Zur Einführung des Narzißmus 1914-003/2020
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Sigmund Freud (1914-003/2020): Zur Einführung des Narzißmus. SFG 14:47,49-73
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Zur Einführung des Narzißmus
Von SIGM. FREUD
1914-03


"Der Terminus Narzißmus entstammt der klinischen Deskription und ist von
P. N ä c k e 1899 zur Bezeichnung jenes Verhaltens gewählt worden, bei welchem
ein Individuum den eigenen Leib in ähnlicher Weise behandelt wie sonst
den eines Sexualobjektes, ihn also mit sexuellem Wohlgefallen beschaut, streichelt,
liebkost, bis es durch diese Vornahmen zur vollen Befriedigung gelangt.
In dieser Ausbildung hat der Narzißmus die Bedeutung einer Perversion, welche
das gesamte Sexualleben der Person aufgesogen hat, und unterliegt darum auch
den Erwartungen, mit denen wir an das Studium aller Perversionen herantreten."
"Es ist dann der psychoanalytischen Beobachtung aufgefallen, daß einzelne
Züge des narzißtischen Verhaltens bei vielen mit anderen Störungen behafteten
Personen gefunden werden, so nach S a d g e r bei Homosexuellen, und endlich
lag die Vermutung nahe, daß eine als Narzißmus zu bezeichnende Unterbringung
der Libido in viel weiterem Umfang in Betracht kommen und eine Stelle in
der regulären Sexualentwicklung des Menschen beanspruchen könnte1. Auf die
nämliche Vermutung kam man von den Schwierigkeiten der psychoanalytischen
Arbeit an Neurotikern her, denn es schien, als ob ein solches narzißtisches Verhalten
derselben eine der Grenzen ihrer Beeinflußbarkeit herstellte. Narzißmus
in diesem Sinne wäre keine Perversion, sondern die libidinöse Ergänzung zum
Egoismus des Selbsterhaltungstriebes, von dem jedem Lebewesen mit Recht ein
Stück zugeschrieben wird."
"Ein dringendes Motiv, sich mit der Vorstellung eines primären und normalen
Narzißmus zu beschäftigen, ergab sich, als der Versuch [2] unternommen
wurde, das Verständnis der Dementia praecox (K r a e p e l i n) oder
Schizophrenie (B l e u l e r) unter die Voraussetzung der Libidotheorie zu
bringen. Zwei fundamentale Charakterzüge zeigen solche Kranke, die ich
vorgeschlagen habe als Paraphreniker zu bezeichnen: den Größenwahn und
die Abwendung ihres Interesses von der Außenwelt (Personen und Dingen).
Infolge der letzteren Veränderung entziehen sie sich der Beeinflussung durch
die Psychoanalyse, werden sie für unsere Bemühungen unheilbar. Die Abwendung
des Paraphrenikers von der Außenwelt bedarf aber einer genaueren
Kennzeichnung. Auch der Hysteriker und Zwangsneurotiker hat, soweit seine
Krankheit reicht, die Beziehung zur Realität aufgegeben. Die Analyse zeigt
aber, daß er die erotische Beziehung zu Personen und Dingen keineswegs
aufgehoben hat. Er hält sie noch in der Phantasie fest, d. h. er hat einerseits
die realen Objekte durch imaginäre seiner Erinnerung ersetzt oder sie mit
ihnen vermengt, anderseits darauf verzichtet, die motorischen Aktionen zur
Erreichung seiner Ziele an diesen Objekten einzuleiten. Für diesen Zustand
der Libido sollte man allein den von J u n g ohne Unterscheidung gebrauchten
Ausdruck: I n t r o v e r s i o n der Libido gelten lassen. Anders der
Paraphreniker. Dieser scheint seine Libido von den Personen und Dingen
der Außenwelt wirklich zurückgezogen zu haben, ohne diese durch andere
in seiner Phantasie zu ersetzen. Wo dies dann geschieht, scheint es sekundär
zu sein und einem Heilungsversuch anzugehören, welcher die Libido zum
Objekt zurückführen will2."
"Es entsteht die Frage: Welches ist das Schicksal der den Objekten entzogenen Libido bei der Schizophrenie? Der Größenwahn dieser Zustände weist hier den Weg. Er ist wohl auf Kosten der Objektlibido entstanden. Die der Außenwelt entzogene Libido ist dem Ich zugeführt worden, so daß ein Verhalten entstand, welches wir Narzißmus heißen können. Der Größenwahn selbst ist aber keine Neuschöpfung, sondern, wie wir wissen, die Vergrößerung und Verdeutlichung eines Zustandes, der schon vorher bestanden hatte. Somit werden wir dazu geführt, den Narzißmus, der durch Einbeziehung der Objektbesetzungen entsteht, als einen sekundären aufzufassen, welcher sich
über einen primären, durch mannigfache Einflüsse verdunkelten aufbaut."
Ich bemerke nochmals, daß ich hier keine Klärung oder Vertiefung des Schizophrenieproblems geben will, sondern nur zusammentrage, was bereits an anderen Stellen gesagt worden ist, um eine Einführung des Narzißmus zu rechtfertigen.
Ein dritter Zufluß zu dieser, wie ich meine, legitimen Weiterbildung der Libidotheorie ergibt sich aus unseren Beobachtungen und Auffassungen des Seelenlebens von primitiven Völkern und von Kindern. Wir finden bei diesen ersteren Züge, welche, wenn sie vereinzelt wären, dem Größenwahn zugerechnet werden könnten, eine Überschätzung der Macht ihrer Wünsche und psychischen Akte, die „Allmacht der Gedanken“, einen Glauben an die Zauberkraft der Worte, eine Technik gegen die Außenwelt, die „Magie“, welche als konsequente Anwendung dieser größensüchtigen Voraussetzungen erscheint3. Wir erwarten eine ganz analoge Einstellung zur Außenwelt beim Kinde unserer Zeit, dessen Entwicklung für uns weit undurchsichtiger ist4. Wir bilden so die Vorstellung einer ursprünglichen Libidobesetzung des Ichs, von der später an die Objekte abgegeben wird, die aber, im Grunde genommen, verbleibt und sich zu den Objektbesetzungen verhält wie der Körper eines Protoplasmatierchens zu den von ihm ausgeschickten Pseudopodien. Dieses Stück der Libidounterbringung mußte für unsere von den neurotischen Symptomen ausgehende Forschung zunächst verdeckt bleiben. Die Emanationen dieser Libido, die Objektbesetzungen, die ausgeschickt und wieder zurückgezogen werden können, wurden uns allein auffällig. Wir sehen auch im groben einen Gegensatz zwischen der Ichlibido und der Objektlibido. Je mehr die eine verbraucht, desto mehr verarmt die andere. Als die höchste Entwicklungsphase, zu der es die letztere bringt, erscheint uns der Zustand der Verliebtheit, der sich uns wie ein Aufgeben der eigenen Persönlichkeit gegen die Objektbesetzung darstellt und seinen Gegensatz in der Phantasie (oder Selbstwahrnehmung) der Paranoiker vom Weltuntergang findet5. Endlich folgern wir für die Unterscheidung der psychischen Energien, daß sie zunächst im Zustande des Narzißmus beisammen und für unsere grobe Analyse ununterscheidbar sind, und daß es erst mit der Objektbesetzung möglich wird, eine Sexualenergie, die Libido, von einer Energie der Ichtriebe zu unterscheiden.
"Ehe ich weiter gehe, muß ich zwei Fragen berühren, welche mitten in die
Schwierigkeiten des Themas leiten. Erstens: Wie verhält sich der Narzißmus,
von dem wir jetzt handeln, zum Autoerotismus, den wir als einen Frühzustand
der Libido beschrieben haben? Zweitens: Wenn wir dem Ich eine
primäre Besetzung mit Libido zuerkennen, wozu ist es überhaupt noch nötig,
eine sexuelle Libido von einer nicht sexuellen Energie der Ichtriebe zu
trennen? Würde die Zugrundelegung einer einheitlichen psychischen Energie
nicht alle Schwierigkeiten der Sonderung von Ichtriebenergie und Ichlibido,
Ichlibido und Objektlibido ersparen? Zur ersten Frage bemerke ich: Es ist
eine notwendige Annahme, daß eine dem Ich vergleichbare Einheit nicht von
Anfang an im Individuum vorhanden ist; das Ich muß entwickelt werden.
Die autoerotischen Triebe sind aber uranfänglich; es muß also irgend etwas
zum Autoerotismus hinzukommen, eine neue psychische Aktion, um den
Narzißmus zu gestalten."
