in Hitze und Gestank be-
fand, und hörte eine Stimme sagen, daß ihm dieser Zustand als
Strafe für seine unnützen und eiteln Gedanken geschickt worden
sei. Später wurde er dann von bösen Geistern mit Stricken ge-
geißelt und ihm versprochen, daB er alle Tage so gepeinigt werden
solle, bis er sich entschlossen habe, in den Einsiedlerorden einzu-
treten. Diese Erlebnisse setzten sich, soweit die Aufzeichnungen
reichen (15. Januar) fort.Wir sehen, wie bei unserem armen Maler die Versuchungs-
phantasien von asketischen und endlich von Strafphantasien ab-
gelöst werden; das Ende der Leidensgeschichte kennen wir bereits.
Er begibt sich im Mai nach Mariazell, bringt dort die Ge-
schichte von einer früheren, mit schwarzer Tinte geschriebenen
Verschreibung vor, der er es offenbar zuschreibt, daß er noch
vom Teufel geplagt werden kann, erhält auch diese zurück und
ist geheilt,Während dieses zweiten Aufenthaltes malt er die Bilder, die
im Trophaeum kopiert sind, dann aber tut er etwas, was mit
der Forderung der asketischen Phase seines Tagebuches zusammen-
trifft. Er geht zwar nicht in die Wüste, um Einsiedler zu werden,
aber er tritt in den Orden der Barmherzigen Brüder ein: religiosus
factus est.Bei der Lektüre des Tagebuches gewinnen wir Verständnis für
ein neues Stück des Zusammenhangs. Wir erinnern uns, daß der
Maler sich dem Teufel verschrieben, weil er nach dem Tode des
Vaters, verstimmt und arbeitsunfähig, Sorge hatte, seine ExistenzS.
442 Zur Anwendung der Psychoanalyse
zu erhalten. Diese Momente, Depression, Arbeitshemmung und
Trauer um den Vater sind irgendwie, auf einfache oder kompli-
ziertere Art miteinander verknüpft. Vielleicht waren die Erschei-
nungen des Teufels darum so überreichlich mit Brüsten ausge-
stattet, weil der Böse sein Nährvater werden sollte. Die Hoffnung
erfüllte sich nicht, es ging ihm auch weiterhin schlecht, er konnte
nicht ordentlich arbeiten oder er hatte kein Glück und fand nicht
genug Arbeit. Der Geleitbrief des Pfarrers spricht von ihm als
„hunc miserum omni auzilio destitutum“. Er war also nicht nur
in moralischen Nöten, er litt auch materielle Not. In die Wieder-
gabe seiner späteren Visionen finden sich Bemerkungen einge-
streut, die wie die Inhalte der erschauten Szenen zeigen, daß sich
auch nach der erfolgreichen ersten Beschwörung daran nichts
geändert hatte. Wir lernen einen Menschen kennen, der es zu
nichts bringt, dem man auch darum kein Vertrauen schenkt. In
der ersten Vision fragt ihn der Kavalier, was er eigentlich an-
fangen wolle, da sich niemand seiner annehme („dieweillen ich von
iedermann izt verlassen, waß ich anfangen würde“). Die erste
Reihe der Visionen in Wien entspricht durchaus den Wunsch-
phantasien des Armen, nach Genuß Hungernden, Verkommenen:
Herrliche Säle, Wohlleben, silbernes Tafelgeschirr und schöne
Frauen; hier wird nachgeholt, was wir im Teufelsverhältnis ver-
mißt haben. Damals bestand eine Melancholie, die ihn genuß-
ig machte, auf die lockendsten Anerbieten verzichten hieß.