Die Aufforderung, die zweite Frage in entschiedener Weise zu beantworten, muß bei jedem Psychoanalytiker ein merkliches Unbehagen erwecken. Man wehrt sich gegen das Gefühl, die Beobachtung für sterile theoretische Streitigkeiten zu verlassen, darf sich dem Versuch einer Klärung aber doch nicht entziehen. Gewiß sind Vorstellungen wie die einer Ichlibido, Ichtriebenergie usw., weder besonders klar faßbar noch inhaltsreich genug; eine spekulative Theorie der betreffenden Beziehungen würde vor allem einen scharf umschriebenen Begriff zur Grundlage gewinnen wollen. Allein ich meine, das ist eben der Unterschied zwischen einer spekulativen Theorie und einer auf Deutung der Empirie gebauten Wissenschaft. Die letztere wird der Spekulation das Vorrecht einer glatten, logisch unantastbaren Fundamentierung nicht neiden, sondern sich mit nebelhaft verschwindenden, kaum vorstellbaren Grundgedanken gerne begnügen, die sie im Laufe ihrer Entwicklung klarer zu erfassen hofft, eventuell auch gegen andere einzutauschen bereit ist. Diese Ideen sind nämlich nicht das Fundament der Wissenschaft, auf dem alles ruht; dies ist vielmehr allein die Beobachtung. Sie sind nicht das Unterste, sondern das Oberste des ganzen Baues und können ohne Schaden ersetzt und abgetragen werden. Wir erleben dergleichen in unseren Tagen wiederum an der Physik, deren Grundanschauungen über Materie, Kraftzentren, Anziehung u.dgl. [5] kaum weniger bedenklich sind als die entsprechenden der Psychoanalyse.
Der Wert der Begriffe: Ichlibido, Objektlibido liegt darin, daß sie aus der Verarbeitung der intimen Charaktere neurotischer und psychotischer Vorgänge stammen. Die Sonderung der Libido in eine solche, die dem Ich eigen ist, und eine, die den Objekten angehängt wird, ist eine unerläßliche Fortführung einer ersten Annahme, welche Sexualtriebe und Ichtriebe voneinander schied. Dazu nötigte mich wenigstens die Analyse der reinen Übertragungsneurosen (Hysterie und Zwang), und ich weiß nur, daß alle Versuche, von diesen Phänomenen mit anderen Mitteln Rechenschaft zu geben, gründlich mißlungen sind.
"Bei dem völligen Mangel einer irgendwie orientierenden Trieblehre ist es gestattet oder besser geboten, zunächst irgend eine Annahme in konsequenter Durchführung zu erproben, bis sie versagt oder sich bewährt. Für die Annahme einer ursprünglichen Sonderung von Sexualtrieben und anderen Ichtrieben spricht nun mancherlei nebst ihrer Brauchbarkeit für die Analyse der Übertragungsneurosen. Ich gebe zu, daß dieses Moment allein nicht unzweideutig wäre, denn es könnte sich um indifferente psychische Energie handeln, die erst durch den Akt der Objektbesetzung zur Libido wird. Aber diese begriffliche Scheidung entspricht erstens der populär so geläufigen Trennung von Hunger und Liebe. Zweitens machen sich b i o l o g i s c h e Rücksichten zu ihren Gunsten geltend. Das Individuum führt wirklich eine Doppelexistenz als sein Selbstzweck und als Glied in einer Kette, der es gegen, jedenfalls ohne seinen Willen dienstbar ist. Es hält selbst die Sexualität für eine seiner Absichten, während eine andere Betrachtung zeigt, daß es nur ein Anhängsel an sein Keimplasma ist, dem es seine Kräfte gegen eine Lustprämie zur Verfügung stellt, der sterbliche Träger einer – vielleicht – unsterblichen Substanz, wie ein Majoratsherr nur der jeweilige Inhaber einer ihn überdauernden Institution. Die Sonderung der Sexualtriebe von den Ichtrieben würde nur diese doppelte Funktion des Individuums spiegeln. Drittens muß man sich daran erinnern, daß all unsere psychologischen Vorläufigkeiten einmal auf den Boden organischer Träger gestellt werden sollen. Es wird dann wahrscheinlich, daß es besondere Stoffe und chemische Prozesse sind, welche die Wirkungen der Sexualität ausüben und die Fortsetzung des individuellen Lebens in das der Art vermitteln. Dieser Wahrscheinlichkeit tragen wir Rechnung, indem wir die besonderen chemischen Stoffe durch besondere psychische Kräfte substituieren.
"
Gerade weil ich sonst bemüht bin, alles andersartige, auch das biologische Denken, von der Psychologie ferne zu halten, will ich an dieser Stelle ausdrücklich zugestehen, daß die Annahme gesonderter Ich- und Sexualtriebe, also die Libidotheorie, zum wenigsten auf psychologischem Grunde ruht, wesentlich biologisch gestützt ist. Ich werde also auch konsequent genug sein, diese Annahme fallen zu lassen, wenn sich aus der psychoanalytischen Arbeit selbst eine andere Voraussetzung über die Triebe als die besser verwertbare erheben würde. Dies ist bisher nicht der Fall gewesen. Es mag dann sein, daß die Sexualenergie, die Libido – im tiefsten Grund und in letzter Ferne – nur ein Differenzierungsprodukt der sonst in der Psyche wirkenden Energie ist. Aber eine solche Behauptung ist nicht belangreich. Sie bezieht sich auf Dinge, die bereits so weit weg sind von den Problemen unserer Beobachtung und so wenig Kenntnisinhalt haben, daß es ebenso müßig ist, sie zu bestreiten, wie sie zu verwerten; möglicherweise hat diese Uridentität mit unseren analytischen Interessen so wenig zu tun wie die Urverwandtschaft aller Menschenrassen mit dem Nachweis der von der Erbschaftsbehörde geforderten Verwandtschaft mit dem Erblasser. Wir kommen mit all diesen Spekulationen zu nichts; da wir nicht warten können, bis uns die Entscheidungen der Trieblehre von einer andern Wissenschaft geschenkt werden, ist es weit zweckmäßiger zu versuchen, welches Licht durch eine Synthese der psychologischen Phänomene auf jene biologischen Grundrätsel geworfen werden kann. Machen wir uns mit der Möglichkeit des Irrtums vertraut, aber lassen wir uns nicht abhalten, die ersterwählte Annahme eines Gegensatzes von Ich- und Sexualtrieben, die sich uns durch die Analyse der Übertragungsneurosen aufgedrängt hat, konsequent fortzuführen, ob sie sich widerspruchsfrei und fruchtbringend entwickeln und auch auf andere Affektionen, z. B. die Schizophrenie, anwenden läßt.
"Anders stünde es natürlich, wenn der Beweis erbracht wäre, daß die Libidotheorie an der Erklärung der letztgenannten Krankheit bereits gescheitert ist. C. G. J u n g hat diese Behauptung aufgestellt6 und mich dadurch zu den letzten Ausführungen, die ich mir gern erspart hätte, genötigt. Ich hätte es vorgezogen, den in der Analyse des Falles S c h r e b e r betretenen Weg unter Stillschweigen über dessen [7] Voraussetzungen bis zum Ende zu gehen. Die Behauptung von J u n g ist aber zum mindesten eine Voreiligkeit. Seine Begründungen sind spärlich. Er beruft sich zunächst auf mein eigenes Zeugnis, daß ich selbst mich genötigt gesehen habe, angesichts der Schwierigkeiten der S c h r e b e ranalyse den Begriff der Libido zu erweitern, d. h. seinen sexuellen Inhalt aufzugeben, Libido mit psychischem Interesse überhaupt zusammenfallen zu lassen. Was zur Richtigstellung dieser Fehldeutung zu sagen ist, hat F e r e n c z i in einer gründlichen Kritik der J u n gschen Arbeit bereits vorgebracht7. Ich kann dem Kritiker nur beipflichten und wiederholen, daß ich keinen derartigen Verzicht auf die Libidotheorie ausgesprochen habe. Ein weiteres Argument von J u n g, es sei nicht anzunehmen, daß der Verlust der normalen Realfunktion allein durch die Zurückziehung der Libido verursacht werden könne, ist kein Argument, sondern ein Dekret; it begs the question, es nimmt die Entscheidung vorweg und erspart die Diskussion, denn ob und wie das möglich ist, sollte eben untersucht werden. In seiner nächsten großen Arbeit8 ist J u n g an der von mir längst angedeuteten Lösung knapp vorbeigekommen: „Dabei ist nun allerdings noch in Betracht zu ziehen – worauf übrigens F r e u d in seiner Arbeit in dem S c h r e b e rschen Falle Bezug nimmt –, daß die Introversion der Libido sexualis zu einer Besetzung des ‚Ich‘ führt, wodurch möglicherweise jener Effekt des Realitätsverlustes herausgebracht wird. Es ist in der Tat eine verlockende Möglichkeit die Psychologie des Realitätsverlustes in dieser Art zu erklären.“ Allein J u n g läßt sich mit dieser Möglichkeit nicht viel weiter ein. Wenige Seiten später tut er sie mit der Bemerkung ab, daß aus dieser Bedingung „die Psychologie eines asketischen Anachoreten hervorgehen würde, nicht aber eine Dementia praecox“. Wie wenig dieser ungeeignete Vergleich eine Entscheidung bringen kann, mag die Bemerkung lehren, daß ein solcher Anachoret, der „jede Spur von Sexualinteresse auszurotten bestrebt ist“ (doch nur im populären Sinne des Wortes „sexual“), nicht einmal
eine pathogene Unterbringung der Libido aufzuweisen braucht. Er mag sein sexuelles Interesse von den Menschen gänzlich abgewendet und kann es doch zum gesteigerten Interesse für Göttliches, Natürliches, Tierisches sublimiert haben, ohne einer Introversion seiner Libido auf seine Phantasien oder einer Rückkehr derselben zu [8] seinem Ich verfallen zu sein. Es scheint, daß dieser Vergleich die mögliche Unterscheidung vom Interesse aus erotischen Quellen und anderen von vornherein vernachlässigt. Erinnern wir uns ferner daran, daß die Untersuchungen der Schweizer Schule trotz all ihrer Verdienstlichkeit doch nur über zwei Punkte im Bilde der Dementia praecox Aufklärung gebracht haben, über die Existenz der von Gesunden wie von Neurotikern bekannten Komplexe und über die Ähnlichkeit ihrer Phantasiebildungen mit den Völkermythen, auf den Mechanismus der Erkrankung aber sonst kein Licht werfen konnten, so werden wir die Behauptung J u n g s zurückweisen können, daß die Libidotheorie an der Bewältigung der Dementia praecox gescheitert und damit auch für die anderen Neurosen erledigt sei."
II.
"Ein direktes Studium des Narzißmus scheint mir durch besondere Schwierigkeiten
verwehrt zu sein. Der Hauptzugang dazu wird wohl die Analyse der
Paraphrenien bleiben. Wie die Übertragungsneurosen uns die Verfolgung der
libidinösen Triebregungen ermöglicht haben, so werden uns die Dementia
praecox und Paranoia die Einsicht in die Ichpsychologie gestatten. Wiederum
werden wir das anscheinend Einfache des Normalen aus den Verzerrungen und
Vergröberungen des Pathologischen erraten müssen. Immerhin bleiben uns
einige andere Wege offen, um uns der Kenntnis des Narzißmus anzunähern,
die ich nun der Reihe nach beschreiben will: Die Betrachtung der organischen
Krankheit, der Hypochondrie und des Liebeslebens der Geschlechter."
"Mit der Würdigung des Einflusses organischer Krankheit auf die Libidoverteilung folge ich einer mündlichen Anregung von S. F e r e n c z i. Es ist allgemein bekannt und erscheint uns selbstverständlich, daß der vonorganischem Schmerz und Mißempfindungen Gepeinigte das Interesse an den Dingen der Außenwelt, soweit sie nicht sein Leiden betreffen, aufgibt.
Genauere Beobachtung lehrt, daß er auch das libidinöse Interesse von seinen
Liebesobjekten zurückzieht, aufhört zu lieben, solange er leidet. Die
Banalität dieser Tatsache braucht uns nicht abzuhalten, ihr eine Übersetzung
in die Ausdrucksweise der Libidotheorie zu geben. Wir würden dann
sagen: Der Kranke zieht seine Libidobesetzungen auf sein Ich zurück, um sie
nach der Genesung wieder auszusenden. „Einzig in der engen Höhle“, sagt
W. B u s c h vom zahnschmerzkranken Dichter, „des Backenzahnes [9] weilt
die Seele.“ Libido und Ichinteresse haben dabei das gleiche Schicksal und
sind wiederum voneinander nicht unterscheidbar. Der bekannte Egoismus
der Kranken deckt beides. Wir finden ihn so selbstverständlich, weil wir gewiß
sind, uns im gleichen Falle ebenso zu verhalten. Das Verscheuchen noch
so intensiver Liebesbereitschaft durch körperliche Störungen, der plötzliche
Ersatz derselben durch völlige Gleichgültigkeit, findet in der Komik entsprechende
Ausnützung."
Ähnlich wie die Krankheit bedeutet auch der Schlafzustand ein narzißtisches Zurückziehen der Libidopositionen auf die eigene Person, des Genaueren, auf den einen Wunsch, zu schlafen. Der Egoismus der Träume fügt sich wohl in diesen Zusammenhang ein. In beiden Fällen sehen wir, wenn auch nichts anderes, Beispiele von Veränderungen der Libidoverteilung infolge von Ichveränderung.
"Die Hypochondrie äußert sich wie das organische Kranksein in peinlichen
und schmerzhaften Körperempfindungen und trifft auch in der Wirkung auf
die Libidoverteilung mit ihm zusammen. Der Hypochondrische zieht Interesse
wie Libido – die letztere besonders deutlich – von den Objekten
der Außenwelt zurück und konzentriert beides auf das ihn beschäftigende
Organ. Ein Unterschied zwischen Hypochondrie und organischer Krankheit
drängt sich nun vor: im letzteren Falle sind die peinlichen Sensationen durch
nachweisbare Veränderungen begründet, im ersteren Falle nicht. Es würde
aber ganz in den Rahmen unserer sonstigen Auffassung der Neurosenvorgänge
passen, wenn wir uns entschließen würden zu sagen: Die Hypochondrie
muß recht haben, die Organveränderungen dürfen auch bei ihr nicht fehlen.
Worin bestünden sie nun?"
"Wir wollen uns hier durch die Erfahrung bestimmen lassen, daß Körpersensationen unlustiger Art, den hypochondrischen vergleichbar, auch bei den anderen Neurosen nicht fehlen. Ich habe schon früher einmal die Neigung
ausgesprochen, die Hypochondrie als dritte Aktualneurose neben die
Neurasthenie und die Angstneurose hinzustellen. Man geht wahrscheinlich
nicht zu weit, wenn man es so darstellt, als wäre regelmäßig bei den anderen
Neurosen auch ein Stückchen Hypochondrie mitausgebildet. Am schönsten
sieht man dies wohl bei der Angstneurose und der sie überbauenden Hysterie.
Nun ist das uns bekannte Vorbild des schmerzhaft empfindlichen, irgendwie
veränderten und doch nicht im gewöhnlichen Sinne kranken Organs das
Genitale in seinen Erregungszuständen. Es wird dann blutdurchströmt, [10]
geschwellt, durchfeuchtet und der Sitz mannigfaltiger Sensationen. Nennen
wir die Tätigkeit einer Körperstelle, sexuell erregende Reize ins Seelenleben
zu schicken, ihre E r o g e n e i t ä t und denken daran, daß wir durch die
Erwägungen der Sexualtheorie längst an die Auffassung gewöhnt sind, gewisse
andere Körperstellen – die e r o g e n e n Zonen – könnten die Genitalien
vertreten und sich ihnen analog verhalten, so haben wir hier nur einen
Schritt weiter zu wagen. Wir können uns entschließen, die Erogeneität als
allgemeine Eigenschaft aller Organe anzusehen, und dürfen dann von der
Steigerung oder Herabsetzung derselben an einem bestimmten Körperteile
sprechen. Jeder solchen Veränderung der Erogeneität in den Organen könnte
eine Veränderung der Libidobesetzung im Ich parallel gehen. In solchen Momenten
hätten wir das zu suchen, was wir der Hypochondrie zugrunde legen
und was die nämliche Einwirkung auf die Libidoverteilung haben kann wie
die materielle Erkrankung der Organe."
"Wir merken, wenn wir diesen Gedankengang fortsetzen, stoßen wir auf
das Problem nicht nur der Hypochondrie, sondern auch der anderen Aktualneurosen,
der Neurasthenie und der Angstneurose. Wir wollen darum an
dieser Stelle haltmachen; es liegt nicht in der Absicht einer rein psychologischen
Untersuchung, die Grenze so weit ins Gebiet der physiologischen Forschung
zu überschreiten. Es sei nur erwähnt, daß sich von hier aus vermuten
läßt, die Hypochondrie stehe in einem ähnlichen Verhältnis zur Paraphrenie
wie die anderen Aktualneurosen zur Hysterie und Zwangsneurose, hänge also
von der Ichlibido ab, wie die anderen von der Objektlibido; die hypochondrische
Angst sei das Gegenstück von der Ichlibido her zur neurotischen Angst.