Seit der Beschwörung scheint die Melancholie überwunden, alle
Gelüste des Weltkindes sind wieder rege.In einer der asketischen Visionen beklagt er sich gegen die
ihn führende Person (Christus), daß ihm niemand glauben wolle,
so daß er dessentwegen, was ihm anbefohlen, nicht vollziehen
könne. Die Antwort, die er darauf erhält, bleibt uns leider dunkel
(„so fer man mir nit glauben, waß aber geschechen, waiß ich
wol, ist mir aber selbes auszuspröchen unmöglich“). Besonders auf-
klärend ist aber, was ihn sein göttlicher Führer bei den Ein-S.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 443
siedlern erleben läßt. Er kommt in eine Höhle, in der ein alter
Mann schon seit sechzig Jahren sitzt, und erfährt auf seine Frage,
daß dieser Alte täglich von den Engeln Gottes gespeist wird. Und
dann sieht er selbst, wie ein Engel dem Alten zu essen bringt:
„Drei Schüßerl mit Speiß, ein Brot und ein Knödl und Getränk.“
Nachdem der Einsiedler gespeist, nimmt der Engel alles zusammen
und trägt es ab. Wir verstehen, welche Versuchung die frommen
Visionen zu bieten haben, sie wollen ihn bewegen, eine Form
der Existenz zu wählen, in der ihm die Nahrungssorgen abge-
nommen sind. Beachtenswert sind auch die Reden Christi in der
letzten Vision. Nach der Drohung, wenn er sich nicht füge, werde
etwas geschehen, daß er und die Leute [daran] glauben müßten,
mahnt er direkt: „Ich solle die Leith nit achten, obwollen ich von
ihnen verfolgt wurdte, oder von ihnen keine hilfflaistung empfienge,
Gott würde mich nit verlasßen.“Ch. Haitzmann war soweit Künstler und Weltkind, daß es ihm
nicht leicht fiel, dieser sündigen Welt zu entsagen. Aber endlich
tat er es doch mit Rücksicht auf seine hilflose Lage. Er trat in
einen geistlichen Orden ein; damit war sein innerer Kampf wie
seine materielle Not zu Ende. In seiner Neurose spiegelt sich
dieser Ausgang darin, daß die Rückstellung einer angeblich ersten
Verschreibung seine Anfälle und Visionen beseitigt. Eigentlich
hatten beide Abschnitte seiner dämonologischen Erkrankung den-
selben Sinn gehabt. Er wollte immer nur sein Leben sichern, das
erste Mal mit Hilfe des Teufels auf Kosten seiner Seligkeit, und
als dieser versagt hatte und aufgegeben werden mußte, mit
Hilfe des geistlichen Standes auf Kosten seiner Freiheit und der
meisten Genußmöglichkeiten des Lebens. Vielleicht war Chr.
Haitzmann nur selbst ein armer Teufel, der eben kein Glück
hatte, vielleicht war er zu ungeschickt oder zu unbegabt, um
sich selbst zu erhalten, und zählte zu jenen Typen, die als
„ewige Säuglinge“ bekannt sind, die sich von der beglückenden
Situation an der Mutterbrust nicht losreißen können und durchsS.
444. Zur Anwendung der Psychoanalyse
ganze Leben den Anspruch festhalten, von jemand anderem
ernährt zu werden. Und so legte er in dieser Krankengeschichte
den Weg vom Vater über den Teufel als Vaterersatz zu den
frommen Patres zurück.Seine Neurose erscheint oberflächlicher Betrachtung als ein
Gaukelspiel, welches ein Stück des ernsthaften, aber banalen
Lebenskampfes überdeckt. Dies Verhältnis ist gewiß nicht immer
so, aber es kommt auch nicht gar so selten vor. Die Analytiker
erleben es oft, wie unvorteilhaft es ist, einen Kaufmann zu be-
handeln, der „sonst gesund, seit einiger Zeit die Erscheinungen
einer Neurose zeigt“. Die geschäftliche Katastrophe, von der sich
der Kaufmann bedroht fühlt, wirft als Nebenwirkung diese Neurose
auf, von der er auch den Vorteil hat, daß er hinter ihren Sym-
ptomen seine realen Lebenssorgen verheimlichen kann. Sonst aber
ist sie überaus unzweckmäßig, da sie Kräfte in Anspruch nimmt,
die vorteihafter zur besonnenen Erledigung der gefährlichen Lage
Verwendung fänden.In weit zahlreicheren Fällen ist die Neurose selbständiger und
unabhängiger von den Interessen der Lebenserhaltung und Be-
hauptung. Im Konflikt, der die Neurose schafft, stehen entweder
nur libidinöse Interessen auf dem Spiel oder libidinöse in inniger
Verknüpfung mit solchen der Lebensbehauptung. Der Dynamis-
mus der Neurose ist in allen drei Fällen der gleiche. Eine nicht
real zu befriedigende Libidostauung schafft sich mit Hilfe der
Regression zu alten Fixierungen Abfluß durch das verdrängte
Unbewußte. Soweit das Ich des Kranken aus diesem Vor-
gang einen Krankheitsgewinn ziehen kann, läßt es die Neurose
gewähren, deren ökonomische Schädlichkeit doch keinem Zweifel
unterliegt.Auch die üble Lebenslage unseres Malers hätte keine Teufels-
neurose bei ihm hervorgerufen, wenn aus seiner Not nicht eine
verstärkte Vatersehnsucht erwachsen wäre. Nachdem aber die
Melancholie und der Teufel abgetan waren, kam es bei ihmS.
Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 445
noch zum Kampf zwischen der libidinösen Lebenslust und der
Einsicht, daß das Interesse der Lebenserhaltung gebieterisch Ver-
zicht und Askese fordere. Es ist interessant, .daß der Maler die
Einheitlichkeit der beiden Stücke seiner Leidensgeschichte sehr
wohl verspürt, denn er führt die eine wie die andere auf Ver-
schreibungen, die er dem Teufel gegeben, zurück. Anderseits
unterscheidet er nicht scharf zwischen den Einwirkungen des bösen
Geistes und jenen der göttlichen Mächte, er hat für beide eine
Bezeichnung: Erscheinungen des Teufels.
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