Ferner: Wenn wir mit der Vorstellung bereits vertraut sind, den Mechanismus der Erkrankung und Symptombildung bei den Übertragungsneurosen, den Fortschritt von der Introversion zur Regression, an eine Stauung der Objektlibido
zu knüpfen9, so dürfen wir auch der Vorstellung einer Stauung der
Ichlibido nähertreten und sie in Beziehung zu den Phänomenen der Hypochondrie
und der Paraphrenie bringen."
"Natürlich wird unsere Wißbegierde hier die Frage aufwerfen, warum eine
solche Libidostauung im Ich als unlustvoll empfunden werden muß. Ich
möchte mich da mit der Antwort begnügen, daß [11] Unlust überhaupt der
Ausdruck der höheren Spannung ist, daß es also eine Quantität des materiellen
Geschehens ist, die sich hier wie anderwärts in die psychische Qualität
der Unlust umsetzt; für die Unlustentwicklung mag dann immerhin nicht
die absolute Größe jenes materiellen Vorganges entscheidend sein, sondern
eher eine gewisse Funktion dieser absoluten Größe. Von hier aus mag man
es selbst wagen, an die Frage heranzutreten, woher denn überhaupt die Nötigung
für das Seelenleben rührt, über die Grenzen des Narzißmus hinauszugehen
und die Libido auf Objekte zu setzen. Die aus unserem Gedankengang
abfolgende Antwort würde wiederum sagen, diese Nötigung trete ein, wenn
die Ichbesetzung mit Libido ein gewisses Maß überschritten habe. Ein starker
Egoismus schützt vor Erkrankung, aber endlich muß man beginnen zu lieben,
um nicht krank zu werden, und muß erkranken, wenn man infolge von
Versagung nicht lieben kann. Etwa nach dem Vorbild, wie sich H. H e i n e
die Psychogenese der Weltschöpfung vorstellt:"
„Krankheit ist wohl der letzte Grund Des ganzen Schöpferdrangs gewesen; Erschaffend konnte ich genesen, Erschaffend wurde ich gesund.“
"Wir haben in unserem seelischen Apparat vor allem ein Mittel erkannt,
welchem die Bewältigung von Erregungen übertragen ist, die sonst peinlich
empfunden oder pathogen wirksam würden. Die psychische Bearbeitung
leistet Außerordentliches für die innere Ableitung von Erregungen, die einer unmittelbaren äußeren Abfuhr nicht fähig sind, oder
für die eine solche nicht augenblicklich wünschenswert wäre. Für eine
solche innere Verarbeitung ist es aber zunächst gleichgültig, ob sie an
realen oder an imaginierten Objekten geschieht. Der Unterschied zeigt
sich erst später, wenn die Wendung der Libido auf die irrealen Objekte
(Introversion) zu einer Libidostauung geführt hat. Eine ähnliche innere
Verarbeitung der ins Ich zurückgekehrten Libido gestattet bei den Paraphrenien
der Größenwahn; vielleicht wird erst nach seinem Versagen die
Libidostauung im Ich pathogen und regt den Heilungsprozeß an, der uns
als Krankheit imponiert."
"Ich versuche an dieser Stelle, einige kleine Schritte weit in den Mechanismus der Paraphrenie einzudringen, und stelle die Auffassungen zusammen, welche mir schon heute beachtenswert erscheinen. Den Unterschied dieser Affektionen von den Übertragungsneurosen verlege ich in den Umstand, daß die durch Versagung frei gewordene Libido nicht bei Objekten in der Phantasie bleibt, sondern sich aufs Ich zurückzieht; der Größenwahn entspricht dann der psychischen Bewältigung dieser Libidomenge, also der Introversion auf die Phantasiebildungen bei den Übertragungsneurosen; dem Versagen dieser psychischen Leistung entspringt die Hypochondrie der Paraphrenie, welche der Angst der Übertragungsneurosen homolog ist. Wir wissen, daß diese Angst durch weitere psychische Bearbeitung ablösbar ist, also durch Konversion, Reaktionsbildung, Schlitzbildung (Phobie). Diese Stellung nimmt bei den Paraphrenien der Restitutionsversuch ein, dem wir die auffälligen Krankheitserscheinungen danken. Da die Paraphrenie häufig – wenn nicht zumeist – eine bloß partielle Ablösung der Libido von den Objekten mit sich bringt, so ließen sich in ihrem Bilde drei Gruppen von Erscheinungen sondern: 1. Die der erhaltenen Normalität oder Neurose (Resterscheinungen), 2. die des Krankheitsprozesses (der Ablösung der Libido von den Objekten, dazu der Größenwahn, die Hypochondrie, die Affektstörung, alle Regressionen), 3. die der Restitution, welche nach Art einer Hysterie (Dementia praecox, eigentliche Paraphrenie) oder einer Zwangsneurose (Paranoia) die Libido wieder an die Objekte heftet. Diese neuerliche Libidobesetzung geschieht von einem andern Niveau her, unter anderen Bedingungen als die primäre. Die Differenz der bei ihr geschaffenen Übertragungsneurosen von den entsprechenden Bildungen
des normalen Ichs mü.te die tiefste Einsicht in die Struktur unseres
seelischen Apparates vermitteln können.
"
"Einen dritten Zugang zum Studium des Narzißmus gestattet das Liebesleben
der Menschen in seiner verschiedenartigen Differenzierung bei Mann
und Weib. Ähnlich, wie die Objektlibido unserer Beobachtung zuerst die
Ichlibido verdeckt hat, so haben wir auch bei der Objektwahl des Kindes
(und Heranwachsenden) zuerst gemerkt, daß es seine Sexualobjekte seinen
Befriedigungserlebnissen entnimmt. Die ersten autoerotischen sexuellen
Befriedigungen werden im Anschluß an lebenswichtige, der Selbsterhaltung
dienende Funktionen erlebt. Die Sexualtriebe lehnen sich zunächst an die
Befriedigung der Ichtriebe an, machen sich erst später von den letzteren
selbständig; die Anlehnung zeigt sich aber noch darin, daß die Personen,
welche mit der Ernährung, Pflege, dem Schutz des Kindes zu tun haben, zu
den ersten Sexualobjekten werden, also zunächst die Mutter oder ihr [13]
Ersatz. Neben diesem Typus und dieser Quelle der Objektwahl, den man
den A n l e h n u n g s t y p u s heißen kann, hat uns aber die analytische
Forschung einen zweiten kennen gelehrt, den zu finden wir nicht vorbereitet
waren. Wir haben, besonders deutlich bei Personen, deren Libidoentwicklung
eine Störung erfahren hat, wie bei Perversen und Homosexuellen, gefunden,
daß sie ihr späteres Liebesobjekt nicht nach dem Vorbild der Mutter wählen,
sondern nach dem ihrer eigenen Person. Sie suchen offenkundigerweise sich
selbst als Liebesobjekt, zeigen den n a r z i ß t i s c h zu nennenden Typus
der Objektwahl. In dieser Beobachtung ist das stärkste Motiv zu erkennen,
welches uns zur Annahme des Narzißmus genötigt hat."
"Wir haben nun nicht geschlossen, daß die Menschen in zwei scharf geschiedene
Gruppen zerfallen, je nachdem sie den Anlehnungs- oder den
narzißtischen Typus der Objektwahl haben, sondern ziehen die Annahme
vor, daß jedem Menschen beide Wege zur Objektwahl offenstehen, wobei der
eine oder der andere bevorzugt werden kann. Wir sagen, der Mensch habe
zwei ursprüngliche Sexualobjekte: sich selbst und das pflegende Weib, und
setzen dabei den primären Narzißmus jedes Menschen voraus, der eventuell
in seiner Objektwahl dominierend zum Ausdruck kommen kann."
"Die Vergleichung von Mann und Weib zeigt dann, daß sich in deren Verhältnis zum Typus der Objektwahl fundamentale, wenn auch natürlich nicht regelmäßige Unterschiede ergeben. Die volle Objektliebe nach dem Anlehnungstypus
ist eigentlich für den Mann charakteristisch. Sie zeigt die auffällige
Sexualübersch.tzung, welche wohl dem ursprünglichen Narzißmus des
Kindes entstammt und somit einer Übertragung desselben auf das Sexualobjekt
entspricht. Diese Sexualübersch.tzung gestattet die Entstehung des
eigentümlichen, an neurotischen Zwang mahnenden Zustandes der Verliebtheit,
der sich so auf eine Verarmung des Ichs an Libido zugunsten des Objektes
zurückführt. Anders gestaltet sich die Entwicklung bei dem häufigsten,
wahrscheinlich reinsten und echtesten Typus des Weibes. Hier scheint mit
der Pubertätsentwicklung durch die Ausbildung der bis dahin latenten weiblichen
Sexualorgane eine Steigerung des ursprünglichen Narzißmus aufzutreten,
welche der Gestaltung einer ordentlichen, mit Sexualübersch.tzung
ausgestatteten Objektliebe ungünstig ist. Es stellt sich besonders im Falle der
Entwicklung zur Schönheit eine Selbstgenügsamkeit des Weibes her, welche
das Weib für die ihm sozial verkümmerte Freiheit [14] der Objektwahl entschädigt.
Solche Frauen lieben, streng genommen, nur sich selbst mit ähnlicher
Intensität, wie der Mann sie liebt. Ihr Bedürfnis geht auch nicht dahin
zu lieben, sondern geliebt zu werden, und sie lassen sich den Mann gefallen,
welcher diese Bedingung erfüllt. Die Bedeutung dieses Frauentypus für das
Liebesleben der Menschen ist sehr hoch einzuschätzen. Solche Frauen üben
den größten Reiz auf die Männer aus, nicht nur aus ästhetischen Gründen,
weil sie gewöhnlich die schönsten sind, sondern auch infolge interessanter
psychologischer Kon-stellationen. Es erscheint nämlich deutlich erkennbar,
daß der Narzißmus einer Person eine große Anziehung auf diejenigen anderen
entfaltet, welche sich des vollen Ausmaßes ihres eigenen Narzißmus
begeben haben und sich in der Werbung um die Objektliebe befinden; der
Reiz des Kindes beruht zum guten Teil auf dessen Narzißmus, seiner Selbstgenügsamkeit
und Unzugänglichkeit, ebenso der Reiz gewisser Tiere, die sich
um uns nicht zu kümmern scheinen, wie der Katzen und großen Raubtiere,
ja selbst der große Verbrecher und der Humorist zwingen in der poetischen
Darstellung unser Interesse durch die narzißtische Konsequenz, mit welcher
sie alles ihr Ich Verkleinernde von ihm fernzuhalten wissen. Es ist so, als
beneideten wir sie um die Erhaltung eines seligen psychischen Zustandes,
einer unangreifbaren Libidoposition, die wir selbst seither aufgegeben haben. Dem großen Reiz des narzißtischen Weibes fehlt aber die Kehrseite nicht; ein guter Teil der Unbefriedigung des verliebten Mannes, der Zweifel an der
Liebe des Weibes, der Klagen über die Rätsel im Wesen desselben hat in dieser
Inkongruenz der Objektwahltypen seine Wurzel."
"Vielleicht ist es nicht überflüssig zu versichern, daß mir bei dieser Schilderung des weiblichen Liebeslebens jede Tendenz zur Herabsetzung
des Weibes fernliegt. Abgesehen davon, daß mir Tendenzen überhaupt fernliegen, ich weiß auch, daß diese Ausbildungen nach verschiedenen
Richtungen der Differenzierung von Funktionen in einem höchst komplizierten biologischen Zusammenhang entsprechen; ich bin ferner bereit
zuzugestehen, daß es unbestimmt viele Frauen gibt, die nach dem männlichen Typus lieben und auch die dazugehörige Sexualübersch.tzung
entfalten."
"Auch für die narzißtisch und gegen den Mann kühl gebliebenen
Frauen gibt es einen Weg, der sie zur vollen Objektliebe führt. In dem
Kinde, das sie gebären, tritt ihnen ein Teil des eigenen Körpers wie ein
fremdes Objekt gegenüber, dem sie nun vom Narzißmus aus die volle
Objektliebe schenken können. Noch andere Frauen brauchen nicht [15]
auf das Kind zu warten, um den Schritt in der Entwicklung vom (sekundären)
Narzißmus zur Objektliebe zu machen. Sie haben sich selbst vor
der Pubertät männlich gefühlt und ein Stück weit männlich entwickelt;
nachdem diese Strebung mit dem Auftreten der weiblichen Reife abgebrochen
wurde, bleibt ihnen die Fähigkeit, sich nach einem männlichen
Ideal zu sehnen, welches eigentlich die Fortsetzung des knabenhaften
Wesens ist, das sie selbst einmal waren."
"Eine kurze Übersicht der Wege zur Objektwahl mag diese andeutenden
Bemerkungen beschließen. Man liebt:"
"1. Nach dem narzißtischen Typus:
a) was man selbst ist (sich selbst),
b) was man selbst war,
c) was man selbst sein möchte,"
"2. Nach dem Anlehnungstypus:
a) die nährende Frau,
b) den schützenden Mann und die in Reihen von ihnen ausgehenden Ersatzpersonen. Der Fall c des
ersten Typus kann erst durch später folgende Ausführungen gerechtfertigt
werden."
Die Bedeutung der narzißtischen Objektwahl für die Homosexualität des Mannes bleibt in anderem Zusammenhange zu würdigen.
"Der von uns supponierte primäre Narzißmus des Kindes, der eine der
Voraussetzungen unserer Libidotheorien enthält, ist weniger leicht durch
direkte Beobachtung zu erfassen als durch Rückschlu. von einem andern
Punkte her zu bestätigen. Wenn man die Einstellung zärtlicher Eltern
gegen ihre Kinder ins Auge faßt, muß man sie als Wiederaufleben und
Reproduktion des eigenen, längst aufgegebenen Narzißmus erkennen.
Das gute Kennzeichen der Überschätzung, welches wir als narzißtisches
Stigma schon bei der Objektwahl gewürdigt haben, beherrscht wie allbekannt
diese Gefühlsbeziehung. So besteht ein Zwang, dem Kinde alle
Vollkommenheiten zuzusprechen, wozu nüchterne Beobachtung keinen
Anlaß fände, und alle seine Mängel zu verdecken und zu vergessen, womit
ja die Verleugnung der kindlichen Sexualität im Zusammenhange steht.
Es besteht aber auch die Neigung, alle kulturellen Erwerbungen, deren
Anerkennung man seinem Narzißmus abgezwungen hat, vor dem Kinde
zu suspendieren und die Ansprüche auf längst aufgegebene Vorrechte bei
ihm zu erneuern. Das Kind soll es besser haben als seine Eltern, es soll
den Notwendigkeiten, die man [16] als im Leben herrschend erkannt
hat, nicht unterworfen sein. Krankheit, Tod, Verzicht auf Genuß, Einschränkung
des eigenen Willens sollen für das Kind nicht gelten, die Gesetze
der Natur wie der Gesellschaft vor ihm haltmachen, es soll wirklich
wieder Mittelpunkt und Kern der Schöpfung sein. His Majesty the Baby,
wie man sich einst selbst dünkte. Es soll die unausgeführten Wunschträume
der Eltern erfüllen, ein großer Mann und Held werden anstatt des
Vaters, einen Prinzen zum Gemahl bekommen zur späten Entschädigung
der Mutter. Der heikelste Punkt des narzißtischen Systems, die von der
Realität hart bedrängte Unsterblichkeit des Ichs, hat ihre Sicherung in
der Zuflucht zum Kinde gewonnen. Die rührende, im Grunde so kindliche,
Elternliebe ist nichts anderes als der wiedergeborene Narzißmus der
Eltern, der in seiner Umwandlung zur Objektliebe sein einstiges Wesen
unverkennbar offenbart."
III.
"Welchen Störungen der ursprüngliche Narzißmus des Kindes ausgesetzt ist,
und mit welchen Reaktionen er sich derselben erwehrt, auch auf welche Bahnen
er dabei gedrängt wird, das möchte ich als einen wichtigen Arbeitsstoff,
welcher noch der Erledigung harrt, beiseite stellen; das bedeutsamste Stück
desselben kann man als „Kastrationskomplex“ (Penisangst beim Knaben, Penisneid
beim Mädchen) herausheben und im Zusammenhange mit dem Einfluß
der frühzeitigen Sexualeinschüchterung behandeln. Die psychoanalytische
Untersuchung, welche uns sonst die Schicksale der libidinösen Triebe
verfolgen läßt, wenn diese von den Ichtrieben isoliert sich in Opposition
zu denselben befinden, gestattet uns auf diesem Gebiete Rückschlüsse auf
eine Epoche und eine psychische Situation, in welcher beiderlei Triebe noch
einhellig wirksam in untrennbarer Vermengung als narzißtische Interessen
auftreten. A. A d l e r hat aus diesem Zusammenhange seinen „männlichen
Protest“ geschöpft, den er zur fast alleinigen Triebkraft der Charakter- wie
der Neurosenbildung erhebt, während er ihn nicht auf eine narzißtische,
also immer noch libidinöse Strebung, sondern auf eine soziale Wertung begründet.
Vom Standpunkte der psychoanalytischen Forschung ist Existenz
und Bedeutung des „männlichen Protestes“ von allem Anfang an anerkannt,
seine narzißtische Natur und Herkunft aus dem Kastrationskomplex aber
gegen A d l e r vertreten worden. Er gehört der Charakterbildung an, in deren
Genese er nebst vielen anderen Faktoren eingeht, und ist zur Aufklärung
der [17] Neurosenprobleme, an denen A d l e r nichts beachten will
als die Art, wie sie dem Ichinteresse dienen, völlig ungeeignet. Ich finde es
ganz unmöglich, die Genese der Neurose auf die schmale Basis des Kastrationskomplexes
zu stellen, so mächtig dieser auch bei Männern unter den
Widerständen gegen die Heilung der Neurose hervortreten mag. Ich kenne
endlich auch Fälle von Neurosen, in denen der „männliche Protest“ oder in
unserem Sinne der Kastrationskomplex keine pathogene Rolle spielt oder
überhaupt nicht vorkommt."
"Die Beobachtung des normalen Erwachsenen zeigt dessen einstigen Größenwahn gedämpft und die psychischen Charaktere, aus denen wir seinen infantilen Narzißmus erschlossen haben, verwischt. Was ist aus seiner Ichlibido geworden? Sollen wir annehmen, daß ihr ganzer Betrag in Objektbesetzungen aufgegangen ist? Diese Möglichkeit widerspricht offenbar dem ganzen Zuge unserer Erörterungen; wir können aber auch aus der Psychologie der Verdrängung einen Hinweis auf eine andere Beantwortung der Frage
entnehmen."
"Wir haben gelernt, daß libidinöse Triebregungen dem Schicksal der pathogenen
Verdrängung unterliegen, wenn sie in Konflikt mit den kulturellen
und ethischen Vorstellungen des Individuums geraten. Unter dieser Bedingung
wird niemals verstanden, daß die Person von der Existenz dieser Vorstellungen
eine bloß intellektuelle Kenntnis habe, sondern stets, daß sie dieselben
als maßgebend für sich anerkenne, sich den aus ihnen hervorgehenden
Anforderungen unterwerfe. Die Verdrängung, haben wir gesagt, geht vom
Ich aus; wir könnten präzisieren: von der Selbstachtung des Ichs. Dieselben
Eindrücke, Erlebnisse, Impulse, Wunschregungen, welche der eine Mensch in
sich gewähren läßt oder wenigstens bewußt verarbeitet, werden vom anderen
in voller Empörung zurückgewiesen oder bereits vor ihrem Bewußtwerden
erstickt. Der Unterschied der beiden aber, welcher die Bedingung der Verdrängung
enthält, läßt sich leicht in Ausdrücke fassen, welche eine Bewältigung
durch die Libidotheorie ermöglichen. Wir können sagen, der eine
habe ein I d e a l in sich aufgerichtet, an welchem er sein aktuelles Ich mißt,
während dem andern eine solche Idealbildung abgehe. Die Idealbildung wäre
von seiten des Ichs die Bedingung der Verdrängung."
"Diesem Ideal-Ich gilt nun die Selbstliebe, welche in der Kindheit das
wirkliche Ich genoß. Der Narzißmus erscheint auf dieses neue [18] ideale
Ich verschoben, welches sich wie das infantile im Besitz aller wertvollen
Vollkommenheiten befindet. Der Mensch hat sich hier, wie jedesmal auf dem
Gebiete der Libido, unfähig erwiesen, auf die einmal genossene Befriedigung
zu verzichten. Er will die narzißtische Vollkommenheit seiner Kindheit nicht
entbehren, und wenn er diese nicht festhalten konnte, durch die Mahnungen
während seiner Entwicklungszeit gestört und in seinem Urteil geweckt, sucht
er sie in der neuen Form des Ichideals wieder zu gewinnen. Was er als sein
Ideal vor sich hin projiziert, ist nur der Ersatz für den verlorenen Narzißmus
seiner Kindheit, in der er sein eigenes Ideal war."
"Es liegt nahe, die Beziehungen dieser Idealbildung zur Sublimierung zu untersuchen. Die Sublimierung ist ein Prozeß an der Objektlibido und besteht darin, daß sich der Trieb auf ein anderes, von der sexuellen Befriedigung entferntes Ziel wirft; der Akzent ruht dabei auf der Ablenkung vom Sexuellen. Die Idealisierung ist ein Vorgang mit dem Objekt, durch welchen dieses ohne Änderung seiner Natur vergrößert und psychisch erhöht wird. Die Idealisierung ist sowohl auf dem Gebiet der Ichlibido wie auch der Objektlibido möglich. So ist z. B. die Sexualübersch.tzung des Objekts eine Idealisierung desselben. Insoferne also Sublimierung etwas beschreibt, was mit dem Trieb, Idealisierung etwas, was am Objekt vorgeht, sind die beiden
begrifflich auseinanderzuhalten."
"Die Ichidealbildung wird oft zum Schaden des Verständnisses mit der
Triebsublimierung verwechselt. Wer seinen Narzißmus gegen die Verehrung
eines hohen Ichideals eingetauscht hat, dem braucht darum die Sublimierung
seiner libidinösen Triebe nicht gelungen zu sein. Das Ichideal fordert zwar
solche Sublimierung, aber es kann sie nicht erzwingen; die Sublimierung
bleibt ein besonderer Prozeß, dessen Einleitung vom Ideal angeregt werden
mag, dessen Durchführung durchaus unabhängig von solcher Anregung
bleibt. Man findet gerade bei den Neurotikern die höchsten Spannungsdifferenzen
zwischen der Ausbildung des Ichideals und dem Maß von Sublimierung
ihrer primitiven libidinösen Triebe, und es fällt im allgemeinen viel
schwerer, den Idealisten von dem unzweckmäßigen Verbleib seiner Libido zu
überzeugen, als den simpeln, in seinen Ansprüchen genügsam gebliebenen
Menschen. Das Verhältnis von Idealbildung und Sublimierung zur Verursachung
der Neurose ist auch ein ganz verschiedenes. Die Idealbildung steigert,
wie wir gehört haben, die Anforderungen des Ichs und ist die stärkste
Begünstigung der Verdrängung; die Sublimierung stellt den Ausweg
dar, wie die Anforderung erfüllt werden kann, ohne die Verdrängung herbeizuführen."
"Es wäre nicht zu verwundern, wenn wir eine besondere psychische Instanz auffinden sollten, welche die Aufgabe erfüllt, über die Sicherung der narzißtischen Befriedigung aus dem Ichideal zu wachen, und in dieser Absicht das aktuelle Ich
unausgesetzt beobachtet und am Ideal mißt. Wenn eine solche Instanz existiert,
so kann es uns unmöglich zustoßen, sie zu entdecken; wir können sie nur als
solche agnoszieren und dürfen uns sagen, daß das, was wir unser G e w i s s e n
heißen, diese Charakteristik erfüllt. Die Anerkennung dieser Instanz ermöglicht
uns das Verständnis des sogenannten Beachtungs- oder richtiger B e o b a c h -
t u n g s wahnes, welcher in der Symptomatologie der paranoiden Erkrankungen so deutlich hervortritt, vielleicht auch als isolierte Erkrankung oder in eine Übertragungsneurose eingesprengt vorkommen kann. Die Kranken klagen dann
darüber, daß man alle ihre Gedanken kennt, ihre Handlungen beobachtet
und beaufsichtigt; sie werden von dem Walten dieser Instanz durch Stimmen
informiert, welche charakteristischerweise in der dritten Person zu
ihnen sprechen („Jetzt denkt sie wieder daran; jetzt geht er fort“). Diese
Klage hat recht, sie beschreibt die Wahrheit; eine solche Macht, die alle
unsere Absichten beobachtet, erfährt und kritisiert, besteht wirklich, und
zwar bei uns allen im normalen Leben. Der Beobachtungswahn stellt
sie in regressiver Form dar, enthüllt dabei ihre Genese und den Grund,
weshalb sich der Erkrankte gegen sie auflehnt."
Die Anregung zur Bildung des Ichideals, als dessen Wächter das Gewissen bestellt ist, war nämlich von dem durch die Stimme vermittelten kritischen Einfluß der Eltern ausgegangen, an welche sich im Laufe der Zeiten die Erzieher, Lehrer, und als unübersehbarer unbestimmbarer Schwarm alle anderen Personen des Milieus angeschlossen hatten. (Die Mitmenschen, die öffentliche Meinung.)
"Große Beträge von wesentlich homosexueller Libido wurden so zur
Bildung des narzißtischen Ichideals herangezogen und finden in der
Erhaltung desselben Ableitung und Befriedigung. Die Institution des
Gewissens war im Grunde eine Verkörperung zunächst der elterlichen
Kritik, in weiterer Folge der Kritik der Gesellschaft, ein Vorgang, wie
er sich bei der Entstehung einer Verdrängungsneigung aus einem zuerst
äußerlichen Verbot oder Hindernis wiederholt. Die Stimmen sowie die
unbestimmt gelassene Menge werden nun von der Krankheit zum Vorschein
gebracht, damit die Entwicklungsgeschichte des Ge- [20] wissens
regressiv reproduziert. Das Sträuben gegen diese z e n s o r i s c h e
I n s t a n z rührt aber daher, daß die Person, dem Grundcharakter der
Krankheit entsprechend, sich von all diesen Einflüssen, vom elterlichen
angefangen, ablösen will, die homosexuelle Libido von ihnen zurückzieht.
Ihr Gewissen tritt ihr dann in regressiver Darstellung als Einwirkung
von außen feindselig entgegen."
Die Klage der Paranoia zeigt auch, daß die Selbstkritik des Gewissens im Grunde mit der Selbstbeobachtung, auf die sie gebaut ist, zusammenfällt. Dieselbe psychische Tätigkeit, welche die Funktion des Gewissens übernommen hat, hat sich also auch in den Dienst der Innenforschung gestellt, welche der Philosophie das Material für ihre Gedankenoperationen liefert. Das mag für den Antrieb zur spekulativen Systembildung, welcher die Paranoia auszeichnet, nicht gleichgültig sein10.
"Es wird uns gewiß bedeutsam sein, wenn wir die Anzeichen von der
Tätigkeit dieser kritisch beobachtenden – zum Gewissen und zur philosophischen
Introspektion gesteigerten – Instanz noch auf anderen Gebieten
zu erkennen vermögen. Ich ziehe hier heran, was H. S i l b e r e r
als das „funktionelle Phänomen“ beschrieben hat, eine der wenigen Ergänzungen
zur Traumlehre, deren Wert unbestreitbar ist. S i l b e r e r
hat bekanntlich gezeigt, daß man in Zuständen zwischen Schlafen und
Wachen die Umsetzung von Gedanken in visuelle Bilder direkt beobachten
kann, daß aber unter solchen Verhältnissen häufig nicht eine
Darstellung des Gedankeninhalts auftritt, sondern des Zustandes (von
Bereitwilligkeit, Ermüdung usw.), in welchem sich die mit dem Schlaf
kämpfende Person befindet. Ebenso hat er gezeigt, daß manche Schlüsse
von Träumen und Absätze innerhalb des Trauminhaltes nichts anderes
bedeuten als die Selbstwahrnehmung des Schlafens und Erwachens. Er
hat also den Anteil der Selbstbeobachtung – im Sinne des paranoischen
Beobachtungswahnes – an der Traumbildung nachgewiesen. Dieser Anteil
ist ein inkonstanter; ich habe ihn wahrscheinlich darum übersehen,
weil er in meinen eigenen Träumen keine große Rolle spielt; bei philosophisch
begabten, an Introspektion gewöhnten Personen mag er sehr
deutlich werden."
"Wir erinnern uns, daß wir gefunden haben, die Traumbildung entstehe
unter der Herrschaft einer Zensur, welche die Traumgedanken [21] zur
Entstellung nötigt. Unter dieser Zensur stellten wir uns aber keine besondere
Macht vor, sondern wählten diesen Ausdruck für die den Traumgedanken
zugewandte Seite der das Ich beherrschenden, verdrängenden
Tendenzen. Gehen wir in die Struktur des Ichs weiter ein, so dürfen wir
im Ichideal und den dynamischen Äußerungen des Gewissens auch den T r a u m z e n s o r erkennen. Merkt dieser Zensor ein wenig auch während des Schlafes auf, so werden wir verstehen, daß die Voraussetzung
seiner Tätigkeit, die Selbstbeobachtung und Selbstkritik, mit Inhalten
wie: jetzt ist er zu schläfrig, um zu denken – jetzt wacht er auf,
einen Beitrag zum Trauminhalt leistet11."
Von hier aus dürfen wir die Diskussion des Selbstgefühls beim Normalen und beim Neurotischen versuchen.
Das Selbstgefühl erscheint uns zunächst als Ausdruck der Ichgröße, deren Zusammengesetztheit nicht weiter in Betracht kommt. Alles, was man besitzt oder erreicht hat, jeder durch die Erfahrung bestätigte Rest des primitiven Allmachtgefühls hilft das Selbstgefühl steigern.
"Wenn wir unsere Unterscheidung von Sexual- und Ichtrieben einführen,
müssen wir dem Selbstgefühl eine besonders innige Abhängigkeit von der
narzißtischen Libido zuerkennen. Wir lehnen uns dabei an die zwei Grundtatsachen
an, daß bei den Paraphrenien das Selbstgefühl gesteigert, bei den
Übertragungsneurosen herabgesetzt ist, und daß im Liebesleben das Nichtgeliebtwerden
das Selbstgefühl erniedrigt, das Geliebtwerden dasselbe erhöht.
Wir haben angegeben, daß Geliebtwerden das Ziel und die Befriedigung bei
narzißtischer Objektwahl darstellt."
"Es ist ferner leicht zu beobachten, daß die Libidobesetzung der Objekte
das Selbstgefühl nicht erhöht. Die Abhängigkeit vom geliebten Objekt wirkt
herabsetzend; wer verliebt ist, ist demütig. Wer liebt, hat sozusagen ein Stück
seines Narzißmus eingebü.t und kann es erst durch das Geliebtwerden ersetzt
erhalten. In all diesen Beziehungen scheint das Selbstgefühl in Relation
mit dem narzißtischen Anteil am Liebesleben zu bleiben."
"Die Wahrnehmung der Impotenz, des eigenen Unvermögens zu lieben,
infolge seelischer oder körperlicher Störungen, wirkt im hohen Grade herabsetzend
auf das Selbstgefühl ein. Hier ist nach meinem Ermessen eine der
Quellen für die so bereitwillig kundgegebenen Minder- [22] wertigkeitsgefühle
der Übertragungsneurotiker zu suchen. Die Hauptquelle dieser Gefühle
ist aber die Ichverarmung, welche sich aus den außerordentlich großen, dem Ich entzogenen Libidobesetzungen ergibt, also die Schädigung des Ichs durch die der Kontrolle nicht mehr unterworfenen Sexualstrebungen."
"A. A d l e r hat mit Recht geltend gemacht, daß die Wahrnehmung eigener
Organminderwertigkeiten anspornend auf ein leistungsfähiges Seelenleben
wirkt und auf dem Wege der Überkompensation eine Mehrleistung hervorruft.
Es wäre aber eine volle Übertreibung, wenn man jede gute Leistung nach seinem
Vorgang auf diese Bedingung der ursprünglichen Organminderwertigkeit
zurückführen wollte. Nicht alle Maler sind mit Augenfehlern behaftet, nicht
alle Redner ursprünglich Stotterer gewesen. Es gibt auch reichlich vortreffliche
Leistung auf Grund vorzüglicher Organbegabung. Für die Ätiologie der
Neurose spielt organische Minderwertigkeit und Verkümmerung eine geringfügige
Rolle, etwa die nämliche, wie das aktuelle Wahrnehmungsmaterial für
die Traumbildung. Die Neurose bedient sich desselben als Vorwand wie aller
anderen tauglichen Momente. Hat man eben einer neurotischen Patientin
den Glauben geschenkt, daß sie krank werden mußte, weil sie unschön, mißgebildet,
reizlos sei, so daß niemand sie lieben könne, so wird man durch die
nächste Neurotika eines Besseren belehrt, die in Neurose und Sexualablehnung
verharrt, obwohl sie über das Durchschnittsmaß begehrenswert erscheint
und begehrt wird. Die hysterischen Frauen gehören in ihrer Mehrzahl zu den
anziehenden und selbst schönen Vertreterinnen ihres Geschlechtes, und anderseits
leistet die Häufung von Häßlichkeiten, Organverkümmerungen und
Gebrechen bei den niederen Ständen unserer Gesellschaft nichts für die Frequenz
neurotischer Erkrankungen in ihrer Mitte."
"Die Beziehungen des Selbstgefühls zur Erotik (zu den libidinösen Objektbesetzungen)
lassen sich formelhaft in folgender Weise darstellen: Man
hat die beiden Fälle zu unterscheiden, ob die Liebesbesetzungen i c h g e -
r e c h t sind oder im Gegenteil eine Verdrängung erfahren haben. Im ersteren
Falle (bei ichgerechter Verwendung der Libido) wird das Lieben wie jede
andere Betätigung des Ichs gewertet. Das Lieben an sich, als Sehnen, Entbehren,
setzt das Selbstgefühl herab, das Geliebtwerden, Gegenliebe finden,
Besitzen des geliebten Objektes hebt es wieder. Bei verdrängter Libido wird
die Liebesbesetzung als arge Verringerung des Ichs empfunden, Liebesbefriedigung
ist unmöglich, die Wiederbereicherung des Ichs wird nur durch die
Zurückziehung [23] der Libido von den Objekten möglich. Die Rückkehr
der Objektlibido zum Ich, deren Verwandlung in Narzißmus, stellt gleichsam wieder eine glückliche Liebe her, und anderseits entspricht auch eine reale glückliche Liebe dem Urzustand, in welchem Objekt- und Ichlibido voneinander
nicht zu unterscheiden sind."
Die Wichtigkeit und Unübersichtlichkeit des Gegenstandes möge nun die Anfügung von einigen anderen Sätzen in loserer Anordnung rechtfertigen:
Die Entwicklung des Ichs besteht in einer Entfernung vom primären Narzißmus und erzeugt ein intensives Streben, diesen wieder zu gewinnen. Diese Entfernung geschieht vermittelst der Libidoverschiebung auf ein von außen aufgenötigtes Ichideal, die Befriedigung durch die Erfüllung dieses Ideals.
Gleichzeitig hat das Ich die libidinösen Objektbesetzungen ausgeschickt. Es ist zugunsten dieser Besetzungen wie des Ichideals verarmt und bereichert sich wieder durch die Objektbefriedigungen wie durch die Idealerfüllung.
Ein Anteil des Selbstgefühls ist primär, der Rest des kindlichen Narzißmus, ein anderer Teil stammt aus der durch Erfahrung bestätigten Allmacht (der Erfüllung des Ichideals), ein dritter aus der Befriedigung der Objektlibido.
Das Ichideal hat die Libidobefriedigung an den Objekten unter schwierige Bedingungen gebracht, indem es einen Teil derselben durch seinen Zensor als unverträglich abweisen läßt. Wo sich ein solches Ideal nicht entwickelt hat, da tritt die betreffende sexuelle Strebung unverändert als Perversion in die Persönlichkeit ein. Wiederum ihr eigenes Ideal sein, auch in betreff der Sexualstrebungen, wie in der Kindheit, das wollen die Menschen als ihr Glück erreichen.
Die Verliebtheit besteht in einem Überströmen der Ichlibido auf das Objekt. Sie hat die Kraft, Verdrängungen aufzuheben und Perversionen wieder herzustellen. Sie erhebt das Sexualobjekt zum Sexualideal. Da sie bei dem Objekt- oder Anlehnungstypus auf Grund der Erfüllung infantiler Liebesbedingungen erfolgt, kann man sagen: Was diese Liebesbedingung erfüllt, wird idealisiert.
"Das Sexualideal kann in eine interessante Hilfsbeziehung zum Ichideal
treten. Wo die narzißtische Befriedigung auf reale Hindernisse stößt, kann
das Sexualideal zur Ersatzbefriedigung verwendet werden. Man liebt dann
nach dem Typus der narzißtischen Objektwahl das, was man war und eingebü.t
hat, oder was die Vorzüge besitzt, die man [24] überhaupt nicht hat
(vgl. oben unter c). Die der obigen parallele Formel lautet: Was den dem Ich zum Ideal fehlenden Vorzug besitzt, wird geliebt. Dieser Fall der Aushilfe hat eine besondere Bedeutung für den Neurotiker, der durch seine überm..igen
Objektbesetzungen im Ich verarmt und außerstande ist, sein Ichideal
zu erfüllen. Er sucht dann von seiner Libidoverschwendung an die Objekte
den Rückweg zum Narzißmus, indem er sich ein Sexualideal nach dem narzißtischen
Typus wählt, welches die von ihm nicht zu erreichenden Vorzüge
besitzt. Dies ist die Heilung durch Liebe, welche er in der Regel der analytischen
vorzieht. Ja, er kann an einen andern Mechanismus der Heilung nicht
glauben, bringt meist die Erwartung desselben in die Kur mit und richtet
sie auf die Person des ihn behandelnden Arztes. Diesem Heilungsplan steht
natürlich die Liebesunfähigkeit des Kranken infolge seiner ausgedehnten
Verdrängungen im Wege. Hat man dieser durch die Behandlung bis zu einem
gewissen Grade abgeholfen, so erlebt man häufig den unbeabsichtigten
Erfolg, daß der Kranke sich nun der weiteren Behandlung entzieht, um eine
Liebeswahl zu treffen und die weitere Herstellung dem Zusammenleben mit
der geliebten Person zu überlassen. Man könnte mit diesem Ausgange zufrieden
sein, wenn er nicht alle Gefahren der drückenden Abhängigkeit von
diesem Nothelfer mit sich brächte."
"Vom Ichideal aus führt ein bedeutsamer Weg zum Verständnis der Massenpsychologie.
Dies Ideal hat außer seinem individuellen einen sozialen
Anteil, es ist auch das gemeinsame Ideal einer Familie, eines Standes, einer
Nation. Es hat außer der narzißtischen Libido einen großen Betrag der homosexuellen
Libido einer Person gebunden, welcher auf diesem Weg ins Ich
zurückgekehrt ist. Die Unbefriedigung durch Nichterfüllung dieses Ideals
macht homosexuelle Libido frei, welche sich in Schuldbewußtsein (soziale
Angst) verwandelt. Das Schuldbewußtsein war ursprünglich Angst vor der
Strafe der Eltern, richtiger gesagt: vor dem Liebesverlust bei ihnen; an Stelle
der Eltern ist später die unbestimmte Menge der Genossen getreten. Die
häufige Verursachung der Paranoia durch Kränkung des Ichs, Versagung der
Befriedigung im Bereich des Ichideals, wird so verständlicher, auch das Zusammentreffen
von Idealbildung und Sublimierung im Ichideal, die Rückbildung
der Sublimierungen und eventuelle Umbildung der Ideale bei den
paraphrenischen Erkrankungen."

1O. R a n k, Ein Beitrag zum Narzißmus. Dieses Jahrbuch, Bd. III, 1911.
2 Vgl. für diese Aufstellungen die Diskussion des „Weltunterganges“ in der Analyse des Senatspräsidenten S c h r e b e r, dieses Jahrbuch, Bd. III, 1911. Ferner: A b r a h a m, Die psychosexuellen Differenzen der Hysterie und der Dementia praecox. Zentralbl. f. Nervenh. u. Psychiatrie 1908.
3 Siehe die entsprechenden Abschnitte in meinem Buch „Totem und Tabu“, 1913.
4 S. F e r e n c z i, Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes. Intern. Zeitschr. f. ärztl. Psychoanalyse I, 1913.
5 Es gibt zwei Mechanismen dieses Weltunterganges, wenn alle Libidobesetzung auf das geliebte Objekt abströmt, und wenn alle in das Ich zurückflie.t.
6 Wandlungen und Symbole der Libido. Dieses Jahrbuch, Bd. IV, 1912.
7 Intern. Zeitschr. f. ärztl. Psychoanalyse, Bd. I, 1913.
8Versuch einer Darstellung der psychoanalytischen Theorie, dieses Jahrbuch, Bd. V, 1913.
9Vgl. „Über neurotische Erkrankungstypen“ in Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, Dritte Folge, 1913.
10Nur als Vermutung füge ich an, daß die Ausbildung und Erstarkung dieser beobachtenden Substanz auch die späte Entstehung des (subjektiven) Gedächtnisses und des für unbewußte Vorgänge nicht geltenden Zeitmomentes in sich fassen könnte.
11Ob die Sonderung dieser zensorischen Instanz vom andern Ich imstande ist, die philosophische Scheidung eines Bewußtseins von einem Selbstbewußtsein psychologisch zu fundieren, kann ich hier nicht entscheiden.